Bundespatentgericht:
Urteil vom 21. Januar 2011
Aktenzeichen: 4 Ni 44/09

(BPatG: Urteil v. 21.01.2011, Az.: 4 Ni 44/09)

Tenor

1.

Das europäische Patent EP 1 181 902 wird für nichtig erklärt.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 181 902 (Streitpatent), das auf die internationale Anmeldung PCT/US95/08975 mit der Veröffentlichungsnummer WO 96/03092 A1 vom 26. Juli 1995 zurückgeht und für das die Prioritäten der US-amerikanischen Patentanmeldungen 282 181 vom 28. Juli 1994 und 457 354 vom 31. Mai 1995 in Anspruch genommen sind. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nr. 695 33 931 geführt. Es betrifft einen flexiblen, expandierbaren Stent und umfasst 12 Ansprüche. Anspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

In der deutschen Übersetzung hat Anspruch 1 folgenden Wortlaut:

"1. Flexibler, expandierbarer Stent, der aus einem länglichen, zylindrischen, einheitlichen Rohr (30) gebildet ist, mit einer gemusterten Gestaltung in einer nicht expandierten Form und in seiner expandierten Form, wobei die gemusterte Gestaltung erste, sich in eine erste Richtung erstreckende Mäandermuster (11) und zweite, sich in eine zweite Richtung, die unterschiedlich ist zur ersten Richtung, erstreckende Mäandermuster (12) aufweist, wobei die ersten und zweiten Mäandermuster Schlaufen aufweisen und derart verschlungen sind, dass Schlaufen (14, 16) jedes der ersten Mäandermuster (11) zwischen jedem der benachbarten zweiten Mäandermuster (12) angeordnet sind und dass eine einzelne Schlaufe (18, 20) jedes der zweiten Mäandermuster (12) zwischen jedem der benachbarten ersten Mäandermuster (11) angeordnet ist, und wobei die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) eine Mehrzahl von umschlossenen Räumen (42a, 42b; 44a, 44b) definieren."

Wegen der weiter angegriffenen und auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 181 902 B2 Bezug genommen.

Die Klägerinnen sehen in den kennzeichnenden Merkmalen des Patentanspruchs 1 eine unzulässige Erweiterung gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen der Anmeldung PCT/US95/08975 mit der Veröffentlichungsnummer WO 96/03092 A1. Außerdem machen die Klägerinnen unter Bezugnahme auf verschiedene Druckschriften den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Hierfür berufen sie sich u. a. auf folgende Druckschriften:

BR5 EP 0 540 290 A2 BR6 WO 95/31945 A1 BR8 US 4 856 516 Die Klägerinnen beantragen, das europäische Patent EP 1 181 902 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollständig für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, dass am Ende der Beschreibung folgender Text aufzunehmen ist:

"Das Adjektiv 'einheitlich' in Patentanspruch 1 (flexibler, expandierbarer Stent, der aus einem länglichen, zylindrischen, einheitlichen Rohr (30) gebildet ist) ist nicht ursprünglich offenbart. Es stellt eine unzulässige Erweiterung dar, aus der Rechte nicht hergeleitet werden können."

(Hilfsantrag 1)

weiter hilfsweise mit der Maßgabe, dassa) Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung unterstrichen):

"Flexibler, expandierbarer Stent, der aus einem länglichen, zylindrischen, einheitlichen Rohr (30) gebildet ist, mit einer gemusterten Gestaltung in einer nicht expandierten Form und in seiner expandierten Form, wobei die gemusterte Gestaltung erste, sich in eine erste Richtung erstreckende Mäandermuster (11) und zweite, sich in eine zweite Richtung, die unterschiedlich ist zur ersten Richtung, erstreckende Mäandermuster

