Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 16. Juni 2004
Aktenzeichen: VI-Kart 2/04 (V)
(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 16.06.2004, Az.: VI-Kart 2/04 (V))
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Bun-deskartellamts vom 17. Dezember 2003 aufgehoben.
Das Bundeskartellamt wird verpflichtet, den Antragsteller zu dem auf Anerkennung der VDZ-Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften gerichteten Verfahren beizula-den.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Antragsteller in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden dem Bundeskartellamt auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 25.000 Euro.
Gründe
I. Der Beteiligte beantragte beim Bundeskartellamt die Anerkennung der VDZ-Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften (vgl. § 24 Abs. 3 GWB). Der Antragsteller hatte neben anderen Unternehmen und Vereinigungen Gelegenheit, eine Stellungnahme dazu abzugeben. Seinen Antrag, zum Anerkennungsverfahren beigeladen zu werden, wies das Bundeskartellamt durch den Beschluss vom 17.12.2003 (Az. B 6 - 22220 - W - 86/03) jedoch zurück. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers,
mit der er beantragt,
den angefochtenen Beschluss des Bundeskartellamts aufzuheben und das Bundeskartellamt zu verpflichten, die Beiladung vorzunehmen.
Hilfsweise beantragt der Antragsteller,
den Beschluss des Bundeskartellamts vom 17.12.2003 aufzuheben.
Das Bundeskartellamt beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen. Durch Verfügung vom 30.3.2004 erkannte es die Wettbewerbsregeln des Beteiligten für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften an (vgl. § 26 Abs. 1 GWB).
Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
a) Das Rechtsmittel hat seine Zulässigkeit nicht durch den Umstand eingebüßt, dass das Bundeskartellamt die Wettbewerbsregeln des Beteiligten inzwischen anerkannt hat. Zwar gilt der Grundsatz, dass eine Beiladung nur bis zum bestandskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens erfolgen kann (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 54 Rn. 50 m.w.N.). Die Anerkennung vom 30.3.2004 hat das Hauptverfahren für den Antragsteller indessen noch zu keinem bestandskräftigen Abschluss gebracht. Die Anerkennung erfolgt durch eine Verfügung des Bundeskartellamts (§ 26 Abs. 1 GWB). Verfügungen sind binnen einer Frist von einem Monat mit der Beschwerde anfechtbar (§ 63 Abs. 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 GWB). Die Beschwerdefrist beginnt mit der Zustellung der Verfügung (§ 61 Abs. 1 Satz 1, §66 Abs. 1 Satz 2 GWB). Ist die Zustellung der Verfügung gegenüber einer Person, für die sie bestimmt ist oder die von ihr betroffen wird, unterblieben, so beginnt nach allgemeiner Meinung ihr gegenüber die Beschwerdefrist nicht zu laufen (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 66 GWB Rn. 8 m.w.N.). Fehlt es der Verfügung überdies an der durch § 61 Abs. 1 Satz 1 GWB vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung, dann beträgt die Beschwerdefrist in entsprechender Anwendung von § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, a.a.O.).
Die Anerkennungsverfügung vom 30.3.2004 ist dem Antragsteller nicht zugestellt worden. Es ist ihm demzufolge auch eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt worden. Infolgedessen ist die Verfügung für den Antragsteller mit der Beschwerde nach wie vor anfechtbar. Damit kann im derzeitigen Stadium des Verfahrens auch eine Beiladung noch ausgesprochen werden. Die hiergegen gerichtete Argumentation des Bundeskartellamts übersieht, dass von den rechtlichen Wirkungen der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Frage der Bestandskraft und des Laufs der Rechtsbehelfsfrist zu unterscheiden ist.
b) Die Beschwerde ist auch begründet.
Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB ist die Kartellbehörde befugt, Personen oder Personenvereinigungen auf deren Antrag zu einem Kartellverwaltungsverfahren beizuladen, sofern deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden. Der Begriff der "Interessenberührung" ist weit zu verstehen. Die anerkennenswerten Interessen sind nicht auf rechtliche Belange beschränkt, sondern umfassen auch wirtschaftliche Interessen. Das Interesse eines Antragstellers muss von einer im Hauptverfahren ergehenden Entscheidung auch nicht unmittelbar betroffen sein, sondern es kann eine mittelbare Interessenberührung genügen. Andererseits eröffnet nicht jedes wirtschaftliche Interesse schon die Möglichkeit, zu einem Verwaltungsverfahren beigeladen zu werden. Das Interesse muss vielmehr eine kartellrechtliche Relevanz in dem Sinn aufweisen, als jedenfalls eine der im Hauptverfahren denkbaren und nach den Umständen möglichen Entscheidungen geeignet ist, Auswirkungen auf die Wettbewerbslage des beizuladenden Antragstellers zu haben - ohne dass dazu zwischen dem Hauptbeteiligten des Kartellverwaltungsverfahrens und dem beizuladenden Antragsteller freilich ein Wettbewerbsverhältnis vorliegen muss. Darüber hinaus soll - um einer unzweckmäßigen Ausweitung des Kreises der am Hauptverfahren Beteiligten zu begegnen - nicht jeder nur entfernt oder geringfügig von einer Entscheidung Betroffene, sondern nur derjenige Antragsteller beigeladen werden, dessen wettbewerbliche Interessen von der Hauptsacheentscheidung erheblich, m.a.W. spürbar, beeinflusst werden können. Entscheidend ist, ob die Interessen des Antragstellers eine solche Nähe zum Entscheidungsgegenstand aufweisen und ob außerdem die mögliche Entscheidung der Kartellbehörde im Hauptverfahren so gewichtige Auswirkungen auf die Interessen des Antragstellers haben kann, dass es bei wertender Betrachtung angemessen erscheint, ihm die Rechte auf Beteiligung am Kartellverfahren (Vortragsrecht, Recht auf Schriftsatz- und Entscheidungsabschriften sowie auf Akteneinsicht und eine Beschwerdebefugnis) einzuräumen (vgl. Senat WuW/E DE-R 523, 525, 527 - SPNV m.w.N.; 1029 - E.ON/Ruhrgas : Greenpeace; ebenso KG WuW/E OLG 2021, 2022 - Bahnhofsbuchhandel; 2357 - Sonntag Aktuell). Sind die gesetzlichen Erfordernisse für eine Beiladung erfüllt, steht die Entscheidung über den Beiladungsantrag im Ermessen des Bundeskartellamts. Die getroffene Ermessensentscheidung ist vom Beschwerdegericht nach den allgemeinen Regeln nur beschränkt darauf überprüfbar, ob das Bundeskartellamt von seinem Ermessen einen fehlsamen Gebrauch gemacht hat, insbesondere von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, durch die konkrete Ermessensentscheidung den Zweck des Gesetzes verfehlt oder bei der Ermessensabwägung Interessen eines Beteiligten oder des Antragstellers in erheblicher Weise unberücksichtigt gelassen hat.
