Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 13. Juni 2007
Aktenzeichen: 20 K 3507/05

(VG Düsseldorf: Urteil v. 13.06.2007, Az.: 20 K 3507/05)

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2005 verpflichtet, der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit vom 1. November 2004 bis zum 31. Oktober 2005 in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die am 00.00.1956 geborene Klägerin ist Januar 1988 Mitglied des beklagten Versorgungswerks und war bis einschließlich Juni 2001 als Rechtsanwältin beim Kammergericht in C1 zugelassen.

Ab Juli 2001 stellte die Klägerin ihre anwaltliche Tätigkeit - die sie zuletzt in einer mit ihrem Ehemann geführten Sozietät ausgeübt hatte - ein. Von Oktober 2001 bis Mai 20023 bezog die Klägerin Krankgeld seitens der Privaten Krankenversicherung.

Im Oktober 2002 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit. Sie bezog sich zur Begründung auf ein psychiatrisches Gutachten der Leitenden Oberärztin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie in den Kliniken im U-Werk in C1, Frau S, die darin ausführte, dass die Klägerin seit 1996 zunehmend an schweren Depressionen leide, an einer schweren Angst- und Panikstörung sowie weiteren Problemen in der Persönlichkeitsstruktur. Trotz stationärer Behandlung, intensiver hochfrequenter Psychotherapie und psychiatrischer bzw. psychopharmakologischer Behandlung sei es nicht gelungen, die Gesundheit der Klägerin soweit wieder herzustellen, dass eine Berufsfähigkeit als Rechtsanwältin hätte erzielt werden können. Eine Entlastung von dem dauerhaften Druck, als Rechtsanwältin in Selbständigkeit arbeiten zu müssen, könne aus fachärztlicher Sicht mit Sicherheit dazu beitragen, den Gesundheitszustand zu verbessern. Die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit - für die Dauer von 2 Jahren - sei deshalb zu befürworten. Ziel der andauernden psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung sei, die Berufsfähigkeit als Rechtsanwältin wieder herzustellen, was auch dem Wunsch der Klägerin entspreche. Detaillierte, zu erreichende Ziele im Behandlungszeitraum lägen bereits fest und könnten erreicht werden, wenn der Druck der schnellen Wiederherstellung der beruflichen Leistungsfähigkeit von der Klägerin genommen würde.

Der Beklagte beauftragte daraufhin den sachverständigen Zeugen Herr M mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Feststellung der Leistungsfähigkeit der Klägerin. In seinem Gutachten vom 03.06.2003 stellte der sachverständige Zeuge fest, dass von einer nach wie vor stark ausgeprägten chronischen depressiven Neurose ausgegangen werde, die episodisch von phobisch neurotischen Symptomen im Sinne der Angst und Panik überlagert werde. Die Klägerin sei seit Antragstellung berufsunfähig krank. Durch die eingeleiteten therapeutischen Maßnamen sei eine deutliche Stabilisierung des Befindens möglich, sodass eine Rente für einen Zeitraum von 2 Jahren nach Antragstellung gewährt werden solle. Derzeit sei die Klägerin durch die depressiven Denkinhalte und die unmittelbaren Lebensumstände so beeinträchtigt, dass sie sich nur auf diese Thematiken konzentrieren könne und sich deshalb nicht mit anderen über berufsbedingte Themen unterhalten und willensfrei kommunizieren könne. Das Denken der Untersuchten sei von depressiven Denkinhalten und Grübeln über ihr eigenes Schicksal und die missliche Lage beeinträchtigt.

Der Beklagte gewährte daraufhin mit Bescheid vom 16.06.2003 eine Berufsunfähigkeitsrente für die Dauer von 2 Jahren ab dem 01.11.2002, deren Höhe er durch weiteren Bescheid vom 14.07.2003 auf monatlich 1.626,64 Euro bzw. 1.640,57 Euro ab dem 01.01.2003 festsetzte.

