Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 27. Oktober 2011
Aktenzeichen: I-2 U 84/10

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 27.10.2011, Az.: I-2 U 84/10)

Tenor

I.

Auf die Berufung wird das am 22. Juni 2010 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

III.

Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 2.114.967,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24.07.2010 zu zahlen.

IV.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

V.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VI.

Die Revision wird nicht zugelassen.

VII.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.079.321,50 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in englischer Verfahrenssprache verfassten europäischen Patents 0 808 XXX ("Klagepatent"). Das Patent wurde am 10.7.1995 angemeldet, der Hinweis auf seine Erteilung am 5.10.2005 veröffentlicht. Das Patent betrifft ein "Verfahren zur Herstellung von medizinischen Vorrichtungen sowie eine intravaskuläre Okklusionsvorrichtung".

Die Patentansprüche 1 und 16 haben in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

1.

Kollabierbare medizinische Vorrichtung (60), umfassend ein aus geflochtenen Metalllitzen gebildetes Metallgewebe, wobei die Vorrichtung (60) eine kollabierte Konfiguration zur Zuführung durch einen Kanal in einem Patienten hat und eine allgemein hantelförmige entfaltete Konfiguration mit zwei Teilen mit erweitertem Durchmesser (64) hat, die durch einen zwischen entgegengesetzten Enden der Vorrichtung gebildeten Teil mit reduziertem Durchmesser (62) getrennt sind, dadurch gekennzeichnet, dass Klemmen (15) zum Festklemmen der Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung ausgeführt sind.

16.

Verfahren zum Herstellen einer medizinischen Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei das Verfahren die folgenden Schritte umfasst:

(a) Bereitstellen eines Metallgewebes, das aus einer Mehrzahl von geflochtenen Litzen gebildet ist, wobei die Litzen aus einem Metall hergestellt werden, das wärmebehandelt werden kann, um im Wesentlichen eine gewünschte Form festzulegen;

(b) Verformen des Metallgewebes, damit es allgemein einer inneren Wandfläche eines Formelements entspricht;

(c) Wärmebehandeln des Metallgewebes in Kontakt mit der Oberfläche des Formelements bei einer erhöhten Temperatur, wobei die Temperatur und die Dauer der Wärmebehandlung ausreichen, um die Form des Gewebes in seinem verformten Zustand im Wesentlichen festzulegen;

(d) Entfernen des Metallgewebes aus dem Kontakt mit dem Formelement und

(e) Festklemmen der entgegengesetzten Enden der Litzen der Vorrichtung mit Klemmen.

Die Beklagte hat unter der Bezeichnung "A" kathederbasierte Verschlussimplantate zur Behandlung von Septumdefekten (Perforation der Herzscheidewand) vertrieben.

Im Vorprozess I-2 U 65/07 hat der Senat - wie bereits das Landgericht - der gegen die genannten A gerichteten Patentverletzungsklage stattgegeben und u.a. die Schadenersatzverpflichtung der Beklagten festgestellt (Senatsurteil vom 22. Dezember 2008). Mit Urteil vom 10. Mai 2011 hat der Bundesgerichtshof (Az. X ZR 16/09) die Verletzungsklage rechtskräftig abgewiesen.

Noch vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat das Landgericht die Beklagte in einem von der Klägerin angestrengten Höheprozess mit Urteil vom 22. Juni 2010 auf Herausgabe des mit den "B"-An erzielten Verletzergewinns verurteilt, wobei es in der Hauptsache wie folgt gegen die Beklagte erkannt hat:

Die Beklagte wird verurteilt,

1.

an die Klägerin EUR 2.039.660,75 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2009 zu zahlen,

2.

an die Klägerin kapitalisierte Zinsen in Höhe von EUR 75.306,96 für Schadensersatzforderungen bis zum 08.04.2009 zu zahlen.

Die Klägerin hat das erstinstanzliche Urteil am 22. Juni 2010 vollstreckt. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung hat die Beklagte am 23. Juli 2010 den Urteilsbetrag von 2.114.967,71 € an die Klägerin gezahlt.

Gegen das landgerichtliche Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt. Außerdem macht sie Ersatz desjenigen Schadens geltend, der ihr infolge der zum Zweck der Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil geleisteten Zahlung an die Klägerin entstanden ist.

Mit ihrer Berufungserwiderung vom 7. Juni 2011 hat die Klägerin ihrerseits die Klage erweitert, indem sie das auf sie eingetragene und am 28. Juni 2007 veröffentlichte Gebrauchsmuster DE 298 25 XXY U1 ("KIagegebrauchsmuster") in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das Schutzrecht ist am 30. September 2008 infolge Zeitablaufs erloschen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die der Verurteilung zur Herausgabe des Verletzergewinns zugrunde liegenden A auch die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters verwirklichen und deshalb ebenfalls den vom Landgericht ausgeurteilten Schadenersatzbetrag rechtfertigen.