1. Die gesetzlichen Erfordernisse einer Beiladung sind im vorliegenden Fall gegeben.
aa) Der Antragsteller ist durch die im Hauptverfahren denkbare Entscheidung einer Anerkennung der Wettbewerbsregeln des Beteiligten gemäß § 26 Abs. 1 GWB in seinen wettbewerblichen Interessen berührt. Dieser Feststellung ist der Sachvortrag des Antragstellers in seiner Stellungnahme vom 30.9.2003 im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 25 GWB (GA 24 f.) und in der Beschwerdebegründung vom 7.1.2004 (GA 15 f.) zugrunde zu legen. Das Bundeskartellamt ist dieser Sachdarstellung des Antragstellers nicht entgegen getreten, sondern hat sie - und mit ihr eine Interessenberührung - in seinem die Beiladung ablehnenden Beschluss (Abdruck S. 5) sowie in seiner Beschwerdeerwiderung (S. 3 = GA 48) "offengelassen" und dem Sinn nach als zutreffend unterstellt. Der Beteiligte hat sie nicht mir Erfolg bestritten. Hiernach ist von folgendem auszugehen:
Der Antragsteller vertritt als eine Personenvereinigung im Sinn von § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB - von zwei Ausnahmen abgesehen - alle in Deutschland ansässigen und von Verlagsbeteiligungen unabhängigen Pressegroßhändler. Die im Antragsteller vereinigten Großhändler repräsentieren bei Publikumszeitschriften mit den Presseeinzelhändlern einen der beiden wichtigsten Vertriebszweige. Einen weiteren wichtigen Vertriebsweg stellt der Abonnementsverkauf durch die dem Beteiligten (V.) angeschlossenen Zeitschriftenverleger dar. Die Wettbewerbsregeln, deren Anerkennung der Beteiligte erstrebt, gelten dem Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften durch Zeitschriftenverlage (siehe die Überschrift und die Wettbewerbsregel 1 Satz 1). Durch Verfügung vom 30.3.2004 hat das Bundeskartellamt ihre Anerkennung ausgesprochen.
Aus der Feststellung der Vertriebswege bei Publikumszeitschriften folgt, dass ein Vertrieb im Abonnementsweg mit dem Vertrieb durch Grossisten und Einzelhändler faktisch in der Weise konkurriert, dass eine Ausweitung des Abonnementsaufkommens bei gleich bleibender Nachfrage einen Rückgang des im Zeitschriftengroß- und -einzelhandel zu verzeichnenden Umsatzes bewirken kann, weil diesem Vertriebsweg hierdurch Käufer entzogen werden. Auch bei steigender Nachfrage ist eine Ausweitung des Abonnementsvertriebs geeignet, bei den Händlern Umsatzbeeinträchtigungen eintreten zu lassen, da ihnen potentielle Kunden verloren gehen können. Ob deswegen zwischen den genannten Vertriebswegen ein Wettbewerbsverhältnis im Rechtssinn (etwa nach Maßgabe von § 1 UWG) anzunehmen ist, kann auf sich beruhen. Der Begriff der Interessenberührung im Sinn von § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB ist schon bei einer lediglich mittelbaren wirtschaftlichen Betroffenheit erfüllt. Die im Streitfall anzuerkennende wirtschaftliche Betroffenheit der durch den Antragsteller vertretenen Großhändler beruht auf der nach den dargelegten Umständen in Verbindung mit der wirtschaftlichen Erfahrung anzunehmenden Gefahr einer Nachfrageverschiebung. Diese ist geeignet, die Marktstellung des Einzelhandels und des (ihn beliefernden) Großhandels zu beeinträchtigen. Die Eignung eines durch Werbung unterstützten Abonnementvertriebs, Marktverschiebungen zu Lasten des Einzelhandels (und folglich auch zu Lasten des Großhandels) hervorzurufen, hat der Senat unlängst auch in anderen Entscheidungen erkannt (vgl. die Urteile des Senats vom 17.3.2004, Az. VI - U (Kart) 31/03 und 32/03), in denen bestimmte Werbungen für Zeitschriftenabonnements einer lauterkeitsrechtlichen Beurteilung zu unterziehen waren. Ob die Auffassung des Beteiligten, wonach es sich bei den beiden oben aufgezeigten Vertriebskanä-len bei Zeitschriften um verschiedene Märkte handele, zutreffend ist, erscheint dem Senat zweifelhaft. Der wirtschaftlichen Erfahrung entsprechend liegt es jedenfalls nahe, eine "Durchlässigkeit" der Kundennachfrage in dem Sinn anzunehmen, dass ein durch Werbung verstärkter Absatz in dem einen Vertriebszweig, dem anderen potentielle Käufer entzieht. Die Marktuntersuchungen, die dem Senat in den beiden oben angesprochenen Verfahren bekannt geworden sind, widerlegten dies nicht. Auch im vorliegenden Fall zielen die zur Anerkennung angemeldeten Wettbewerbsregeln gerade auf einen Vertrieb solcher Zeitschriften ab, die (auch) durch den Einzelhandel verbreitet werden (vgl. den zweiten Absatz der Wettbewerbsregel Nr. 1: "Die nachfolgenden Bestimmungen gelten für solche Titel, bei denen ein signifikanter Teil über den Einzelhandel vertrieben wird."). Eine abschließende Entscheidung darüber, in welchem Umfang tatsächliche Abhängigkeiten zwischen den beiden genannten Vertriebswegen bestehen, ist im vorliegenden Zusammenhang indes nicht vonnöten.