Unter dem 01.09.2004 beantragte die Klägerin „die Verlängerung der Berufsunfähigkeitsrente für einen noch zu bestimmenden, überschaubaren Zeitraum hinweg", da absehbar sei, dass ihre Arbeitsfähigkeit bis zum 31.10.04 nicht ausreichend wieder hergestellt sei. Sie übersandte ein Gutachten der behandelnden Ärztin I, das vom 13.10.2004 datiert und in dem die Ärztin im Wesentlichen ausführte: Die Klägerin sei seit September 2001 fortlaufend und regelmäßig bei ihr in einer Verhaltenstherapie, während der deutlich geworden sei, wie schwer die Klägerin durch frühe und anhaltende Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend bis in die heutige Zeit beeinflusst sei. Es sei gut nachzuvollziehen, dass die Klägerin vor allem bei erhöhter Anforderung und Überlastung schnell in einen Kreislauf von Panik und massiver Anspannung mit darauf folgender depressiver Erschöpfung gerate. Aus diesem Grund sei eine Berentung auf Zeit sehr wichtig, weil es nur so möglich sei, Traumatisierungen und ungünstige Schemata in Ruhe bearbeiten zu können. Daneben sollte die Klägerin lernen, funktionaler im Denken und Verhalten mit den vielfältigen Anforderungen des Privat- und Berufslebens umzugehen. In den letzten Jahren habe die Klägerin viele Fortschritte gemacht, die allerdings durch eine zu frühe Belastung gefährdet wären, zumal es auch im letzten Jahr einige male zu krisenhaften Situationen, einmal auch zu einer notwendigen stationären Krisenintervention im Oktober 2003 gekommen sei. Nach Einschätzung von ihr und der behandelnden Psychiaterin benötige die Klägerin noch ein weiteres Jahr, um sich nachhaltig stabilisieren zu können. Nach wie vor sei es Ziel der Behandlung, die Berufsunfähigkeit als Rechtsanwältin wieder herzustellen.

Der Beklagte beauftragte daraufhin erneut den sachverständigen Zeugen Herrn M mit der Erstellung eines Gutachtens.

In seinem Gutachten vom 10.12.2004 führte der sachverständige Zeuge u.a. aus: Die Klägerin habe erklärt, sie könne nicht nach der längeren Phase von Berufsunfähigkeit sogleich wieder ab einem definierten Datum ganztägig vollschichtig arbeitstätig sein. Die Klägerin habe den Wunsch geäußert, im Rahmen einer Übergangsphase mit reduzierter Stundenzahl erneut ganztägig in den Beruf zurückzukehren. In der psychiatrischen Exploration seien erneute psychopathologische Auffälligkeiten zu bemerken, die sich von denjenigen im Vorgutachten unterscheiden. Prominent im Vordergrund der jetzigen Anamneseerhebung hätten Störungen der kognitiven Basisfunktionen gestanden. Es sei eine teilweise eingeschränkte Fokussierung auf den stattfindenden Personen- Situationskontext festzustellen gewesen. Die Klägerin habe an sie gerichtete Fragen aufgegriffen, um von einem Thema ausgehend zu anderen Themen zu wechseln und hierbei stark zu monologisieren. Diagnostisch werde nach wie vor davon ausgegangen, dass eine erheblich ausgeprägte depressive Neurose mit starker Chronifizierungsneigung vorliege. Unter sozialmedizinischen Gesichtspunkten ergebe sich hieraus das Folgende: Falls die Richtlinien des Beklagten es zuließen, wäre es sinnvoll, die Klägerin tatsächlich zeitlich befristet für 6 Monate stundenreduziert in ihren Beruf als Rechtsanwältin wieder einzugliedern. Hinter dieser Aussage stecke der Gedanke, dass eine pathologische Dynamik der Grunderkrankung nach wie vor zu beobachten sei. Diese Dynamik verhindere es, dass die Klägerin sich über einen Zeitraum non mehr als vier Stunden täglich auf einen Sachzusammenhang konzentrieren könne. Wenn eine Stunden reduzierte Wiedereingliederung im Rahmen der Richtlinien nicht möglich sei, sei die Klägerin nach wie vor aufgrund der oben genannten Erkrankung als berufsunfähig krank aufzufassen. In diesem Falle wäre eine Nachuntersuchung nach dem Ablauf von 2 weiteren Jahren zu empfehlen. Die Klägerin sei in der Lage, in Rede und Gegenrede sich zu verhalten. Durch die pathologische Dynamik dieser Erkrankung schweife sie hierbei jedoch auch bei gezielten Fragen vom Thema ab, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration seien reduziert. Die Klägerin könne auch mit Dritten kommunizieren. Sie sei auch in der Lage, sich mit berufsbedingten Sachzusammenhängen auseinander zu setzen. Es entspreche auch ihrem Wunsch dies in Zukunft wieder zu tun. Durch die pathologische Dynamik ihrer Grunderkrankung sei sie jedoch nicht in der Lage, dieses berufsbedingte Handeln kontinuierlich ganztätig und vollschichtig durchzuführen. Es sei ratsam eine Wiedereingliederung für ein halbes Jahr bei reduzierter Stundenzahl von 4 Stunden täglich durchzuführen. Diese Wiedereingliederung solle zeitlich befristet versucht werden.

