Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 29. Mai 2012
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 15/12
(BGH: Beschluss v. 29.05.2012, Az.: AnwZ (Brfg) 15/12)
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 31. März 2012 und vom 12. April 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. November 2011 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 10. August 2011 die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft widerrufen. Die dagegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Kläger selbst am 17. Januar 2012 zugestellt. Der 1 Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen. Die Begründung des Zulassungsantrags ist (per Fax) am 20. März 2012 eingegangen.
Auf den Hinweis, dass die Frist zur Antragsbegründung nicht gewahrt sei und deshalb Bedenken gegen die Zulässigkeit seines Antrags bestünden, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Er hat hierfür zunächst vorgebracht, seine Prozessbevollmächtigte sei an diesem Freitag (gemeint offenbar der 20. Januar 2012) nicht anwesend und nach seiner Erinnerung auch erst zum 21. Januar 2012 wieder im Büro gewesen; eine Frist sei im Kalender auf den 20. März 2012 notiert worden, was darauf hindeute, dass sie erst am 21. Januar 2012 tatsächlich die Zustellung erhalten habe. Nachdem der Kläger Einsicht in die Gerichtsakten genommen hat, macht er nun geltend: Die Frist sei im Fristenkalender auf den 20. März 2012 notiert worden. Dies sei von seiner Prozessbevollmächtigten nicht überprüft bzw. berücksichtigt worden. Von diesem Fristablauf ausgehend sei die "Berufungsbegründung" erst am 20. März 2012 gefertigt und per Telefax übersandt worden. Dies könne ihm nicht angelastet werden, da seine Prozessbevollmächtigte mit der Einhaltung der Frist beauftragt gewesen sei. Im Übrigen verweist der Kläger auf die eidesstattliche Versicherung der in der von ihm gemeinsam mit seiner Bevollmächtigten betriebenen Kanzlei beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten T. .
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war gemäß § 112e Satz 2 BRAO i.V.m. § 124a Abs. 5 VwGO abzulehnen, weil der Kläger die Antragsbegründungsfrist versäumt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2010 - AnwZ (Brfg) 3/10, juris Rn. 2). 2 Sie beträgt nach § 112e Satz 2 BRAO i.V.m. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des vollständigen Urteils (Senat, aaO), welche hier gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 56 Abs. 2 VwGO und § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit der Zustellung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers bewirkt worden ist. Letzteres ist gemäß § 174 Abs. 1 ZPO im Wege der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis geschehen, welches mit Datum vom 17. Dezember 2011 versehen ist (siehe auch § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Gegenteiliges hat der Kläger (zumindest zuletzt) nicht geltend gemacht. Die Frist ist danach am 19. März 2012, einem Montag, abgelaufen. Die am folgenden Tag eingegangene Antragsbegründung ist verspätet.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung bleibt ohne Erfolg. Gemäß § 112e Satz 2 BRAO i.V.m. §§ 60, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, wenn jemand ohne sein Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Unverschuldet ist eine Fristversäumung nur, wenn sie bei Anwendung der Sorgfalt, die unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage im Verkehr erforderlich war und dem Antragsteller vernünftigerweise zugemutet werden konnte, nicht zu vermeiden war (Senatsbeschlüsse vom 3. November 2008 - AnwZ (B) 66/08, juris Rn. 7; vom 24. April 2007 - AnwZ (B) 93/06, NJW 2007, 2186 Rn. 11 m.w.N. - jeweils zum nach bisherigem Verfahrensrecht anzuwendenden § 22 Abs. 2 FGG a.F.). Daran fehlt es hier.
a) Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO kommt mangels unverschuldeter Fristversäumnis nicht in Betracht, wenn der Vertreter des säumigen Beteiligten nicht für eine Büroorganisation gesorgt hat, die eine hinreichende Fristenkontrolle sicherstellt (BVerwG, NJW 2005, 1001). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich der Rechtsanwalt von der 4 routinemäßigen Fristberechnung und Fristenkontrolle nur durch Übertragung dieser Tätigkeit auf zuverlässige und sorgfältig überwachte Bürokräfte entlasten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2005 - X ZB 31/03, m.w.N.; vom 3. Mai 2011 - VI ZB 4/11, BeckRS 2011, 12919 Rn. 6). Schon hierzu enthält die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags keine Angaben. Sie lässt nicht nur offen, wie es zu der behaupteten falschen Eintragung der hier versäumten Frist im Besonderen kam, insbesondere, wer diese vorgenommen hat oder weshalb dies unverschuldet geschehen sein sollte. Vielmehr wird insoweit schon die allgemeine Organisation der Fristenkontrolle nicht erläutert, insbesondere inwieweit Berechnung und Kontrolle der Fristen vom Rechtsanwalt selbst vorgenommen werden oder auf eine geeignete Bürokraft übertragen worden sind. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten T. spricht eher gegen eine Übertragung der Fristberechnung und -überwachung an diese Angestellte. Sie versichert darin insbesondere, es könne nicht gesagt werden, wie es zu der Eintragung gekommen sei; (insbesondere) sie selbst habe nicht überprüft, ob diese Frist so richtig ist. Ob eine andere Bürokraft beschäftigt wird und mit solchen Aufgaben betraut ist, bleibt offen.
b) Letztlich kommt es für die Beurteilung des Wiedereinsetzungsantrags indessen auf die Organisation der Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Fristen in der Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers nicht an. Denn von den insoweit gebotenen Vorkehrungen ist die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden. Diesen hat der Rechtsanwalt auch bei Delegation der Fristberechnung und Fristkontrolle eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Rechtsmittelschrift vorgelegt werden, beschränkt sich nicht auf die Prüfung, ob die Rechtsmittelfrist 7 zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist, sofern diese schon mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Rechtsmittelschrift bereits feststeht (st. Rspr. zur Berufungsbegründungsfrist im Zivilprozess, vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19. April 2005, aaO; vom 18. Juli 2005 - II ZB 16/04, BeckRS 2005, 10033; vom 22. Dezember 2004 - III ZB 58/04, BeckRS 2005, 00656; vom 3. Mai 2011, aaO). Diese anwaltliche Verpflichtung besteht auch bei der Sachbearbeitung im Rahmen der Fertigung eines Antrags auf Zulassung der Berufung nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO, da die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags schon mit der Zustellung des Urteils feststeht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Ihr hat die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens nicht genügt.
Dies ergibt sich aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags. Seine Prozessbevollmächtigte habe - so der Vortrag des Klägers - die fehlerhaft eingetragene Frist zur Begründung des Zulassungsantrags nicht überprüft. Bei der Fertigung und Übersendung sei von einem Fristablauf am 20. März 2012 ausgegangen worden. Demgemäß sei die Begründung von seiner Bevollmächtigten an jenem Tag gefertigt und übersandt worden. Zumindest deshalb ist die verspätete Einreichung der Begründung des Zulassungsantrags nicht unverschuldet. Dass hingegen die Frist richtig berechnet und in den Handakten notiert worden sei und lediglich (entgegen einem ordnungsgemäßen Erledigungsvermerk in den Handakten) im Fristenkalender falsch eingetragen worden sei (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6 m.w.N., siehe dort auch Rn. 7) und die Fristversäumnis darauf beruhe, macht der Kläger nicht geltend. Ein solcher Ablauf stünde auch in Wider-8 spruch zu seiner Behauptung, seine Prozessbevollmächtigte sei von einem Fristablauf am 20. März 2012 ausgegangen.
Der Kläger war nach alledem nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert. Unbeachtlich ist die Behauptung des Klägers, er habe seine Prozessbevollmächtigte mit der Einhaltung der Frist beauftragt. Das Verschulden seiner Vertreterin wird dem Kläger gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO und § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 25/11, juris Rn. 11).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO.
Kayser Lohmann Seiters Frey Martini Vorinstanzen:
AGH Hamm, Entscheidung vom 18.11.2011 - 1 AGH 46/11 - 9
BGH:
Beschluss v. 29.05.2012
Az: AnwZ (Brfg) 15/12
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