Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Urteil vom 24. November 2011
Aktenzeichen: 2 S 2240/11

(VGH Baden-Württemberg: Urteil v. 24.11.2011, Az.: 2 S 2240/11)

§ 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO findet außer in Fällen, in denen das Verwaltungsgericht durch Prozessurteil entschieden hat, auch dann Anwendung, wenn das Verwaltungsgericht zwar über die Begründetheit der Klage, nicht aber über den eigentlichen Gegenstand des Streits entschieden hat, z.B. weil es bei einer entscheidungserheblichen rechtlichen Vorfrage "die Weichen falsch gestellt hat" (im Anschluss an BVerwG, Beschl. v. 27.11.1981 - 8 B 189.81 - DVBl. 1982, 546).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2011 - 8 K 2529/10 -geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Auskunft über die ihrem früheren Mitglied Herrn XXX geleisteten Erstattungen auf die folgenden Rechnungen zu erteilen:DatumRechnungs-NummerBetrag22.4.1998132/9803891.401,12 EUR10.6.1998132/9806721.540,44 EUR8.7.1998132/980845664,15 EUR24.8.1998132/981078582,09 EUR11.9.1998132/9812231.037,45 EUR14.10.1998132/981348895,71 EUR21.10.1998132/981387660,28 EUR2.11.1998132/981638809,07 EUR7.12.1998132/981704575,43 EUR7.1.1999132/990054463,27 EUR10.6.1999132/990901463,27 EUR24.6.1999132/990903690,77 EUR29.7.1999132/9910861.038,03 EUR18.8.1999132/9912941.098,70 EUR9.9.1999132/9914591.267,99 EUR30.9.1999132/9914971.110,44 EUR21.10.1999132/9916091.029,00 EUR11.11.1999132/9918011.232,66 EUR24.11.1999132/9918021.086,59 EUR22.12.1999132/992020302,96 EUR20.1.2000132/992210913,96 EUR16.2.2000132/992328978,00 EUR6.4.2000132/992553546,78 EUR11.5.2000132/992709930,17 EUR6.6.2000132/992811879,15 EUR14.6.2000132/992838979,39 EUR20.7.2000132/993058658,98 EUR17.8.2000132/993058243,97 EUR12.9.2000132/993242508,93 EUR9.10.2000132/993383503,59 EUR2.11.2000132/993501630,91 EUR5.12.2000132/993614562,25 EUR21.2.2001132/010179659,42 EUR21.2.2001132/010180630,50 EUR13.3.2001132/010304407,67 EUR17.5.2001132/010547870,58 EUR17.5.2001132/0105481.290,39 EUR8.8.2001132/011025998,36 EUR5.9.2001132/011026941,61 EUR30.10.2001132/011242937,12 EUR30.10.2001132/0112431.110,90 EUR5.12.2001132/011427369,09 EUR7.2.2002132/020154445,65 EUR17.4.2002132/02040471,95 EUR17.4.2002132/0204051.326,61 EUR4.6.2002132/0205431.171,98 EUR20.6.2002132/020669443,11 EUR26.11.2002132/0212871.075,64 EUR17.4.2002132/0204051.326,61 EUR16.12.2002132/0213721.387,44 EUR16.12.2002132/021373565,31 EUR20.1.2003132/030099409,97 EUR20.1.2003132/030100107,27 EUR25.2.2003132/030282373,55 EUR19.5.2003132/030572297,02 EUR15.7.2003132/030792549,36 EUR15.7.2003132/030793973,39 EUR14.8.2003132/030929455,34 EUR24.9.2003132/031133405,22 EUR3.12.2003132/031440325,44 EUR15.12.2003132/031509703,04 EUR22.1.2004132/040128462,08 EUR10.2.2004132/040220935,12 EUR16.3.2004132/0403701.304,71 EUR.Bezüglich des Klageantrags 2 wird das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der neuen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Auskunft über von der Beklagten geleistete Erstattungen auf von ihm gestellte Rechnungen für die ärztliche Behandlung eines Mitglieds der Beklagten.