Mit Schreiben vom 16.12.2004 wies der Beklagte den sachverständigen Zeugen darauf hin, dass eine Berufsfähigkeit im Sinne der Satzung nicht erst dann gegeben sei, wenn ein Mitglied eine Vollzeittätigkeit ausüben könne. Wenn die Klägerin also in der Lage sei, eine Halbtagstätigkeit als Rechtsanwältin auszuüben, wäre sie nicht berufsunfähig im Sinne der Satzung. Vor diesem Hintergrund bat der Beklagte den Sachverständigen um Erläuterung seiner diesbezüglichen Ausführungen.

Mit Schreiben vom 20.12.2004 äußerte sich Herr M wie folgt: Bei der Grunderkrankung der Versicherten sei es sinnvoll, einen Versuch der Wiedereingliederung zu unternehmen. Diese Vorgehensweise entspreche auch dem Wunsch der Versicherten. Den Statuten des Beklagten entsprechend wäre die Klägerin dann nicht mehr berufsunfähig krank.

Mit Schreiben vom 23.12.2004 teilte der Beklagte dem sachverständigen Zeugen mit, dass immer noch ein Klarstellungsbedarf vorliege. Im Sinne der Satzung sei die Klägerin nicht berufsunfähig, wenn sie in der Lage sei eine anwaltliche Tätigkeit halbtags auszuüben. Sollte sie hingegen nicht fähig sein, eine Halbtagstätigkeit auszuüben, weil die Wiedereingliederung ihr eines solche Tätigkeit überhaupt erst ermöglichen solle, dann wäre jetzt noch keine Berufsunfähigkeit gegeben, allerdings auch mit der Konsequenz, dass sie keine anwaltliche Tätigkeit ausüben dürfe. Die Möglichkeit eines Arbeitsversuchs sei nach der Satzung nicht vorgesehen.

Daraufhin erklärte Herr M mit Schreiben vom 03.01.2005, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der bestehenden Einschränkungen durchaus in der Lage sei, eine anwaltliche Tätigkeit halbtags auszuüben.

Mit Bescheid vom 21.01.2005 lehnte der Beklagte die beantragte Verlängerung der Berufsunfähigkeitsrente unter Bezugnahme auf das Gutachten und die ergänzenden Erläuterungen des Herrn M ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2005 als unbegründet zurückwies.

Die Klägerin hat am 06.08.2005 Klage erhoben, mit der sie die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente für ein weiteres Jahr begehrt.

