Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 10. August 2004
Aktenzeichen: NotZ 28/03
(BGH: Beschluss v. 10.08.2004, Az.: NotZ 28/03)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Stuttgart - Notarsenat - vom 27. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsgegner und dem Beteiligten im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Geschäftswert wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller bewarb sich um eine von sechs im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 19. November 2001 ausgeschriebenen Stellen für Anwaltsnotare in S. . Der Antragsgegner verwies ihn im Bewerberfeld hinter dem Beteiligten auf Platz sieben. Sein Antrag auf Neubescheidung blieb in beiden Instanzen erfolglos (vgl. Senat, Beschluß vom 31. März 2003 -NotZ 39/02 - ZNotP 2003, 355). Auf die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers erließ das Bundesverfassungsgericht am 10. April 2003 eine einstweilige Anordnung (1 BvR 702/03 -veröffentlicht in NJW 2003, 3043). Darin wurde dem Antragsgegner aufgegeben, eine Anwaltsnotarstelle im Bezirk des Amtsgerichts S. bis zum Ablauf der Frist für die Begründung der Verfassungsbeschwerde freizuhalten. Die einstweilige Anordnung wurde dem Antragsgegner am Tag ihres Erlasses per Fax übermittelt. Nach Mitteilung des Antragsgegners verblieb die Entscheidung versehentlich im normalen Postgang und wurde der zuständigen Referatsgruppenleiterin erst am 14. April 2003 vorgelegt. Am 11. April 2003 wurde dem Beteiligten die Bestallungsurkunde übergeben und damit die letzte der sechs ausgeschriebenen Stellen besetzt. Die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts wurde wiederholt verlängert.
Der Antragsteller begehrt im Wege der Anfechtung die Ernennung des Beteiligten zum Anwaltsnotar aufzuheben. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter und stellt hilfsweise zusätzliche Anträge.
II.
Die gemäß § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Anfechtung der Bestellung des Konkurrenten im Streit der Bewerber um eine Notarstelle steht der Grundsatz der Ämterstabilität entgegen (hierzu unter 1. -3.). Die Hilfsanträge sind unzulässig (hierzu unter 4.).
1.
Bleibt ein Bewerber auf eine Notarstelle ohne Erfolg, kann er zur Wahrung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs einen gerichtlichen Verpflichtungsantrag stellen. Für einen solchen fehlt nach ständiger Rechtsprechung des Senats allerdings das Rechtsschutzinteresse, sobald die Stelle mit einem anderen Bewerber besetzt ist. Seit der Novellierung des Zulassungsrechts im Jahre 1991 ist es nicht mehr möglich, einen zu Unrecht abgelehnten Bewerber für ein Anwaltsnotariat nach der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zusätzlich zu bestellen (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 1992 -NotZ 42/92 -NJW 1993, 2040 und vom 3. November 2003 -NotZ 12/03 -ZNotP 2004, 70 und ständige Rechtsprechung). Dies ergibt sich daraus, daß die Justizverwaltung eine zusätzliche Notarstelle nur schaffen kann, wenn sie aufgrund der in § 4 BNotO vorgeschriebenen Kriterien ein öffentliches Interesse hieran festgestellt hat. Die zusätzliche