(12) aufweist, wobei die ersten und zweiten Mäandermuster Schlaufen aufweisen und derart verschlungen sind, dass Schlaufen (14, 16) jedes der ersten Mäandermuster (11) zwischen jedem der benachbarten zweiten Mäandermuster 12) angeordnet sind und dass eine einzelne Schlaufe (18, 20) jedes der zweiten Mäandermuster (12) zwischen jedem der benachbarten ersten Mäandermuster (11) angeordnet ist, und wobei die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) eine Mehrzahl von umschlossenen Räumen (42a, 42b; 44a, 44b) definieren, und wobei während des Biegens die Schlaufen der ersten und zweiten Mäandermuster an der Biegestelle ihre Form ändern, um die Unterschiede in der Länge des Innenbogens und des Außenbogens auszugleichen."

und der Wortlaut der übrigen Patentansprüche gegenüber der erteilten Fassung unverändert sein soll, b) am Ende der Beschreibung folgender Text aufzunehmen ist:

"Das Adjektiv 'einheitlich' in Patentanspruch 1 (flexibler, expandierbarer Stent, der aus einem länglichen, zylindrischen, einheitlichen Rohr (30) gebildet ist) ist nicht ursprünglich offenbart. Es stellt eine unzulässige Erweiterung dar, aus der Rechte nicht hergeleitet werden können."

(Hilfsantrag 2).

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Streitpatent in den verteidigten Fassungen Bestand habe.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner erteilten Fassung geht über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde eingereicht worden ist, Art. II § 6 Abs. 1 Int-PatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c), Art. 123 Abs. 2 EPÜ.

Zudem ist dieser Gegenstand in keiner von der Beklagten mit Hauptund Hilfsanträgen verteidigten Fassungen patentfähig i. S. v. Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) i. V. m. Art. 54 EPÜ. Insoweit steht ihm die USamerikanische Patentschrift 4 856 516 (BR8) neuheitsschädlich entgegen.

Maßgeblich für die Beurteilung der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe ist die Sichtweise des hier einschlägigen Durchschnittsfachmanns. Bei diesem handelt es sich nach Ansicht des Senats um einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik, der in Zusammenarbeit mit Medizinern -insbesondere Gefäßchirurgen -Stents entwickelt und über mehrjährige berufliche Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt.

I.

1. Die streitpatentgemäße Erfindung betrifft einen Stent zum Implantieren in einen lebenden Körper. Solche Stents, die aus einem körperkompatiblen Material bestehen, welches zum Aufweiten eines Blutgefäßes oder einer anderen Öffnung im Körper und zum Aufrechterhalten der resultierenden Größe des Lumens verwendet wird, seien im Stand der Technik bekannt. Typischerweise werde der Stent mit einem aufblasbaren Ballon an den gewünschten Ort im Körper zugeführt. Wenn der Ballon aufgeblasen werde, dehne sich der Stent aus, wodurch sich das Blutgefäß bzw. die Öffnung im Körper erweitere. Andere mechanische Vorrichtungen, welche eine Ausdehnung des Stents bewirken, würden ebenfalls angewendet werden (Streitpatentschrift, Absätze [0001] und [0002]).

Stents, welche aus Draht gebildet sind, seien in den Druckschriften US 5 019 090, US 5 161 547, US 4 950 227, US 5 314 472, US 4 886 062, US 4 969 458 und US 4 856 516 (BR8) genannt. Stents, welche aus geschnittenem handelsüblichen Metall gebildet sind, seien in den Druckschriften US 4 733 665, US 4 762 128, US 5 102 417, US 5 195 984 und FR 013820 beschrieben (Absatz [0003]). Die in US 5 102 417 beschriebenen Stents seien relativ steife, ausdehnbare rohrförmige Implantate, welche mit einem flexiblen schraubenförmigen Verbinder miteinander verbunden seien, damit die Stents sich biegen können, wenn sie durch ein gekrümmtes Blutgefäß hindurchgeführt werden. Das Problem dabei sei, dass sich beim Ausdehnen der Stents die Implantate radial ausdehnen und in Längsrichtung schrumpfen. Gleichzeitig würden sich die schraubenförmigen Verbinder verdrehen, was für das Blutgefäß schädlich sei (Absatz [0004]). Ein ähnlicher Stent sei in der US 5 195 984 beschrieben. Dieser weise einen geraden Verbinder auf, wobei die Verbinder zueinander in Umfangsrichtung versetzt angeordnet seien. Die einzelnen Implantate seien aus starren, rohrförmigen Elementen gebildet, und die Verbinder dienten als Gelenkverbindungen zwischen denselben (Absätze [0005] und [0006]).