Sie trägt vor: Sie sei für den streitgegenständlichen Zeitraum als berufsunfähig krank im Sinne der Satzung des Beklagten einzustufen, weil sie von der vom sachverständigen Zeugen als zumutbar eingeschätzten Arbeitszeit von 2-4 Stunden täglich bei vernünftiger realistischer Einschätzung weder theoretisch noch praktisch mehr als unwesentliche Einkünfte erzielen könne. Sie habe keine eigene Mandantschaft mehr. In ihrem Alter eine Anstellung in einem Rechtsanwaltsbüro zu finden, sei auch angesichts ihrer Vorerkrankung unrealistisch. Auch als freie Mitarbeiterin sei sie unter Berücksichtigung ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht konkurrenzfähig. Der Stundenlohn für solche Aushilfsjobs liege bei ca. 20 Euro zzgl. MWSt. Hiervon könne sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Herr M sei in seinem Gutachten zu der eindeutigen Feststellung gekommen, dass die Klägerin nach wie vor aufgrund ihrer Erkrankung als berufsunfähig krank aufzufassen sei, sofern - und dies sei hier der Fall - keine Rehabilitationsleistung erfolgen könne. Er habe lediglich empfohlen, befristet für ein halbes Jahr die Wiedereingliederung zu versuchen. Ein solcher Versuch könne aber die Berufsunfähigkeit nicht beenden. Durch die weiteren Anschreiben des Beklagten sei der sachverständige Zeuge zunehmend verwirrt worden und habe sich zu zwei in sich widersprüchlichen Aussagen hinreißen lassen, dass nämlich die Klägerin einerseits berufsunfähig krank sei und dass sie andererseits halbtags anwaltliche Tätigkeit ausüben könne. Ihr Gesundheitszustand habe sich tatsächlich nicht so weit verbessert, dass sie auf eine zumindest halbtägige Berufstätigkeit verwiesen werden könne. Noch im Oktober 2003 sei es zu einer notwendigen stationären Krisenintervention gekommen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2005 zu verpflichten, der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit vom 1. November 2004 bis zum 31. Oktober 2005 in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend: Herr M sei in seinem Gutachten vom 10.12.2004 ersichtlich von der im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bestehenden Möglichkeit der Durchführung sog. Wiedereingliederungsmaßnamen in Form eines Arbeitsversuchs ausgegangen. Da die Satzung eine solche Möglichkeit nicht vorsehe, sei der sachverständige Zeuge erneut befragt worden. Hierauf habe er mitgeteilt, dass der Versuch der Wiedereingliederung sinnvoll sei und dem Wunsch der Klägerin entspreche, die Klägerin aber durchaus in der Lage sei, eine anwaltliche Tätigkeit halbtags auszuüben. Damit habe der sachverständige Zeuge ein Restleistungsvermögen bestätigt, welches es der Klägerin ermögliche, aus anwaltlicher Tätigkeit mehr als nur unwesentliche Einkünfte zu erzielen. Hiervon sei dann auszugehen, wenn aus der nach wie vor möglichen Tätigkeit ein Erlös erzielt werden könne, der die wirtschaftliche Existenzgrundlage sichern könne. Unerheblich sei hingegen, ob dieses Restleistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt realisiert werden könne. Das Risiko, keinen Arbeitsplatz zu erhalten, sei nicht Gegenstand der Versicherungsleistung des Beklagten. Es sei aber offensichtlich, dass mit einer halbschichtigen Tätigkeit die wirtschaftliche Existenzgrundlage gesichert werden könne.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn M als sachverständigen Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung der begehrten Berufsunfähigkeitsrente für ein weiteres Jahr durch den Beklagten. Zu Unrecht hat der Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer weiteren befristeten Berufsunfähigkeitsrente gemäß seiner Satzung verneint.

Nach § 18 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen (SRV) erhält ein Mitglied, das mindestens für drei Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit Beiträge geleistet hat, und das wegen Krankheit oder eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder Sucht voraussichtlich auf Dauer oder auf absehbare Zeit nicht mehr in der Lage ist, aus anwaltlicher Tätigkeit mehr als nur unwesentliche Einkünfte zu erzielen, und seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt einstellt oder eingestellt hat, Berufsunfähigkeitsrente auf Dauer bzw. auf Zeit. Abs. 5 der Vorschrift bestimmt, dass Rente auf Zeit für einen nach Kalendermonaten festgelegten Zeitraum bewilligt wird. Sie wird nur insoweit ausgezahlt, als für den Bewilligungszeitraum die Tätigkeit vollständig eingestellt worden ist. In besonderen Fällen kann das Versorgungswerk auf Antrag des Mitglieds statt einer Rente auf Dauer eine Rente auf Zeit bewilligen, jedoch längstens für die Dauer von zwei Jahren.

