Landgericht Münster:
Beschluss vom 27. Juni 2006
Aktenzeichen: 21 O 57/06

(LG Münster: Beschluss v. 27.06.2006, Az.: 21 O 57/06)

Tenor

Es wird gemäß §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht N unter dem führenden Aktenzeichen .........#/... anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Beschluss zu Tagesordnungspunkt 5 der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 3. Februar 2006 über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionärin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung nach den §§ 327a ff. AktG der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Antragsgegnern nach einem Gegenstandswert von 50.000,00 € auferlegt.

Gründe

Die Antragsgegner haben beim Landgericht N Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklagen gegen die Antragstellerin wegen des auf der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 3.2.2006 gefassten Beschlusses über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die T AG (Hauptaktionärin) gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung (§§ 326a ff AktG - sogenannter ......... erhoben (Az: .........#/... LG N). Mit Beschluss vom 22.3.2006 sind die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem in der obigen Beschlussformel genannten Aktenzeichen verbunden worden. Die Antragstellerin ist mit ihrer Klageerwiderung vom 19.4.2006 den Klagen dezidiert entgegentreten.

Durch Urteil der Kammer vom 10.5.2006 (Az: .........#/... LG N) sind die Klagen der Antragsgegner abgewiesen worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Wegen der anhängigen Klagen kann die Antragstellerin die nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 5 AktG für die Eintragung in das Handelsregister erforderliche Negativerklärung nicht abgeben. Das Registergericht hat dementsprechend das Eintragungsverfahren ausgesetzt.

Mit dem vorliegenden Eilantrag verfolgt die Antragstellerin das Ziel, die Sperrwirkung der erhobenen Klagen aufzuheben und die Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister zu ermöglichen. Sie ist der Auffassung, die von den Antragsgegner erhobenen Klagen seien offensichtlich unbegründet.

Die Antragstellerin beantragt:

Es wird gemäß §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht N unter dem führenden Aktenzeichen .........#/... anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Beschluss zu Tagesordnungspunkt 5 der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 3. Februar 2006 über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionärin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung nach den §§ 327a ff. AktG der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehen.

Die Antragsgegner mit Ausnahme des Antragsgegner zu 3) beantragen,

den Antrag zurückzuweisen,

der Antragsgegner zu 1) weiter hilfsweise:

das vorliegende Verfahren wird ausgesetzt bis zu einer einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass ungeachtet der allgemeinen Auffassung, dass die Enteignung der Minderheitsaktionäre deutet Aktiengesellschaften gemäß den §§ 327a ff. AktG grundsätzlich mit Art. 14 des Grundgesetzes vereinbar ist, jedenfalls die Regelung des § 327 e Abs. 2 AktG über die Entrechtung der Minderheitsaktionäre in einem eilverfahren nach der Art der vorläufigen Besitzeinweisung des öffentlichen Enteignungsrechts mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nicht ist.

Die Antragsgegnerin zu 2) vertritt die Auffassung, eine offensichtliche

Unbegründetheit der erhobenen Klagen sei schon angesichts der Klageerwiderung der Antragstellerin im Verfahren .........#/... mit einem Umfang von 69 Seiten zuzüglich Anlagen zu verneinen, abgesehen davon, dass - wie auch der Antragsgegner zu 1) meint - eine offensichtliche Unbegründetheit erst dann angenommen werden könne, wenn den Klagen die Unbegründetheit "auf der Stirn geschrieben stehe", woran es vorliegend fehle, zumal die Sachentscheidung zudem noch von einer Beweisaufnahme abhänge.

