Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 17. Februar 2011
Aktenzeichen: 6 U 270/10
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 17.02.2011, Az.: 6 U 270/10)
1. Die Grundsätze über die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung bei einem "vorgeschobeen Verband" greifen nur ein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verband allein auf Veranlassung und im Interesse des Beschwerdeführers den Eilantrag eingereicht hat.
2. Irreführung durch die Aussage "über 99 % Sicherheit" für einen Schwangerschaftsfrühtest, wenn diese Aussage für die Frühphase des möglichen Anwendungszeitraums nicht zutrifft.
3. Zur Frage, wann eine auf der Innenverpackung angebrachte Bezeichnung eines Medizinprodukts, das von der auf der Außenverpackung angebrachten Bezeichnung abweicht, irreführend im Sinne von § 4 II 1 MPG ist.
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 29.9.2010verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.
Der Beschluss € einstweilige Verfügung € des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24.8.2010 wird hinsichtlich Buchstabe b) des Tenors aufgehoben; insoweit wir der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Eilverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313 a I, 1 ZPO abgesehen.
Die zulässige Berufung hat hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens gemäß Buchstabe b) des Verfügungsbeschlusses vom 24.8.201 Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Hinsichtlich Buchstabe a) des Verfügungsbeschlusses hat das Landgericht einen Verfügungsgrund und einen Verfügungsanspruch mit zutreffenden Gründen bejaht.
a)
Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG ist nicht widerlegt.
Dass die Antragstellerin selbst früher als von ihr behauptet, nämlich vor der entsprechenden Mitteilung eines beschwerdeführenden Mitglieds am 19.7.2010, von der beanstandeten Verpackungsaufmachung (Anlage ASt 5) Kenntnis hatte, kann nach der Glaubhaftmachungslage nicht angenommen werden. Im Anschluss daran hat sie zeitnah die Antragsgegnerin abgemahnt und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht. Ein Marktbeobachtungspflicht besteht dagegen € soweit es um die Frage des Verfügungsgrundes geht € für nach § 8 III UWG klagebefugte Unternehmen oder Verbände nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. WRP 1996, 1045 € Die Blauen Seiten) grundsätzlich nicht. Ob in Ausnahmefällen, insbesondere wenn sich das Unternehmen oder der Verband der Kenntnisnahme des sich aufdrängenden Verstoßes bewusst verschlossen hat (vgl. hierzu OLG Hamburg GRUR 2010, 57, 58 sowie allgemein zum Meinungsstand Teplitzky, Festschrift für Loschelder, S. 391, 393), etwas anderes gelten kann, kann dahinstehen, da auch ein solcher Fall hier nicht gegeben ist.
Im vorliegenden Fall ist auch nicht nach den vom Grundsätzen über den €vorgeschobenen Verband€ (vgl. Senat GRUR 1991, 471) für die Frage der Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung ausnahmsweise auf die Kenntnis des beschwerdeführenden Mitglieds abzustellen, das die Antragstellerin von dem beanstandeten Verhalten informiert hat. Von einem €Vorschieben€ des Verbandes im Sinne dieser Rechtsprechung könnte nur ausgegangen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Antragstellerin nicht aus Gründen der Verfolgung ihrer eigenen Verbandsinteressen zur Stellung des Eilantrages entschlossen hat, sondern allein auf Veranlassung und im Interesse des Beschwerdeführers. Derartige Anhaltspunkte hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen.
b)
Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 5, 8 III Nr. 2 UWG zu, weil die beanstandete Umverpackung auf Grund ihrer konkreten Gestaltung den irreführenden Eindruck erweckt, der Schwangerschaftstest der Antragsgegnerin erbringe auch in den ersten Tage seiner Anwendbarkeit ein zu über 99 % sicheres Ergebnis.
