Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 15. Dezember 2003
Aktenzeichen: 1 L 2789/03

(VG Köln: Beschluss v. 15.12.2003, Az.: 1 L 2789/03)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage (1 K 6305/03) der Antrag-stellerin gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 02.09.2003 (C. 0a 00/000) wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zu Hälfte; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt diese selbst.

2. Der Streitwert wird auf 50.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beigeladenene bietet bundesweit Sprachtelefondienst auf der Basis eines selbst betriebenen Telekommunikationsnetzes an. Neben den Standardtarifen um- fasst das Angebot u.a. die Optionstarife "AktivPlus", "AktivPlus basis" und "AktivPlus xxl", welche zuletzt mit Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) vom 11.04.2003 befristet bis zum 30.09.2004 genehmigt wur- den.

Am 24.06.2003 beantragte die Beigeladene die Genehmigung des weiteren Op- tionstarifs "AktivPlus basis calltime 120" zum 01.09.2003. Dieser unterscheidet sich von den Bedingungen des Tarifs "AktivPlus basis" im Wesentlichen dadurch, dass dem Kunden gegen Zahlung eines um 1,47 EUR höheren monatlichen Überlassung- sententgelts von 3,63 EUR (netto) 120 Freiminuten für City- und Deutschlandverbin- dungen eingeräumt werden.

Mit Bescheid vom 02.09.2003 entschied die RegTP:

"1. Die Entgelte und entgeltrelevanten Bestandteile der Allgemeinen Geschäfts- bedingungen für das Optionsangebot "AktivPlus basis calltime 120" werden gemäß der dem Antrag beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Preisliste "AktivPlus basis calltime 120" genehmigt.

In Bezug auf die beantragte Änderung von Punkt 2.1 der entgeltrelevanten Be- standteile der Allgemeinen Geschäftsbedingungen "AktivPlus basis calltime 120" (Ausschluss der Preselection-Möglichkeit) wird die Genehmigung ver- sagt.

2. Die Anwendung der unter Ziffer 1 genehmigten Entgelte im Rahmen des Kun- denwertprogrammes "Happy Digits" wird genehmigt.

3. Die Genehmigung wird bis zum 31.03.2005 befristet."

Am 30.09.2003 hat die Antragstellerin - Inhaberin von Lizenzen der Klassen 3 und 4 - Anfechtungsklage (1 K 6305/03) erhoben und am 19.11.2003 den vorliegen- den Aussetzungsantrag gestellt. Sie macht im Wesentlichen geltend:

Die angefochtene Entgeltgenehmigung entspreche offenkundig nicht den Anfor- derungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG. Das im Tarif "AktivPlus basis calltime 120" ent- haltene Freiminuten-Kontingent werde nicht kostendeckend angeboten. Der darauf entfallende Anteil des monatlichen Überlassungsentgelts liege weit unterhalb des von der RegTP nach der sog. "IC+25%"-Formel errechneten Vergleichsmaßstabes von maximal 0,0314 EUR je Minute. Abgesehen davon verstoße die Genehmigung gegen § 27 Abs. 3 TKG i.V.m. §§ 19 Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB sowie Art. 82 lit. d EGV. Der in Rede stehende Tarif führe nämlich zu einer unzulässigen Bezugskon- zentration und Sogwirkung zugunsten der Angebote der Beigeladenen, enthalte eine unzulässige Leistungskoppelung und verdränge Preselection- und Callbycall- Angebote von Wettbewerbern in einer deren Wettbewerbsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigenden Weise. Auch eine von den Erfolgsaussichten der Klage unab- hängige Interessenabwägung müsse zur Aussetzung der weiteren Vollziehbarkeit der Entgeltgenehmigung führen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie - die Antrag- stellerin - nicht nur durch den Tarif "AktivPlus basis calltime 120", sondern vor allem durch seine massive Bewerbung und Verknüpfung mit U-Net und U-ISDN- Anschlüssen in Form der Tarifvarianten "U-Net calltime 120" und "U-ISDN calltime 120" gravierende Wettbewerbsnachteile erleide. Sie werde darin beeinträchtigt, neue Kunden für eine Nutzung ihres Verbindungsnetzes im Wege von Callbycall oder Preselection zu gewinnen und alte Kunden zu halten. Die erhebliche Sogwirkung des Tarifs zeige sich daran, dass die Beigeladene nach eigenen Angaben in weniger als einem halben Monat seit dem Angebot von "AktivPlus basis calltime 120" und der Einführung des weiteren Optionstarifs "AktivPlus xxl (neu)" fast ein halbe Million Neu- kunden für diese Angebote geworben habe.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 6305/03 gegen den Bescheid der RegTP vom 02.09.2003 (Az.: C. 0a 00/000) anzuordnen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

den Antrag abzulehnen.