2.

Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Patentschrift die Aufgabe, einen flexiblen Stent bereitzustellen, welcher während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft (Absatz [0007]).

3.

Demzufolge wird mit Patentanspruch 1 in der erteilten und gemäß Hauptantrag der Beklagten verteidigten Fassung Folgendes beansprucht (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

1 Flexibler, expandierbarer Stent, der aus einem länglichen, zylindrischen, einheitlichen Rohr (30) gebildet ist, 2 mit einer gemusterten Gestaltung in einer nicht expandierten Form und in seiner expandierten Form, wobei die gemusterte Gestaltung 3A erste, sich in eine erste Richtung erstreckende Mäandermuster (11) und 3B zweite, sich in eine zweite Richtung, die unterschiedlich ist zur ersten Richtung, erstreckende Mäandermuster (12) aufweist, 4 wobei die ersten und zweiten Mäandermuster Schlaufenaufweisen und derart verschlungen sind, 4A dass Schlaufen (14, 16) jedes der ersten Mäandermuster (11) zwischen jedem der benachbarten zweiten Mäandermuster (12) angeordnet sind und 4B dass eine einzelne Schlaufe (18, 20) jedes der zweiten Mäandermuster (12) zwischen jedem der benachbartenersten Mäandermuster (11) angeordnet ist, und 5 wobei die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) eine Mehrzahl von umschlossenen Räumen (42a, 42b; 44a, 44b)

definieren.

4. Zur Auslegung des Streitpatents:

Der im Streitpatent verwendete Begriff "Mäandermuster" ("meander pattern") bedarf der Auslegung, um die Patentfähigkeit des Streitpatentgegenstands in Anbetracht des im Verfahren befindlichen Standes der Technik beurteilen zu können.

Im Streitpatent ist hierzu folgendes angegeben (vgl. Absatz [0015]): Der Begriff "Mäandermuster" soll hier ein periodisches Muster um eine Mittellinie beschreiben, und "orthogonale Mäandermuster" sind Muster, deren Mittellinien orthogonal zueinander sind (The term "meander pattern" is taken herein to describe a periodic pattern about a center line and "orthogonal meander patterns" are patterns whose center lines are orthogonal to each other). Der Senat ist der Ansicht, dass unter Berücksichtigung der Gesamtoffenbarung des Streitpatents unter einem Mäandermuster kein beliebiges periodisches Muster um eine Mittellinie gemeint ist, sondern ein periodisches Muster mit Schlaufen, welches sich um eine gedachte Mittellinie schlängelt bzw. windet. Auch das bspw. in den Figuren 6 bis 8 des Streitpatents dargestellte Stent-Muster setzt sich aus zwei orthogonal zueinander verlaufenden Mäandermustern zusammen. Einem in horizontaler Richtung verlaufenden Mäandermuster 12 mit abwechselnd nach oben bzw. unten offenen Schlaufen 18, 20 und einem vertikalen Mäandermuster 11e, 11o mit abwechselnd nach links bzw. rechts offenen Schlaufen 14, 16. Die Figur 7 des Streitpatents zeigt das in der Figur 6 schematisch dargestellte Muster lediglich in einer abgerundeten Version. Die Figur 8 schließlich zeigt das Muster gemäß Figur 7 im ausgedehnten Zustand (vgl. Streitpatent, Absatz [0029]). Das horizontale Mäandermuster 12 überdeckt sich nur mit den jeweiligen Schenkeln 15 des vertikalen Mäandermusters (vgl. Fig. 6). Eine vollständige Überdeckung einzelner Schlaufen des einen Mäandermusters mit Schlaufen des anderen Mäandermusters ist nicht gegeben. Im Sinne des Streitpatents dürfen daher nach Ansicht des Senats Schlaufen des einen Mäandermusters nicht völlig identisch mit Schlaufen des anderen Mäandermusters sein. Nur eine teilweise Überdeckung einzelner Schenkel oder gerader Stücke der jeweiligen Mäandermuster ist zulässig. Die Merkmalsgruppen 4A und 4B des Patentanspruchs 1 sind daher in dem Sinne auszulegen, dass Schlaufen bzw. eine einzelne Schlaufe des einen Mäandermusters ohne Überdeckung mit den Schlaufen des anderen Mäandermusters zwischen den jeweiligen benachbarten anderen Mäandermustern angeordnet sind bzw. ist.