Stelle ist nach den §§ 6, 6 b BNotO förmlich auszuschreiben und nach für alle Bewerber gleichen Eignungsmaßstäben zu besetzen. Dies hat zur Folge, daß die Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle sich ausschließlich auf diese Stelle bezieht. Wird die ausgeschriebene Stelle besetzt, ist das durch die Ausschreibung eingeleitete Verfahren wie im Beamtenrecht beendet. Ein gleichwohl aufrechterhaltener oder erhobener Verpflichtungsantrag ist nach Besetzung der Stelle wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig (Senatsbeschlüsse vom 14. August 1989 -NotZ 1/89 -DNotZ 1991, 72, 73; vom 28. März 1991 -NotZ 27/90 -BGHR BNotO § 111 Abs. 4 Satz 2 - Anordnung, einstweilige 1; vom 5. Februar 1996 -NotZ 18/95 -DNotZ 1996, 905, 906; vom 20. Juli 1998 -NotZ 4/98 -NJW-RR 1999, 208; vom 18. März 2002 - NotZ 32/01 - NJW 2002, 335, 336 und vom 3. November 2003, aaO; ebenso: Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Aufl., 2003, § 111 Rdn. 32 m.w.N.; Schippel/Lemke, BNotO, 7. Aufl., 2000, § 111 Rdn. 16). Dies stimmt mit der bisher von den Verwaltungsgerichten (BVerwGE 80, 127, 129 f.; vgl. die Nachweise bei BVerwGE 118, 370, 372; OVG NRW, DVBl 2003, 1558; vgl. auch BVerfG, Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2002 -2 BvQ 25/02 -NVwZ 2002, 1367; Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2002 -2 BvR 857/02 -DVBl. 2002, 1633; Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2003 -2 BvR 311/03 -DVBl. 2003, 1524) für das Beamtenrecht vertretenen Auffassung überein.
2.
Verfassungsrechtlich bestehen hiergegen keine Bedenken, solange effektiver Rechtsschutz gewährleistet wird. Den Konkurrenten um eine Notarstelle im Ausschreibungsverfahren ist der gleiche Rechtsschutz zu eröffnen, wie in dem vergleichbaren beamtenrechtlichen Verfahren. Weil dem Bewerber mit der Besetzung der Stelle die Klagemöglichkeit abgeschnitten wird, ist der einstweilige Rechtsschutz im Regelfall das einzige Rechtsmittel eines konkurrierenden Bewerbers, um sein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu dem öffentlichen Amt des Notars gerichtlich überprüfen zu lassen und gegebenenfalls durchzusetzen. Bis zur Besetzung der ausgeschriebenen Stelle sind daher Anträge auf einstweiligen Rechtsschutzgrundsätzlich zulässig (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 1992 -NotZ 42/92 -NJW 1993, 2040; vom 18. März 2002 und vom 3. November 2003, jeweils aaO; BVerfG, Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. September 1989 -2 BvR 1576/88 -NJW 1990, 501 f.; Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2003 -2 BvR 311/03 -DVBl. 2003, 1524; Arndt/Lerch/Sandkühler, aaO, § 111 Rdn. 48; Schippel/Lemke, aaO, § 111 Rdn. 21; vgl. auch BGHZ 129, 226, 229 f.).
3. Der Antragsgegner hat mit der Besetzung der Stelle gewartet, bis das Verpflichtungsverfahren mit der Entscheidung des Senats beendet war. Ob die unterbliebene Beachtung der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Abweichung von den zu 1. dargestellten Grundsätzen führen könnte, braucht nicht entschieden zu werden. Die begehrte Aufhebung der Ernennung des Beteiligten kommt jedenfalls nicht in Betracht.