Sie treten dem Vorbringen der Antragstellerin entgegen und verteidigen den an- gegriffenen Bescheid.

II.

Der Antrag ist begründet.

Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse bzw. dem Interesse der Beigeladenen an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit der Entgeltgenehmigung vom 02.09.2003 und dem Interesse der Antragsstellerin an der Aussetzung der Vollziehung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Entgeltgenehmigung gemäß § 27 Abs. 3 TKG hätte versagt werden müssen, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides offenkundig den Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG nicht entsprach und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird,

vgl. zur wettbewerberschützenden Funktion dieser Vorschrift: VG Köln, Urteil vom 31.07.2003 -1 K 1246/02-, Juris.

Nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG dürfen Entgelte keine Abschläge enthalten, die die Wett- bewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen auf einem Markt der Telekommunikation beeinträchtigen, es sei denn, dass hierfür ein sachlich gerechtfertigter Grund nachgewiesen wird. Ein derartiger Abschlag lag am 02.09.2003 in Bezug auf das den Tarif "AktivPlus basis calltime 120" wesentlich kennzeichnende Freiminuten-Kontingent offenkundig vor.

1. Wie der systematische Zusammenhang des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG mit der Regelung des § 24 Abs. 2 Nr. 1 TKG über Aufschläge und dem in beiden Vorschriften als Prüfungsgrundlage heranzuziehenden § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG,

so: BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, DVBl. 2003, 403 (409),

zeigt, liegen Abschläge vor, wenn das zu beurteilende Entgelt die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung unterschreitet,

vgl.: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Rn. 21 zu § 24; Schuster/Stürmer, in Beck`scher TKG- Kommentar, 2. Aufl., Rn. 41 zu § 24; auch auf Normalpreise und hypothetische Wettbewerbspreise als Referenzgrößen abstellend: Spoerr, in Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz mit FTEG, 1. Aufl., Rn. 69 und 70 zu § 24.

1.1 Ob dies vorliegend der Fall ist, hat die RegTP nicht unter Zugrundelegung der dafür eigentlich maßgeblichen Bestimmungen des § 3 TEntgV, sondern - wie in ihrer bisherigen Regulierungspraxis üblich - anhand der sog. "IC+25 %"-Formel ermittelt (vgl. Bescheid S. 14/15). Das bedeutet z.B. für die im umstrittenen Tarif enthaltene teuerste Leistung (Deutschlandverbindungen montags bis freitags zwischen 7.00 und 18.00 Uhr), dass die RegTP als Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung angesetzt hat:

0,0251 EUR/Minute (Interconnection-Entgelte U. -B.1 Tarifzone I = 0,0065 EUR/Minute plus U. -B.2 Tarifzone III = 0,0186 EUR/Minute )

+ 0,0063 EUR/Minute (25 % Zuschlag für Vertriebskosten, Inkasso und Delkredere)

= 0,0314 EUR/Minute.

Die Kammer muss wegen des summarischen Charakters des vorliegenden Eilverfahrens offen lassen, ob die Anwendung dieser Formel den regulierungsrechtlichen Anforderungen zumindest im Ergebnis genügt. Sie geht hier auch deshalb von dem im Bescheid angenommenen "IC+25 %"-Grenzwert aus, weil - zum einen - die Antragstellerin nichts dargelegt hat, was zweifelsfrei zur Annahme einer höheren Dumpingrenze zwänge. Dass - soweit ersichtlich - keine konkrete Kostenprüfung anhand von Kostennachweisen durchgeführt wurde, kann im vorliegenden Zusammenhang auf sich beruhen, da wenig dafür spricht, dass § 3 TEntgV Schutzwirkung zugunsten von Wettbewerbern des Marktbeherrschers hat. Denn diese Vorschrift konkretisiert den gesetzlichen Maßstab des § 24 Abs. 1 TKG, der - wie inzwischen höchstrichterlich

so: BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, a.a.O.

geklärt ist - nicht dem Wettbewerberschutz dient. Zum anderen geht die Kammer hier deshalb von der "IC+25%"-Formel aus, weil diese auch Grundlage der - trotz Beteiligung der Antragstellerin - bestandskräftig gewordenen Genehmigung des Optionstarifs "AktivPlus basis" vom 11.04.2003 war.