Der Kläger ist ein in Köln niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin. Der Vorstand der Beklagten beschloss am 5.6.2001,die vom Kläger gestellten Rechnungen gemäß § 49 Abs. 5 der Satzung der Beklagten von der Erstattung auszuschließen. Mit Beschluss vom 24.5.2004 bestätigte der Vorstand der Beklagten diese Entscheidung.Auf die Klage einer von dem Ausschluss betroffenen Patientin hob der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 10.5.2010 (13 S 2825/09) den Ausschluss mit der Begründung auf, die Ermächtigung des § 26c Abs. 1 BAPostG, wonach die Postbeamtenkrankenkasse durch Satzung ihre Organisation und Verwaltung sowie ihre Leistungen regele, stelle keine hinreichende Rechtsgrundlage für die in § 49 Abs. 5 der Satzung getroffene Regelung dar.

Der von dem Kläger behandelte XXX war bis zu seinem Tod am 19.3.2004 Mitglied der Beklagten. Für die verschiedenen in der Zeit vom 10.6.1998 bis 16.3.2004 erfolgten Behandlungen stellte der Kläger Herrn XXX insgesamt 50.593,43 EUR in Rechnung. Der Erbe von Herrn XXX trat mit Vereinbarung vom 18./28.1.2005 seine "Ansprüche aus dem Krankenversicherungsvertrag mit der Postbeamtenkasse" in Höhe des 30-%igen Kassenanteils zuzüglich des 70-%igen Beihilfeanteils hinsichtlich der in der Vereinbarung im Einzelnen näher bezeichneten Rechnungen an den Kläger ab.

Mit Schreiben vom 21.1.2009 beantragte der Kläger Einsicht in die Herrn XXX betreffenden Akten. In ihrer Antwort vom 9.2.2009wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sich das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG auf die ein anhängiges Verfahren betreffenden Akten beschränke, und bat den Kläger deshalb, seinen Antrag durch genauere Bezeichnung der anhängigen Verfahren zu konkretisieren.

