Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 15. Januar 2004
Aktenzeichen: I-2 U 139/00
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 15.01.2004, Az.: I-2 U 139/00)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. September 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
IV.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,-- Euro abzuwenden, falls nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Sicherheitsleistungen können auch durch selbstschuldnerische Bürg-schaft einer in der Bundesrepublik Deutschland geschäftsansässigen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.
V.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 255.645,94 Euro (500.000,00 DM).
Gründe
Die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des Landgerichts ist zulässig und begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadenersatz nicht zu, weil den Beklagten keine mittelbare Verletzung des Klagepatentes zur Last gelegt werden kann. Die angegriffene Rückfahrsicherung ist kein Mittel im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, denn sie bezieht sich nicht auf ein wesentliches Element der klagepatentgeschützten Erfindung. Sie verwirklicht die kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruches 1 weder wortsinngemäß noch mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln. Ob die Klägerin ausschließliche Lizenznehmerin an dem Gegenstand des Klagepatentes ist, kann unter diesen Umständen auf sich beruhen.
I.
Das Klagepatent betrifft ein Abfallsammelfahrzeug, das die den Oberbegriff seines Anspruches 1 bildenden Merkmale (Merkmalsgruppe 1 der nachstehenden Merkmalsgliederung) aufweist. Ein solches Fahrzeug weist am Heck eine Einfüllöffnung, darüber und/oder seitlich angebrachte beim Einlegen des Rückwärtsganges aufleuchtende Rückfahrleuchten, ein von Hand betätigbares Beladewerk und Trittbretter auf, auf denen Müllwerker beim Vorwärtsfahren stehend mitfahren können. Beim Rückwärtsfahren ist das Mitfahren auf den Trittbrettern dagegen streng verboten; weil dieses Verbot jedoch häufig missachtet wird, kommt es immer wieder zu Unfällen, bei denen ein auf dem Trittbrett stehender Müllwerker zwischen dem Fahrzeugaufbau und seitlichen Straßenbegrenzungen oder sonstigen Bauwerken eingeklemmt wird (Klagepatentschrift, Spalte 1, Zeilen 13 bis 30).
Die in der einleitenden Patentbeschreibung erörterte vorbekannte US-Patentschrift 4 664 218 (Anlage K 3) beschreibt als der dortigen Erfindung zugrunde liegenden Stand der Technik ein Müllfahrzeug mit einer Rückfahrsicherung, die mit dem Einlegen des Rückwärtsganges aktiviert wird und mittels Bewegungssensoren Objekte in einer Entfernung bis etwa 1,15 bis 1,27 Metern detektiert. Befinden sich Objekte im Erfassungsbereich, wird eine weitere Rückwärtsfahrt durch automatisches Blockieren der Bremsen verhindert (vgl. Spalte 1, Zeilen 27 bis 44 der älteren Druckschrift; Gutachten S. 9, Bl. 224 d.A.). Um den Nachteilen abzuhelfen, dass die Rückfahrsicherung einerseits nur bei eingelegtem Rückwärtsgang wirksam ist und beispielsweise nicht anspricht, wenn das Fahrzeug im Leerlauf rückwärts rollt, andererseits aber bei aktivierter Rückfahrsicherung auch keine Annäherung an ein detektiertes Hindernis um ein ungefährliches Maß möglich ist (vgl. Spalte 1, Zeilen 33 bis 44 der älteren Druckschrift), wird in der US-Patentschrift eine Vorrichtung vorgeschlagen, mit der die Bremse auf das Signal einer die Rückwärtsfahrt mit überwachenden Begleitperson hin freigegeben werden kann (vgl. Spalte 2, Zeilen 13 ff. und Spalte 10, Zeilen 31 ff. der US-Patentschrift). Eine solche Einrichtung kann und soll jedoch nach den weiteren Ausführungen der Klagepatentschrift (Spalte 1, Zeilen 30 bis 37) das Mitfahren von Personen auf den Trittbrettern beim Zurücksetzen des Fahrzeuges nicht verhindern.