II.

Patentanspruch 1 hält in der von der Beklagten mit Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung den Angriffen der Klägerinnen im Ergebnis nicht stand, weil er über den Inhalt der mit der ursprünglichen Anmeldung WO 96/03092 A1 eingereichten Unterlagen hinausgeht.

1. Nach Ansicht der Klägerinnen sind in den Unterlagen der ursprünglichen Anmeldung keine Stents als zur Erfindung gehörig offenbart, die nicht sowohl gerade als auch ungerade (even and odd) erste Mäandermuster aufweisen. Bei dem Merkmal der geraden und ungeraden ersten Mäandermuster handele es sich um ein wesentliches Merkmal des Patentgegenstands. Das im Streitpatent geschilderte Problem der Verkürzung des Stents in Axialrichtung trete nur bei phasenverschobenen Stents mit geraden und ungeraden ersten Mäandermustern auf, weshalb die gesamte in der Anmeldung enthaltene Lehre ausschließlich auf solche Stents gerichtet sei. Die Klägerinnen verweisen darauf, dass in sämtlichen Ausführungsbeispielen und in allen Patentansprüchen der Anmeldungsunterlagen immer nur von Stents mit geraden und ungeraden Mäandermustern die Rede sei. Der Fachmann erhalte keinen Hinweis, dass die Anmeldung auch Stents mit nur geraden bzw. ungeraden Mäandermustern erfassen solle.

Dieser Ansicht kann der Senat nicht beipflichten. In dem mit "Summary of the present invention" überschriebenen Abschnitt der ursprünglichen Beschreibung ist zunächst allgemein davon die Rede, dass der erfindungsgemäße Stent erste und zweite Mäandermuster aufweise, deren Achsen sich in verschiedene Richtungen erstreckten ("The stent of the present invention ist formed of a tube having a patterned shape which has first and second meander patterns having axes extending in first and second directions..." , Seite 2 der Anmeldung, Zeilen 16 bis 19). Erst im nächsten Absatz wird ein erstes Ausführungsbeispiel beschrieben, bei dem das erste Mäandermuster aus geraden und ungeraden Mäandermustern gebildet ist ("In accordance with one embodiment of the present invention, the first meander patterns are formed into even and odd first meander patterns", Seite 2, Zeilen 23 bis 25). Weder diesem Absatz noch irgend einer anderen Textstelle ist zu entnehmen, dass die Erfindung -entgegen der eingangs verwandten allgemeinen Formulierung -nur solchermaßen zusammengesetzte erste Mäandermuster erfassen solle. Ein solches einengendes Verständnis wird auch nicht durch den Stand der Technik, auf den im ersten Teil der Beschreibung Bezug genommen wird, nahegelegt, nachdem in den dort genannten Schriften sowohl Stents mit phasengleichen wie mit phasenverschiedenen Mäandermustern beschrieben werden (vgl. bspw. US 0 540 290 A2 (BR5), Fig. 5: phasengleiche Mäandermuster der benachbarten Stentringe 12; Fig. 11: um 180¡ phasenverschobene Mäandermuster der benachbarten Stentringe 12). Ebenso findet sich in den gesamten Anmeldungsunterlagen kein Hinweis, wonach es für die zu schützende Erfindung gerade auf eine phasenunterschiedliche Zusammensetzung der ersten Mäandermuster ankommen solle. Vielmehr wird ausdrücklich betont, dass alle aus zwei (ersten und zweiten) Mäandermustern zusammengesetzten Strukturen erfasst sein sollen ("It will be appreciated, that the present invention encompasses all stents manufactured with a pattern formed of two meander patterns", Seite 7 Zeilen 31 bis 34). Der Fachmann wird daher die ursprüngliche Anmeldung so verstehen, dass sie sich über die in den Ausführungsbeispielen und Patentansprüchen aufgeführten Ausgestaltungen mit geraden und ungeraden ersten Mäandermustern hinaus -auch auf andere Ausgestaltungen, nämlich solche mit ausschließlich geraden bzw. ausschließlich ungeraden ersten Mäandermustern bezieht.

