Bundesgerichtshof:
Urteil vom 4. Oktober 2007
Aktenzeichen: X ZR 182/03
(BGH: Urteil v. 04.10.2007, Az.: X ZR 182/03)
Tenor
Die Berufung gegen das am 24. September 2003 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 0 635 373 (Streitpatents), das unter Inanspruchnahme japanischer Patentanmeldungen vom 20. Juli und 29. November 1993 am 13. Dezember 1993 angemeldet und unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Es betrifft ein "ink jet recording apparatus using recording unit with ink cartridge having ink inducing element" und umfasst 39 Patentansprüche.
Der allein angegriffene Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:
"An ink cartridge comprising:
an inkreserving portion with a porous member for storing ink;
an inksupply portion for supplying ink from said inkreserving portion to an outside of said ink cartridge;
characterized in thatan inkinducing element is arranged between said inkreserving portion and said inksupply portion so as to press said porous member of said inkreserving portion so that said porous member is deformed;
a holding member for holding said ink inducing element;
a restriction member to limit said ink inducing element to slide toward said inksupply portion;
said inkinducing element is slidably held by said holding member, and is formed as a bundle of fibers in which each fiber is provided along a sliding direction of said inkinducing element."
Die Klägerin will erreichen, dass Patentanspruch 1 für nichtig erklärt wird, weil die Lehre des Streitpatents nicht neu sei und jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Die Beklagte tritt dem entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. S. B. , , ein schriftli- ches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Gründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht auch nicht fest, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht und aus diesem Grunde Patentanspruch 1 für nichtig zu erklären wäre.
I. Das Streitpatent betrifft eine Tintenstrahlaufzeichnungsvorrichtung, z.B. einen Tintenstrahldrucker. Diese weist einen Schlitten auf, an dem die Aufzeichnungseinheit (auch Tintenstrahleinheit) lösbar montiert werden kann. In die Aufzeichnungseinheit sind der Tintenstrahlkopf (auch Aufzeichnungskopf) und die Tintenpatrone (auch Tintentank) integriert, wobei Tintenstrahlkopf und Tintenpatrone gleichfalls lösbar miteinander verbunden sind.
Die Beschreibung (S. 2 Z. 38 f.) gibt an, dass bei solchen Vorrichtungen die Tintenpatrone mit einem Mechanismus versehen sein muss, der einen Unterdruck erzeugt, bei dem der Wassersäulendruck der Tinte auf einem Wert gehalten wird, der in ausreichender Weise geringer ist als der Atmosphärendruck, um ein Lecken von Tinte aus den Düsen des Aufzeichnungskopfes zu stoppen. Als in der Tintenpatrone vorgesehener Mechanismus zum Erzeugen eines Unterdrucks finde - wie in der Beschreibung weiter ausgeführt wird - ein poröses Element als Tintenabsorptionselement Verwendung, das eine Kapillarkraft des porösen Elements erzeuge. Bei der Vorrichtung, die in der japanischen Patentanmeldung 2-187364 beschrieben werde, besitze die Tintenpatrone eine solche Konstruktion. Der Tinteneinlassabschnitt des Aufzeichnungskopfes sei unter Druck in den Tintenabsorber der Tintenpatrone eingesetzt, um den Wirkungsgrad in Bezug auf den Verbrauch der Tinte zu erhöhen. Die Kapillarkraft des porösen Elements werde dabei an dieser Stelle erhöht, indem der Tintenabsorber um den Tinteneinlassabschnitt herum verformt werde.
Bei lösbaren Aufzeichnungsköpfen ergibt sich jedoch, wie die Beschreibung weiter ausführt, die Schwierigkeit, dass nach Trennen und Verbinden von Tintenpatrone und Aufzeichnungskopf dieser keine Tinte aus der Tintenpatrone aufnimmt. Dies liegt vor allem daran, dass beim Trennen Luft in die Tintenpatrone eindringt und so verhindert, dass eine durchgehende Tintenbahn zwischen der Tintenpatrone und dem Aufzeichnungskopf gebildet wird. Zusätzlich zu diesem Problem soll nach der Streitpatentschrift berücksichtigt werden, dass, wenn der Aufzeichnungskopf von dem Vorratsbehälter getrennt ist, Tinte aus dem Tintenverbindungsabschnitt leckt; es soll gewährleistet werden, dass dem Aufzeichnungskopf ständig die geeignete Menge an Tinte zugeführt wird und beim Verbrauch der in der Tintenpatrone gespeicherten Tinte der Wirkungsgrad möglichst groß ist (Streitpatentschrift S. 3 Z. 52-54).