Die der klagepatentgeschützten Erfindung zugrunde liegende Aufgabe (das technische Problem) besteht darin, das Fahren von Müllwerkern auf den Trittbrettern bei Rückwärtsfahrt zwangsweise zu unterbinden (Spalte 1, Zeilen 38 bis 40).
Zur Lösung dieses Problems sieht Anspruch 1 des Klagepatentes ein Abfallsammelfahrzeug mit folgenden Merkmalen vor:
1. Abfallsammelfahrzeug
1.1. mit am Heck angeordneter Einfüllöffnung,
1.2. darüber und/oder seitlich angebrachten, beim Einlegen des Rückwärtsganges aufleuchtenden Rückfahrleuchten,
1.3. einem von Hand betätigbaren Beladewerk und
1.4. am Heck angebrachten Trittbrettern, auf denen die Müllwerker beim Vorwärtsfahren stehend mitfahren können;
2. die Trittbretter
2.1. sind mit dem Fahrgestell verbunden und
2.2. lösen bei Auflast einen Kontaktschalter aus;
3. der Kontaktschalter
3.1. verbindet die Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte mit einem Relais
3.2. und ist so geschaltet, dass das als Motorstop wirkende Relais bei Auflast angesprochen wird.
Bei einem derart ausgebildeten Abfallsammelfahrzeug sind die bisher aufgetretenen Unfälle nicht mehr möglich, weil der Motor über das Relais automatisch abgeschaltet wird, wenn der Rückwärtsgang eingelegt wird und ein Müllwerker auf dem Trittbrett steht (Spalte 1, Zeilen 48 bis 53). Da der Kontaktschalter zur Stromversorgung die - ohnehin vorhandene - Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte mit dem Relais verbindet und im Heckbereich angeschlossen werden kann, wo die Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte besonders gut zugänglich ist (vgl. Gutachten, S. 5; Bl. 220 d.A.), ist die Aus- oder Nachrüstung von Abfallsammelfahrzeugen auf kürzestem Wege und mit einfachsten Mitteln und ohne großen Kostenaufwand möglich (Klagepatentschrift, Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 7).
Dem Wortlaut der Merkmale 2.2. und 3.2. der vorstehenden Merkmalsgliederung, entnimmt der Durchschnittsfachmann - nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ein an einer Fachhochschule ausgebildeter Diplom-Ingenieur oder spezialisierter Techniker mit langjähriger Berufserfahrung und guten Kenntnissen im Bereich elektronischer Schaltungen und ihrer Komponenten, insbesondere Sensoren und (Relais-)Steuerungen (Gutachten Seite 1 bis 2; Bl. 216 bis 217 d.A.) -, dass der erfindungsgemäßen Rückfahrsicherung eine auf dem Trittbrett festgestellte Auflast als Auslöser dient: Ist der Rückwärtsgang eingelegt, bildet ein auf dem Trittbrett stehender Müllwerker mit seinem Körpergewicht die Auflast im Sinne des Merkmals 2.2., die einen Kontaktschalter auslöst, der dann den aus der Versorgungsleitung für die Rückfahrleuchte abgezweigten Strom zum Motorstop-Relais weiterleitet. Wie der Kontaktschalter konstruktiv aufgebaut ist, lässt Anspruch 1 offen. Erst in den Unteransprüchen und in der Beschreibung werden bestimmte Ausführungsmöglichkeiten für den Kontaktschalter vorgeschlagen, nämlich seine Ausbildung als druck- bzw. gewichtsabhängiger Lastschalter, der ausgelöst wird, wenn das Trittbrett ihn unter dem Gewicht des daraufstehenden Müllwerkers mit Druck beaufschlagt (Ansprüche 2 und 4; Spalte 2, Zeilen 8 bis 25 und 