2. Die Klägerinnen meinen außerdem, dass in den ursprünglichen Unterlagen kein Stent offenbart sei, der -wie im erteilten Anspruch 1 angegeben -aus einem einheitlichen Rohr ("unitary tube") gebildet sei. Es fehle in den ursprünglichen Unterlagen an einer Offenbarung für den Begriff "einheitlich" ("unitary").

Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Das Merkmal "cylindrical unitary tube (30)" in Anspruch 1 des Streitpatents ist in der deutschen Übersetzung mit "einheitlich" wiedergegeben. Nach dem Verständnis der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache ist der Begriff "unitary" aber als "einheitlich" i. S. v. "einstückig" aufzufassen. In diesem Sinne lässt sich das Merkmal der Ursprungsanmeldung WO 96/03092 A1 aber nicht entnehmen; dort ist in Anspruch 1 lediglich von einem "stent formed of a tube...." die Rede. In Anspruch 6 (Seite 10, Zeilen 15 bis 16) wird näher ausgeführt, dass der Stent u. a. mit geraden und ungeraden Mäandermustern ausgebildet sein solle, wobei diese eine "...generally uniform distributed structure" darstellen sollen. "Uniform" ist in diesem Zusammenhang aber nicht gleichbedeutend mit "unitary", vielmehr entspricht es dem deutschen Begriff "einheitlich" i. S. v. "gleichförmig".

Die Aufnahme des Wortes "unitary" in den erteilten Patentanspruch 1 stellt zwar insoweit eine Einschränkung dar, als es die nach der Ursprungsanmeldung generell auch mögliche mehrstückige Ausgestaltung des Stents ausschließt. Gleichwohl ist der Gegenstand des erteilten Patents durch die Aufnahme dieses ursprünglich nicht offenbarten Merkmals unzulässig erweitert.

III.

Auch in der Fassung des Hilfsantrags 1 hat das Streitpatent keinen Bestand.

1. Mit ihrem Hilfsantrag 1 zielt die Beklagte auf eine Beseitigung der durch Einfügung des Begriffs "unitary tube" in den erteilten Patentanspruch 1 bewirkten unzulässigen Erweiterung, nachdem eine bloße Streichung dieses Merkmals unter dem Gesichtspunkt des Verbots einer Erweiterung des Schutzbereichs nicht in Betracht kommt, Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. d), Art. 123 Abs. 3 EPÜ.

Durch Hinzufügung der Beschränkungserklärung, wonach aus dem Adjektiv "einheitlich" in Patentanspruch 1 keine Rechte hergeleitet werden sollen, wird zum Ausdruck gebracht, dass das erweiternde Merkmal einerseits nicht zur ursprünglichen Offenbarung gehört und damit nicht zur Begründung der Patentfähigkeit herangezogen werden kann, dass der Patentinhaber aber andererseits das Merkmal bei der Bestimmung des Schutzbereichs gegen sich gelten lassen muss (Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., § 21 Rn. 71).

Nach Ansicht der Klägerinnen soll die Beseitigung der unzulässigen Erweiterung durch Hinzufügung eines disclaimers in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der auszunehmende Gegenstand ursprünglich nicht offenbart war, allerdings nicht möglich sein (vgl. auch Schulte, a. a. O., § 34 Rn. 153).