1.2 Bei der Frage, ob das auf das Freiminuten-Kontingent entfallende Entgelt die anhand der "IC+25%"-Formel gekennzeichnete Abschlagsgrenze unterschreitet, ist entgegen der Auffassung der RegTP nicht das gesamte monatliche Überlassungsentgelt in Höhe von 3,63 EUR (netto), sondern nur die Differenz zum Überlassungsentgelt für "AktivPlus basis" ( 2,16 EUR) in Höhe von 1,47 EUR anzusetzen. Es wird nämlich weder nachvollziehbar dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass -wie im Bescheid (S. 15) behauptet - die Kosten der ab der 121. Verbindungsminute nutzungsdauerabhängig tarifierten Sprachtelefondienstleistung bereits durch die verschiedenen Verbindungspreise (ohne Berücksichtigung des Überlassungsentgelts) gedeckt seien. Träfe dies nämlich zu, so verstieße das Überlassungsentgelt des Tarifs "AktivPlus basis" gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 TKG. Da die RegTP diesen Tarif aber mit Bescheid vom 11.04.2003 genehmigt und niemand dagegen geklagt hat, muss die Kammer davon ausgehen, dass das "AktivPlus basis"-Überlassungsentgelt mit dazu dient, die Kosten der nutzungsdauerabhängigen Sprachtelefondienstleistungen zu decken. Dies muss dann aber auch für den entsprechenden, außerhalb des Freiminuten-Kontingents liegenden Leistungsteil des hier umstrittenen Tarifs "AktivPlus basis calltime 120" gelten. Daraus folgt, dass nur die Differenz zwischen den Überlassungsentgelten dieser beiden, ansonsten preislich identischen Optionstarife als Gegenleistung für das Freiminuten-Kontingent in Betracht gezogen werden kann.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der RegTP zur Begründung herangezogenen Beschluss der Kammer vom 04.04.2001 - 1 L 298/01 -. Zwar heißt es darin:

"Es kann derzeit auch nicht festgestellt werden, dass die in den Optionstarifen XXL der Beigeladenen enthaltene sog. "Sonntagsflatrate" offensichtlich gegen die Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG verstößt. Beim gegenwärtigen Sachstand ist nämlich durchaus unklar, ob als Bezugsgröße für diese "flatrate" ein Endkundenpreis von ca. 5,00 DM (Differenz zum "niedrigeren" Optionstarif) oder - wie die Beigeladene meint - ein Endkundenpreis von ca. 15,00 DM (Differenz zu den Basistarifen) in Ansatz zu bringen ist. Zwar mag aus der Sicht des Endkunden für diese Leistung ein monatlicher Mehrpreis von "nur" 5,00 DM zu zahlen sein. Entscheidend dürfte insoweit aber nicht die am derzeit geltenden abgestuften Endkundentarifmodell der Beigeladenen orientierte Kundensicht sein, sondern der tatsächliche Kostendeckungsgrad aller in den Optionstarifen enthaltenen Leistungen. Sollte sich dabei - und darauf läuft der Vortrag der Beigeladenen hinaus - für einzelne der im Paket angebotenen Leistungen eine Kos- tenüberdeckung ergeben, stünde diese vorbehaltlich der Reichweite des § 27 Abs. 2 Satz 1 TKG zur Kostendeckung der "Sonntagsflatrate" mit zur Verfügung. Da es sich bei allen insoweit in Rede stehenden Tarifvarianten um Entgelte für Sprachtelefondienstleistungen handelt - die Nutzung der "Sonntagsflatrate" für den Internetzugang scheint in der Praxis jedenfalls keine Rolle mehr zu spielen - könnte eine solche pauschalierende Betrachtung auch nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die Beantwortung der Frage nach der Kostendeckung setzte dann aber umfängliche Kostenprüfungen aller in den abgestuften Optionstarifen enthaltenen Entgelte für Sprachtelefondienstleistungen voraus, die mit den dem Gericht im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht geleistet werden kann".