41 bis 53) oder als Näherungsschalter, der ausgelöst wird, wenn das durch das Gewicht des daraufstehenden Müllwerkers nach unten verschwenkte Trittbrett eine bestimmte Nähe zum Schalter unterschreitet (Anspruch 3; Spalte 2, Zeilen 26 bis 40; Spalte 5, Zeilen 46 bis 60 und Figur 5). Dass ein Müllwerker auf dem Trittbrett steht, erkennt die erfindungsgemäße Vorrichtung in allen in der Klagepatentschrift dargestellten Ausführungsformen daran, dass das Trittbrett - unter der durch das Gewicht des Müllwerkers gebildeten Auflast -verschwenkt, sich durchbiegt oder den Kontaktschalter mit Druck beaufschlagt. Stets wird eine auflastbedingte mechanische Veränderung oder Bewegung des Trittbrettes registriert, die den Kontaktschalter auslöst und zum Abschalten des Fahrzeugmotors führt. Dies hat auch der Sachverständige zutreffend dargelegt (vgl. Gutachten Seite 4; Bl. 219 d.A. und Seiten 4, 5, 6, 7, 8, 12, 18, 21 und 22 der Niederschrift über die Sitzung vom 6. November 2003, Bl. 300 bis 304, 308, 314, 317 und 318 d.A.). Eine andere Funktionsweise des Kontaktschalters ist dem Wortsinn der Merkmale 2.2. und 3. nicht zu entnehmen; insbesondere erfasst der technische Sinngehalt dieser beiden Merkmale unstreitig keine optoelektronischen Reflexschalter, die darauf ansprechen, dass eine in ihrem Überwachungsbereich befindliche Person Strahlen reflektiert.
Aus Merkmal 3.1 entnimmt der Durchschnittsfachmann die konstruktive Vorgabe, den Kontaktschalter mit der Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte zu verbinden; der aus dieser Leitung abgezweigte Strom spricht im Auslösefall nach Merkmal 3.2 das Motorstop-Relais an. Diese Konstruktion hat den Vorteil, dass man die Aus- bzw. Nachrüstung auf kürzestem Weg und mit einfachsten Mitteln vornehmen kann (Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 5). Diese Aussage bezieht sich auf das Legen und Anschließen der Leitung zur Stromversorgung des Kontaktschalters und des Motorstop-Relais. Der Aufwand für Kabel und Montage ist gering, weil diese Leitung nicht bis in den vorderen Fahrzeugbereich bis zum Rückfahrschalter bzw. zur Fahrzeugbatterie gelegt zu werden braucht. Der Anschluss an die Versorgungsleitung für die Rückfahrleuchte kann im Fahrzeugheckbereich vorgenommen werden. Dort tritt die Versorgungsleitung in die Rückfahrleuchte ein; jedenfalls in diesem Bereich ist sie nicht mehr mit anderen Kabeln zusammengefasst und daher gut auffindbar und leicht zugänglich. Nicht in der Klagepatentbeschreibung angesprochen und als selbstverständlich vorausgesetzt wird dagegen die Leitung vom Motorstop-Relais zu derjenigen Stelle, an der das Abschalten des Motors bewirkt wird; insofern entsteht in jedem Fall Installationsaufwand für die Verlegung von Kabeln vom Fahrzeugheck zum Motor; darauf hat auch der gerichtliche Sachverständige zutreffend hingewiesen (vgl. Gutachten Seite 5; Bl. 220 d.A.; S. 10 der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003, Bl. 306 d.A.)
II.
Die angegriffene Rückfahrsicherung für Abfallsammelfahrzeuge ist kein Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht; sie entspricht nicht der im Klagepatentanspruch 1 niedergelegten technischen Lehre.