Der Kläger hat am 9.7.2010 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit den Anträgen, die Beklagte zu verpflichten, ihm Auskunft über die geleisteten Erstattungen auf die von ihm näher bezeichneten Rechnungen zu erteilen, und die Beklagte nach erteilter Auskunft zu verpflichten, die nicht beschiedenen Leistungsanträge unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden und binnen zwei Wochen nach Rechtskraft des Urteils 30 % "Grundversicherungsanteile" auf die erstattungsfähigen Liquidationen einschließlich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Stellung des Leistungsantrags zu erstatten. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Alleinerbe von Herrn XXX habe seine Ansprüche gegen die Beklagte an ihn abgetreten. § 30 Abs. 6 der Satzung der Beklagten lasse eine solche Abtretung ausdrücklich zu. Die Beklagte habe die bei ihr eingereichten Erstattungsanträge nicht innerhalb von drei Monaten beschieden. Für den von ihm gestellten Antrag auf Einsicht in die Herrn XXX betreffenden Akten gelte das Gleiche. Die Klage sei daher gemäß § 75 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig. Der geltend gemachte Anspruch gründe sich auf die fehlende Dokumentation der Leistungsbescheide bzw. Leistungsanträge in der Zeit ab Beginn des Boykotts seiner Praxis im Jahre 1999.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert: Die Klage sei unzulässig, da der Kläger nicht die Verletzung von eigenen subjektiven Rechten geltend machen könne. Bei den Ansprüchen auf Kassenleistungen handele es sich um höchstpersönliche Rechte, die der Kläger nicht in eigenem Namen geltend machen könne. Nach § 30Abs. 6 S. 2 der Satzung sei zwar ausnahmsweise die Abtretung des zustehenden und noch nicht ausgezahlten Erstattungsanspruchs an den Gläubiger zulässig, bei dem die erstattungsfähigen Kosten erwachsen seien. Zustehende Erstattungsansprüche im Sinne dieser Regelung seien aber nur durch Bescheid oder gerichtliche Entscheidung zuerkannte Ansprüche. Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet, da der Kläger weder einen Anspruch auf Akteneinsicht noch Erstattungsansprüche habe. Die in dem Antrag des Klägers genannten Daten könnten keinem Erstattungsvorgang zugeordnet werden. Sollten Erstattungsansprüche tatsächlich bestehen, seien diese zudem verjährt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.1.2011abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Auskunft über die geleisteten Erstattungen auf die in seinem Antrag bezeichneten Rechnungen. Ein solcher Anspruch ergebe sich insbesondere nicht aus den an den Kläger abgetretenen Erstattungsansprüchen, da die Abtretung dieser Ansprüche gegen das Abtretungsverbot in § 30 Abs. 6 S. 2 der Satzung der Beklagten verstoße und daher unwirksam sei. Nach § 30 Abs. 6 S. 4 der Satzung sei zwar ausnahmsweise die Abtretung des zustehenden und noch nicht ausgezahlten Erstattungsanspruchs an den Gläubiger zulässig, bei dem die erstattungsfähigen Kosten erwachsen seien. Bei den an den Kläger abgetretenen Ansprüchen handele es sich aber nicht um zustehende Erstattungsansprüche im Sinne des § 30 Abs. 6 S. 4 der Satzung. Zustehend im Sinne dieser Regelung seien nur durch Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung zuerkannte Ansprüche.Die Regelung finde ihre Rechtsgrundlage in den §§ 26a Abs. 2, 25 c Abs. 1 BAPostG und sei nicht zu beanstanden. Ein Auskunftsanspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus den §§ 1, 7 IFG. Bei den von ihm begehrten Auskünften handele es sich um Informationen über besondere personenbezogene Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 BDSG.Solche Daten dürften nur übermittelt werden, wenn der betroffene Dritte ausdrücklich eingewilligt habe. An dieser Einwilligung fehle es. Sie könne insbesondere nicht in der nach § 30 Abs. 6 S. 4 der Satzung unwirksamen Abtretung der Leistungsansprüche durch Herrn XXX gesehen werden. Da ein Auskunftsanspruch des Klägers somit nicht bestehe und die Erstattungsansprüche nicht wirksam abgetreten seien, sei die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 9.8.2011 zugelassene Berufung des Klägers.Zu deren Begründung macht der Kläger geltend, die allgemeine Ermächtigung in § 26c Abs. 1 BAPostG stelle keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Satzungsbestimmung dar, mit welcher die Abtretung der Ansprüche auf Erstattung der in der Satzung der Beklagten festgelegten Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen werde. § 30Abs. 6 der Satzung der Beklagten verstoße zudem gegen den Grundsatz der Normenklarheit, da der Bestimmung nicht zu entnehmen sei, was unter einem "zustehenden" Anspruch zu verstehen sei. Die Bestimmung verstoße ferner gegen sämtliche zivilrechtliche Grundsätze der Forderungsabtretung. Der Beklagten sei es unabhängig davon versagt, sich auf ein etwaiges Abtretungsverbot zu berufen,da sie damit ihren rechtswidrigen Boykott seiner Praxis fortsetze und ihn in der freien Ausübung seines Gewerbes beeinträchtige.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. Januar 2011- 8 K 2529/10 - zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, ihm Auskunft über die Herrn XXX geleisteten Erstattungen auf die folgenden Rechnungen zu erteilen,