Die Klägerin hat wegen der Verletzung des Klagegebrauchsmusters durch die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Ausführungsformen vor dem Landgericht Düsseldorf am 6. Juni 2010 Klage u.a. auf Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten erhoben (Az. 4b 55/09). Der Rechtsstreit ist derzeit noch beim Landgericht anhängig; Verhandlungstermin ist für den 24. April 2012 vorgesehen.

Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters hat folgenden Wortlaut:

Zusammenlegbare medizinische Vorrichtung mit einem schlauchförmigen geflochtenen Metallgewebe, das eine expandierte voreingestellte Konfiguration aufweist, wobei die Enden des schlauchförmigen Gewebes zusammengehalten werden, um zu verhindern, dass das Geflecht ausfranst, wobei die medizinische Vorrichtung so geformt ist, dass sie einen Verschluss einer anormalen Öffnung in einer kardialen Septumwand erzeugen kann, wobei die expandierte voreingestellte Konfiguration für die Abgabe durch einen Kanal in den Körper eines Patienten auf eine kleine Querschnittsabmessung verformbar ist, wobei das gewobene Metallgewebe eine Gedächtniseigenschaft hat, so dass die medizinische Vorrichtung dazu neigt, im entspannten Zustand in die expandierte voreingestellte Konfiguration zurückzukehren, dadurch gekennzeichnet, dass die expandierte voreingestellt Konfiguration an den distalen beziehungsweise proximalen Enden der Vorrichtung erste und zweite Abschnitte mit expandiertem Durchmesser und einen Abschnitt mit verringertem Durchmesser, der zwischen den zwei Abschnitten mitexpandiertem Durchmesser angeordnet ist, umfasst, und wobei der Abschnitt mit verringertem Durchmesser eine Längenabmessung hat, die eine Dicke der Septumwand bei der anormalen Öffnung approximiert, wobei mindestens einer der ersten und zweiten Abschnitte mit expandiertem Durchmesser in Richtung zum anderen der ersten und zweiten Abschnitte mit expandiertem Durchmesser hin gewölbt ist, was bewirkt, dass der Perimeterrand des gewölbten Abschnitts mit expandiertem Durchmesser vollständig an der Seitenwand des Septums angreift.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie bezieht sich insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Verletzungsverfahren X ZR 16/09. Da der Bundesgerichtshof rechtskräftig entschieden habe, dass eine Patentverletzung nicht vorliege, müsse die diesbezügliche Höheklage erfolglos bleiben. Außerdem begehrt die Beklagte Ersatz für den aufgrund der Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils entstandenen Schaden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 22.06.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie

die Klägerin zu verurteilen, an sie - die Beklagte - Schadensersatz in Höhe von 2.114.967,71 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank seit dem 24.7.2010 zu zahlen.

Die Klägerin macht die Herausgabe des Verletzergewinns geltend und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.039.660,75 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen; desweiteren die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin kapitalisierte Zinsen in Höhe von 75.306,96 € für die Schadensersatzforderung bis zum 8. April 2009 zu zahlen.

Hilfsweise macht sie Schadensersatz im Wege der Lizenzanalogie geltend und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.454.556,01 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen; desweiteren die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin kapitalisierte Zinsen in Höhe von 56.932,59 € für die Schadensersatzforderung bis zum 8. April 2009 zu zahlen.

Die Beklagte widerspricht der Klageerweiterung, die sie für nicht sachdienlich hält. Sie macht geltend, der Beklagten dürfe nicht eine Instanz genommen werden, indem im vorliegenden Verfahren Feststellungen zum Gebrauchsmuster getroffen und über die Schadenshöhe verhandelt werde.

Am 9. Juni 2011 hat der Senat angeordnet, über die Zulässigkeit der Klageerweiterung abgesondert zu verhandeln.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bundesgerichtshof hat in dem dem vorliegenden Schadenshöheprozess zugrundeliegenden Verletzungsverfahren X ZR 16/09 rechtskräftig entschieden, dass die streitbefangenen A der Beklagten das europäische Patent 0 808 XXX der Klägerin nicht benutzen. Mangels Verletzungshandlung steht der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu.

III.