1. Es fehlt das Merkmal 2.2. der vorstehenden Merkmalsgliederung.
a) Eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 2.2. ist nicht gegeben, weil die angegriffene Rückfahrsicherung unstreitig nicht mit einem Kontaktschalter arbeitet, der Bewegungen des mit dem Gewicht des daraufstehenden Müllwerkers belasteten Trittbrettes detektiert und daraus das Signal gewinnt, das bei eingelegtem Rückwärtsgang zu einem Abstellen des Fahrzeugmotors führt. Statt dessen werden mit Mikrowellensendern ausgerüstete optoelektronisch arbeitende Sensoren verwendet, die auf Bewegungen in dem von ihnen überwachten Bereich reagieren, und das Motorstopsignal wird auf eine Auswertung der von dem auf dem Trittbrett stehenden Müllwerker verursachten Strahlenreflexion hin erzeugt.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist das Merkmal 2.2. auch nicht mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln erfüllt. Eine vom Sinngehalt der Patentansprüche abweichende Ausführung ist nur dann äquivalent im patentrechtlichen Sinne, wenn der Fachmann sie aufgrund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems gleichwirkende Alternative auffinden konnte. Das gleichgewichtig neben den Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung tretende Gebot der Rechtssicherheit erfordert es, dass der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern auch die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereiches bildet, die sich an den Patentansprüchen auszurichten hat. Für die Zugehörigkeit einer vom Wortsinn des Patentanspruches abweichenden Ausführung zum Schutzbereich genügt es nicht, dass sie das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst und seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden. Ebenso wie die Gleichwirkung nicht ohne Orientierung am Patentanspruch festgestellt werden kann, müssen auch die vom Fachmann anzustellenden Überlegungen darüber hinaus derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein, dass er die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als eine der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht, die mit der im Klagepatentanspruch vorgeschlagenen Lösung auf einer Linie liegt (BGH GRUR 2002, 511, 512 - Kunststoffrohrteil; 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; 2002, 519, 521 - Schneidmesser II; 2002, 523, 524 - Custodiol I; 2002, 527, 529 - Custodiol II; jeweils m.w.N.; BGH GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907/908).
aa) Im vorliegenden Fall fehlt schon die Gleichwirkung. Die Frage der Gleichwirkung im patentrechtlichen Sinne lässt sich nicht allein aufgrund eines Einzelvergleichs der Wirkungen entscheiden, die einerseits einem oder mehreren einzelnen Merkmalen eines Patentanspruchs zukommen, andererseits mit der statt dessen bei der beanstandeten Ausführung vorhandenen Ausgestaltung erreicht werden können. Entscheidend ist, welche einzelnen Wirkungen die patentgemäßen Merkmale - für sich und insgesamt - gerade zur Lösung des dem Patentanspruch zugrundeliegenden Problems bereitstellen. Nur so ist gewährleistet, dass der Schutzbereich des Patentanspruchs trotz Abwandlung nach einem oder mehreren Merkmalen lediglich diejenigen Ausgestaltungen umfasst, bei denen der mit der geschützten Erfindung verfolgte Sinn beibehalten ist. Der Patentanspruch ist deshalb daraufhin zu untersuchen, welche von den einzelnen Wirkungen, die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, patentgemäß zur Lösung des zugrunde liegenden Problems zusammen kommen müssen. Diese Wirkungen brauchen allerdings nicht in völliger Identität erreicht zu werden, sondern es genügt, wenn sie im Wesentlichen, also in einem praktisch noch erheblichen Umfang eintreten (BGH GRUR 1999, 909, 914 - Spannschraube; 2000, 1005, 1006, Bratgeschirr).
