Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 19. Oktober 1999
Aktenzeichen: 4 U 103/99

(OLG Hamm: Urteil v. 19.10.1999, Az.: 4 U 103/99)

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 7. Mai 1999 verkündete Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen teilweise unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 22. Januar 1999 wird mit folgender Maßgabe bestätigt.

Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer, untersagt, im geschäftlichen Verkehr das Produkt „L-D N“ mit einem Gehalt von 500 mg pro Kapsel und/oder das Produkt „L-D2-M“ mit einem Gehalt von 1000 mg pro Ampulle anzubieten und/oder zu vertreiben.

Die Kosten des Rechtsstreits werden in Höhe von 1/4 dem Antragsteller in Höhe von 3/4 der Antragsgegnerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

Die Antragsgegnerin handelt u. a. mit Sportnahrungsmitteln, die über Fitness-Studios vertrieben werden. In einem Werbeprospekt hat sie 2 Produkte namens "L-D-N" und "L-D2-M" angeboten, welche L-Carnitin enthalten. "L-D-N" wird von der Antragsgegnerin in Kapsel-Form angeboten und enthält pro Kapsel und Einzeldosis 500 mg L-Carnitin, während das in Ampullen-Form angebotene "L-D2 M" 1000 mg L-Carnitin pro Ampulle enthält.

Die Bewerbung erfolgte wie folgt:

Der Antragsteller, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es u. a. gehört, daß die Regeln des lauteren Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr eingehalten werden, sieht in den beworbenen Produkten Arzneimittel, die mangels behördlicher Zulassung nicht beworben und vertrieben werden dürfen.

Das Landgericht hat durch Beschlußverfügung vom 22. Januar 1999 der Antragsgegnerin antragsgemäß unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,

im geschäftlichen Verkehr Mittel, welche als Tagesdosis mehr als 200 mg L-Carnitin beinhalten, anzubieten und/oder zu vertreiben, insbesondere das Produkt "L-D N" mit einem Gehalt von 500 mg pro Kapsel und/oder das Produkt "L-D2-M" mit einem Gehalt von 1000 mg pro Ampulle anzubieten und/oder zu vertreiben.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht durch Urteil vom 07. Mai 1999 die einstweilige Verfügung vom 22. Januar 1999 aufgehoben und den zugrundeliegenden Antrag des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen. Er habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, daß die zwei streitgegenständlichen Produkte Arzneimittel und nicht Lebensmittel seien. Zwar könnten auf erste Sicht in gewissen Umfange der weithin unbekannte Name der Produkte, die Kombination des maßgeblichen Wirkstoffs mit der Dosierungsangabe und die Darreichungsform in Kapsel- bzw. Ampullenform für die Arzneimitteleigenschaft sprechen. Gegen die Arzneimitteleigenschaft sprächen aber die von der Antragsgegnerin eingereichten Unterlagen. Eine nähere Aufklärung sei im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht möglich, so daß hinsichtlich der Einordnung der Produkte von einem "non liquet" auszugehen sei, was zu Lasten des Antragstellers als Gläubiger des Unterlassungsanspruchs gehe.

Gegen dieses Urteil hat der Antragsteller form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er sein Verbotsbegehren aus erster Instanz weiterverfolgt.

Der Antragsteller ist nach wie vor der Ansicht, daß es sich bei den in Rede stehenden Produkten um Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG handele. Denn diese Produkte hätten nicht nur pharmakologisch, sondern auch aus der für die Abgrenzung maßgeblichen Verbrauchersicht ausschließlich, jedenfalls ganz vorrangig eine den Zustand bzw. die Funktionen des Körpers beeinflussende Wirkung und gingen über die Zufuhr verbrauchter und zur Regeneration erforderlicher Nährstoffe hinaus. Denn die angegriffenen Produkte würden in arzneimitteltypischer Bezeichnung und Darreichung angeboten. Dem Kundenkreis der Antragsgegnerin sei die körperzustands- bzw. körperreaktionsbeinflussende Wirkung von L-Carnitin in einer Tagesdosis von über 200 ml bekannt, so daß es zusätzlicher wirkungsbeschreibender Hinweise im vorliegenden Falle nicht bedurft hätte. L-Carnitin bewirke eine vermehrte Fettverbrennung, liefere ein Mehr an Energie bei gleichzeitigem Abbau von Körperfett (verstärkte Fettmobilisierung). Beim Verbraucher entstehe so der Eindruck, daß L-Carnitin einen auf natürlichem Wege nicht zu erzielenden Fettabbau bewirke bzw. auf natürlichem Wege nicht zu aktivierende Fettzellen freisetze . Dies gelte jedenfalls für Dosierungen von über 200 mg pro Tag.

