Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 24. Juni 2004
Aktenzeichen: VII ZB 11/04

(BGH: Beschluss v. 24.06.2004, Az.: VII ZB 11/04)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluß des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Februar 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 683,80 €

Gründe

I.

Die Kläger haben den Beklagten wegen Baumängeln auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben. Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung sind Anträge nicht gestellt worden. Der Vorsitzende hat die Sachund Rechtslage dargestellt und dem Beklagtenvertreter angeraten, die Berufung mangels Erfolgsaussicht zurückzunehmen. Dem ist dieser nachgekommen, ohne daß er oder der Klägervertreter eigene Erklärungen zur Sachund Rechtslage abgegeben haben. Die Kläger haben daraufhin eine 13/10 Erörterungsgebühr in Höhe von 683,80 € zur Kostenfestsetzung angemeldet. Dies hat die Rechtspflegerin mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluß abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Kläger hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Gebührentatbestand des § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO setze voraus, daß es in einem Gerichtstermin im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zu einem mindestens zweiseitigen Sachgespräch zwischen den Parteien oder zwischen diesen und dem Gericht gekommen sei. Davon könne nicht die Rede sein, wenn der Rechtsmittelführer auf den einseitigen Hinweis des Gerichts auf die ungünstigen Aussichten des Rechtsmittels die Klage zurücknehme.

III.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Den Klägern steht die geltend gemachte Erörterungsgebühr nicht zu.

1. Die Frage, ob es für den Anfall der Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO ausreicht, wenn die Prozessbevollmächtigten den Darlegungen des Berufungsgerichts zur Sachund Rechtslage schweigend folgen und anschließend der Berufungsführer die Berufung zurücknimmt, ist vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden.

Ein Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur (vgl.

z.B. OLG Hamm, JurBüro 1997, 139, 140 -für den Fall, daß das Gericht einen rechtlichen Hinweis näher erläutert hat -; OLG Nürnberg, MDR 1993, 483; OLG Schleswig, MDR 1989, 555; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl., § 31 Rdn. 156; Gebauer/Schneider, BRAGO § 31 Rdn. 270; Hansens, Probleme der Erörterungsgebühr, JurBüro 1996, 453, 454; mit Einschränkung Göttlich/Mümmler/Braun/Rehberg, BRAGO, 19. Aufl., Stichwort "Erörterungsgebühr", Anm. 4.31 -für den Fall, daß das Gericht längere Ausführungen zur Sache gemacht hat -) bejaht die genannte Frage mit der Erwägung, daß bereits aufgrund der gerichtlichen Erläuterungen ein wechselseitiger Meinungsaustausch gegeben sei. Die erforderliche Tätigkeit der Prozeßbevollmächtigten sei bereits darin zu sehen, daß sie die Rolle des aufmerksamen Zuhörers übernähmen und die Erläuterungen gewissenhaft daraufhin überprüften, ob noch ihrerseits ergänzende Ausführungen erforderlich oder die aus den Darlegungen abzuleitenden weiteren prozessualen Schlussfolgerungen zu ziehen seien. Sei in diesem Falle eine verbale Entgegnung entbehrlich, etwa weil sich der gerichtliche Hinweis als für die eigene Partei günstig erweise oder weil die prozessualen Konsequenzen gezogen werden könnten, ohne daß Erläuterungen dazu erforderlich seien, könne die Entstehung der Erörterungsgebühr nicht daran scheitern, daß die Prozeßbevollmächtigten nicht noch ausdrücklich Erklärungen abgäben, die in der Sache nicht notwendig seien.

Nach anderer Auffassung (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, MDR 2000, 1276; OLG Köln, MDR 1999, 958; NJW 1978, 2400, 2401; OLG München, JurBüro 1992, 167, 168; JurBüro 1982, 396; OLG Zweibrücken, JurBüro 1985, 85; Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., § 31 BRAGO Rdn. 237; Riedel/Sußbauer-Keller, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 8. Aufl., § 31 Rdn. 82) soll es dagegen für das Entstehen der Erörterungsgebühr jedenfalls nicht ausreichend sein, wenn nach der erfolgten Darlegung der Sachund Rechtslage durch das Gericht der Rechtsmittelführer das eingelegte Rechtsmittel zurücknimmt, ohne dass es wenigstens zwischen einer Partei und dem Gericht oder unmittelbar zwischen den Parteien zu einem verbalen Meinungsaustausch gekommen ist.

2. Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend. Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der Wortlaut in Übereinstimmung mit ihrer Entstehungsgeschichte sprechen für diese Ansicht.

a) Bereits aus den Motiven (BT-Drucks. 7/3243 S. 8) ergibt sich, daß der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt die Erörterungsgebühr nicht lediglich für eine interne Prüfung der Argumente eines richterlichen Hinweises gewähren wollte. Der dortigen Begründung für die Erforderlichkeit einer eigenständigen Erörterungsgebühr, wonach bei einzelnen Gerichten die Praxis bestehe, das Sachund Streitverhältnis mit den Parteien und Anwälten ausgiebig vor der förmlichen Stellung der Anträge und damit vor Beginn der mündlichen Verhandlung zu erörtern, wodurch die Verhandlungsgebühr nicht anfalle, obwohl die Erörterung der Sache nicht weniger Mühe mache als eine mündliche Verhandlung, ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber für den Anfall der Erörterungsgebühr eine ausdrückliche Auseinandersetzung zumindest eines der Prozeßbevollmächtigten mit der vom Gericht dargelegten Sachund Rechtslage als erforderlich angesehen hat. Denn von einer auf die mündliche Verhandlung bezogenen Mühewaltung des Rechtsanwalts, die dem Verhandeln im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO gleichkommen soll, kann rein begrifflich erst gesprochen werden, wenn es über eine einseitige Darlegung der Sachund Rechtslage durch das Gericht hinaus zu einer aktiven Auseinandersetzung hiermit durch zumindest eine der Parteien gekommen ist.

b) Diese Lösung ist interessengerecht. Sie ermöglicht es dem Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers, die Berufung ohne Erörterung zurückzunehmen und somit die Entstehung des Gebührentatbestandes zu verhindern. Er ist nicht gehindert, die Sache zunächst zu erörtern und erst dann über die Rechtsmittelrücknahme zu entscheiden.

3. Da nach dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde eine Erörterung nicht stattgefunden hat, ist eine Erörterungsgebühr nicht angefallen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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BGH:
Beschluss v. 24.06.2004
Az: VII ZB 11/04


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