Die Wettbewerbsregeln haben (selbstverständlich) den Zweck, die Werbepraktiken der dem Beteiligten angeschlossenen Verlage auf ein für sinnvoll und hinnehmbar erachtetes Maß zu begrenzen, um einem den Grundsätzen des lauteren und leistungsgerechten Wettbewerbs zuwiderlaufenden Verhalten im Wettbewerb entgegenzuwirken. Sie sind - gefördert durch die beantragte kartellrechtliche Anerkennung nach § 26 GWB - darauf angelegt, von den Verlagsunternehmen tatsächlich anerkannt zu werden und unter ihnen eine verbreitete Anwendung zu finden. In dem Umfang, in dem die Wettbewerbsregeln dazu geeignet sind, den Charakter einer Richtschnur für das werbende Handeln der Verlage anzunehmen, fördern sie freilich nicht nur die Begrenzung der Werbepraxis, sondern - und zwar im Sinn einer verbreiteten und erlaubten Übung - in einem gewissen Umfang zugleich die Legitimation einer den Wettbewerbsregeln entsprechenden Werbung. Eine Werbung, die im Einklang mit den vom Bundeskartellamt anerkannten Wettbewerbsregeln und mit einer daraus entwickelten wettbewerblichen Übung innerhalb eines Wirtschaftszweigs steht, befindet sich insofern auf einer vergleichsweise sicheren Grundlage, als dieser Umstand bei einer Überprüfung am rechtlichen Maßstab des § 1 UWG eine gewisse indizielle Beweiskraft dafür entfaltet, dass eine mit den Wettbewerbsregeln übereinstimmende Werbung auch lauterkeitsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls kann eine Untersagung nicht ausgesprochen werden, ohne dass bei der gebotenen Interessenabwägung die Wettbewerbsregeln (und eine aus ihnen gegebenenfalls entwickelte Übung) herangezogen worden sind. Zwar steht die Lauterkeit einer anerkannten Wettbewerbsregeln entsprechenden Wettbewerbshandlung nicht schon mit bindender Wirkung für die Gerichte fest. Im Rahmen der nicht schematisierbaren und auf einer Abwägung im jeweiligen Fall beruhenden wettbewerbsrechtlichen Prüfung stellen anerkannte Wettbewerbsregeln aber eine nicht vernachlässigbare Erkenntnishilfe und zugleich ein Indiz dafür dar, was innerhalb einer Branche als den guten Sitten des Wettbewerbs entsprechend angesehen wird (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., UWG Einleitung Rn. 133; § 1 UWG Rn. 691 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund trägt eine mit den Wettbewerbsregeln übereinstimmende und feststellbar (oder glaubhaft gemacht) gleichförmige Werbung der beteiligten Verlage faktisch und rechtlich zu ihrer lauterkeitsrechtlichen Legitimierung bei. In den wirtschaftlichen Auswirkungen ist einer solchen Werbung die Eignung zu einem Erfolg nicht abzusprechen. Im Erfolgsfall ist sie dazu geeignet, dem Vertriebszweig des Groß- und Einzelhandels auf dem Gebiet des Zeitschriftenvertriebs Marktanteile abzugewinnen. Ob - wie der Antragsteller geltend macht - die zur Anerkennung gestellten Wettbewerbsregeln darauf gerichtet sind, das insoweit wettbewerblich bislang für zulässig erachtete Werbeverhalten der Verlage sogar auszuweiten (vgl. GA 15), muss nicht entschieden werden, da unabhängig hiervon allein der im Regelwerk angelegte Zweck, in der betroffenen Branche eine gleichförmige Handhabung der Werbung zu erzeugen, die notwendige Interessenberührung begründet.