Dass die Klägerin die notwendige Beitragszahlung geleistet und ihre berufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin auch in dem streitbefangenen Zeitraum vollständig eingestellt hat, steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Zwischen den Beteiligten besteht auch Einigkeit darüber, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.11.2002 bis 31.10.2004 berufsunfähig im Sinne der Satzung war, d.h. auf absehbare Zeit nicht in der Lage war, aus anwaltlicher Tätigkeit mehr als nur unwesentliche Einkünfte zu erzielen.

Zwischen den Beteiligten besteht hingegen Streit über die Frage, ob die Klägerin auch im nachfolgenden, hier streitgegenständlichen Zeitraum, also vom 01.11.2004 bis 31.10.2005 weiterhin wegen Krankheit bzw. einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte auf absehbare Zeit nicht in der Lage war, aus anwaltlicher Tätigkeit mehr als nur unwesentliche Einkünfte zu erzielen.

Von dem Begriff "Anwaltliche Tätigkeit" wird nur eine solche Betätigung erfasst, welche die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beziehungsweise den Fortbestand der Zulassung rechtfertigt.

OVG NRW, Beschluss vom 22.12.1998 - 4 A 2845/96 -.

Der Begriff der anwaltlichen Tätigkeit wird durch die einschlägige Satzung nicht definiert. Zur Auslegung ist deshalb auf die Regelungen in der Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO - abzustellen. Das in §§ 1 bis 3 BRAO normierte anwaltliche Berufsbild ist geprägt vom Grundsatz der freien Advokatur, der sich aus den Begriffen "Unabhängigkeit" (§ 1, § 3 Abs. 1), "Freier Beruf" (§ 2 Abs. 1), "Organ der Rechtspflege" (§1) und "Beratungs- und Vertretungsrecht in allen Rechtsangelegenheiten" (§ 3) ableitet, was wiederum zeigt, dass die Arbeit des Rechtsanwaltes letztlich durch eigenverantwortete Rechtsberatungstätigkeit geprägt wird.

Vgl. dazu BGH, Senat für Anwaltssachen, Beschlüsse vom 29.3.1982 - AnwZ (B) 27/81 - und vom 4.12.1989 - AnwZ (B) 43/89 -.

Die Eigenverantwortlichkeit im Verhältnis zum Rechtssuchenden fehlt, wenn die Tätigkeit auf die Erstellung von Gutachten oder die Anfertigung von Schriftsätzen beschränkt bleibt, wobei der Gutachter bzw. der Verfasser nach außen nicht in Erscheinung tritt, weil er einem anderen Rechtsanwalt lediglich zuarbeitet. Zur anwaltstypischen Tätigkeit gehört jedenfalls auch die Erteilung von Rechtsrat und in diesem Zusammenhang das persönliche Gespräch des Anwalts mit dem Mandanten.

OVG NRW, Beschluss vom 22.12.1998 - 4 A 2845/96 -.

Unter Heranziehung dieser Grundsätze war die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum zur Überzeugung des Gerichts berufsunfähig im Sinne der Satzung des Beklagten, denn sie war, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, zu einer anwaltlichen Tätigkeit im Sinne der einschlägigen Versorgungssatzung nicht in der Lage. Zwar hatte sich der Gesundheitszustand der Klägerin gegenüber den zwei vorangegangenen Jahren objektiv verbessert und die Klägerin fühlte sich subjektiv auch besser. Wie der sachverständige Zeuge Herr M bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, bedeutete dies allerdings nicht, dass die Erkrankung der Klägerin nicht mehr vorhanden war. Vielmehr hatte die Intensität der Erkrankung nur eine Abmilderung erfahren. Soweit der sachverständige Zeuge meint, eine gewisse Stabilisierung der Klägerin festgestellt zu haben, mag dies zutreffend sein. Hieraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass sich der Zustand schon wieder so weit stabilisiert hatte, dass die Klägerin alle Aufgaben im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit - wenngleich zeitlich eingeschränkt - hätte erfüllen können. Hier ist auch zu berücksichtigen, dass der sachverständige Zeuge für seine Beurteilung aus eigener unmittelbarer Anschauung lediglich zwei Momentaufnahmen - nämlich eine gegenwärtige und eine 2 Jahre zurückliegende - zur Verfügung hatte. Demgegenüber hatte die behandelnde Ärztin I eine viel weitgehendere Übersicht über den Krankheitsverlauf, die erreichte Stabilisierung und etwaige Rückfälle. Nach Einschätzung von ihr und der behandelnden Psychiaterin benötigte die Klägerin aber noch ein weiteres Jahr, um sich nachhaltig stabilisieren zu können. Gegen eine bereits weitgehende Stabilisierung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum sprechen zudem die stationären Kriseninterventionen, die in den Jahren 2003 und 2004 neben der ambulant durchgeführten Therapie erforderlich waren.