2. Letztlich kann die Frage, ob die unzulässige Erweiterung durch die Aufnahme des disclaimers beseitigt werden kann, dahingestellt bleiben. Der Patentanspruch 1 gem. Hilfsantrag 1 ist nämlich jedenfalls unter dem Gesichtspunkt seiner mangelnden Patentfähigkeit nicht bestandsfähig.

a) Hierbei berufen sich die Klägerinnen allerdings zu Unrecht auf die Neuheitsschädlichkeit der Entgegenhaltung EP 540 290 A2 (BR5). Diese Druckschrift zeigt einen rohrförmigen, ausdehnbaren Stent, der aus zylindrischen Stentringen (cylindrical elements 12) besteht, die mittels gerader Stücke (interconecting elements 13) miteinander verbunden sind (vgl. die Figur 4 mit Beschreibung ab Spalte 5, Zeile 57 bis Spalte 6, Zeile 23). Die jeweiligen Stentringe 12 weisen ein Mäandermuster in Umfangsrichtung auf ("undulating pattern, e.g. serpentine"; Spalte 2, Zeilen 28 bis 31). Ein zweites Mäandermuster entsprechend dem Merkmal 3B ist nicht erkennbar. Vielmehr sind die einzelnen Stentringe 12 mit ihrem in Umfangsrichtung verlaufenden (ersten) Mäandermuster lediglich durch gerade Stücke (interconnecting elements 13) miteinander verbunden (vgl. Figur 4). Selbst wenn man ein solches zweites Mäandermuster in den Stent gem. BR5 hineininterpretieren würde, wäre zumindest Merkmal 4B nicht erfüllt, weil hier keine Schlaufe jedes zweiten Mäandermusters zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern angeordnet ist. Es müsste sich insoweit um eine zusätzliche, dem zweiten Mäandermuster zuordenbare Schlaufe handeln. Es genügt nicht, wenn die Schlaufe des zweiten Mäandermusters völlig identisch ist mit der Schlaufe des ersten Mäandermusters. Der Stent gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wird somit nicht neuheitsschädlich durch die Entgegenhaltung EP 540 290 A2 (BR5) vorweggenommen.

b) Ebenso machen die Klägerinnen zu Unrecht geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Hauptantrags durch die nachveröffentlichte Druckschrift WO 95/31945 A1 (BR6) neuheitsschädlich vorweggenommen war. Aus dieser Druckschrift ist ein weiterer rohrförmiger, ausdehnbarer Stent bekannt, der aus zylindrischen Ringen aufgebaut ist, die durch Abschnitte mit Schlaufen in axialer Richtung miteinander verbunden sind (vgl. die Figuren 11a und 11b i. V. m. der Beschreibung auf Seite 2, Zeilen 1 bis 10 und auf Seite 12, Zeilen 11 bis 13). Die zylindrischen Ringe werden durch in Umfangsrichtung angeordnete, miteinander verbundene geschlossene Schlaufen gebildet (in Fig. 11a grau gekennzeichnet). Die in axialer Richtung angeordneten und die Ringe verbindenden Abschnitte mit Schlaufen (in Fig. 11a nicht grau gekennzeichnet) können zwar als ein (zweites) horizontal verlaufendes Mäandermuster im Sinne des Streitpatents interpretiert werden. Ein erstes Mäandermuster entsprechend dem Merkmal 3A ist jedoch nicht erkennbar. Vielmehr weisen die zylindrischen Ringe ein Muster aus geschlossenen Schlaufen auf. Selbst wenn man das in Umfangsrichtung verlaufende Muster aus geschlossenen Schlaufen als aus zwei sich berührenden spiegelbildlichen ersten Mäandermustern mit offenen Schlaufen zusammengesetzt interpretieren würde, wäre zumindest Merkmal 4B nicht erfüllt, weil dann keine Schlaufe jedes zweiten Mäandermusters zwischen den benachbarten, sich berührenden ersten Mäandermustern angeordnet wäre. Der Stent gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wird somit auch durch die Entgegenhaltung WO 95/3194 A1 (BR6) nicht neuheitsschädlich vorweggenommen.