a) Der Grundsatz der Ämterstabilität, der nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung die Aufhebung der Ernennung des Konkurrenten ausschließt (BVerwGE 80, 127, 129 f.; BVerwG, Beschluß vom 30. Juni 1993 -2 B 64.93 - Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 49 m.w.N.; OVG Magdeburg, ZBR 2000, 62, 63; VGH BW, NVwZ-RR 2004, 199, 200; vgl. die Nachweise bei Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., 2003, § 42 Rdn. 49, 148: dieser kritisch), verhindert auch den Erfolg des Anfechtungsantrags eines Bewerbers um eine Notarstelle (Senat, Beschluß vom 20. Juli 1998 -NotZ 4/98 -NJW-RR 1999, 208; vgl. auch BGHZ 129, 226, 229 f.). Die Rechtsposition, welche der Mitbewerber durch seine Bestellung erlangt hat, kann von dem unberücksichtigt gebliebenen Bewerber nicht erfolgreich angefochten werden, da sie nicht mehr revidiert werden kann (Senat, Beschluß vom 14. August 1989 -NotZ 1/89 -DNotZ 1991, 72, 73 f.; OLG Köln, DNotZ 1984, 712 f. m.w.N.; im Ergebnis ebenso Arndt/Lerch/Sandkühler, aaO, § 111 Rdn. 96; Schippel/Lemke, aaO, § 111 Rdn. 16 beide m.w.N; Eylmann/Vaasen/Custodis, BnotO/BeurkG, § 111 BnotO, Rdn. 101; vgl. auch Senat, Beschluß vom 19. Oktober 1992 -NotZ 42/92 -NJW 1993, 2040 sowie die Nachweise unter 1.). Zu den in § 50 BNotO abschließend (vgl. Senat BGHZ 128, 240, 245) geregelten Amtsenthebungsgründen zählt der Verstoß der Bestellung gegen eine einstweilige Anordnung, auch des Bundesverfassungsgerichts, nicht (zweifelnd OVG NRW, NVwZ-RR 2003, 881, 882).
b) An dieser Betrachtungsweise hat sich durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nichts geändert, sie wird durch diese vielmehr bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht hält zwar an seiner ständigen Rechtsprechung zur beamtenrechtlichen Konkurrentenklage, wonach sich der um eine Beförderungsauswahl geführte Rechtsstreit durch die Ernennung eines Mitbewerbers erledigt, und die es zunächst in einem obiter dictum (BVerwGE 115, 89, 91 f.) in Frage gestellt hat, nicht mehr uneingeschränkt fest. Jedenfalls wenn die Besetzung der Stelle mit dem Konkurrenten gegen eine diese Besetzung untersagende einstweilige Anordnung verstoße, könne der im vorläufigen Rechtsschutz obsiegende Beamte seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Hauptsacheverfahren auf Neubescheidung seiner Bewerbung weiterverfolgen (BVerwGE 118, 370, 374 f.). Ob diese, unter Umständen auf die Schaffung einer weiteren Planstelle hinauslaufende Rechtsprechung auf das Notarrecht übertragen werden könnte, bedarf keiner Entscheidung (vgl. zur Problematik die Senatsbeschlüsse vom 18. September 1995 -NotZ 46/94 -DNotZ 1996, 902, 903 f. und vom 18.
März 2002 -NotZ 32/01 -NJW 2002, 335, 336). Denn das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, daß die Weiterverfolgung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gerade nicht die Möglichkeit voraussetzt, die bereits erfolgte Ernennung des Konkurrenten aufzuheben. Die Möglichkeit einer Anfechtung der Ernennung des Konkurrenten wird, anders als in der Entscheidung vom 13. September 2001 (BVerwGE 115, 89, 91 f.), nicht mehr in Betracht gezogen.
4. Den vom Antragsteller in der Beschwerdeinstanz erhobenen Hilfsanträgen bleibt gleichfalls der Erfolg versagt.
a) Der Antrag, festzustellen, daß die Ernennung des Beteiligten zum Notar rechtswidrig sei und den Antragsteller in seinen Rechten verletze, ist unzulässig. In einem Bewerbungsverfahren nach § 111 BNotO kann der Antragsteller grundsätzlich nicht entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu einem Feststellungsbegehren übergehen, wenn sich das Verfahren durch Besetzung der Stelle erledigt hat. Zur Gewährleistung eines nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutzes ist zwar von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen, wenn die begehrte Feststellung eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Justizverwaltung bei künftigen Bewerbungen des Antragstellers ebenso stellen wird (Senat, Beschluß vom 30.
November 1998 -NotZ 26/98 -NotBZ 1999, 130 f.; Beschluß vom 31.