Darüber würden die Kunden von zahlreichen Herstellern seit Jahren informiert.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 22. Januar 1999 aufrechtzuerhalten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Antragsgegnerin der Ansicht, daß ein L-Carnitinhaltiges Erzeugnis Lebensmitteln zuzuordnen sei, wenn es eindeutig zur Ernährung angeboten werde. Die Antragsgegnerin habe deshalb bewußt auf jede Auslobung verzichtet, die gegen eine Verwendung ihres Erzeugnisses zu Zwecken der Ernährung sprechen könnte. Sie könne deshalb nicht mit anderen Anbietern "über einen Kamm geschoren" werden, die ihre L-Carnitin-Produkte in vollmundiger Weise anpreisen würden.

In der Sache habe der Antragsteller keine Belege dafür vorgelegt, daß eine tägliche Zufuhr von 1000 mg Carnitin nicht der Ernährung diene. Auf dem Markt befänden sich derzeit nach Kenntnis der Antragsgegnerin 2 L-carnitinhaltige Präparate, die als Arzneimittel zugelassen seien. In beiden Fällen betrage die tägliche Zufuhr mindestens 1200 mg. Schon daraus lasse sich entnehmen, daß die Argumentation des Antragstellers mit einer Überdosierung und einer Depotfunktion verfehlt sei. Hinzu komme, daß nach der Rechtsprechung zu Vitamin-E-Präparaten erst dann von einer arzneilichen Zweckbestimmung ausgegangen werde, wenn die empfohlene Verzehrmenge höher als das Dreifache des Tagesbedarfs sei.

Gründe

Die Berufung des Antragstellers ist überwiegend begründet, allerdings ist das beantragte Verbot auf die beiden konkret benannten Produkte der Antragsgegnerin zu beschränken.

Die Klagebefugnis des Antragstellers folgt aus § 13 Abs. 2 Ziffer 2 UWG. Danach können Unterlassungsansprüche nach § 1 UWG auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen geltend gemacht werden, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden angehört, die Waren gleicher Art auf demselben Markt vertreiben. Im vorliegenden Fall geht es um den Arzneimittelmarkt. Denn der Antragsteller greift die von der Antragsgegnerin angebotenen Produkte unter dem Gesichtspunkt nicht zugelassener Arzneimittel an, während es sich nach der Auffassung der Antragsgegnerin um Nahrungsmittel, bzw. Nahrungsergänzungsmittel handelt. Auf dem Arzneimittelmarkt gehören dem Antragsteller eine als repräsentativ anzusehende Zahl von Gewerbetreibenden als Mitglieder an, wie bereits mehrfach festgestellt worden ist (vgl. BGH WRP 1998, 505 Gelenknahrung; Senatsurteile vom 04. November 1997 4 U 167/97; vom 02. Oktober 1997 - 4 U 131/97; vom 26. August 1999 - 4 U 23/99).