DatumRechnungs-NummerBetrag22.4.1998 132/9803891.401,12 EUR10.6.1998 132/9806721.540,44 EUR8.7.1998 132/980845664,15 EUR24.8.1998 132/981078582,09 EUR11.9.1998 132/9812231.037,45 EUR14.10.1998 132/981348895,71 EUR21.10.1998 132/981387660,28 EUR2.11.1998 132/981638809,07 EUR7.12.1998 132/981704575,43 EUR7.1.1999 132/990054463,27 EUR10.6.1999 132/990901463,27 EUR24.6.1999 132/990903690,77 EUR29.7.1999 132/9910861.038,03 EUR18.8.1999 132/9912941.098,70 EUR9.9.1999 132/9914591.267,99 EUR30.9.1999 132/9914971.110,44 EUR21.10.1999 132/9916091.029,00 EUR11.11.1999 132/9918011.232,66 EUR24.11.1999 132/9918021.086,59 EUR22.12.1999 132/992020302,96 EUR20.1.2000 132/992210913,96 EUR16.2.2000 132/992328978,00 EUR6.4.2000 132/992553546,78 EUR11.5.2000 132/992709930,17 EUR6.6.2000 132/992811879,15 EUR14.6.2000 132/992838979,39 EUR20.7.2000 132/993058658,98 EUR17.8.2000 132/993058243,97 EUR12.9.2000 132/993242508,93 EUR9.10.2000 132/993383503,59 EUR2.11.2000 132/993501630,91 EUR5.12.2000 132/993614562,25 EUR21.2.2001 132/010179659,42 EUR21.2.2001 132/010180630,50 EUR13.3.2001 132/010304407,67 EUR17.5.2001 132/010547870,58 EUR17.5.2001 132/0105481.290,39 EUR8.8.2001 132/011025998,36 EUR5.9.2001 132/011026941,61 EUR30.10.2001 132/011242937,12 EUR30.10.2001 132/0112431.110,90 EUR5.12.2001 132/011427369,09 EUR7.2.2002 132/020154445,65 EUR17.4.2002 132/020404471,95 EUR17.4.2002 132/0204051.326,61 EUR4.6.2002 132/0205431.171,98 EUR20.6.2002 132/020669443,11 EUR26.11.2002 132/0212871.075,64 EUR17.4.2002 132/0204051.326,61 EUR16.12.2002 132/0213721.387,44 EUR16.12.2002 132/021373565,31 EUR20.1.2003 132/030099409,97 EUR20.1.2003 132/030100107,27 EUR25.2.2003 132/030282373,55 EUR19.5.2003 132/030572297,02 EUR15.7.2003 132/030792549,36 EUR15.7.2003 132/030793973,39 EUR14.8.2003 132/030929455,34 EUR24.9.2003 132/031133405,22 EUR3.12.2003 132/031440325,44 EUR15.12.2003 132/031509703,04 EUR22.1.2004 132/040128462,08 EUR10.2.2004 132/040220935,12 EUR16.3.2004 132/0403701.304,71 EUR

und die Beklagte nach erteilter Auskunft zu verpflichten, die von Herrn XXX gestellten und bisher nicht beschiedenen Leistungsanträge unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden und Leistungen in Höhe von 30 % der jeweils geltend gemachten Aufwendungen nebst Zinsen in Höhe von 5Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Stellung des Leistungsantrags zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,hilfsweise das Verfahren bezüglich des Klagantrags 2 an das Verwaltungsgericht zurück zu verweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht ergänzend geltend: Sie verwahre sich gegen die Unterstellung, dass von einem ihrer Mitglieder gestellte Anträge nicht beschieden worden seien.Es sei ihr im Übrigen nicht zumutbar, dem Kläger lediglich an Hand des Namens eines Mitglieds und der Versicherungsnummer Auskunft zu gewähren. Die vom Kläger begehrte Auskunft beinhalte die Zuordnung bestimmter Rechnungen zu vermuteten Erstattungsvorgängen. Eine solche Zuordnung sei durch eine allein personenbezogene Suche lediglich mit Hilfe von Rechnungsangaben nicht möglich, da sie ihre Akten nicht mitglieder-, sondern antragsbezogen führe. Um die genannten Rechnungen einem Verfahren zuzuordnen, bedürfe es der zusätzlichen Angabe des Antragsdatums und der Leistungsabrechnungsnummer. Darüber- hinaus sei festzustellen, dass etwaige Erstattungsansprüche gemäß § 77 Abs. 3ihrer Satzung verjährt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klageantrag 1 zu Unrecht abgewiesen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann der Kläger verlangen, dass die Beklagte ihm Auskunft über die von ihr geleisteten Erstattungen auf die in dem Klageantrag 1 näher bezeichneten Rechnungen erteilt (unten I). Bezüglich des mit dem Klageantrag 1 in einem Stufenverhältnis stehenden und deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entscheidungsreifen Klageantrags 2 ist das Verfahren gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf den Hilfsantrag der Beklagten an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (unten II).

