Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Dezember 2009
Aktenzeichen: 8 W (pat) 340/05

(BPatG: Beschluss v. 15.12.2009, Az.: 8 W (pat) 340/05)

Tenor

Das Patent 196 21 167 wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Patent 196 21 167 mit der Bezeichnung "Luftabscheider für einen Milchsammelwagen" wurde am 24. Mai 1996 angemeldet. Mit Beschluss vom 4. November 2004 wurde hierauf das Patent erteilt und dessen Erteilung am 7. April 2005 veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die S... GmbH in A... Einsprechende zu 1 am 6. Juli 2005 und die Firma A... GmbH in H...

Einsprechende zu 2 am 7. Juli 2005 Einspruch erhoben.

Die Einsprechenden zu 1 und 2 haben ihre Einsprüche auf den im Prüfungsverfahren für die Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht gezogenen druckschriftlichen Stand der Technik gestützt.

Die Einsprechende zu 2 hat darüber hinaus noch ein Dokument der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin, nämlich den Zulassungsschein Nr. 1.32.2.-5.131 -AUB 93.06 in das Verfahren eingeführt und für die dort beschriebene und dargestellte Messanlage zur Aufnahme von Milch offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht.

Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2009 (eingegangen per Fax am selben Tage) hat die Einsprechende zu 1 (S... GmbH) die Rücknahme ihres Einspruchs erklärt.

Die Patentinhaberin hat mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 (eingegangen per Fax am selben Tage) erklärt, dass sie den ("morgigen") Verhandlungstermin nicht wahrnehmen wolle. Zur mündlichen Verhandlung ist demgemäß auch niemand für die Patentinhaberin erschienen. Eine sachliche Stellungnahme war seitens der Patentinhaberin ebenfalls nicht zur Akte gereicht worden.

Die Einsprechende zu 2 hat ferner bereits schriftsätzlich unzulässige Erweiterung geltend gemacht (vgl. Einspruchsschriftsatz vom 7. Juli 2005, eingegangen am selben Tage, Seiten 5, 6), weil die Steuerung, wonach die Förderleistung der Pumpe bei steigendem Niveau vermindert und bei fallendem Niveau erhöht wird, den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht zu entnehmen sei.

Die Einsprechende zu 2 hat auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung an ihrer Zulässigkeitsrüge festgehalten und hierzu noch ausgeführt, dass der in Rede stehende Regelungsmodus der Pumpe einerseits den Kern der patentgemäßen Lehre darstelle und andererseits nicht automatisch aus den ursprünglichen Unterlagen hergeleitet werden könne, so dass nach ihrer Auffassung bereits der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung vorliege, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe.

Die Einsprechende zu 2 stellt den Antrag, das Patent 196 21 167 zu widerrufen.

Von der Patentinhaberin liegt sinngemäß der Antrag vor, das Patent aufrecht zu erhalten.

Der geltend erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Luftabscheider für einen Milchsammelwagen mit einer in einen Luftabscheidebehälter (1) einmündenden Saugleitung (7) für die von einem Lieferanten anzunehmende Milch und einer vom Luftabscheidebehälter (1) zu einem Sammeltank führenden Förderleitung (8a, 8b), wobei zur Förderung der Milch in den bzw. aus dem Luftabscheidebehälter (1) eine Pumpe (9) dient, deren Förderleistung mittels einer auf das Füllstandsniveau im Luftabscheidebehälter (1) ansprechenden Regeleinrichtung (6) stetig steuerbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass bei in der Förderleitung (8a, 8b) angeordneter Pumpe (9) deren Förderleistung bei steigendem Niveau erhöht und bei fallendem Niveau vermindert wird und bei in der Saugleitung (7) angeordneter Pumpe deren Förderleistung bei steigendem Niveau vermindert und bei fallendem Niveau erhöht wird, jeweils derart, dass das Niveau über eine maximal lange Phase der Milchannahme oberhalb des Einlaufs der Saugleitung (7) liegt."

Zu dem geltenden erteilten, dem o. g. Hauptanspruch nachgeordneten Patentanspruch 2 sowie zu weiteren Einzelheiten im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

II.