Auch im vorliegenden Fall genügt es nicht, dass der bei der angegriffenen Ausführungsform verwendete Opto-Reflex-Taster demselben Zweck dient wie der bei Auflast durch die Trittbretter ausgelöste Kontaktschalter nach der wortsinngemäßen Lehre des Klagepatentanspruches 1, dass in beiden Fällen bei eingelegtem Rückwärtsgang nach Detektieren einer auf dem Trittbrett befindlichen Person automatisch ein Motorstop ausgelöst wird und Müllwerker die Rückfahrsicherung nicht "überlisten", also nicht unwirksam machen können. Gleichwirkung im patentrechtlichen Sinne setzt vielmehr voraus, dass die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzte Abwandlung des nicht wortsinngemäß erfüllten Merkmals 2.2. dem angesprochenen Durchschnittsfachmann am Prioritätstag als gleichwertige, d.h. als zwar vom Sinngehalt des Patentanspruchs abweichende, aber dennoch auf der Linie des Klagepatentes liegende Ausgestaltung erschien. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
Kennzeichnend für die vom Klagepatent zur Lösung des Problems, das Mitfahren auf dem Trittbrett bei Rückwärtsfahrt zwangsweise zu unterbinden, verfolgte Linie ist, wie bereits im vorstehenden Abschnitt I. im Einklang mit der überzeugenden Bewertung durch den gerichtlichen Sachverständigen dargelegt wurde, der Einsatz eines Kontaktschalters, der auf mechanische, durch Auflast ausgelöste Bewegungen oder Veränderungen des Trittbrettes anspricht. Anspruch 1 spricht ausdrücklich von einem Kontaktschalter und nicht nur allgemein von Mitteln, die im Auslösefall das als Motorstopp wirkende Relais ansprechen sollen. Die Unteransprüche und die Klagepatentbeschreibung widmen den für die Ausgestaltung entsprechend funktionierender Kontaktschalter in Betracht kommenden Möglichkeiten viel Raum; andere Alternativen, wie ein Motorstopp bei Rückwärtsfahrt auch ausgelöst werden könnte, werden nicht erwähnt. Nach dem Verständnis des angesprochenen Durchschnittsfachmannes hat das auch seinen Sinn. Die in Merkmal 2.2 gelehrte Lösung, den auf dem Trittbrett stehenden Müllwerker anhand mechanischer Bewegungen oder Veränderungen des von ihm belasteten Trittbrettes zu detektieren, bietet im Gegensatz zu einer Detektion mit Hilfe eines Mikrowellensensors die zusätzliche Möglichkeit, die Rückfahrsicherung gewichtsabhängig zu steuern und auf diese Weise besonders betriebssicher auszubilden, wie es im Einzelnen in den Unteransprüchen 2 bis 5 beschrieben wird. Auf diese Weise ergibt sich insbesondere die Möglichkeit, das Risiko von Fehlalarmen zu vermindern und den Kontaktschalter nur auf eine eingestellte Mindestlast ansprechen zu lassen, damit die Rückfahrsicherung nur durch einen auf dem Trittbrett stehenden Müllwerker ausgelöst wird und nicht etwa durch eine von ihm auf dem Trittbrett abgelegte Versorgungstasche (vgl. Klagepatentschrift, Spalte 2, Zeilen 14 bis 21). Anspruch 1 benennt zwar noch keine Mittel, mit denen dies erreicht werden kann; aber die dort beschriebene Vorrichtung bietet, weil sie als Mittel zum Auslösen des Motorstopps einen durch die Trittbrettauflast betätigten Kontaktschalter vorsieht, aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns bereits in sich die Möglichkeit, die in Anspruch 1 beschriebene Vorrichtung in der vorbeschriebenen Weise weiter zu verbessern. Auf diese Zusammenhänge hat auch der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend hingewiesen (S. 8 des Gutachtens, Bl. 223 d.A.); seine mündlichen Erläuterungen im Verhandlungstermin vom 6. November 2003 ( S. 1 bis 7 der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003, Bl. 297 - 303 d.A.) lassen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass er diese Bewertung fallen gelassen hat.
Eine mit optoelektronischen Reflexsensoren arbeitende Vorrichtung wie die angegriffene Ausführungsform kann aufgrund ihrer anderen Funktionsweise nicht in der vorstehend beschriebenen Weise betriebssicherer gemacht werden. Die bei ihr eingesetzten Sensoren reagieren nicht auf die Trittbrettauflast und können infolgedessen auch nicht auf ein Mindestgewicht ansprechend ausgebildet werden; sie detektieren auch andere Objekte in ihrem Erfassungsbereich. Bei einer solchen Vorrichtung muss das Risiko von Fehlalarmen bzw. ungewollten Motorstopps auf andere Weise verringert werden. Will man sicherstellen, dass sie nur auf Menschen und nicht auf leblose Objekte reagieren, muss man hierzu besondere Einrichtungen vorsehen, wie sie etwa in dem Lizenzpatent 39 18 998 (Anlage L 2) beschrieben werden; will man gewährleisten, dass nur der auf dem Trittbrett stehende Müllwerker und keine Hindernisse hinter dem Fahrzeug oder auf dem Trittbrett abgestellteVersorgungstaschen der Müllwerker erfasst werden, muss der Erfassungsbereich des Sensors, worauf auch der Sachverständige zutreffend hingewiesen hat (vgl. S. 14 und 22 der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003, Bl. 310 und 318 d.A.), auf eine entsprechende Entfernung und Höhe eingestellt werden; darin unterscheidet er sich grundsätzlich von der im Klagepatent beschriebenen Vorrichtung, die Bewegungen des Trittbrettes registriert und zu einem Motorstopsignal verarbeitet.