Das Verbotsbegehren des Antragstellers ist auch begründet, soweit es sich gegen das Anbieten und den Vertrieb der beiden Produkte richtet, die die Antragsgegnerin in ihrem Prospekt beworben hat. Denn es handelt sich bei diesen Produkten um Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG, die nach § 21 AMG nicht ohne behördliche Zulassung vertrieben werden dürfen. Eine solche behördliche Zulassung für die streitgegenständlichen Produkte fehlt aber hier unstreitig. Solch ein verbotswidriger Vertrieb von Arzneimitteln stellt zugleich auch einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG dar, ohne daß es weiterer wettbewerblicher Unlauterkeitsmomente bedürfte. Denn die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes stellen wertbezogene Normen zum Schutze der Gesundheit dar, deren Verletzung zugleich auch einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG begründet (BGH NJW 1999, 2737 - Hormonpräparate; Köhler/Piper UWG § 1 Randziffer 338 mit weiteren Nachweisen). In Anbetracht der großen Bedeutung der Arzneimittelvorschriften für die Volksgesundheit ist ein Verstoß gegen diese Vorschriften, auch unter dem Gesichtspunkt der Nachahmungsgefahr, zugleich auch geeignet, den Wettbewerb auf den Arzneimittelmarkt wesentlich zu beeinträchtigen, § 13 Abs. 2 Ziffer 2 UWG.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG sind Arzneimittel u. a. Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen. Lebensmittel sind demgegenüber nach § 1 Abs. 1 LMBG Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuß verzehrt zu werden. Der Begriff der Arzneimittel wird durch § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG dahin eingeschränkt, daß Lebensmittel im Sinne des § 1 LMBG keine Arzneimittel sind. Daraus folgt, daß Produkte der hier vorliegenden Art nicht gleichzeitig Lebens- und Arzneimittel seien können.

Die Abgrenzung ist nach einer an objektive Merkmale anknüpfenden überwiegenden Zweckbestimmung vorzunehmen. Maßgebend sind vor allem die Verwendungsmöglichkeiten des Produktes, Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (BGH WRP 1995, 386 - Knoblauchkapseln). Auch für die Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln von Arzneimitteln ist auf die Zweckbestimmung abzustellen, die sich zunächst nach einer an objektiven Merkmale anknüpfenden überwiegenden Zweckbestimmung beurteilt (OLG Koblenz WRP 1996, 777). Die hierfür maßgebliche Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch die allgemeine Verwendung seitens der Verbraucher bestimmt, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten das Produkt seiner Art nach hat. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen beeinflußt sein. Mithin kommt es maßgeblich darauf an, ob das Produkt überwiegend der Deckung der energetischen oder stofflichen Bedürfnisse des menschlichen Organismus dient oder ob es in erster Linie die Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustandes oder der Funktionen des menschlichen Körpers bezweckt und dadurch anderen Zwecken dient als denen der Ernährung oder dem Genuß (KG WRP 1995, 211). Für die zutreffende Abgrenzung stehen eine Reihe von Indizien zur Verfügung, mit deren Hilfe sich die überwiegende Zweckbestimmung eines Produktes herauskristallisieren läßt. Sie stellen Anhaltspunkte für die zu ermittelnde Verkehrsauffassung dar und ermöglichen eine nachvollziehbare Bewertung über den Produktstatus (Klein, Nahrungsergänzung oder Arzneimittel€ in NJW 1998, 791; Forstmann, Arzneimittel, Lebensmittel, diätetische Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel - Abgrenzung und Werbung, in GRUR 1997, 102).

Diese Abgrenzung zwischen Arzneimitteln einerseits und Lebensmitteln bzw. Nahrungsergänzungsmitteln andererseits läßt sich nicht einheitlich für eine ganze Produktgruppe oder einen bestimmten Stoff vornehmen, sondern sie muß für jedes Produkt einzeln vorgenommen werden. Denn die Abgrenzung hängt von einer Vielzahl von Einzelkriterien ab, so daß nicht generell gesagt werden kann, ob eine bestimmte Produktart als Arzneimittel oder als Lebensmittel einzuordnen ist. So kann durchaus auch ein und dieselbe Substanz einmal als Arzneimittel und das andere Mal als Nahrungs- oder Genußmittel zu qualifizieren sein, je nachdem, in welcher Dosierung, für welchen Verwendungszweck und in welcher Aufmachung und Darreichungsform sie dem Verbraucher entgegentritt (BGH WRP 1995, 386 - Knoblauchkapseln; OLG München WRP 1995, 139).

Diese Abgrenzung ist schließlich Rechtsfrage, die sich nicht durch Sachverständigengutachten klären läßt, sondern vom Richter in eigener Verantwortung entschieden werden muß (Pastor/Ahrens Der Wettbewerbsprozeß 4. Aufl. Kapitel 32 Randziffer 1 f.). Insoweit sind der Beweisaufnahme nur die dieser Abgrenzung zugrundeliegenden Tatumstände und Indizien zugänglich, die aber hier soweit aufgeklärt sind, daß der Senat bei seiner Abgrenzung von einer hinreichend gesicherten Entscheidungsgrundlage ausgehen kann.