I. Mit dem Tod des früheren Mitglieds der Beklagten sind die ihm gegen die Beklagte zustehenden Erstattungsansprüche auf seinen Erben übergegangen (unten 1). Die von dem Erben erklärte Abtretung der Erstattungsansprüche an den Kläger ist wirksam (unten 2). Da der Kläger in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der an ihn abgetretenen Ansprüche im Ungewissen ist und die Beklagte in der Lage ist, die verlangten Auskünfte ohne einen ihr unzumutbaren Verwaltungsaufwand zu erteilen, ist sie nach dem auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, die zur Beseitigung der bei dem Kläger vorhandenen Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen (unten 3).

1. Mit dem Tod von Herrn XXX sind die in der Zeit zuvor begründeten und von der Beklagten noch nicht erfüllten Erstattungsansprüche auf seinen Erben übergegangen.

Über die Vererblichkeit der Ansprüche auf Leistungen trifft die Satzung der Beklagten in ihrer im Zeitpunkt des Tods von Herrn XXXgeltenden Fassung vom 24.11.2003 (47. Änderung) keine ausdrückliche Regelung (anders § 30 Abs. 6 S. 1 der Satzung in ihrer derzeit geltenden Fassung, der die Vererblichkeit dieser Ansprüche explizit ausschließt). In § 49 Abs. 3 der Satzung in ihrer im Zeitpunkt der Tods von Herrn XXX geltenden Fassung ist allerdings bestimmt, dass der Anspruch auf Leistungen mit der Beendigung der Mitgliedschaft erlischt. Ob diese Regelung dahin zu verstehen ist, dass mit ihr auch die Vererblichkeit der Ansprüche auf die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Leistungen ausgeschlossen werden soll, kann dahinstehen, da die Vorschrift bei einem solchen Verständnis insoweit mangels einer gesetzlichen Ermächtigung als nichtig angesehen werden müsste.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die in seiner früheren Rechtsprechung vertretene Ansicht, dass Beihilfeansprüche unvererblich sind, vor Kurzem aufgegeben und geht nunmehr davon aus, dass Beihilfeansprüche nicht wegen ihrer Höchstpersönlichkeit mit dem Tod des Beihilfeberechtigten erlöschen, sondern nach den erbrechtlichen Regeln der §§ 1922 ff. BGB auf die Erben übergehen (BVerwG, Beschl. v.23.8.2010 - 2 B 13.10 - IÖD 2010, 275; Urt. v. 29.4.2010 - 2 C77.08 - NVwZ 2010, 1568). Grund dafür ist die Erkenntnis, dass es allein Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers ist, die Vererblichkeit von Beihilfeansprüchen auszuschließen oder dem Verordnungsgeber hinreichend bestimmte Vorgaben für einen derartigen Ausschluss zu machen. Für die Vererblichkeit der Ansprüche auf die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Leistungen gilt Entsprechendes. Die danach erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen in der Satzung der Beklagten angeordneten Ausschluss der Vererblichkeit kann nicht in § 26c des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost (Bundesanstalt Post-Gesetz - BAPostG) gesehen werden, da die Beklagte darin nur dazu ermächtigt wird, ihre Organisation und Verwaltung sowie ihre Leistungen und Beiträge zu regeln. Eine Regelung, welche die Vererblichkeit der Ansprüche der Mitglieder der Beklagten auf die in der Satzung vorgesehenen Leistungen ausschließt, wird von dieser Ermächtigung nicht gedeckt.