Wie der sachverständige Zeuge Herr M bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung außerdem bekundet hat, stand bei seiner Beurteilung im Dezember 2004 der Gedanke im Vordergrund, dass eine Chronifizierung der Erkrankung - wegen längerer Nichtausübung des anwaltlichen Berufs - möglichst vermieden werden sollte und dass deshalb eine Wiedereingliederung der Klägerin versucht werden sollte. Zwar hielt der sachverständige Zeuge die Chancen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung für gegeben, denn Herr M ging davon aus, „dass die Klägerin es schaffen wird" (S. 5 der Sitzungsniederschrift). Diese von ihm vorgenommene prognostische Einschätzung ändert allerdings nichts daran, dass sich aufgrund der Wiedereingliederung erst zeigen sollte, ob die Klägerin tatsächlich berufsfähig war oder nicht (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift). Mithin ging Herr M davon aus, dass die Fähigkeit zur Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit erst noch erprobt werden musste, und dass der Ausgang der Erprobung ungewiss - wenngleich erfolgversprechend - war. Jedenfalls hielt Herr M auch ein Scheitern der Wiedereingliederung für möglich (S. 6 der Sitzungsniederschrift). Nur im Hinblick darauf, dass der damalige Zeitpunkt wegen der erreichten Stabilisierung günstig war und weil er ein längeres Zuwarten nicht für förderlich hielt, befürwortete der sachverständige Zeuge seinerzeit den Versuch einer Wiedereingliederung der Klägerin, wobei er für die Klägerin eine vierstündige tägliche Arbeitszeit für zumutbar hielt. Sollte aber die Wiedereingliederung erst der Erprobung der Arbeits- und Berufsfähigkeit dienen, so kann aus der Empfehlung einer Wiedereingliederung in Form einer täglichen, vierstündlichen Arbeitzeit nicht der Schluss gezogen werden, die Klägerin sei im Zeitpunkt der Empfehlung bereits wieder berufsfähig gewesen.

