Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 5. Januar 2012
Aktenzeichen: 34 Wx 369/11

(OLG München: Beschluss v. 05.01.2012, Az.: 34 Wx 369/11)

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 9. Februar 2011 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag an das Amtsgericht Wolfratshausen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1 ist eine Aktiengesellschaft, an deren Grundkapital auch die Beteiligten zu 2 und 3 als Aktionäre beteiligt sind. Von den 1000 ausgegebenen Aktienurkunden hielten die beiden Beteiligten insgesamt 540 Inhaberaktien; deren Nummern sind ihnen allerdings nicht bekannt.

Nach dem Ausscheiden als Vorstand übergab der Beteiligte zu 3 im Jahr 1995 sämtliche Aktienurkunden der Gesellschaft zur Verwahrung. Mit Schreiben vom März 2010 wurde ihm vom Vorstand der Beteiligten zu 1 mitgeteilt, dass dieser nicht im Besitz der Aktienurkunden sei und er auch keinerlei Angaben über deren Verbleib machen könne.

Da somit die Aktienurkunden verloren seien und deren Verbleib nicht geklärt werden könne, hat die Beteiligte zu 1, handelnd durch den Beteiligten zu 2 als ihren damaligen einzelvertretungsberechtigten Vorstand, am 24. März 2010 hinsichtlich von 540 Stück Inhaberaktien ein Aufgebotsverfahren beantragt.

Das Amtsgericht hat am 27.4.2010 auf Antrag des derzeitigen Vorstands der Beteiligten zu 1 das Ruhen des Verfahrens angeordnet und am 20.9.2010 wieder aufgenommen, nachdem die Beteiligten zu 2 und 3 am 13.9.2010 ihre Zuziehung und die Wiederaufnahme sowie den Erlass eines Ausschließungsbeschlusses beantragt hatten.

Auf ein Schreiben des Gerichts an die Beteiligte zu 1 mit der Bitte um Mitteilung der Nummern der übrigen 460 Inhaberaktien teilte diese mit Schreiben ihres Vorstands am 14.11.2010 mit, dass die Aktiengesellschaft selbst keine eigenen Aktien halte.

Mit Beschluss vom 9.2.2011, zugestellt am 11.2.2011, hat das Amtsgericht den Antrag auf Durchführung eines Aufgebotsverfahrens zur Kraftloserklärung von Inhaberaktien zurückgewiesen und dies damit begründet, dass trotz mehrmaliger Aufforderung die Aktiennummern nicht beigebracht werden konnten und somit ein Aufgebotsverfahren wegen fehlender Konkretisierung nicht stattfinden könne.

Dagegen haben die Beteiligten zu 2 und 3 am 11.3.2011 Beschwerde eingelegt. Dieser hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 9.8.2011 nicht abgeholfen.

II.

Das Rechtsmittel hat - jedenfalls vorläufigen - Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Da das Aufgebotsverfahren gemäß § 72 AktG ein Verfahren nach dem FamFG ist, ist gegen die Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerde nach § 58 FamFG statthaft. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt. Sie machen geltend, Aktieninhaber zu sein, deren Aktien abhandengekommen seien; es besteht daher - was ausreichend ist - die Möglichkeit, dass sie durch die Ablehnung des Erlasses eines Ausschließungsbeschlusses in ihren Rechten beeinträchtigt sind. Insoweit sind sie selbst antragsberechtigt (§ 467 Abs. 2 FamFG; siehe Keidel/Giers FamFG 17. Aufl. § 467 Rn. 2). Auch die Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 FamFG liegen vor. Mit Schreiben vom 13.9.2010 haben sie Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens gestellt, über den mit Beschluss des Amtsgerichts vom 9.2.2011 (auch) mitentschieden wurde.

Die Beschwerde ist schließlich form- und fristgerecht durch die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2 und 3 erhoben (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 63 Abs. 1 und 3, § 64 Abs. 1 und 2 FamFG).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen, da das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, zur Entscheidung eine umfangreiche Beweiserhebung notwendig wäre und die Zurückverweisung beantragt ist.

a) Das Amtsgericht hat seine Amtsermittlungspflicht aus § 26 FamFG verkannt.

(1) Zutreffend geht das Amtsgericht zunächst davon aus, dass das Verfahren ordnungsgemäß in Gang gesetzt ist, und zwar zunächst durch den Antrag namens der Beteiligten zu 1. Mit Schriftsatz vom 13.9.2010 haben sich die Beteiligte zu 2 und 3 dem bis dahin nicht abgeschlossenen Verfahren angeschlossen und selbst den Antrag auf Kraftloserklärung der 540 Inhaberaktien gestellt. Antragsberechtigt ist nach § 72 AktG in Verbindung mit §§ 799, 800 BGB und § 467 FamFG auch der vor dem Abhandenkommen letzte Inhaber der Aktien (Palandt/Sprau BGB 71. Aufl. § 799 Rn. 4). Nach unbestrittenem Vortrag waren die Beteiligten zu 2 und 3 nicht nur bis zum Abhandenkommen der Urkunden, sondern sind auch weiterhin Aktionäre.