Der Antragsgegner zu 1) nimmt darüber hinaus auf sein Vorbringen mit der Anfechtungsklage Bezug und rügt insbesondere die Rechtsmissbräuchlichkeit des Hauptversammlungsbeschlusses der Beklagten vom 03.02.2006 im Hinblick auf den Prozessvergleich vom 03.11.2004 im Verfahren 21 O 103/03 LG N und der damit ermöglichten Rückumwandlung der Antragstellerin von der GmbH in die AG, weiter die Unzulässigkeit der sogenannten Parallelprüfung der Enteignungsentschädigung vor dem Hintergrund des bestellten Wunschprüfers, ferner die Inhaltslosigkeit des Prüfberichts und die Verletzung von Informations- und Auskunftsrechten der Aktionäre. Hilfsweise stellt er den Antrag auf Vorlag beim Bundesverfassungsgericht wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG im Hinblick auf die Entrechtung der Minderheitsaktionäre in einem Eilverfahren der vorliegenden Art, zumal es gleichsam einer vorläufigen Besitzeinweisung gleichkomme.

Das Gericht hat mit prozessleitender Verfügung zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.05.2006 anberaumt, an dem Tage, an dem auch die mündliche Verhandlung im Verfahren über die Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklagen (Az.: .........#/... LG N) anstand. Im Termin hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners zu 3) erklärt, dass er für diesen letztlich im Verfahren .........#/... LG N, nicht aber im vorliegenden Verfahren bevollmächtigt sei und insoweit eine ordnungsgemäße Zustellung der Antragsschrift der Antragstellerin nicht vorliege. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass schriftliche Verfahren angeordnet und den Antragsgegnern zu 3) bis 5) eine Frist zur Stellungnahme zu der Antragsschrift der Antragstellerin von drei Wochen gesetzt. Unter Hinweis auf §§ 82 ZPO analog hat es dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zu 3) die Antragsschrift nebst Anlagen, eine Ablichtung der prozessleitenden Ladungsverfügung zum Termin vom 10.05.2006, eine Ablichtung des Terminsprotokolls von diesem Tage zugestellt. Dieser hat die Schriftstücke zu den Gerichtsakten zurückgesandt unter Hinweis darauf, das er zur Entgegennahme der Schriftstücke nicht legitimiert sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Eilantrag der Antragstellerin ist gemäß §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG zulässig.

Es ist insbesondere bei dem für die Entscheidung über die Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklagen betreffend den Hauptversammlungsbeschluss der Antragstellerin vom 03.02.2006 zuständigen Landgericht (§§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 1 AktG) eingereicht.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners zu 3) ist auch zu diesem durch Zustellung der Antragsschrift vom 24.04.2006 nebst Anlagen, der Ablichtung der prozessleitenden Verfügung vom 26.04.2006, der Ablichtung des Terminsprotokolls vom 10.05.2006 mit der Anordnung des schriftlichen Verfahrens an seinen Verfahrensbevollmächtigten ein wirksames Prozessrechtsverhältnis entstanden. Dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners zu 3) die vorbezeichneten Schriftstücke erhalten hat, ergibt sich aus dessen schriftsätzlicher Stellungnahme vom 23.05.2006 (Bl. 379 f d.A.). Die Zustellung an ihn war gemäß § 82 ZPO analog auch wirksam, da der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners zu 3) unstreitig bevollmächtigt ist und war, diesen im Verfahren über die Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen, d.h. dem eigentlichen Hauptsacheverfahren, zu vertreten. Nach § 82 ZPO umfasst die Vollmacht für den Hauptprozess die Vollmacht für das eine Hauptintervention, einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung betreffendes Verfahren. Es entspricht ganz herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, dass wegen der Regelung des § 82 ZPO ein Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht nur dem Antragsgegner selbst, sondern auch dessen Prozessbevollmächtigten im Hauptsacheverfahren wirksam zugestellt werden kann (vgl. RGZ 45, 364; OLG G MDR 1984, 58; Zöller, ZPO, 24. Aufl. § 82 RN 1; Münchkomm., ZPO, 2. Aufl. § 82 RN 3). Dabei ist § 82 ZPO wegen der Regelung in § 83 Abs. 1 ZPO im Anwaltsprozess im Außenverhältnis unabdingbar mit Ausnahme der im § 184 Abs. 1 ZPO angesprochenen Tatbestände unabdingbar, d.h. eine Beschränkung des Mandat ist zwar möglich, gilt aber grundsätzlich nur im Innenverhältnis. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 3) ist die Aufzählung der Nebenverfahren in § 82 ZPO auch nicht abschließend zu verstehen, sondern durchaus analogiefähig. Nach allgemeiner Meinung findet die Vorschrift auch für die Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß §§ 620, 620 b, 641 d, 644 liegenden Freigabeverfahren zur Überwindung der Registersperre wegen Erhebung einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage handelt es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren, dem Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsprozess, formal um ein selbständiges Eilverfahren mit eigenem Streitgegenstand, das insoweit dem Arrest- bzw. Verfügungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2006, II ZB 5/06, Rz. 8, S. 9 - T-Online). Weiterhin verlagt § 82 ZPO nicht, dass im Nebenverfahren derselbe Anspruch wie im Hauptverfahren geltend gemacht wird und die Parteirollen gleich sind. So genügt bereits ein enger sachlicher Zusammenhang, wie er in dem gemeinsamen Ziel der Antragstellerin zu sehen ist, die Wirksamkeit des Übertragungsbeschlusses herbeizuführen, und dem Ziel der Antragsgegner dies zu verhindern. Von diesem Hintergrund war die Verweigerung der Entgegennahme der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zu 3) zugestellten Schriftstücke grob rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich. Der Antragsgegner zu 3) muss sich demnach so behandeln lassen, als seien ihm die Schriftstücke zugegangen.