2. Die von dem Erben Herrn XXX Anfang 2005 erklärte Abtretung der auf ihn übergegangenen Erstattungsansprüche an den Kläger ist wirksam.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts verstößt die vorgenommene Abtretung gegen § 30 Abs. 6 S. 2 der Satzung, da danach der Anspruch auf Erstattung der in den §§ 31 bis 48 festgelegten Leistungen grundsätzlich nicht abgetreten werden könne. Das trifft nicht zu. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Regelung ist zwar in der Satzung der Beklagten in ihrer derzeit geltenden Fassung enthalten. Im Zeitpunkt der Vornahme der Abtretung galt aber die Satzung der Beklagten in ihrer Fassung vom 1.1.2005 (53. Änderung),die eine solche Regelung noch nicht kannte.

Gegen die Wirksamkeit der Abtretung bestehen auch im Übrigen keine Bedenken. Selbst wenn man die Ansprüche auf die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Leistungen als höchstpersönliche Ansprüche ansehen wollte, die nach § 399 BGB grundsätzlich nicht abgetreten werden können, könnte das nur für die Ansprüche allgemein, nicht aber für den einzelnen entstandenen und konkretisierten Anspruch im Verhältnis zu demjenigen Gläubiger gelten, bei dem die erstattungsfähigen Kosten erwachsen sind. Denn in dieser Fallgestaltung erfüllt die Abtretung gerade den Zweck,den die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Leistungen erfüllen sollen, da sie zur (teilweisen) Befriedigung des Erbringers der Leistungen dient, die zu den erstattungsfähigen Aufwendungen geführt haben. Der Anspruch auf die in der Satzung der Beklagten vorgesehenen Leistungen kann deshalb jedenfalls an einen solchen Dritten ohne Veränderung seines Inhalts abgetreten werden (vgl. BAG, Urt. v. 18.2.1970 - 4 AZR 440/69 - ZfS 1971, 55 zur Abtretung des Beihilfeanspruchs).

§ 400 BGB in Verbindung mit § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO steht der Wirksamkeit der Abtretung an den Kläger ebenfalls nicht entgegen.Nach § 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind Bezüge aus Witwen-, Waisen-,Hilfs- und Krankenkassen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden,grundsätzlich unpfändbar. Hinter dieser Regelung steht die Überlegung, dass Leistungen, die ausschließlich oder zu einem wesentlichen Teil zu Unterstützungszwecken gewährt werden, dem Zugriff Dritter entzogen sein sollen. Von der Regelung ist jedoch ihrem Zweck entsprechend eine Ausnahme für den Fall anzuerkennen,in dem der Vollstreckungsgläubiger wegen einer Forderung pfändet,die als Aufwand des Vollstreckungsschuldners dem konkreten Anspruch zugrunde liegt (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2004 - IXa ZB 17/04 -NJW-RR 2005, 720 m.w.N. zur Pfändung des Beihilfeanspruchs). Die Zweckbindung, welche die Ansprüche auf die Leistungen der Beklagten unterliegen, hindert deshalb nicht eine Pfändung der Ansprüche durch den sogenannten Anlassgläubiger.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und der Verpflichtete unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 2007 - XZR 117/04 - NJW 2007, 1806 mit weiteren Nachweisen). Da der Grundsatz von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, bestehen keine Bedenken, diese Grundsätze auf das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu übertragen. Da der Kläger in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der an ihn abgetretenen Ansprüche im Ungewissen ist und die Beklagte in der Lage ist, die verlangten Auskünfte ohne einen ihr unzumutbaren Verwaltungsaufwand zu erteilen, ist sie danach verpflichtet, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