Ungeachtet dessen hätte die Wiedereingliederung, wie sie der sachverständige Zeuge dabei vor Augen hatte, hätte keine vollwertige, anwaltstypische Tätigkeit zum Gegenstand gehabt. Dem Zeugen schwebte stattdessen eine langsame Einarbeitung in das berufsspezifische Spektrum anwaltlicher Tätigkeit vor. Herr M schloss hierbei aus, dass die Klägerin von Anfang sämtliche einer Anwältin obliegende Aufgabenbereiche hätte wahrnehmen können. Soweit er die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf „einfache Fälle" bzw. „leichtere Mandate" beschränkte, war dies ersichtlich von dem Gedanken getragen, dass hierbei die psychische Belastung und der Leistungsdruck für die Klägerin geringer gewesen wäre, als bei einem „großen Prozess". Indessen ist schon fraglich, ob dieser Ausgangspunkt zutreffend ist, denn - und hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen - oft sind es gerade (jedenfalls aber auch) diese kleineren Mandate, die psychisch und physisch hohe Anforderungen an die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen stellen. Das Erfordernis hoher Konzentration und Aufmerksamkeit, das Gefühl, Standfestigkeit zu zeigen, sich beweisen zu müssen, also erheblicher Leistungsdruck, entsteht nicht nur in bedeutsamen Straf- oder Wirtschaftsprozessen. Schwierige oder anspruchsvolle Gesprächssituationen mit Rechtsanwälten in außergerichtlichen oder gerichtlichen Verfahren, mit gegnerischen Parteien, mit Richtern oder anderen Verfahrensbeteiligten, können auch in Fällen mit geringerer rechtlicher Schwierigkeit oder Bedeutung und in allen Rechtsgebieten auftreten. Ferner dürfte das tägliche und typische Geschäft eines Rechtsanwaltes/einer Rechtsanwältin im Regelfall dadurch gekennzeichnet sein, dass mehrere Mandate gleichzeitig zu bearbeiten sind, was gerade im täglichen Arbeitsverlauf aufgrund drohender Fristabläufe oder wegen anderer Handlungsnotwendigkeiten einen hohen Zeit- und Termindruck verursacht und zudem eine weitgehende Flexibilität erfordert. Diese Anforderungen lassen sich schwerlich mit der Feststellung des sachverständigen Zeugen vereinbaren, die Klägerin habe krankheitsbedingt dazu geneigt, sich weitschweifig einem Thema zu widmen und habe bei der Untersuchung einen unkonzentrierten, unaufmerksamen Eindruck gemacht. In seinem Gutachten vom 10.12.2004 hatte Herr M insoweit ausgeführt, bei der Klägerin hätten Störungen der kognitiven Basisfunktionen im Vordergrund gestanden. Es sei eine teilweise eingeschränkte Fokussierung auf den stattfindenden Personen-Situationskontext festzustellen gewesen. Die Klägerin habe an sie gerichtete Fragen aufgegriffen, um von einem Thema ausgehend zu anderen Themen zu wechseln und hierbei stark zu monologisieren. Soweit der sachverständige Zeuge die Klägerin für geeignet hielt, vier Stunden täglich einfache Fälle zu bearbeiten (S. 5 der Sitzungsniederschrift), liegt dieser Einschätzung eine weitere Einschränkung zugrunde, dass nämlich die Klägerin - jedenfalls anfänglich - nicht das gesamte Arbeitsspektrum anwaltstypischer Tätigkeit abzudecken brauchte. Herr M hielt die Klägerin für in der Lage, innerhalb der genannten Arbeitszeit von vier Stunden täglich Schriftsätze zu verfassen. In Bezug auf andere anwaltliche Tätigkeiten äußerte sich Herr M einschränkend wörtlich wie folgt: „Ich hätte der Klägerin zugetraut, sich bei einer Kanzlei zu bewerben, um zu gucken, wie es funktioniert, in dem Sinne, dass sie dort Akten gelesen und bearbeitet hätte und auch schon mal Telefonate geführt hätte oder auch kurze Mandantengespräche." Da der Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin aber nur eingeschränkt und bedingten Einfluss auf die Zahl eingehender oder zu führender notwendiger Telefonate und auf die Dauer von Beratungen hat, wäre bei Absolvierung einer - täglich vierstündigen - anwaltstypischen Tätigkeit eine Überforderung der Klägerin mit der Gefahr einer erneuten krisenhaften Entwicklung ihrer Persönlichkeit nicht unwahrscheinlich gewesen.

Nicht entscheidungserheblich ist - aber genau hierauf hat der sachverständige Zeuge seine Beurteilung gestützt -, ob es Anwaltskanzleien gibt, in denen eine Arbeitsteilung in der Form stattfindet, dass teilzeitbeschäftigte Rechtsanwälte oder Rechtsanwältinnen Schriftsätze für andere Kollegen und Kolleginnen als Grundlage für eine Verhandlung vorbereiten, mithin diesen zuarbeiten. Denn es ist ein Unterschied, ob der Aufgabenbereich einzelner Mitarbeiter aus Gründen ökonomischer Arbeitsaufteilung beschnitten wird, oder ob der Aufgabenbereich eines bestimmten Mitarbeiters von vornherein wegen fehlender Leistungsfähigkeit begrenzt ist. Berufsfähig ist nur der Anwalt/die Anwältin, der/die jedenfalls theoretisch in der Lage ist, die typischen Anforderungen an den Anwaltsberuf zu erfüllen, mögen auch seine/ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in allen anwaltlichen Bereichen gefordert sein. Ist der Anwalt/die Anwältin hingegen in Teilbereichen nicht leistungsfähig, so ist er/sie nicht berufsfähig.