Doch lassen sich diese Ausführungen schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil hier der kostenmäßige Unterschied zwischen den Optionstarifen "AktivPlus basis calltime 120" und "AktivPlus basis" nicht zweifelhaft ist. Demgegen- über war im damaligen Entscheidungszeitpunkt das Verhältnis zwischen der im - alten - Optionstarif XXL enthaltenen Sonntagsflatrate und den Basistarifen unklar.

Außerdem hat die Kammer im vorerwähnten Beschluss entgegen der Interpretation der RegTP (Bescheid S. 15) eine pauschalierende Betrachtung nicht uneingeschränkt und erst recht nicht in dem Sinne befürwortet, dass von den Besonderheiten der AktivPlus-Tarifvarianten abzusehen sei, wenn - wie im vorliegenden Falle - klar ist, welche Kosten auf die einzelnen Leistungsbestandteile entfallen.

Wollte man in einem solchen Fall Kostenunterdeckungen innerhalb des einen Optionstarifs mit Kostenüberschreitungen in anderen Varianten der "Aktiv-Plus"- Tarifgruppe verrechnen und die Abschlagsprüfung auf die gesamte Tarifgrupppe beziehen, so entspräche dies nicht den in § 27 Abs. 1 Nr. 1 TKG enthaltenen regulierungsrechtlichen Vorgaben. Denn danach erfolgt die Einzelgenehmigung auf der Grundlage der auf die "einzelne" Dienstleistung entfallenden Kosten. Dementsprechend hat gemäß § 2 Abs. 1 TEntgV das beantragende Unternehmen die Kostenunterlagen für die "jeweilige" Dienstleistung vorzulegen. Diese ist nach § 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 TKG auch Bezugspunkt der Gemeinkostenzuordnung.

Somit handelt es sich bei den Varianten der "Aktiv-Plus"-Tarifgruppe ("AktivPlus", "AktivPlus xxl (neu)", "AktivPlus basis", "AktivPlus basis calltime 120" ) nicht um bloße Differenzierungen innerhalb eines einzelgenehmigungsfähigen Entgelts (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 TEntgV ). Vielmehr liegt diesen Varianten jeweils eine eigenständige Leistung zugrunde. Das gilt nicht nur für diejenigen Tarife, welche zusätzlich Verbindungen zu Mobilfunknetzen und Auslandsverbindungen (so "AktivPlus") beinhalten oder neben diesen Optionen unentgeltlichen Sprachtelefondienst an Wochenenden und Verbindungen zu Online-Diensten (so "AktivPlus xxl (neu)") umfassen, sondern auch für die auf City- und Deutschlandverbindungen beschränkten Tarife "AktivPlus basis" und "AktivPlus basis calltime 120". Dass auch hier ein Leistungsunterschied besteht, ergibt sich daraus, dass bei "AktivPlus basis calltime 120" erst ab der 121. Minute ein Verbindungspreis berechnet wird. Diese Besonderheit grenzt aus Nachfragersicht die Leistungen (City- und Deutschlandverbindungen) sachlich gegeneinander ab, so dass die Beigeladene gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 TKV zu deren gesonderter Aufführung und Tarifierung verpflichtet ist. Dementsprechend sind auch die jeweiligen "AktivPlus"- Genehmigungsanträge der Beigeladenen von der RegTP mit selbständigen Bescheiden genehmigt oder sonstwie beschieden worden.

1.3 Ist somit bei der Kostenbeurteilung des Freiminuten-Kontingents von einem monatlichen Engelt in Höhe von - nur - 1,47 EUR (netto) auszugehen und setzt man entsprechend der an den Antragsangaben der Beigeladenen (BA I, 7) orientierten Berechnungsweise der RegTP (Bescheid S. 15) nicht 120, sondern unter Berücksichtigung der mittleren Gesprächsdauer der "AktivPlus basis"-Kunden und der Minutentaktung nur 108,3 Freiminuten an, so errechnet sich für das Kontingent ein Verbindungsentgelt von 0,0136 EUR (netto) je Minute. Dieses beläuft sich - bezogen auf die kostenintensivste Verbindungszeit (montags bis freitags von 7.00 bis 18.00 Uhr) - bei den Deutschlandverbindungen auf 34,3 Prozent der entsprechenden verbrauchsabhängigen Tarife von "AktivPlus basis" und "AktivPlus basis calltime 120". Das bedeutet, dass bei ausschließlicher Verwendung des Freiminuten- Kontingents auf die teuerste Deutschlandverbindung die Kostendeckungsschwelle (0,0314 EUR/Min.) um 65,7 Prozentpunkte unterschritten wird.