(2) Jedoch hat das Amtsgericht die Anforderungen an die Amtsermittlung nach § 26 FamFG verkannt, die unter anderem die schriftliche Anhörung, gegebenenfalls aber auch eine persönliche Anhörung nach § 34 FamFG und nötigenfalls auch die förmliche Vernehmung von Zeugen (§ 30 Abs. 1 FamFG) erfordert hätte.

Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Grundsätzlich steht es nach § 29 Abs. 1 FamFG im Ermessen des Gerichts, die Beweise in der geeigneten Form zu erheben (Holzer FamFG 2011 § 29 Rn. 4). Nach § 30 Abs 1 FamFG kann aber auch der Strengbeweis nach den Regeln der ZPO erforderlich sein.

Vorliegend kommt es - wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht - darauf an, die Nummern der abhanden gekommenen Inhaberaktien näher zu bezeichnen, um sie für das Aufgebot und die Ausschließung unzweideutig identifizieren zu können (BGH NJW-RR 1990, 166/168; Keidel/Giers § 468 Rn. 3). Da die Beteiligten zu 2 und 3 diese nicht beibringen können, bot es sich an, zunächst schriftlich bei der Beteiligten zu 1 anzufragen, ob dort bekannt ist, welche Nummern die noch vorhandenen Inhaberaktien aufweisen. Die Klärung dieser Frage ist schon deswegen erfolgversprechend, da aus der vorliegenden Auftragsbestätigung des Verlags vom 21.12.1984 die Nummern aller ausgegebenen Aktien feststehen und daher nach dem Ausschlussverfahren die abhanden gekommenen Aktien festgestellt werden können. Nach der Mitteilung im Schreiben vom 14.11.2010, dass die Beteiligte zu 1 selbst keine eigenen Aktien halte, war das Gericht aber nicht von einer weiteren Aufklärung entbunden. Nach § 27 FamFG sollen die Beteiligten bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken. Dies ist aber den Beteiligten zu 2 und 3 nicht möglich, weil davon auszugehen ist, dass sie die abhanden gekommenen Aktien nicht erfasst hatten und auch keinen Zugriff auf die noch vorhandenen 460 Aktien haben. Eine Aufklärung war aber der angeschriebenen Beteiligten zu 1, die schon nach § 71 ff. AktG nur unter gewissen Umständen eigene Aktien halten darf, ebenfalls nicht möglich. Daher wäre es vorliegend geboten gewesen, von den Aktionären der Beteiligten zu 1 selbst Auskunft zu erholen. Insofern kann sich das Gericht erster Instanz nicht darauf berufen, dass der Vorstand der Beteiligten zu 1 selbst Aktionär ist und in dieser Funktion die Nummern seiner Aktien auch schon auf Anfrage an die Amtsgericht hätte mitteilen können. Da er in einer schriftlichen Anhörung selbst keine Angaben machte, war das Amtsgericht vielmehr gehalten, die Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme in Erwägung zu ziehen, in der die Auskunftspflicht des Mitaktionärs durchgesetzt werden kann.

b) Nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 2 und 3 im Beschwerdeverfahren sind außer ihnen und dem Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft jedenfalls drei weitere Aktionäre vorhanden. Um die Nummern der von ihnen gehaltenen Aktien zu ermitteln, kommen auch diese Personen als Zeugen in Betracht und wären entsprechend - sei es formlos oder auch förmlich - zu vernehmen. Die erforderliche Beweiserhebung stellt sich damit als umfangreich im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG dar.

Im Rahmen der Beweisaufnahme wird außerdem noch zu klären sein, ob die 540 Aktien tatsächlich abhanden gekommen sind. Der Senat neigt hierbei der herrschenden Meinung zu, dass eine Urkunde dann abhanden gekommen ist, wenn der Inhaber den Besitz derart verloren hat, dass er nicht mehr auf sie zugreifen und sie auch im Weg der Zwangsvollstreckung nicht mehr erlangen kann (Keidel/Giers § 466 Rn 11 m.w.N.). Nachdem nun noch eine notarielle Bestätigung vom 13.10.2010 zu den Akten gelangt ist, wonach an diesem Tag vom alleinvertretungsberechtigten Vorstandsmitglied "500 Stück Blatt Papier, die je mit der Bezeichnung 'Zehn Aktien' der A. Aktiengesellschaft (= Beteiligte zu 1) versehen sind" notariell vorgelegt wurden, könnte die Auskunft vom 16.3.2010 unzutreffend, jedenfalls ergänzungsbedürftig sein. Insofern wird anhand der Beweisaufnahme und möglicherweise einer Einsicht in die Registerakten zu klären sein, ob etwa im Rahmen einer Kapitalerhöhung schon die Ausgabe neuer Aktien stattgefunden hatte. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, wären die Aktien wohl nicht abhandengekommen, so dass das vorliegende Verfahren nicht zum Erfolg führen kann. Dann aber könnte Anlass zu einer strafrechtlichen Überprüfung bestehen.

III.

Eine Kostenentscheidung des Beschwerdegerichts ist im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung nicht veranlaßt (Keidel/Zimmermann § 84 Rn. 9).

Darüber, ob eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens noch zu treffen ist, hat vielmehr das Ausgangsgericht im Rahmen seiner abschließenden Entscheidung zu befinden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. § 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.






OLG München:
Beschluss v. 05.01.2012
Az: 34 Wx 369/11


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