bb) Die vom Antragsteller vertretenen Mitgliederinteressen sind von kartellrechtlicher Bedeutung, da die Wettbewerbsregeln sich in der Wirkung dazu eignen, die Marktanteile der hinter den Beteiligten stehenden Mitglieder beim Vertrieb von Publikumszeitschriften zu Lasten der Mitglieder des Antragstellers nachteilig zu verändern. Zugleich werden damit die vom Antragsteller repräsentierten Interessen im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB in einer Weise berührt, die es bei wertender Betrachtung angemessen erscheinen lässt, ihn im Hauptverfahren mit der rechtlichen Stellung eines Beteiligten auszustatten. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Markterfolg der dem Antragsteller angeschlossenen Mitglieder nach den Umständen in einem nicht zu vernachlässigenden Maß davon abhängig ist, in welchem durch die Wettbewerbsregeln beeinflussten Umfang es den Zeitschriftenverlagen gelingt, eigene Abonnementskunden zu werben - mithin bei einer künftig wahrscheinlichen Auseinandersetzung um Marktanteile -, kann von lediglich entfernten oder geringfügigen (und damit unerheblichen) wirtschaftlichen Auswirkungen nicht gesprochen werden.
Soweit der Antragsteller infolge einer Anerkennung der Wettbewerbsregeln sogar eine rechtliche Beeinträchtigung seiner Abwehr- und Schadensersatzansprüche geltend macht (GA 75, 76 f.), können die dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen für die Entscheidung des Streitfalls offen bleiben. Zutreffend ist allerdings, dass in einem solchen Fall eine Beiladung rechtlich notwendig wäre (vgl. Langen/Schultz, KartR, 9. Aufl., § 54 GWB Rn. 33; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 54 GWB Rn. 46). Denn ohne eine Anerkennung nach § 26 GWB kann eine Vereinbarung von Wettbewerbsregeln wenigstens gegen das Kartellverbot nach § 1 GWB verstoßen. Auf Grund einer Anerkennung werden dem hiervon wirtschaftlich Betroffenen mit Blick auf die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB (sog. Tatbestandswirkung einer Anerkennung von Wettbewerbsregeln) möglicherweise Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche entzogen (vgl. BGHZ 46, 168, 187 = WuW/E BGH 767 = NJW 1966, 2261 - Bauindustrie; BGH NJW 1968, 1723, 1724 = WuW/E BGH 941 - Fahrlehrer). Ob eine Anerkennung der Wettbewerbsregeln im vorliegenden Fall solche Rechtswirkungen äußert, kann anhand des Sachvortrags der Verfahrensbeteiligten jedoch nicht abschließend entschieden werden. Der Antragsteller selbst nimmt nur einen "wahrscheinlichen" Verstoß gegen § 1 GWB an (vgl. GA 76). Die Annahme einer kartellrechtlich relevanten und spürbaren Einschränkung des Wettbewerbs hat er auf der Grundlage des von ihm gebildeten Beispiels (betreffend 35 % Preisnachlass bei Probeabonnements gemäß der Wettbewerbsregel Nr. 3) durch einen nachprüfbaren Tatsachenvortrag indes nicht unterlegt.