Zwar ist durchaus denkbar, dass es nicht immer zu einer maximalen Ausnutzung des Freiminuten-Kontingents durch alle Tarifkunden kommt. Doch ist nichts dafür vorgetragen oder sonstwie erkennbar, dass sich der Anteil der Kunden, die das von ihnen im Voraus bezahlte Freiminuten-Kontingent nicht in vollem oder maximalem Umfange ausnutzen, aufgrund allgemein anerkannter Methodik einigermaßen genau voraussagen ließe. Abgesehen davon ist nach der Lebenserfahrung gerade hier von einer maximalen Ausnutzung auszugehen, weil der Tarif nur für solche Kunden Sinn macht, die besonders preissensibel (so die Formulierung der Beigeladenen im Entgeltantrag) sind und die sich deshalb den vorgeleisteten höheren Grundpreis durch billigere Telefonate auch tatsächlich wieder "einspielen" wollen und können.

2. Der dargestellte Abschlag beim Freiminuten-Kontingent beeinträchtigt die Wettbewerbsmöglichkeiten des Unternehmens der Antragstellerin auf einem Markt der Telekommunikation.

Eine derartige Beeinträchtigung, die als selbständige Tatbestandsvoraussetzung des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG unabhängig von dem weiteren Erfordernis fehlender sachlicher Rechtfertigung zu prüfen ist, liegt schon bei jeder für ein anderes Unternehmen wettbewerblich nachteiligen Maßnahme vor,

vgl.: Bechtold, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2. Aufl., § 19 Rn. 62; Schuster/Stürmer, in Beck`scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., Rn. 42 zu § 24; ähnlich: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Rn. 21, 22 zu § 24; Möschel, in Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 3. Aufl., Rn. 112 zu § 19 GWB; Spoerr, in Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz mit FTEG, Rn. 72 zu § 24; Witte, in Scheurle/Mayen, Telekommunikationsgesetz, Rn. 92 zu § 24.

Dabei kommt es weder auf die Verfolgung wettbewerbsfremder oder sonstiger zu missbilligender Zwecke

vgl.: Schuster/Stürmer, a.a.O.; Spoerr, a.a.O.,

noch darauf an, ob die Beeinträchtigung in erheblicher Weise erfolgt. In Abweichung von § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB hat der TKG-Gesetzgeber auf das Erheblichkeitskriterium bewusst verzichtet, um wegen der spezifischen Struktur des Telekommunikationsmarktes nicht nur den Marktzutritt neuer Unternehmen zu ermöglichen, sondern um auch ihre Wettbewerbsmöglichkeiten besonders zu schützen,

so: Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drs. 13/3609, S. 43 (zu § 23 Abs. 2).

Für die Antragstellerin ist der Abschlag beim Freiminuten-Kontingent wettbewerblich nachteilig, weil er die maßgebliche Kostengrenze nicht nur geringfügig, sondern - wie oben dargelegt - in großem Umfange unterschreitet. Um der Beigeladenen Marktanteile bei Deutschlandverbindungen abgewinnen oder einen Verlust von erworbenen Marktanteilen verhindern zu können, ist die Antragstellerin gezwungen, ihre Angebote ebenso weit, wenn nicht sogar noch weiter unterhalb der Kostendeckungsschwelle zu tarifieren. Der wettbewerbliche Nachteil liegt in einem derart krassen Fall auf der Hand. Davon geht auch die RegTP aus, wenn sie ausführt (Bescheid S. 19), es mache für den Kunden keinen Sinn, die vom Freiminuten- Kontigent erfassten Verbindungsleistungen über einen anderen Anbieter zu beziehen. Wie das Bundeskartellamt in seiner Stellungnahme vom 29.08.2003 ausgeführt hat, geht von Freiminuten-Kontingenten zudem ein besonders hoher, sogar kartellrechtlich bedenklicher Anreiz aus,

kritisch auch: Monopolkommission, Wettbewerbsentwicklung bei Telekommunikation und Post 2001: Unsicherheit und Stillstand, S. 130.