Soweit die Klägerin den Zahlungsanspruch im Wege der Anschlussberufung - auswechselnd - auf das deutsche Gebrauchsmuster DE 298 25 XXY U1 stützt, bleibt die Klage ebenfalls ohne Erfolg. Die Einführung des Klagegebrauchsmusters in das Berufungsverfahren ist unzulässig. Die Ansprüche aus dem Gebrauchsmuster sind als neuer Streitgegenstand und ihre Einführung in den Prozess damit als Klageerweiterung im Sinne von § 533 ZPO zu bewerten (Senat, InstGE 10, 248 - A; InstGE 6, 47 - Melkautomat; OLG München InstGE 6, 57 - Kassieranlage; vgl. auch Haedicke/Kamlah, Festschrift für Mes, 2009, 153, 155 f.). Die Klageerweiterung ist gemäß § 533 Nr. 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Beklagte der Klageerweiterung zugestimmt, noch ist die Behandlung des Klagegebrauchsmusters im Berufungsverfahren sachdienlich.

1.

Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung richtet sich auch in der Berufungsinstanz im Grundsatz nach den zu § 263 ZPO geltenden Regeln. Sie hängt davon ab, ob eine Entscheidung auch über die geänderte Klage in demselben Verfahren objektiv prozesswirtschaftlich ist, weil sie den Streitstoff des anhängigen Verfahrens zumindest teilweise ausräumt und einem anderenfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BGH, NJW 2000, 800, 803 m.w.N.; Musielak/Foerste, ZPO, 6. Aufl., § 263 Rdnr. 7). Allein die Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits kann allerdings nicht das entscheidende Kriterium für die Sachdienlichkeit einer Klageänderung sein, denn dann müsste die Änderung praktisch immer zugelassen werden, weil der Kläger mit seiner Erweiterung schon seine Entschlossenheit zu einer gerichtlichen Durchsetzung zu erkennen gegeben hat und deshalb in aller Regel auch davon auszugehen ist, dass er ein weiteres Verfahren einleiten wird, wenn im anhängigen Prozess die Klageerweiterung nicht zugelassen wird. Die wesentliche Voraussetzung für eine Anerkennung der Sachdienlichkeit ist deshalb, dass für die Beurteilung der geänderten Anträge der bisherige Prozessstoff verwendet werden kann; zu verneinen ist sie demgemäß, wenn ein völlig neuer Streitstoff eingeführt würde, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertbar ist (BGH, NJW 2000, 800, 803; NJW 1985, 1841, 1842; NJW 1977, 49; NJW-RR 1994, 1143; Musielak/Foerste, a.a.O., Rdnr. 7). Im Hinblick auf § 533 ZPO gilt das namentlich für Klageänderungen in der Berufungsinstanz, insbesondere wenn die Klagänderung darin besteht, dass erstmals gänzlich neue Ansprüche erhoben werden, mit deren Berechtigung das Landgericht nicht befasst worden ist. Aufgabe des Berufungsgerichtes ist die Überprüfung landgerichtlicher Entscheidungen und nicht die erstinstanzliche Prüfung neu gestellter Ansprüche an Stelle des hierfür nach dem Gesetz zuständigen Eingangsgerichtes.

In Patent- oder Gebrauchsmusterverletzungsstreitigkeiten liegt eine solche Fallgestaltung in aller Regel vor, wenn der bisherige Verletzungsgegenstand nachträglich aus einem weiteren Patent oder Gebrauchsmuster angegriffen wird, ohne dass der Schutzrechtsinhaber hierzu nach § 145 PatG gezwungen ist (Senat, InstGE 10, 248 - A). Dabei ist es unerheblich, ob aus einem weiteren Schutzrecht nur der bisherige Gegenstand oder auch eine weitere Ausführungsform angegriffen wird; ebenso wenig kommt es darauf an, ob das zusätzlich geltend gemachte Schutzrecht dasselbe technische Sachgebiet betrifft wie das ursprüngliche Klageschutzrecht. Im letztgenannten Fall mögen für die Beurteilung der weiteren Schutzrechtsverletzung der allgemeine technische Hintergrund und der angegriffene Gegenstand bekannt sein. Ob das weitere Schutzrecht verletzt ist, hängt jedoch davon ab, ob die Merkmale seines unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnung auszulegenden Patent- oder Schutzanspruches verwirklicht werden. Hierzu muss das neue Schutzrecht aus sich selbst heraus ausgelegt werden. Dabei mag es zwar möglich sein, dass bestimmte Begriffe und Vorgaben im neu hinzugekommenen Schutzrecht ebenso zu verstehen sind wie in dem bisherigen Klageschutzrecht; zwingend ist das jedoch nicht. In jedem Fall müssen hierzu neue Tatsachen festgestellt werden, die aus dem bisherigen Prozessergebnis nicht gewonnen werden können. Das gilt erst recht, wenn die Schutzfähigkeit eines neu eingeführten Gebrauchsmusters oder die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs gegen die Erteilung des weiteren Klagepatentes geprüft werden müssen und der hierzu entgegengehaltene Stand der Technik ebenfalls bisher nicht bekannt war (Senat, InstGE 10, 248 - A).

