Landesarbeitsgericht Köln:
Urteil vom 4. August 2005
Aktenzeichen: 6 (4) Sa 527/05
(LAG Köln: Urteil v. 04.08.2005, Az.: 6 (4) Sa 527/05)
Parallelität zu 6 (10) Sa 350/05
Die sogenannte Handelndenhaftung des § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG kommt im Vorgründungsstadium, also noch vor Errichtung der Vor - AG, nicht zur Anwendung, weil insoweit eine grundsätzliche unbeschränkte Haftung der an der Vorgründungsgesellschaft beteiligten Gesellschafter besteht.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 22.02.2005
verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 14 Ca
5282/04 - abgeändert:
1. Die Klage gegen den ursprünglichen Beklagten zu 2)
wird unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisur-
teils des Arbeitsgerichts vom 12.08.2004 abgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger;
die Gerichtskosten der ersten Instanz tragen die Par-
teien je zur Hälfte mit Ausnahme der Säumniskosten,
die der Beklagte allein zu tragen hat.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine gesellschaftsrechtliche Haftung des Beklagten als Vorstandsmitglied einer zu gründenden Aktiengesellschaft.
Der zunächst arbeitslose Beklagte schloss am 19.01.2004 auf Vermittlung des Arbeitsamtes K mit der "O AG Finanzkanzlei Wirtschafts- und Unternehmensberatung" in K , vertreten durch den Aufsichtsratsvorsitzenden K K einen Vertrag über die Anstellung als Vorstand (Kopie Bl. 60 ff d.A.).
Die "O AG" (erstinstanzlich Beklagte zu 1) stellte sodann u.a. den Kläger mit Arbeitsvertrag 15.02.2004 zu einem Bruttojahresgehalt von 35.000,00 als Sachbearbeiter im Qualitätsmanagement ein. Für die "O AG" unterzeichneten Herr K als "Aufsichtsrat" und der Beklagte als "Vorstand". Die "O AG", die noch nicht existierte und aus der O Holding GmbH (erstinstanzlich Beklagte zu 3) entstehen sollte, bat die eingestellten Mitarbeiter, sich auf Abruf bereit zu halten, weil weder die Büroeinrichtung noch die sonstigen für den Geschäftsbetrieb notwendigen Grundlagen vorhanden waren.
Zu einer Eintragung der "O AG" in das Handelsregister kam es nicht mehr. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde mit Schreiben vom 19.04.2004 gekündigt, das Anstellungsverhältnis des Beklagten am 04.05.2004. Weder der Kläger noch der Beklagte erhielt eine Vergütung seitens der "O AG".
Die Klage hat sich ursprünglich gegen die O AG (Beklagte zu 1), den Beklagten (Beklagter zu 2) und die O Holding GmbH (Beklagte zu 3) gerichtet.
Durch Versäumnisurteil vom 12.08.2004 hat das Arbeitsgericht die drei Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger insgesamt 8.282,82 nebst Zinsen an rückständiger Vergütung zu zahlen. Auf den Einspruch des Beklagten zu 2) hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil ihm gegenüber mit Urteil vom 22.02.2005 aufrecht erhalten. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) hat der Kläger im Kammertermin vom 22.02.2005 zurückgenommen.
Gegen das ihm am 15.04.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte am 19.04.2005 Berufung eingelegt, die er am 28.04.2005 begründet hat. Er wendet sich gegen die vom Arbeitsgericht angenommene sogenannte Handelndenhaftung nach § 41 Abs. 1 AktG. Die Haftung scheitere schon daran, dass für eine rechtswirksame Vertretung der AG die Unterschrift von zwei Mitgliedern des Vorstands erforderlich gewesen sei, was dem Kläger auch bekannt gewesen sei. Im Übrigen fehle es an der für eine Haftung notwendigen "Vor-AG" als Gesamthandsgesellschaft eigener Art, weil die "Umgründung" der O Holding GmbH überhaupt nicht in Angriff genommen worden sei. Es gebe weder einen entsprechenden Beschluss der GmbH-Gesellschafter noch irgendeine notarielle Gründungsurkunde.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.02.2005 -
14 Ca 5282/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist.
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die für die Vergütungsansprüche des Klägers allein in Betracht kommende Handelndenhaftung des Beklagten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG ist entgegen der Auffassung des Klägers und ihm folgend des Arbeitsgerichts nicht begründet. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AktG besteht die AG vor der Eintragung in das Handelsregister als solche nicht. Satz 2 bestimmt, dass derjenige, der vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, persönlich haftet; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. Das sind im allgemeinen die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs, also die Vorstandsmitglieder, unter Umständen auch Aufsichtsratsmitglieder, soweit sie die AG im Außenverhältnis vertreten. Auch wer nicht Vorstandsmitglied ist, sich aber als solches geriert, muss die Haftung nach § 41 Abs. 1 und 2 AktG als "faktisches Organmitglied" hinnehmen (BGHZ 65, 378, 380 f.; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 41 Rz. 20 m.w.N.).