a) Dem Kläger ist weder bekannt, ob Herr XXX noch zu seinen Lebzeiten die in dem Antrag des Klägers bezeichneten Rechnungen bei der Beklagten eingereicht hat, noch, sofern dies geschehen sein sollte, ob und in welchem Umfang die Beklagte auf diese Rechnungen Erstattungen geleistet hat. Um die an ihn abgetretenen Ansprüche weiter verfolgen zu können, ist er deshalb auf die von der Beklagten erbetenen Auskünfte angewiesen, ohne dass ihm dies unter den gegebenen Umständen zum Vorwurf gemacht werden könnte. Auf der anderen Seite ist die Beklagte ohne einen ihr unzumutbaren Verwaltungsaufwand in der Lage, dem Kläger die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Beklagte braucht dazu die bei ihr befindlichen Akten über die von Herrn XXX gestellten Erstattungsanträge nicht selbst daraufhin durchzusehen, ob diese die vom Kläger genannten Rechnungen zum Gegenstand haben. Sie kann die begehrte Auskunft vielmehr auch dadurch erteilen, dass sie dem Kläger Einsicht in die genannten Akten gewährt und es so ihm überlässt, die Akten auf die genannten Rechnungen "durchzuforsten". Der damit verbundene Verwaltungsaufwand ist gering und kann nicht als unzumutbar angesehen werden.

b) Die Beklagte kann sich gegenüber dem Auskunftsverlangen des Klägers auch nicht damit verteidigen, die an den Kläger abgetretenen Ansprüche seien verjährt, denn ob und in welchem Umfang dies der Fall ist, lässt sich erst nach Erteilung der vom Kläger erbetenen Auskünfte beurteilen.

Nach der Satzung der Beklagten verjähren die Ansprüche ihrer Mitglieder auf Leistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind (vgl. § 79 Abs. 3 der Satzung in ihrer gegenwärtigen Fassung). Der Anspruch auf Gewährung der in der Satzung der Beklagten festgelegten Leistungen wird in dem Zeitpunkt begründet, in dem der Leistungserbringer (behandelnder Arzt, Krankenhausträger oder Apotheker) seine Hauptleistung erbracht hat und damit der Zahlungsanspruch aus dem zivilrechtlichen Vertrag begründet worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v.29.4.2010 - 2 C 77.08 - NVwZ 2010, 1568 für das Entstehen des beamtenrechtlichen Beihilfeanspruchs). Die vom Kläger in seinem Antrag aufgelisteten Rechnungen stammen aus der Zeit vom 10.6.1998bis 16.3.2004. Die Herrn XXX hinsichtlich der entsprechenden Aufwendungen zustehenden Erstattungsansprüche gegen die Beklagte sind danach zwischen 1998 und 2004 entstanden. Das bedeutet, dass spätestens Ende 2009 - und somit noch vor Klagerhebung -hinsichtlich sämtlicher Ansprüche Verjährung eingetreten ist,sofern die Verjährung nicht zuvor gehemmt worden ist.

Nach § 204 Nr. 12 BGB wird die Verjährung u.a. durch die Einreichung des Antrags bei einer Behörde gehemmt, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird. Die Hemmung beginnt mit dem Eingang des Antrags. Das gilt allerdings nur, wenn binnen drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs vom Gläubiger Klage erhoben wird. Geschieht dies nicht, entfällt die Hemmung rückwirkend (Bamberger/Roth: in Münchner Kommentar, 3. Aufl., § 204 Rn. 41). Die Vertreterinnen der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Möglichkeit eingeräumt, dass Herr XXX noch zu seinen Lebzeiten Erstattungsanträge gestellt hat, die wegen des von der Beklagten gefassten Beschlusses, die von dem Kläger gestellten Rechnungen von der Erstattung auszuschließen, bisher nicht beschieden wurden. Ob und in welchem Umfang die an den Kläger abgetretenen Ansprüche verjährt sind, lässt somit erst nach Erteilung der vom Kläger erbetenen Auskünfte beurteilen.

II. Hinsichtlich des Klageantrags 2 verweist der Senat das Verfahren auf den Hilfsantrag der Beklagten gemäß § 130 Abs. 2 Nr.2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurück.