Denn der Kunde wird diese Vergünstigung vollständig ausnutzen wollen und somit mangels leichter Erkennbarkeit der Kontingentgrenze sicherheitshalber oder aus Bequemlichkeit weiter die Verbindungsleistungen der Beigeladenen in Anspruch nehmen, statt über andere Anbieter im Wege des Call by call zu telefonieren.

Die mit der Anreiz- und Sogwirkung verbundene Wettbewerbsbenachteiligung wird auch nicht durch die Einführung der Carrier Selection im Ortsbereich infolge der Änderung des § 43 Abs. 6 TKG (Art. 2 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes vom 21.10.2002, BGBl. I 4186) ausgeglichen. Die wettbewerbsfördernden Möglichkeiten, die sich aus dieser Änderung ergeben, haben rechtlich nichts mit der hier allein maßgeblichen Frage der Wettbewerberbenachteiligung durch Preisdumping zu tun. Abgesehen davon erfasst diese Gesetzesänderung nur den Call by call-Sektor im Ortnetz, wohingegen der für den Kunden attraktive Teil des in Rede stehenden Freiminuten-Kontingents die Deutschlandverbindungen betrifft.

Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, dass die Antragstellerin selbst seit dem 01.04.2003 einen Optionstarif ("B. Preselect 760") mit einem 120-minütigen Freikontingent anbietet. Denn zum einen beschränkt sich dieses Kontingent auf die Citygesprächszone; zum anderen kommt es für die Frage der wettbewerblichen Benachteiligung nicht auf das Freiminuten-Kontingent als solches, sondern darauf an, dass es von der Beigeladenenen - weit - unterhalb der Kostendeckungsschwelle angeboten wird.

3. Ein sachlich gerechtfertigter Grund ist nicht nachgewiesen.

Die Beigeladene hat in ihrem Entgeltantrag das Freiminuten-Kontingent mit dem Vorhandensein ähnlicher Angebote in den USA, Großbritannien und Frankreich sowie einem entsprechenden Kundenbedürfnis auf dem nationalen Markt begründet. Das stellt aber schon vom Ansatz her keine Rechtfertigung für ein nicht kostendeckendes Tarifangebot dar.

Ebenso wenig kann zur Begründung herangezogen werden, dass es sich um ein Angebot für besonders preissensible Kunden handele. Diese Erwägung mag kaufmänischen Maßstäben entsprechen, doch genügt sie nicht den regulierungsrechtlichen Anforderungen. Anderenfalls könnte die gesetzlich gebotene Orientierung am Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (§ 24 Abs. 1 TKG) und damit der Schutz der Wettbewerber des Marktbeherrschers leicht unterlaufen werden,

vgl. auch: VG Köln, Beschluss vom 09.11.1999 - 1 L 1213/99 -.

Das Interesse der Endkunden an niedrigen Preisen ist nicht vorrangig gegenüber dem in § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG normierten gesetzlichen Ziel der Regulierung, einen chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb auf den Märkten der Telekommunikation sicherzustellen. Erst wenn solche Märkte als Ergebnis der Regulierung tatsächlich existieren, sind die Grundlagen für ein möglichst nachhaltiges niedriges Preisniveau gelegt.

4. Schließlich war die Verletzung der Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG im maßgeblichen Zeitpunkt offenkundig.

Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn die Verletzung - schon - im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung erkennbar ist,

so: Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drs. 13/3609, S. 44 (zu § 26 Abs. 3)

Dies ist hier der Fall. Denn der sich aufdrängende Vergleich zwischen den Tarifen "AktivPlus basis calltime 120" und "AktivPlus basis" sowie der Umstand, dass Letzterer bestandskräftig genehmigt ist, lassen - wie oben dargelegt - das Vorliegen eines Abschlags sowie die davon ausgehende wettbewerbliche Benachteiligung der Antragstellerin ohne weiteres, d.h. ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und ohne Beantwortung schwieriger Rechtsfragen, deutlich erkennen.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Genehmigung des Tarifs "AktivPlus basis calltime 120" Rechte der Antragstellerin auch wegen Verstoßes gegen die §§ 19 Abs. 4 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB oder gegen Art. 82 EGV verletzt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer berücksichtigt, dass die Aussetzung der Vollziehbarkeit der Genehmigung faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft.






VG Köln:
Beschluss v. 15.12.2003
Az: 1 L 2789/03


Link zum Urteil:
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