2. Bei dieser Rechtslage, nämlich einer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erheblichen Interessenberührung des Antragstellers im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB, hängt die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung maßgebend davon ab, ob das Bundeskartellamt das ihm nach dem Gesetz zugebilligte Ermessen bei der Ablehnung des Beiladungsantrags beanstandungsfrei ausgeübt hat. Dies ist zu verneinen, was sich aus Folgendem ergibt:
Das Bundeskartellamt hat für den Fall einer Anerkennung der Wettbewerbsregeln des Beteiligten (V.) und ihrer Anwendung eine Interessenberührung des Antragstellers unterstellt. Genauso ist es - dies jedenfalls bei zusammenhängendem Verständnis der angefochtenen Entscheidung - auch von einem wettbewerbsrechtlich erheblichen Interesse des Antragstellers ausgegangen. Das Bundeskartellamt hat es in seiner die Beiladung ablehnenden Entscheidung jedoch versäumt, die vom Antragsteller repräsentierten wettbewerbsrelevanten Belange zu den durch eine Anerkennung der Wettbewerbsregeln geförderten Interessen in ein Verhältnis zu setzen und die gegenläufigen Interessen zu gewichten. Das Ausmaß einer möglichen Marktanteilsbeeinträchtigung der Mitglieder des Antragstellers ist gegen die Verfahrensziele des Beteiligten und der bei ihm vereinigten Unternehmen auch nicht abgewogen worden. Die Entscheidung über eine Beiladung kann aber unabhängig von der Intensität einer Interessenberührung und von einer Abwägung gegen die auf der Gegenseite stehenden Belange nicht getroffen werden.
Statt einer solchen Interessengewichtung und -abwägung hat das Bundeskartellamt angenommen, es sei durch das Recht des Antragstellers, gemäß § 25 GWB zu dem Anerkennungsbegehren Stellung zu nehmen, eine hinreichende Berücksichtigung der von ihm vertretenen Interessen im Verfahren gewährleistet. Unabhängig hiervon sei überdies nicht zu erkennen, welcher weitere Vortrag dem Antragsteller nicht schon im Rahmen einer Anhörung nach § 25 GWB, sondern erst durch eine Beiladung zum Hauptverfahren ermöglicht werde. Die mittels einer Stellungnahme nach § 25 GWB mögliche Interessenwahrnehmung ist indes schon vom Ansatz her ungeeignet, die durch eine Beiladung vermittelten Verfahrensrechte (Vortragsrecht, Recht auf Übersendung von Schriftsatz- und Entscheidungsabschriften, Akteneinsichtsrecht und eventuelle Beschwerdebefugnis) zu ersetzen. Ist für das Hauptverfahren eine erhebliche Interessenberührung anzunehmen, kann eine Beiladung nicht allein mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, die berührten Interessen im Anhörungsverfahren geltend zu machen, abgelehnt werden (vgl. KG WuW/E OLG 2356, 2359 - Sonntag Aktuell). Eine Feststellung, es sei nicht zu ersehen, welcher Vortrag dem Antragsteller nicht bereits im Anhörungsverfahren, sondern erst nach einer Beiladung und Akteneinsicht möglich sei, kann im gegenwärtigen Zeitpunkt außerdem gar nicht abschließend getroffen werden. So sind dem Antragsteller im Verfahren der Anhörung nach § 25 GWB weder die sog. Kommentierung, m.a.W. die Erläuterung und Begründung der Wettbewerbsregeln durch den Beteiligten (V.), noch die Stellungnahmen der anderen angehörten Verbände und Unternehmen bekannt gegeben worden (was in jenem Verfahren auch nicht geschehen musste). Die außerhalb des Anerkennungsverfahrens unmittelbar zwischen dem Beteiligten und dem Antragsteller durchgeführten Vorverhandlungen waren zu einer ausreichenden Information und Interessenwahrnehmung schon nicht geeignet. Nach eigenem Vortrag des Bundeskartellamts war Gegenstand jener Verhandlungen ein Entwurf der Wettbewerbsregeln, der nach Struktur und wesentlichem Inhalt mit den zur Anerkennung gestellten Regeln lediglich vergleichbar war. Demgegenüber gewährleistet das vor einer Verwaltungsbehörde durchgeführte förmliche Verfahren in einem weitaus