Gemäß §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 3 AktG war das Gericht vorliegend befügt, in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung, d.h. im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Neben der grundsätzlichen Eilbedürftigkeit des Freigabeverfahrens, das der Gesetzgeber gleichsam als Eilverfahren ... ausgestaltet hat (vgl. BGH a.a.O.) war eine Dringlichkeit schon deshalb zu bejahen, weil durch eine mündliche Verhandlung mit den Parteien durch Ladung des Antragsgegners zu 3) selbst, der seinen Wohnsitz in London hat und deshalb im Wege der Auslandszustellung hätte geladen werden müssen, der Antragstellerin aufgrund der dadurch eintretenden zeitlichen Verzögerung - wie die Kammer aufgrund von Zustellungen in H. aus anderen Verfahren weiß - einen nicht hinnehmbaren Rechtsverlust hätte erleiden müssen. Stattdessen ist durch Anordnung einer Schriftsatzfrist von drei Wochen auch dem Antragsgegner zu 3) in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden.

Ihren Sachvortrag in der Klageerwiderung vom 19.04.2006 zum Hauptsacheverfahren hat die Antragstellerin durch die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des O. W. vom 19.04.2006 und des Dr. Q vom 01.04.2006 glaubhaft gemacht.

Der Eilantrag der Antragstellerin ist auch gemäß §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 2 2. Alt. AktG begründet. Danach ist dem Antrag stattzugeben, wenn die Klagen gegen die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses offensichtlich unbegründet sind. Unabhängig davon, welche Anforderungen an die insoweit geforderte "offensichtliche Unbegründetheit" zu stellen sind (vgl. hierzu: Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 319 RN 18 m.w.N.), war die offensichtliche Unbegründetheit der Klagen vorliegend schon deshalb zu bejahen, weil diese mit Urteil der Kammer im Hauptsacheverfahren über die Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen vom 10.05.2006 (Az: .........#/... LG N) bereits abgewiesen worden sind. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteilsgründe dieser Entscheidung Bezug genommen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners zu 1) erachtet die Kammer die gesetzlichen Regelungen der §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG auch für verfassungsgemäß. Abgesehen von den Erwägungen, die die Kammer in ihrem Urteil vom 10.05.2006 zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 327 a ff AktG insgesamt angestellt hat, wird der Eingriff in die Rechte der Minderheitsaktionäre durch die Eilreglung der §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG dadurch aufgewogen und kompensiert, dass im Falle der Begründetheit der Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklagen eine Schadensersatzpflicht der den Eilbeschluss erwirkenden Gesellschaft für alle daraus entstandenen Schäden gemäß §§ 327 c Abs. 2, 419 Abs. 6 S. 6 AktG besteht. Für eine Vorlage des Verfahrens an das Bundesverfassungsgericht wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 327 c Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG bestand daher kein Raum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.






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