Über den Einspruch, der nach dem 1. Januar 2002 und vor dem 1. Juli 2006 formund fristgerecht eingelegt worden ist, hat der zuständige Technische Beschwerdesenat gemäß § 147 Abs. 3 PatG zu entscheiden, da die mit der Einlegung des Einspruchs begründete Entscheidungsbefugnis durch die spätere Aufhebung der Vorschrift nicht entfallen ist (vgl. auch BGH GRUR 2007, 859, 861 und 862 ff -Informationsübermittlungsverfahren I und II; bestätigt durch BGH, Beschl.

v. 9.12.2008 -X ZB 6/08 -Ventilsteuerung -Mitt. 2009, 72).

Der zulässige Einspruch der Einsprechenden zu 2 ist begründet, denn er führt zum Widerruf des angegriffenen Patents.

Der Gegenstand des Patents geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinaus, so dass der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung vorliegt (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).

1. Der geltende erteilte Patentanspruch 1 beschreibt einen Luftabscheider für Milchsammelwagen mit den folgenden Merkmalen:

1.

Der Luftabscheider weist eine in einen Luftabscheidebehälter einmündende Saugleitung für die von einem Lieferanten aufzunehmende Milch auf.

2.

Der Luftabscheider weist eine vom Luftabscheidebehälter zu einem Sammeltank führende Förderleitung auf.

3.

Zur Förderung der Milch in den bzw. aus dem Luftabscheidebehälter dient eine Pumpe.

3.1 Die Förderleistung der Pumpe ist mittels einer auf das Füllstandsniveau im Luftabscheidebehälter ansprechenden Regeleinrichtung stetig steuerbar.

3.1.1 Bei in der Förderleitung angeordneter Pumpe wird deren Förderleistung bei steigendem Niveau (des Füllstands im Luftabscheidebehälter) erhöht und bei fallendem Niveau vermindert derart, dass das Niveau über eine maximal lange Phase der Milchannahme oberhalb des Einlaufs der Saugleitung liegt.

3.1.1' Bei in der Saugleitung angeordneter Pumpe wird deren Förderleistung bei steigendem Niveau (des Füllstandes im Luftabscheidebehälter) vermindert und bei fallendem Niveau erhöht derart, dass das Niveau über eine maximal lange Phase der Milchannahme oberhalb des Einlaufs der Saugleitung liegt.

Die Merkmale 1. und 2. beschreiben dabei einen Luftabscheider, in den eine Saugleitung für die Milchaufnahme einmündet und von dem eine Förderleitung zu einem Sammeltank hin herausführt. Zur Förderung der Milch in bzw. aus dem Luftabscheidebehälter dient dabei eine Pumpe (Merkmal 3.), deren Förderleistung mittels einer auf das Füllstandsniveau im Luftabscheidebehälter ansprechenden Regelung stetig steuerbar sein soll (Merkmal 3.1). Wie aus der Beschreibung des Ausführungsbeispiels, Absatz 0014, erkennbar ist, kann die Regeleinrichtung beispielsweise mit dem Stellglied eines Hydraulikantriebes verbunden sein, um die Leistung der Pumpe im Wege einer stetigen Steuerung an den jeweiligen momentanen Betriebszustand der Anlage anzupassen.

In den weiteren Merkmalen 3.1.1 bzw. 3.1.1' werden zwei verschiedene Gestaltungsvarianten der beschriebenen Anlage gekennzeichnet, die demgemäß zwei voneinander unabhängige und unterschiedliche Lösungswege hinsichtlich des Einbauortes der Pumpe entweder in der Förderleitung oder in der Saugleitung skizzieren, wobei jeder dieser Gestaltungsvarianten ein eigener Modus der Steuerung bzw. Regelung der Pumpenleistung zugeordnet ist.