c) Neuheitsschädlich steht dem Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags 1, der sich von der erteilten Fassung nur durch den Disclaimer unterscheidet, jedoch die Druckschrift US 4 856 516 (BR8) entgegen. Aus dieser Druckschrift ist ein flexibler, expandierbarer Stent bekannt (vgl. Spalte 2, Zeilen 21 bis 25 und Spalte 3, Zeilen 20 bis 23), der aus einem länglichen, zylindrischen Rohr gebildet ist (vgl. die Figuren 1 und 2A mit Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 34 bis 37 und Zeilen 66 bis 67: "cylindrical stent 10") [= Merkmal 1]. Der Stent ist aus einem mäanderförmig gebogenen Draht gefertigt (vgl. die Figur 4 mit Beschreibung in Spalte 3, Zeilen 24 bis 26 und 43 bis 48) und weist erste, sich in eine erste Richtung (in Umfangsrichtung) erstreckende Mäandermuster (loops 50) auf (vgl. Figur 2A) [= Merkmal 3A]. Die Schlingen (loops 50), welche das erste Mäandermuster bilden, sind durch axial verlaufende mäanderförmig gebogene Drahtstücke (transverse runs 54) miteinander verbunden. Diese in einer Linie hintereinander angeordneten Drahtstücke (54) bilden insgesamt ein Rückgrat (backbone 52), welches die benachbarten Schlingen (50) verbindet (vgl. die Figuren 2 und 2A mit Beschreibung in Spalte 3, Zeilen 31 bis 43). Zusätzlich zu dem in den Figuren 2 und 2A gezeigten Rückgrat (backbone 52) kann noch ein weiteres aus hintereinander angeordneten mäanderförmig gebogenen Drahtstücken (transverse runs; convoluted wire) gebildetes Rückgrat (backbone) auf der gegenüberliegenden Seite des Stents (10) vorgesehen werden (vgl. Spalte 4, Zeilen 17 bis 21).

Fig. 2A aus der US 4 856 516 (BR8)

Dieser Stent weist somit auch zweite, sich in eine zweite Richtung (in axialer Richtung), die unterschiedlich ist zur ersten Richtung, erstreckende Mäandermuster (transverse runs) auf [= Merkmal 3B]. Insgesamt betrachtet ergibt sich dadurch eine gemusterte Gestaltung des Stents (10) sowohl in einer nicht expandierten Form (Fig. 1), als auch in seiner expandierten Form (Fig. 2A) [= Merkmale 2 und 3]. Die Schlingen (loops 50) [= erstes Mäandermuster] weisen Schlaufen (bends; convolutions) auf. Entgegen der Auffassung der Beklagten weisen auch die axial verlaufenden Drahtstücke (transverse runs 54) [= zweites Mäandermuster] Schlaufen (bends; convolutions) auf, da diese ebenfalls aus dem mäanderformig gebogenen Stentdraht gefertigt werden ("... lengths of convoluted wire ... to form a ... backbone ...", Anspruch 4). Diese in axialer Richtung angeordneten Drahtstücke (transverse runs 54) werden beim Herstellen des Stents auch nicht -wie von der Beklagten behauptet -geradegezogen. Um vielmehr eine Verformung der Schlaufen (bends; convolutions) des Stentdrahtes bei der Fertigung des Stents zu vermeiden, wird der Draht in einer Hülse (sheath 70) geführt, die die Schlaufen bei den einzelnen Fertigungsschritten schützen soll (vgl. Spalte 3, Zeilen 60 bis 67). Die in axialer Richtung in einer Linie angeordneten mäanderförmig gebogenen Drahtstücke (transverse runs 54) sind untereinander und mit den jeweiligen Schlingen (loops 50) durch einen halben Schlag (half hitch junction 56) des Stentdrahtes verschlungen (vgl. Spalte 2, Zeilen 14 bis 20 und Spalte 3, Zeilen 34 bis 40) [= Merkmal 4]. Wie in der Figur 2A zu erkennen ist, sind Schlaufen (bends; convolutions) jeder der Schlingen (loops 50) [= erstes Mäandermuster] zwischen -im Falle von mehreren Rückgraten (backbones) -jedem der benachbarten durch die axialen Drahtstücke (transverse runs 54) gebildeten Rückgrate (backbones) [= zweites Mäandermuster] angeordnet [= Merkmal 4A]. Des weiteren ist in der Figur 2A zu erkennen, dass die axialen Drahtstücke (transverse runs 54) [= zweites Mäandermuster] zwischen jeder der benachbarten Schlingen (loops 50) [= erstes Mäandermuster] genau eine Schlaufe (bend; convolution) in ihrer Mitte aufweisen an die sich auf beiden Seiten jeweils eine Biegung des Stentdrahtes in Form eines halben Schlages (half hitch junction 56) anschließt [= Merkmal 4B]. Dies stellt eine Struktur des bekannten Stents (10) dar, bei der benachbarte Schlingen (loops 50) den geringsten Abstand zueinander aufweisen und der Stent durch die eine Schlaufe (bend; convolution) in jedem axialen Drahtstück (transverse run 54) jedoch noch ausreichend flexibel für eine Biegung bzw. die Ausdehnung mit einem Ballon ist. Der Abstand der benachbarten Schlingen (loops 50) kann bei Bedarf auch variiert werden (Spalte 4, Zeilen 22 bis 28). Die Schlingen (50) [= erstes Mäandermuster] und die mit ihnen verbundenen axialen Drahtstücke (54) [= zweites Mäandermuster] definieren auf diese Weise eine Mehrzahl von umschlossenen Räumen [= Merkmal 5]. Damit sind alle Merkmale des Stents gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 aus der US-Patentschrift 4 856 516 (BR8) bekannt.