bb) Unter diesen Umständen war es dem Durchschnittsfachmann am Prioritätstag des Klagepatentes nicht möglich, die bei der angegriffenen Vorrichtung eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse anhand am Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfender Überlegungen als zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems gleichwirkendes Mittel aufzufinden.
Dass Anspruch 3 vorschlägt, den Kontaktschalter als Näherungsschalter auszubilden, ist für den Fachmann kein Ansatzpunkt, um anstelle des in Anspruch 1 des Klagepatentes beschriebenen auflastbetätigten Kontaktschalters einen optoelektronischen Bewegungssensor als Detektionsmittel zu verwenden. Ein Näherungsschalter reagiert zwar anders als ein Last- oder Druckschalter nicht mehr unmittelbar auf das auf dem Trittbrett lastende Gewicht des Müllwerkers, sondern nur mittelbar, indem er auf die durch das Gewicht des Müllwerkers ausgelöste Verschwenkung des Trittbrettes und damit auf ein optisches Signal anspricht, aber auch er reagiert auf die Auflast auf dem Trittbrett und nicht wie ein optoelektronischer Sensor auf Relativbewegungen des detektierten Objektes zum Fahrzeug. Es mag sein, dass dem Durchschnittsfachmann am Prioritätstag des Klagepatentes der Einsatz optoelektronisch arbeitender Bewegungssensoren an Kraftfahrzeugen zur Überwachung für den Fahrer nicht einsehbarer Bereiche grundsätzlich bekannt war, wegen der unterschiedlichen Wirkungsweise von Kontaktschaltern einerseits und optoelektronischen Bewegungssensoren andererseits würde er aber die bei der angegriffenen Vorrichtung eingesetzte Abwandlung nicht mehr als auf der Linie des Klageschutzrechtes liegend betrachten. Etwas anderes hat auch der Sachverständige nicht gemeint, wenn er auf S. 5 des Gutachtens im ersten Absatz ausführt (Bl. 220 d.A.), die Klagepatentschrift habe mit ihren Ausführungen in Spalte 2, Zeilen 35 - 40 die Verwendung induktiver Näherungssensoren nahegelegt. Ersichtlich ist damit nur die Auswahl entsprechender Ausführungsformen eines Kontaktschalters gemeint.
In seinen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens hat der Sachverständige wiederholt zutreffend darauf hingewiesen, dass für den Durchschnittsfachmann am Prioritätstag der bei der angegriffenen Vorrichtung vorgenommene Austausch des in Merkmal 2.2 vorgegebenen auf Trittbrettauflast ansprechenden Kontaktschalters durch einen optoelektronisch arbeitenden Sensor nicht nahe gelegen hat, weil das Klagepatent den Blick des Durchschnittsfachmanns am Prioritätstag nur in die Richtung einer auflastgesteuerten Detektion lenkte (S. 4 - 8, 12, 15, 18 - 20, 21 und 22 der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003; Bl. 299 - 304, 308, 310, 311, 315 - 318 d.A.). Darauf, ob der Durchschnittsfachmann am Prioritätstag des Klagepatentes allgemein mit Sensorik arbeitende Lösungen zur Verfügung hatte, kommt es unter diesen Umständen nicht an.
Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, der in Anspruch 1 des Klagepatentes beschriebenen Lösung hafte der Nachteil an, dass sie den auf dem Trittbrett stehenden Müllwerker nur mittelbar über die durch sein Körpergewicht verursachte Bewegung des Trittbrettes erfasst, und dieser Nachteil führe den Durchschnittsfachmann unmittelbar zu der Überlegung, den auf dem Trittbrett stehenden Müllwerker unmittelbar durch eine optoelektronisch arbeitende Vorrichtung zu erfassen. Den Anmeldern des Klagepatentes hätte es freigestanden, die Patentansprüche entsprechend allgemeiner zu formulieren. Da sie das nicht getan haben, müssen sie sich aus Gründen der Rechtsicherheit an dem von ihnen ausgewählten und festgelegten Gegenstand des Patentes festhalten lassen; daran ist auch die Klägerin gebunden. Mit Überlegungen, wie sie die Klägerin hier vorgetragen hat, würde der Durchschnittsfachmann die im Klagepatent vorgegebene Linie verlassen. Das Klagepatent bringt, wie vorstehend dargelegt, den Durchschnittsfachmann eindeutig zu der Erkenntnis, dass wegen der vorteilhaften Einstellbarkeit lastbedingte Lösungen unter Schutz gestellt werden sollen und patentgemäß deren Ersatz durch einen lastunabhängigen Sensor wegen des damit verbundenen Verzichts auf die Vorteile einer lastabhängigen Lösung nicht in Betracht kommt.
2. Auch die unstreitig mangels Verbindung der Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte mit dem Motorstoprelais nicht wortsinngemäß verwirklichten Merkmale 3 und 3.1 sind nicht mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln verwirklicht. Auch dieser Abweichung von der in Patentanspruch 1 beschriebenen technischen Lehre fehlen die Gleichwirkung und Gleichwertigkeit im patentrechtlichen Sinne. Die von Anspruch 1 des Klagepatentes in der Merkmalsgruppe 3 vorgegebene Linie zeichnet sich dadurch aus, dass die Vorsorgungsleitung der Rückfahrleuchte auch zur Stromversorgung für das Motorstoprelais herangezogen werden soll, weil zum einen die Strombeaufschlagung nur bei eingelegtem Rückwärtsgang und eingeschalteter Rückfahrleuchte erfolgt, und zum anderen, weil entsprechend den Ausführungen im vorstehenden Abschnitt I. die Versorgungsleitung der Rückfahrleuchte im Heckbereich besonders leicht zugänglich ist. Dadurch vermindert sich insbesondere beim Nachrüsten von Altfahrzeugen der Installationsaufwand, weil die Versorgungsleitung für das Motorstoprelais nicht bis zum Rückfahrschalter oder zur Fahrzeugbatterie gelegt zu werden braucht. In diesem Sinne hat sich auch der gerichtliche Sachverständige im Anhörungstermin geäußert (vgl. S. 10 der Sitzungsniederschrift vom 6. November 2003, Bl. 306 d.A.). Bei der angegriffenen Ausführungsform wird der Strom zur Versorgung des Motorstoprelais dagegen aus der Leitung für die Langsamfahrsicherung bei Vorwärtsfahrt entnommen. Wie die Klägerin selbst vorgetragen hat ( S. 6 ihres Schriftsatzes vom 18. Februar 2002, Bl. 171 d.A.), liegt das hierzu herangezogene Leitungsnetz im vorderen Bereich des Abfallsammelfahrzeuges, nämlich im Fahrerhaus. Das spricht dagegen, dass auch bei der angegriffenen Rückfahrsicherung die Versorgungsleitung für das Motorstoprelais nur im Heckbereich verlegt werden muss und die Nachrüstung, wie in der Klagepatentschrift beschrieben, gewissermaßen "auf kürzestem Wege" und mit entsprechend wenig Aufwand erfolgen kann.
III.
Als unterlegene Partei hat die Klägerin nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen; die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Es bestand keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da die Sache - als reine Einzelfallentscheidung - weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO n.F. besitzt noch die Fortbildung des Rechts oder die Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 15.01.2004
Az: I-2 U 139/00
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