Danach läßt sich zunächst einmal allgemein feststellen, daß eine generelle Zuordnung von Produkten, die L-Carnitin enthalten, entweder zu den Lebensmitteln oder zu den Arzneimitteln, nicht möglich ist (Senatsurteil vom 05. Februar 1998 - 4 U 143/97). Insoweit räumt die Antragsgegnerin selbst ein, daß L-Carnitin-Produkte auf der Schnittstelle zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln liegen. Demgemäß helfen auch die allgemeinen Äußerungen zur Wirkungsweise von L-Carnitin, die die Antragsgegnerin vorgelegt hat, nicht weiter. Denn die fallentscheidende Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln muß allein für die beiden hier in Rede stehenden Produkte vorgenommen werden.

Auch eine Qualifizierung der Produkte als "Sportlernahrung", die durch die Bewerbung in dem Katalog mit entsprechenden Artikeln nahegelegt werden mag, führt hier nicht weiter. Denn auch eine "Sportlernahrung" dient nur dann einem besonderen Ernährungszweck, wenn sie der Auffüllung von Mängeln nach bestimmten Höchstleistungen dient, nicht aber dann, wenn sie nur die Fähigkeit fördern soll, Höchstleistungen erst zu erreichen (KG WRP 1995, 211, 217; Kloesel/Cyran Arzneimittelrecht, § 6 a Arzneimittelgesetz Anmerkung A Ziffer 9 "Abgrenzung zur Sportlernahrung").

Auch eine Abgrenzung nach der Dosierungsmenge kann man hier nicht vornehmen, um dadurch zuverlässig zu einem Arzneimittel oder einem Lebensmittel kommen zu können. Denn bei den Produkten der Antragsgegnerin wird eine Dosierung nicht angegeben. Es wird nur die Menge an L-Carnitin angegeben, die in einer Kapsel bzw. Ampulle enthalten ist. Damit bleibt es aber dem einzelnen Sportler überlassen, wieviele Kapseln bzw. Ampullen er von den beiden Produkten täglich zu sich nehmen will, ohne daß er von Seiten der Antragsgegnerin als Vertreiberin der Produkte sachdienliche Hinweise erhält.

Soweit in den überreichten gutachterlichen Stellungnahmen allgemein die Frage erörtert wird, wieviele Mengen an L-Carnitin täglich unter welchen Umständen benötigt werden, kann dies hier zur Abgrenzung nicht entscheidend herangezogen werden, weil die Antragsgegnerin ihre Produkte in diesen allgemeinen Ernährungszusammenhang nicht stellt.

Andererseits kann dieses Fehlen näherer Angaben aber auch nicht dazu führen, daß die Produkte der Antragsgegnerin schon deshalb als Nahrungsmittel zu qualifizieren sind, weil sie nicht so vollmundig angepriesen werden wie andere L-Carnitin-Produkte (vgl. Senatsurteil vom 05. Februar 1998 - 4 U 143/97; vom 26. August 1999 - 4 U 23/99). Denn die Antragsgegnerin wendet sich nicht nur an ein Fachpublikum, dem die Wirkungsweise von L-Carnitin vollständig bekannt ist und das deshalb nur eine bloße Mengeninformation für seine Kaufentscheidung benötigt. Vielmehr wendet sich die Antragsgegnerin allgemein an Sportler und solche Verbraucher, die an "Sportlernahrung" interessiert sind. Der Katalog mit den beanstandeten Produkten wird breit gestreut.

Wenn die Antragsgegnerin dann gleichwohl auf eine nähere Beschreibung der Produkte und ihrer Wirkungsweise verzichtet, geht sie davon aus, daß die angesprochenen Verbraucher auch ohne solche Informationen sich allein aufgrund ihres Vorwissens für die Produkte der Antragsgegnerin entscheiden. Zu Lasten der Antragsgegnerin muß dann aber davon ausgegangen werden, daß dieses Vorwissen auch durch die Werbung geprägt ist, die den Verbrauchern bei anderen L-Carnitin-Produkten entgegentritt. Entsprechendes Werbematerial hat der Antragsteller vorgelegt.