IV.

Auch in der Fassung des Hilfsantrags 2 hat das Streitpatent keinen Bestand. Die Druckschrift US 4 856 516 (BR8) steht dieser Fassung ebenfalls neuheitsschädlich entgegen.

In den Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist zusätzlich zur Fassung gemäß Hilfsantrag 1 noch das Merkmal aufgenommen worden, wonach während des Biegens die Schlaufen der ersten und zweiten Mäandermuster an der Biegestelle ihre Form ändern, um die Unterschiede in der Länge des Innenbogens und des Außenbogens auszugleichen. Dieses Merkmal bezieht sich auf die Figur 3 und die Beschreibung in den Absätzen [0019] bis [0021] des Streitpatents. Aber auch dieses neu aufgenommene Merkmal ist bei dem aus der Druckschrift US 4 856 516 (BR8) bekannten Stent zwangsläufig gegeben. Wie bereits unter III. ausgeführt, weist dieser Stent ein erstes (loops 50) und ein zweites Mäandermuster (transverse runs 54) mit Schlaufen (bends; convolutions) auf, welche sich in unterschiedliche Richtungen (in Umfangsrichtung bzw. in axiale Richtung) erstrecken (vgl. a. a. O.). Diese Struktur verleiht dem Stent eine hohe und gleichmäßige Flexibilität (vgl. Spalte 2, Zeilen 21 bis 33). Zur Implantation wird der Stent (10) auf dem Ballon (balloon 16) eines Katheters (catheter 12) befestigt und durch das Gefäßsystem eines Patienten bis zum Implantationsort geführt (vgl. die Figur 1 mit Beschreibung ab Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 9). Da das Gefäßsystem des Körpers naturgemäß auch Biegungen aufweist, durch die der Katheter geführt werden muss, wird der Ballon mit dem Stent während seines Transports zwangsläufig in verschiedene Richtungen gebogen. Der Stent (10) muss dabei fest auf dem Ballon (16) des Katheters (12) angebracht sein, damit er beim Transport durch das Gefäßsystem nicht herunterrutschen kann. Beim Biegen des Stents müssen die Schlaufen (bends; convolutions) des ersten (loops 50) und zweiten Mäandermuster (transverse runs 54) an der Biegestelle daher zwangläufig ihre Form ändern, um die Differenzen in der Länge zwischen dem Innenbogen und dem Außenbogen des fest auf dem Ballon (16) sitzenden Stents (10) auszugleichen. Damit ist auch dieses Merkmal des Stents gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 aus der US-Patentschrift 4 856 516 (BR8) bekannt.

Nach alledem war der Nichtigkeitsklage stattzugeben.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Rauch Voit Dr. Morawek Bernhart Veit Pr






BPatG:
Urteil v. 21.01.2011
Az: 4 Ni 44/09


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