Auf der konkret beanstandeten Verpackung (ASt 5) weist die Antragsgegnerin an zwei hervorgehobenen Stellen darauf hin, dass es sich bei ihrem Erzeugnis um einen €Frühtest€ handele, der €schon im frühen Stadium der Schwangerschaft€ einfach anwendbar sei. Jedenfalls unter diesen Umständen wird die weitere, ebenfalls hervorgehobene Anpreisung €über 99 % Sicherheit€ von der verständigen Durchschnittsverbraucherin dahin verstanden, dass dieser Grad der Sicherheit jedenfalls auch in dem frühen Stadium, nämlich schon vier Tage vor der nächsten Periode, erreicht werde, für den der Test als besonders geeignet dargestellt wird. Insoweit schließt der Senat sich den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in vollem Umfang an. Die Verkehrsauffassung kann im vorliegenden Fall aus eigener Sachkunde des Gerichts beurteilt werden, weil das Verständnis der Aussagen keine speziellen Erfahrungen oder Kenntnisse voraussetzt (vgl. hierzu BGH GRUR 2004, 244, 245 € Marktführerschaft).
Die demnach beim Verkehr hervorgerufene Vorstellung über die in den ersten Tagen der Anwendung zu erzielende Sicherheit ist unzutreffend. Der Test spricht zwar schon auf den geringen IE/l-Wert von 10 an, der grundsätzlich ein Indiz für eine Befruchtung und auch schon vier Tage vor der nächsten Periode messbar sein mag. Zum einen kann es jedoch bis zur nächsten Periode € sogar recht häufig, nämlich in 31 % der Fälle € zu einem spontanen Abort kommen; zum andern können auch andere Gründe wie z.B. Krankheiten den erhöhten IE/l-Wert verursacht haben. Auf beide Gesichtspunkte weist die Antragsgegnerin in ihrer Packungsbeilage selbst hin. Andererseits ist diese Packungsbeilage ihrerseits nicht geeignet, die auf der Umverpackung hervorgerufene Irreführungsgefahr zu beseitigen, da der hierin enthaltene Hinweis € wenn überhaupt € erst nach dem Kauf zur Kenntnis genommen wird.
Die Gewährung einer Aufbrauchsfrist kommt € da mit dem Sinn und Zweck einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich unvereinbar € nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. GRUR 1989, 456 m.w.N.) im Eilverfahren regelmäßig nicht in Betracht.
2.
Dagegen hat die Berufung hinsichtlich des Unterlassungsausspruchs zu Buchstabe b) des Verfügungsbeschlusses Erfolg, da die auf der Folienverpackung gemäß Anlage ASt 7 angebrachte Bezeichnung €X ... Schwangerschaftstest zur Eigenanwendung€ ungeachtet der Abweichung gegenüber der auf der Umverpackung und der Packungsbeilage verwendeten Bezeichnung €X Schwangerschafts-Frühtest€ nicht irreführend i.S.v. § 4 II 1 MPG ist. Eine Irreführung könnte nur bejaht werden, wenn der Unterschied zwischen beiden Bezeichnungen € soweit er von den Anwenderinnen überhaupt bemerkt wird € zu konkreten Fehlvorstellungen führen würde, die im Hinblick auf den Zweck des Irreführungsverbots des § 4 II 1 MPG als relevant einzustufen sind. Dies ist nicht der Fall. Die Kaufentscheidung wird durch den Bezeichnungsunterschied schon deswegen nicht beeinflusst, weil er erst nach dem Kauf beim Auspacken des Tests entdeckt werden kann. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Unterschied auch nicht geeignet, bei der Anwenderin etwa eine Verwirrung hervorzurufen, die die Sicherheit bei der Anwendung des Test oder der Bewertung des Testergebnisses in nennenswerter Weise beeinträchtigen könnte. Denn unstreitig befand sich in der beanstandeten Folienverpackung der Test, der in der Umverpackung sowie der Packungsbeilage beschrieben wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I, 97 I ZPO.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 17.02.2011
Az: 6 U 270/10
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