Nach der Variante gemäß Merkmal 3.1.1 soll die in den vorangegangenen Merkmalen (3. und 3.1) beschriebene Pumpe in der Förderleitung angeordnet sein. Somit befindet sich die Pumpe hier in derjenigen Leitung, die aus dem Luftabscheidebehälter heraus führt und zu einem Sammeltank geführt werden soll, wie auch in der einzigen Figur der Streitpatentschrift ersichtlich ist. In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist für diese Art von Luftabscheidern zusätzlich eine Vakuumpumpe beschrieben, deren Vakuum an der Saugleitung zur Aufnahme der Milch wirksam ist (Unterdruckprinzip), wobei die im Patentanspruch 1 einzig in Rede stehende Pumpe hier gegen den von der Vakuumpumpe erzeugten Unterdruck arbeitet und nur so die Milch aus dem Luftabscheidebehälter heraus weiter in den Sammeltank fördern kann (vgl. auch Abs. 0003). Nach Merkmal 3.1.1 soll zudem die Förderleistung der Pumpe gesteuert werden mit dem Ziel, das Niveau des Füllstands im Luftabscheidbehälter über eine maximal lange Phase der Milchannahme -diese Phase soll nach Absatz 0010 bis zum Beginn der Endphase der Milchannahme andauern -oberhalb des Einlaufs der Saugleitung zu halten, um so entstehende Turbulenzen während der Milchannahme gering zu halten (Absatz 0010). Zu diesem Zweck soll die Förderleistung der Pumpe bei steigendem Füllstands-Niveau im Luftabscheidebehälter erhöht werden, um die zu große Menge an Milch wirksam in den Sammeltank abzuführen, während bei fallendem Niveau die Förderleistung der Pumpe verringert wird, um ein Leerlaufen des Milchabscheidebehälters sowie das Absinken des Füllstands-Niveaus unterhalb des Einlaufs der Saugleitung zu verhindern.

Eine weitere und von der vorher beschriebenen unabhängige Variante wird in Merkmal 3.3.1' beschrieben, wonach die Pumpe mit den Merkmalen 3. und 3.1 nunmehr -anders als bei der vorher dargestellten Variante nach Merkmal 3.3.1 -in der Saugleitung angeordnet sein soll. Bei diesem anderen Einbauort, nämlich bereits in der Saugleitung, bewirkt die Pumpe die Ansaugung der aufzunehmenden Milch, um sie dann weiter in den Luftabscheidebehälter zu pumpen, der in diesem Fall unter Überdruck gesetzt wird (Überdruckprinzip), wobei dieser Überdruck dann für den Weitertransport der Milch in den Sammeltank sorgt (Abs. 0004). Einer gesonderten Vakuumpumpe, wie bei der ersten Variante beschrieben, bedarf es bei dieser Ausgestaltung nicht mehr. Um das Ziel zu erreichen, das Füllstandsniveau im Luftabscheidebehälter wie bei der vorher beschriebenen Variante über eine maximal lange Phase der Milchannahme oberhalb des Einlaufs der Saugleitung zu halten, wird die Förderleistung der Pumpe hier bei steigendem Niveau -dies führt zu einem Volllaufen des Luftabscheidebehälters vermindert und bei fallendem Niveau -dies könnte zur Freilegung des Einlaufs der Saugleitung und zum Leerlaufen des Luftabscheidebehälters führen -erhöht. Damit wird die Pumpe in entgegengesetzter Weise gesteuert, als dies bei dem anderen Einbauort in der Förderleitung nach Merkmal 3.1.1 der Fall ist, um zu dem selben Ziel, nämlich der Erhaltung des Milchspiegels oberhalb des Einlaufs der Saugleitung im Luftabscheidebehälter, zu gelangen.

2. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 geht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Der geltende erteilte Patentanspruch 1 ist daher nicht zulässig.

Die Merkmale 1. bis 3. (vgl. Merkmalsgliederung gemäß Punkt II.1) des erteilten Patentanspruchs 1 beruhen auf dem ursprünglichen Anspruch 1, während das die stetige Steuerbarkeit der Pumpe betreffende Merkmal 3.1 aus der ursprünglichen Beschreibung (vgl. Spalte 2, Zeilen 43 bis 51 der Offenlegungsschrift DE 196 21 167 A1) herleitbar ist. Das Merkmal 3.3.1 bezüglich der Ausgestaltungsvariante mit in der Förderleitung angeordneter Pumpe ist aus dem ursprünglichen Anspruch 1 in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibung gemäß Offenlegungsschrift Spalte 2, Zeilen 9 bis 13 ableitbar.