Ohne auf die übersteigerte Darstellung in der Bewerbung dieser L-Carnitin-Produkte eingehen zu müssen, so steht bei allen diesen Produkten im Kern die durch L-Carnitin bewirkte Leistungssteigerung und der Abbau körpereigenen Fetts im Vordergrund, also die Erhöhung der Ausdauerfähigkeit, wie sie über eine normale Ernährung nicht zu erreichen ist. Wenn auch mit jeweils anderen Worten, so wird im Ergebnis doch immer eine gewisse Doping-Wirkung den L-Carnitin-Produkten beigemessen. Über eine erhöhte, sonst nicht erreichbare Fettverbrennung soll sich die Leistungsfähigkeit zeitlich verlängern lassen. Wo andere Sportler, kraftlos geworden, aufhören müssen, können mit Hilfe der L-Carnitin-Produkte Kraftreserven mobilisiert werden, die dem Körper in dem Augenblick ohne diese Produkte so noch nicht zur Verfügung stünden.

Das hat aber nichts mehr mit Ernährung zu tun, durch die Defizite im Kräftereservoir wieder aufgefüllt werden. Es wird vielmehr die Energiegewinnung des Körpers überspielt. Es werden Kraftreserven mobilisiert, die vom normalen Rhythmus der Energiegewinnung her so noch nicht zur Verfügung stünden.

Das stellt eine Beeinflussung von Körperfunktionen im Sinne des § 2 Abs. 1 Ziffer 5 AMG dar, so daß diese Mittel als Arzneimittel zu qualifizieren sind.

Indem die Antragsgegnerin ihre Produkte unausgesprochen in diese Produktreihe stellt, gibt sie damit auch ihren Produkten Arzneimittelcharakter. Denn der Verbraucher geht davon aus, daß die Produkte der Antragsgegnerin mit denen der Konkurrenz mangels gegenteiliger Hinweise vergleichbar und gleichwertig sind. Andernfalls hätte sich die Antragsgegnerin durch entsprechende Hinweise, Darreichungsformen, Dosierungsangaben, Anwendungsbereiche und ähnlichem deutlicher von den übrigen L-Carnitin-Produkten anderer Hersteller absetzen müssen, um so den Ernährungscharakter ihrer Produkte zu betonen.

Über dieses begründete Berufungsbegehren hinsichtlich der beiden angegriffenen Produkte geht der Verfügungsantrag des Antragstellers aber hinaus, indem er generell Produkte verbieten lassen will, die als Tagesdosis mehr als 200 mg L-Carnitin beinhalten. Dieses Verbot bleibt zwar trotz seiner Verallgemeinerung hinreichend bestimmt, weil die Eigenschaften der Produkte, die die Antragsgegnerin nicht mehr soll vertreiben dürfen, ausreichend detailliert und präzise umschrieben werden (Pastor/Ahrens Der Wettbewerbsprozeß 4. Aufl. Kapitel 27 Randziffer 11). Der Antragsteller ist mit diesem Verbotsbegehren aber über das hinausgegangen, was er der Antragsgegnerin verbieten lassen kann. Denn es kann nicht festgestellt werden, daß jedwedes Mittel, das mehr als 200 mg L-Carnitin als Tagesdosis beeinhaltet, allein schon wegen dieser Inhaltsmenge als Arzneimittel zu qualifizieren ist. Wie dargelegt kann diese Qualifizierung bei L-Carnitin-Produkten vielmehr nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der gesamten Erscheinungsform des jeweiligen Produktes vorgenommen werden. Der Antrag des Klägers geht in seiner verallgemeinerten Form deshalb über das hinaus, was ihm tatsächlich als Unterlassungsanspruch zusteht, so daß sein Verbotsbegehren teilweise abzuweisen ist (Teplitzky Wettbewerbsrechtliche Ansprüche 7. Aufl. Kapitel 51 Randziffer 13).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziffer 10 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 19.10.1999
Az: 4 U 103/99


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