Die Streitpatentschrift bezeichnet es vor diesem Hintergrund als Aufgabe der Erfindung, eine Tintenpatrone mit geringen Kosten und hoher Zuverlässigkeit zu schaffen, bei der nach dem Trennen und Verbinden eines Aufzeichnungskopfes und einer Tintenpatrone das Lecken von Tinte verhindert und eine beständige Tintenzufuhr sichergestellt wird.
Die Streitpatentschrift schlägt hierzu eine Tintenpatrone mit folgenden Merkmalen vor:
Tintenpatrone mit 1. einem Tintenspeicherteil mit einem porösen Element zum Speichern von Tinte, 2. einem Tintenzuführabschnitt zum Zuführen der Tinte vom Tintenspeicherteil zur Außenseite der Tintenpatrone und 3. einem Tinteninduzierelement zwischen dem Tintenspeicherteil und dem Tintenzuführabschnitt.
4. Das Tinteninduzierelement 4.1 ist so gegen das poröse Element gedrückt, dass dieses verformt ist, 4.2 ist von einem Halteglied so gehalten, 4.2.1 dass es zum Tintenzuführabschnitt gleiten kann, 4.2.2 wobei die Gleitbewegung durch ein Begrenzungsglied begrenzt wird, und 4.3 ist als Faserbündel ausgebildet, dessen Fasern in Gleitrichtung angeordnet sind.
Damit umfasst die Tintenpatrone nach Patentanspruch 1 des Streitpatents einen Tintenspeicherteil mit einem porösen Element zum Speichern von Tinte und einen Tintenzuführabschnitt. Zwischen dem Tintenspeicherteil und dem Tintenzuführabschnitt ist ein Tinteninduzierelement angeordnet, das aus einem Faserbündel besteht, wobei jede Faser parallel zum Tintenstrom vom Tintenspeicher zum Tintenzuführabschnitt angeordnet ist. Merkmal 4.1 ist dabei so zu verstehen, dass das Tinteninduzierelement permanent so gegen das poröse Element gedrückt ist, dass dieses verformt ist; die Verformung erfolgt nicht erst beim Verbinden von Tintenpatrone und Aufzeichnungskopf. Dies ergibt sich daraus, dass Gegenstand des Patentanspruchs 1 eine Patrone als solche ist, nicht dagegen eine Patrone, die einem Aufzeichnungskopf Tinte zuführt; letzteres ist erst Gegenstand von Patentanspruch 4. Dieses Verständnis des Patentanspruchs 1 ist durch die - maßgebliche - englische Fassung vorgegeben, als danach das Tinteninduzierelement so gegen das poröse Element gedrückt ist, dass dieses verformt ist (is deformed). Das Tinteninduzierelement kann in einem Halteglied gleiten, wobei ein Begrenzungselement die Gleitbewegung in axialer Richtung beschränkt. Über die Gleitbewegung können Toleranzen in der Länge der Fasern des Faserbündels ausgeglichen werden.
II. Die Lehre des Streitpatents ist neu. Sie wird in keiner der entgegengehaltenen Druckschriften vollständig beschrieben. Keine der Entgegenhaltungen offenbart ein Element, das zum Tintenzuführabschnitt gleiten kann und über eine Gleitbewegung die Toleranzen des Tinteninduzierelements ausgleichen kann. Dies gilt auch für die US-Patentschrift 3 355 239 (D3).
Die US-Patentschrift 3 355 239 (D3) zeigt eine Schreib-/Zeichenvorrichtung (Marker). Diese weist einen rohrförmigen Tank auf, in dem sich poröses Füllmaterial befindet, das die Tinte speichert. Sie hat eine Spitze aus zu Kapillarwirkung fähigem Material, deren hinteres Ende in das poröse Füllmaterial hineinragt und deren vorderes Ende als Schreibspitze ausgebildet ist. Die Spitze ist so gelagert, dass sie sich bei einer Zunahme des Schreibdrucks nach innen bewegt und das Ende des Füllmaterials zusammendrückt. Dies bewirkt, dass der Tintenfluss zunimmt. Setzt man den rohrförmigen Tintentank mit der Tintenpatrone gleich, stellt der hintere Teil der Spitze das Tinteninduzierelement dar, das das Füllmaterial verformt und für eine Zunahme des Tintenflusses sorgt. Dieses ist jedoch nicht als Faserbündel ausgebildet. Eine Gleitbewegung zum Ausgleich der Toleranzen in der Länge dieses Faserbündels ist daher weder erforderlich noch vorgesehen. Damit verwirklicht die Vorrichtung nach dieser Schrift jedenfalls nicht diese Merkmale der Lehre des Streitpatents.
III. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht auch nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Lehre des Streitpatents nach dem Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt war.
Mit dem gerichtlichen Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass auf dem Gebiet der Entwicklung von Tintenstrahlaufzeichnungsvorrichtungen Diplomingenieure (TU oder FH) tätig sind, die durch praktische Tätigkeiten auf diesem Gebiet Erfahrung im methodischen Konstruieren und in der Entwicklung gesammelt haben.
Verhandlung und Beweisaufnahme haben keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Erfahrungen eines solchen Fachmanns Veranlassung dafür bestand, eine elastische Gestaltung zum Ausgleich von Toleranzen im Faserbündel durch ein Tinteninduzierelement gemäß Merkmalsgruppe 4 zu erreichen.
Mit der Ausgestaltung des Tinteninduzierelements gemäß Merkmalsgruppe 4 wird gewährleistet, dass zu jeder Zeit ein luftblasenfreier Kontakt zwischen dem Tinteninduzierelement und dem Tintenkanal des Aufzeichnungskopfes besteht. Eine Lösung, die dieses Ziel erreicht, gab es bereits im Stand der Technik. Die japanische Offenlegungsschrift 05-104735 (D4) betrifft eine Tintenpatrone mit einem Gehäuse, das ein poröses Teil zur Aufnahme der Tinte enthält, und einem Tintenauslass, in dem sich ein poröses Teil oder Faserbündelteil befindet, das in Kontakt mit dem porösen Teil in dem Gehäuse steht und eine höhere Dichte als dieses aufweist. Dieses Faserbündel ist, wie das Bundespatentgericht ausgeführt und der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, in dem Halteelement (25) befestigt, damit erreicht wird, dass das Faserbündel sich in das Speicherelement hineindrückt, um einen ungestörten Tintenfluss vom porösen Element zum Tintenkanal im Aufzeichnungskopf zu gewährleisten. Toleranzen in den Abmessungen des Faserbündels werden bei der Lösung nach dieser Schrift durch ein poröses Kissen aufgefangen, das am Aufzeichnungskopf angebracht ist. Dieses wird in der Entgegenhaltung als "elastisches poröses Teil" (33) bezeichnet. Damit wird ein feststehendes - nicht wie beim Streitpatent ein gleitendes - Teil zum Ausgleich der Toleranzen eingesetzt, das zudem am Aufzeichnungskopf angebracht ist. Aus Sicht des Fachmanns mag Anlass bestanden haben, über eine Verlagerung dieses Elements vom Aufzeichnungskopf an die Patrone nachzudenken, beispielsweise deshalb, weil die Patrone das kostengünstigere Element ist und zudem in regelmäßigen Abständen ausgetauscht wird. Das führte den Fachmann aber noch nicht zur Lösung des Streitpatents. Wollte er lediglich eine solche Verlagerung erreichen, bestand die vergleichsweise einfache Möglichkeit, das poröse Kissen nach oben zu verschieben, am Ende des Faserbündels zu befestigen und dann das poröse Element im Tintentank entsprechend einzustellen. Die Hilfsmittel, den jeweiligen Druck so einzustellen, hat der Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents beherrscht. Die Lösung des Streitpatents verlangte demgegenüber eine Neukonstruktion, bei der ein elastisches Zwischenteil durch eine konzeptionell anders zu bewertende federnde gleitfähige Lagerung des Tinteninduzierelements ersetzt wird. Zwar waren dem Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat und wovon auch das Bundespatentgericht ausgegangen ist, aus der Konstruktionstechnik allgemein Mittel bekannt, einen Toleranzausgleich, wie ihn das Streitpatent vorschlägt, vorzusehen. Auf sie überzugehen, setzte aber zunächst die Abstraktion des Problems der elastischen Bauweise und sodann die Wahl eines anderen Konstruktionsansatzes voraus. Der Fachmann kannte zwar die dazu einsetzbaren Mittel, deren Verwendung nahegelegen haben mag, wenn der Schritt zu der anderen Konzeption vollzogen war. Der Senat kann jedoch nicht feststellen, dass für den Fachmann Anlass bestand, diesen, eine Neukonstruktion verlangenden Schritt zu vollziehen.
Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften gaben hierzu gleichfalls keine Veranlassung.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 PatG i.V. mit § 97 ZPO.
Melullis Scharen Mühlens Meier-Beck Gröning Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 24.09.2003 - 4 Ni 35/02 (EU) -
BGH:
Urteil v. 04.10.2007
Az: X ZR 182/03
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