2.

In Bezug auf den Entscheidungsfall ist nicht zu erkennen, dass die Klägerin gehalten wäre, das Klagegebrauchsmuster in den bereits laufenden Schadenersatzhöheprozess wegen Benutzung des europäischen Patents 0 808 XXX einzuführen. Die Vorschrift des § 145 PatG ist schon deshalb nicht einschlägig, weil sie nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ausschließlich für Patente bedeutsam ist und für Gebrauchsmuster nicht gilt.

Gründe der Prozessökonomie, die dafür sprechen könnten, ein ausschließlich auf Klageerweiterung gerichtetes Rechtsmittel im Interesse einer baldigen Erledigung des Rechtsstreits zuzulassen, haben ebenfalls kein solches Gewicht, dass sie es rechtfertigen könnten, das grundlegende Erfordernis aller Rechtsmittel aufzugeben, wonach der Angriff des Rechtsmittelführers auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen Beschwer gerichtet sein und die Richtigkeit dieses Urteils in Frage gestellt werden muss (BGH, NJW-RR 2006, 442, 443). Eine solche "Rechtsmittelsituation" ist nicht denkbar, wenn die Schadenersatzhöheklage - wie hier - erstmals im Berufungsrechtszug auf ein anderes Schutzrecht gestützt wird, zu dem ein landgerichtliches Erkenntnis, das im Berufungsverfahren zu überprüfen wäre, denkgesetzlich ausgeschlossen ist. Mindestens im Hinblick auf den dem Klagegebrauchsmuster bei der Berechnung des Verletzergewinns zuzusprechenden Kausalanteil bzw. den anzuwendenden Lizenzsatz bedarf das neu eingeführte Klagegebrauchsmuster einer gegenüber dem - nicht verletzten - Klagepatent eigenständigen Bewertung, die originär vom Senat vorzunehmen wäre. Darüber hinaus wäre auch die Schutzfähigkeit und die Verletzungsfrage für das weitgehend anders abgefasste Gebrauchsmuster erstmals vom Senat zu beurteilen. Letzterem kann nicht durch eine Aussetzung des vorliegenden Höheprozesses bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des beim Landgericht bereits anhängigen Gebrauchsmusterverletzungsprozesses ausgewichen werden. Zwar könnte sich dadurch die Situation einstellen, dass beides - Schutzfähigkeit und Gebrauchsmusterverletzung - demnächst Gegenstand eines Berufungsverfahrens beim Senat sein könnte. Wegen der rechtlichen Selbständigkeit dieses weiteren Berufungsverfahrens wäre damit aber immer noch nicht die Voraussetzung erfüllt (§ 533 Nr. 2 ZPO), dass die geänderte Höheklage auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die (wegen Verletzung des Klagepatents) anhängige Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

Auch ein Zeitgewinn für die Klägerin wäre mit der Zulassung der Klageerweiterung nicht verbunden. Eine gemeinsame Verhandlung des das Gebrauchsmuster betreffenden (derzeit noch beim Landgericht anhängigen) Rechtsstreits mit dem vorliegenden das EP 0 808 XXX B 1 betreffenden Schadenersatzhöheverfahren käme frühestens dann in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verletzungsverfahren (Az. 4b 55/09) abgeschlossen ist; das vorliegende Verfahren müsste bis zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt und könnte erst danach wieder aufgegriffen werden. Bei der gegenwärtigen Terminierungsdauer des Senats von ca. 18 Monaten ist nicht ersichtlich, welcher Zeitgewinn für die Klägerin mit der Klageerweiterung verbunden sein sollte im Vergleich zu derjenigen Situation, die bestehen würde, wenn sie die Höheklage wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters sogleich beim Landgericht anhängig gemacht hätte.

IV.

Die Klägerin hat der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 2.114.967,71 € zzgl. Zinsen zu zahlen. Gemäß § 717 Abs. 2 ZPO hat derjenige, zu dessen Gunsten ein vorläufig vollstreckbares Urteil erlassen worden ist, nach einer späteren Aufhebung dieses Urteils dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Vollstreckung des Urteils entstanden ist. Da das landgerichtliche Urteil - wie unter II. ausgeführt - aufzuheben ist, hat die Klägerin als Mindestschaden die vollstreckte Urteilssumme zu erstatten. Das Begehren kann im laufenden Höheprozess bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung verfolgt werden (§ 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO), wobei der Erstattungsanspruch als zur Zeit der Zahlung rechtshängig geworden gilt (§ 717 Abs. 2 Satz 2 a.E. ZPO), was gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB den zuerkannten Zinsanspruch begründet.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Als reine Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

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OLG Düsseldorf:
Urteil v. 27.10.2011
Az: I-2 U 84/10


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