1. Mit seinem Klageantrag 2 begehrt der Kläger, die Beklagte nach erteilter Auskunft zu verpflichten, die von Herrn XXXgestellten und bisher nicht beschiedenen Leistungsanträge zu bescheiden und Leistungen in Höhe von 30 % der jeweils geltend gemachten Aufwendungen zu bewilligen. Der Antrag steht zu dem Antrag 1 in einem Stufenverhältnis. Das Gericht darf im Falle einer solchen gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 254 ZPO zulässigen Stufenklage zunächst nur über den Auskunftsanspruch verhandeln und - durch Teilurteil - entscheiden. Eine Entscheidung über den auf der zweiten Stufe der Klage verfolgten Anspruch ist grundsätzlich nicht zulässig. Eine einheitliche Entscheidung über die mehreren in einer Stufenklage verbundenen Anträge kommt nur dann in Betracht,wenn schon die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (BGH, Urt.v. 16.6.2010 - VIII ZR 62/09 - NJW-RR 2011, 189 mit weiteren Nachweisen).

Eine solche Entscheidung ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht möglich. Die von dem Erben Herrn XXX erklärte Abtretung der auf ihn übergegangenen Erstattungsansprüche ist nach den dazu bereits gemachten Ausführungen wirksam. Ob und inwieweit der Kläger aufgrund der an ihn abgetretenen Ansprüche von der Beklagten die Bewilligung von Leistungen verlangen kann, hängt deshalb zum einen davon ab, ob und in welchem Umfang die Beklagte die Ansprüche bereits erfüllt hat,und zum anderen davon, ob die an den Kläger abgetretenen Ansprüche verjährt sind. Wie der Senat ebenfalls bereits dargelegt hat, lässt sich das erst nach Erteilung der vom Kläger erbetenen Auskünfte beurteilen. Der Antrag 2 ist deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entscheidungsreif.

2. Gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, wenn dieses noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt.Diese Vorschrift ist außer in Fällen, in denen das Verwaltungsgericht durch Prozessurteil entschieden hat, auch dann anwendbar, wenn das Verwaltungsgericht zwar über die Begründetheit der Klage, nicht aber über den eigentlichen Gegenstand des Streits entschieden hat, z.B. weil es bei einer entscheidungserheblichen rechtlichen Vorfrage "die Weichen falsch gestellt hat"(BVerwG, Beschl. v. 27.11.1981 - 8 B 189.81 - DVBl. 1982, 546; Urt.v. 26.5.1971 - VI C 39.68 - BVerwGE 38, 139; OVG NW, Urt. v.29.3.1999 - 10 A 5615/98 - BRS 62 Nr. 108; Rudisile: in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Komm. zur VwGO, § 130 Rn. 8). So verhält es sich hier, da aufgrund der vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen Unwirksamkeit der Abtretung die eigentliche Sachprüfung der geltend gemachten Ansprüche bisher unterblieben ist.

Die Kostenentscheidung bleibt der neuen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vorbehalten.

Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert wird unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts sowohl für das Berufungsverfahren als auch für das erstinstanzliche Verfahren auf jeweils 5.000 EURfestgesetzt.

Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert unzutreffend berechnet. Der Streitwert der Stufenklage bemisst sich nach dem höheren Anspruch (§ 44 GKG). Das ist die beanspruchte Leistung, die nach den Erwartungen des Klägers zu schätzen ist, selbst wenn der Anspruch noch nicht beziffert ist (Hüßtege: in Thomas/Putzo, ZPO,30. Aufl., § 3 Rn. 141; Herget: in Zöller, ZPO, 29. Auflage 2007, §3 Rn. 16 "Stufenklage"). Vorliegend fehlen Anhaltspunkte dafür, was der Kläger sich bei Einleitung des Verfahrens an ihm zu bewilligenden Leistungen vorgestellt hat. Der Streitwert ist daher gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 EUR festzusetzen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Urteil v. 24.11.2011
Az: 2 S 2240/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/a035e57b707f/VGH-Baden-Wuerttemberg_Urteil_vom_24-November-2011_Az_2-S-2240-11




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