Zwar dürfte es zutreffen, dass es eine erhebliche Zahl von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen gibt, die überhaupt nicht forensisch tätig sind, dafür aber noch sämtliche außergerichtlichen Geschäfte wahrnehmen, wie etwa im Bereich der Vertragsgestaltung, auf die zahlreiche Anwaltskanzleien spezialisiert sind,

vgl. VG München vom 11.11.2002 - M 3 K 02.1788 - zu § 29 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung,

mit der Folge, dass ein Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin nicht berufsunfähig sein dürfte, wenn er/sie krankheitsbedingt lediglich nicht mehr vor Gericht auftreten, aber noch sämtliche außergerichtlichen Geschäfte wahrnehmen kann, zumal die forensische Tätigkeit ohnehin nur einen prozentual kleineren Anteil der anwaltlichen Tätigkeit ausmacht.

Dass aber die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum in der Lage gewesen wäre, im Rahmen eines Angestelltenverhältnis z.B. für eine Anwaltskanzlei, für Versicherungen oder Betriebe Verträge zu bearbeiten und zu gestalten, hält das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für unwahrscheinlich. Zwar gehören auch derartige Tätigkeiten zum Berufsbild des Rechtsanwaltes/einer Rechtsanwältin. Indessen wäre eine solche Tätigkeit der Klägerin wegen der weiterhin vorhandenen neurotischen Störung zur Überzeugung des Gerichts nicht möglich gewesen. Denn auch die vertragsgestaltende Tätigkeit erfordert ein gewisses Maß an Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit zur Kommunikation mit den Beteiligten. Herr M hat aber in seinem Gutachten vom 10.12.2004 hierzu ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin auch bei gezielten Fragen vom Thema abschweifte und dass die Aufmerksamkeit und die Konzentration reduziert seien. Nach seinen Feststellungen bezog sich die Kommunikation mit Dritten schwerpunktmäßig auf die (eigene) Person und die persönlichen Umstände.

Kann aber - wie vorliegend - eine Anwältin wegen der gestörten Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit nur kurze Mandanten- oder Vertragsgespräche führen, nur vereinzelt, aber nicht durchgängig Telefonate führen, so ist sie berufsunfähig. Eine reine Aktenarbeit, wie sie der sachverständige Zeuge für die Anfangszeit der Wiedereingliederung befürwortete (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift), stellt keine eigenverantwortliche Rechtsberatungstätigkeit dar. Verbleiben dem Betroffenen letztlich nur juristische Tätigkeiten, die allein eine Anwaltszulassung nicht rechtfertigen, so liegt Berufsunfähigkeit im Sinne der Satzungsbestimmungen des Beklagten vor,

OVG NRW, Beschluss vom 22.12.1998 - 4 A 2845/96 -.

Es kommt vorliegend auch nicht auf die Frage an, ob die Klägerin aufgrund besonderer persönlicher Kontakte und wegen eines günstigen Umfelds möglicherweise eine Arbeitsstelle hätte finden können, bei der Rücksicht auf ihre geringere Leistungsfähigkeit genommen worden wäre. Entscheidend ist vielmehr, ob die Klägerin zur Ausübung anwaltlicher Tätigkeit in der Lage gewesen ist. Die Frage der Berufsunfähigkeit ist abstrakt und losgelöst von der Frage zu beantworten, welche Einsatzmöglichkeiten sich auf dem Arbeitsmarkt trotz Berufsunfähigkeit für den Betroffenen konkret noch bieten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.






VG Düsseldorf:
Urteil v. 13.06.2007
Az: 20 K 3507/05


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