Juli 2000 -NotZ 13/99; Beschluß vom 2. Dezember 2002 -NotZ 16/02 -DNotZ 2003, 232; vgl. auch Beschluß vom 18. März 2002 -NotZ 31/01 NJW-RR 2002, 922 zu einer hier nicht vorliegende Verfahrenssituation). So liegt der Streitfall indes nicht. Denn die Frage, ob die Ernennung des Beteiligten unter Verstoß gegen die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig war, hat keinen Einfluß auf ein späteres Bewerbungsverfahren des Antragstellers. Ein solcher wird vom Antragsteller auch nicht behauptet. Der vom Antragsteller aufgeworfene Gesichtspunkt eines "Zwischenfeststellungsbegehrens", um die Rechtswidrigkeit der Bestellung des Beigeladenen als Vorfrage für die weiteren Hilfsanträge zu klären, führt - ungeachtet der Frage, ob ein Zwischenfeststellungsantrag im Verfahren nach § 111 BNotO überhaupt zulässig sein könnte - zu keinem anderen Ergebnis. Denn die weiteren Hilfsanträge sind gleichfalls unzulässig.
b) Mit seinen weiteren Hilfsanträgen verlangt der Antragsteller, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn auf einer neu zu schaffenden Anwaltsnotarstelle in S. zum Notar zu bestellen, hilfsweise, über seine Bestellung auf einer neu zu schaffenden Notarstelle ohne neue Ausschreibung zu entscheiden.
Dem steht der oben unter 1. näher ausgeführte Grundsatz entgegen, daß es nicht möglich ist, einen zu Unrecht abgelehnten Bewerber für ein Notariat nach der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zusätzlich zu bestellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 1992 -NotZ 42/92 -NJW 1993, 2040 und vom 3. November 2003 -NotZ 12/03 -ZNotP 2004, 70 f.). Dieser Grundsatz hat im vorliegenden Verfahren auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2003 (BVerwGE 118, 370) Bestand. Das Bundesverwaltungsgericht hat dort ausgeführt, der übergangene Bewerber könne verlangen, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich so gestellt zu werden, als sei die einstweilige Anordnung beachtet worden. Sein durch diese gesicherter Bewerbungsverfahrensanpruch sei im Hauptsacheverfahren unverändert gerichtlich umfassend zu prüfen und, sofern er sich als begründet erweist, sei ihm stattzugeben (aaO S. 375). Das vom Antragsteller angestrengte Hauptsacheverfahren wurde aber bereits durch Beschluß des Senats vom 31. März 2003 (NotZ 39/02 -ZNotP 2003, 355) rechtskräftig abgeschlossen. Sein Bewerbungsverfahrensanspruch wurde unter Ausschöpfung des Instanzenzuges umfassend geprüft. Sollte die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde erfolgreich sein und die zum Nachteil des Antragstellers ergangenen gerichtlichen Entscheidungen aufgehoben werden, hat der Antragsteller Gelegenheit, die jetzt gestellten Hilfsanträge im dann erneut aufzunehmenden Hauptsacheverfahren anzubringen. Erst und nur dann wird zu entscheiden sein, ob das Begehren des Antragstellers im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung zum Beamtenrecht zulässig und begründet ist, oder ob an der oben dargestellten bisherigen Rechtsauffassung festzuhalten ist (vgl. auch die Senatsbeschlüsse vom 18. März 2002 -NotZ 32/01 -NJW 2002, 335, 336 und -NotZ 31/01 -NJW-RR 2002, 922). Sollte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben, bleibt es bei der rechtskräftigen Zurückweisung des Bewerbungsverfahrensanspruchs.
Ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers daran, daß sich die Gerichte bereits jetzt mit seinen Hilfsanträgen auseinandersetzen, ist nicht erkennbar.
c) Für die ferner beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers besteht demnach ebenfalls kein Grund.
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BGH:
Beschluss v. 10.08.2004
Az: NotZ 28/03
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