Diese subjektive Haftungsvoraussetzung ist im Streitfall ebenso gegeben wie das objektiv notwendige rechtsgeschäftliche Handeln im Namen der - nicht existenten "O AG". Es fehlt aber an der für die Handelndenhaftung weiter erforderlichen Entstehung der sog. Vor-AG.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner neueren Rechtsprechung zu der entsprechenden Haftungsvorschrift in § 11 Abs. 2 GmbHG mit überzeugenden Gründen erkannt, dass die Handelndenhaftung im Vorgründungsstadium, also noch vor Errichtung der Vor-AG, nicht zur Anwendung kommt (BGH vom 07.05.1984 - 2 ZR 276/83 - NJW 1984, 2164; ferner BGH vom 14.06.2004 - II ZR 47/02 - NJW 2004, 2519). Für das Aktienrecht kann nichts anderes gelten (vgl. OLG Köln vom 21.12.1994 - 11 U 25/94 - NJW-RR 1995, 1504; Hüffer, § 41 Rz. 23; Pentz in MüKoAktG, 2. Aufl., § 41 Rz. 130 m.w.N.). Die extensive Anwendung dieser Haftungsvorschriften ist wegen der Entwicklung des Rechts der Vorgesellschaft überholt; danach besteht im sog. Vorgründungsstadium eine grundsätzlich unbeschränkte Haftung der an der Vorgründungsgesellschaft beteiligten Gesellschafter, die auch von der späteren Gründung und der nachfolgenden Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister unberührt bleibt (vgl. Pentz in MüKoAktG, § 41 Rz. 130 m.w.N.). Die Gläubiger der Vorgründungsgesellschaft sind daher hinreichend gesichert, so dass die gesetzliche Handelndenhaftung nach § 41 Abs. 1 AktG erst in der Phase nach Entstehung der Vor-AG eingreift. Dies setzt die Feststellung der Satzung (§ 23 AktG) und die Übernahme aller Aktien durch die Gründer (§ 59 AktG) voraus (vgl. Hüffer, § 41 Rz. 3).
Diese Voraussetzungen sind hier nach dem Vorbringen des Beklagten, dem der Kläger nicht entgegengetreten ist, nicht gegeben. Für die Verbindlichkeiten der Vorgründungsgesellschaft hat der Beklagte aber nach dem Ausgeführten nicht einzustehen.
Eine andere Beurteilung ist schließlich auch nicht deshalb angezeigt, weil der Beklagte allein den Rechtsschein zu verantworten habe, dass er als Vorstand einer Gesellschaft verpflichtende Verträge geschlossen habe. Der Kläger übersieht bei seiner Argumentation, dass es sich bei der Haftung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht um einen Fall der Rechtsscheinshaftung oder Vertrauenshaftung handelt, weil sie unabhängig davon gilt, ob der Geschäftspartner an die Existenz einer bereits eingetragenen Gesellschaft geglaubt oder sogar um die noch ausstehende Eintragung gewusst hat. Sie stellt vielmehr eine spezifisch gesellschaftsrechtliche Haftung eigener Art für rechtsgeschäftliches Handeln im Gründungsstadium dar (vgl. Pentz, MüKoAktG, § 41 Rz. 28 m.w.N.).
Da das eigentliche Gründungsstadium im Streitfall nicht erreicht war, scheidet eine Handelndenhaftung des Beklagten aus. Der Kläger kann und muss sich an die Gesellschafter der Vorgründungsgesellschaft halten, wie er dies bislang schon mit der Klage gegen die O Holding GmbH erfolgreich getan hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs.1 ZPO.
IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Soweit ersichtlich, hat das Bundesarbeitsgericht zu der entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Reichweite des § 41 Abs. 1 S. 2 AktG noch nicht Stellung genommen.
(Dr. Kalb) (Hilbert-Hesse) (Bachmann)
LAG Köln:
Urteil v. 04.08.2005
Az: 6 (4) Sa 527/05
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/9bd49efb4cf6/LAG-Koeln_Urteil_vom_4-August-2005_Az_6-4-Sa-527-05