Zu der in Merkmal 3.3.1' beschriebenen Ausgestaltungsvariante eines Luftabscheiders ist der Einsprechenden zu 2 darin zuzustimmen, dass die spezielle Steuerung der Förderleistung einer in der Saugleitung angeordneten Pumpe derart, dass deren Leistung bei steigenden Niveau vermindert und bei fallendem Niveau erhöht wird, nicht zum Umfang der ursprünglichen Offenbarung zu rechnen ist. Zwar ist die Anordnung einer Pumpe u. a. auch in der Saugleitung als solche Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs 1. Jedoch geht aus den ursprünglichen Unterlagen nicht hervor, dass es dann einer anderen Art der Steuerung der Förderleistung der Pumpe bedarf, als bei einer in der Förderleitung angeordneten Pumpe. Vielmehr lässt bereits der ursprüngliche Anspruch 1 ein und denselben Steuermodus erkennen, (vgl. kennzeichnender Teil) und zwar ungeachtet der Tatsache, ob die Pumpe in der Saugleitung oder in der Förderleitung angeordnet ist (vgl. Ende des Oberbegriffs). Mit dieser die damals anmeldungsgemäße Lehre kennzeichnenden Offenbarung des ursprünglichen Anspruchs 1 steht auch die Beschreibung gemäß Spalte 2, Zeilen 52 bis 57 der Offenlegungsschrift (diese Stelle ist mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen, Seite 5, 1. Absatz identisch) in Einklang, wo ausgeführt wird.

"Neben dem beschriebenen Ausführungsbeispiel mit der Pumpe 9 in der Förderleitung 8a, 8b kann die Erfindung auch anders ausgeführt werden, und zwar mit einer Pumpe in der Saugleitung 7. Die Steuerung und Regelung dieser Pumpe ist gleich der am Ausführungsbeispiel beschriebenen".

Auch die erklärende textliche Offenbarung bezüglich des weiteren Ausführungsbeispiels mit einer in der Saugleitung angeordneten Pumpe bestätigt somit noch einmal expressis verbis den Offenbarungsgehalt des ursprünglichen Anspruchs 1, wonach den beiden möglichen Ausgestaltungsvarianten eines Luftabscheiders unabhängig von dem Einbauort der Pumpe, sei dieser in der Förderleitung oder in der Saugleitung, jeweils ein und derselbe Steuermodus zu Grunde gelegt werden soll, nämlich die Erhöhung der Förderleistung bei steigendem Milchspiegel (Niveau) und deren Verminderung bei fallendem Niveau.

Demgemäß gehört die in Merkmal 3.1.1' des geltenden Patentanspruchs 1 beschriebene Art der Steuerung der Pumpenleistung bei in der Saugleitung angeordneter Pumpe dahingehend, dass dann die Pumpenleistung bei steigendem Niveau vermindert und bei fallendem Niveau erhöht wird, nicht zum Umfang der ursprünglichen Offenbarung, zumal dort auch die textliche Offenbarung in der erklärenden Beschreibung gegenteiliges zum Inhalt hat und andere Offenbarungsarten, z. B. eine Zeichnung, zu dieser zweiten Ausführungsform nicht vorliegen.

Hinzu kommt, dass die Merkmale des Patentanspruchs 1, die sich auf den Steuerungsbzw. Regelungsmodus der Pumpenleistung jeweils in Abhängigkeit von dem Ort des Betriebes der entsprechenden Pumpe in der Förderleitung bzw. in der Saugleitung beziehen, den Kerngedanken der in der Streitpatentschrift beschriebenen Lehre bilden.

Nachdem ein wesentlicher zusätzlicher Steuerungsbzw. Regelungsmodus für die Pumpenleistung im geltenden Patentanspruch 1 definiert ist, der nicht Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen war und aus diesen auch nicht herleitbar ist, stellt die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 ein Aliud gegenüber dem in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen beschriebenen Gegenstand dar.

Der geltende Patentanspruch 1 ist daher nicht bestandsfähig, weil sein Gegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Unterlagen hinaus geht.

Auf Grund der erforderlichen einheitlichen Entscheidung über einen Antrag fällt mit Patentanspruch 1 auch der auf diesen rückbezogene Patentanspruch 2 erteilter und geltender Fassung.

Dehne Dr. Huber Pagenberg Dr. Dorfschmidt Cl






BPatG:
Beschluss v. 15.12.2009
Az: 8 W (pat) 340/05


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