höheren Maß, dass dem Antragsbegehren gegenläufige Belange wirksam zur Geltung gebracht werden können. Nur durch eine Beteiligung an diesem Verfahren und durch Akteneinsicht kann ein Beteiligter sich auch Kenntnis darüber verschaffen, in welchen Punkten seine bisherige Stellungnahme gegebenenfalls durch weitere Fakten und/oder eine vertiefende Auseinandersetzung unterlegt werden müssen, um überzeugungskräftig zu sein. Keinesfalls kann der Antragsteller darauf verwiesen werden, sich die Kenntnis von den zum Anerkennungsverfahren eingereichten Unterlagen, die ihm eine weiter gehende Stellungnahme ermöglichen können, durch Anforderung von Abschriften beim Beteiligten (V.) oder anderen angehörten Verbänden zu verschaffen. Das Bundeskartellamt verkürzt darüber hinaus die gebotenen und von ihm anzustellenden Ermessenserwägungen, soweit es (unter Bezugnahme auf Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 54 Rn. 9) darauf verweist, zu einer Beiladung nur verpflichtet zu sein, sofern vom Beizuladenden ein Beitrag zur Sachaufklärung zu erwarten sei. Dies stellt im Rahmen der Ermessensbetätigung nur e i n e n Gesichtspunkt dar, der eine Beiladung rechtfertigen kann. Demgegenüber hat nach der Rechtsprechung des Senats die Ermessensausübung eine Antwort darauf zu geben, ob die Interessenberührung in ihrer Gesamtheit eine solche Nähe zum Entscheidungsgegenstand aufweist und so gewichtig ist, dass eine Beiladung mit den dadurch gegebenen Verfahrensrechten bei wertender Betrachtungsweise angemessen erscheint (vgl. Senat WuW/E DE-R 523, 527- SPNV; 1029 - E.ON/Ruhrgas : Greenpeace). Im Übrigen können Verfahrensrechte allein dadurch, dass der Antragsteller selbstverständlich zu unterrichten und erneut anzuhören ist, sollte der Beteiligte (V.) die Wettbewerbsregeln im derzeitigen Anerkennungsverfahren einer wesentlichen Änderung unterziehen, nicht ausreichend gewahrt werden. Denn der Antragsteller hat infolge der festzustellenden Interessenberührung ein Interesse daran, schon an den gegebenenfalls auftretenden Überlegungen, ob eine (denkbare) Änderung wesentlich oder geringfügig und vernachlässigbar ist, im Hauptverfahren beteiligt zu werden.
Bei dieser Sachlage überwiegt auch der vom Bundeskartellamt angeführte Gesichtspunkt einer Verfahrensökonomie und -beschleunigung im vorliegenden Fall für sich allein betrachtet nicht das Interesse des Antragstellers, die von ihm repräsentierten Belange durch eine förmliche Beteiligung und Beiladung im Anerkennungsverfahren zur Geltung zu bringen. Das Hauptverfahren war im Zeitpunkt der Zurückweisung des Beiladungsantrags des Antragstellers knapp sechs Monate beim Bundeskartellamt anhängig. Bei einer derartigen, mit Rücksicht auf die Erfordernisse des Anhörungsverfahrens und der Sachprüfung noch nicht überlangen Verfahrensdauer kommt dem Gesichtspunkt einer Verfahrensbeschleunigung gegenüber den auf dem Spiel stehenden sachlichen Interessen noch kein Übergewicht zu.
Ungeachtet dessen teilt der Senat allerdings die grundsätzliche Haltung des Bundeskartellamts, die Zahl von Beiladungen in Kartellverwaltungsverfahren nach Möglichkeit zu begrenzen. Demzufolge hat der Senat in seinem Beschluss vom 5.12.2002 (Az. 37/02 (V) - Gasversorgung Oberschwaben) die Beschwerde eines Antragstellers gegen die Ablehnung seiner Beiladung durch das Bundeskartellamt zurückgewiesen, weil zu Gunsten anderer Antragsteller, welche dieselben wirtschaftlichen Interessen verfolgten wie der Beschwerdeführer, bereits mehrere Beiladungen ausgesprochen worden waren. Jedoch hat der Senat dem Interesse an einer Konzentration und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens nur in diesem Kontext einen höheren Rang als den sachlichen Interessen des Beiladungswilligen zugemessen. Der vorliegende Fall liegt indes anders. Denn im Verfahren der Anerkennung der Wettbewerbsregeln des V. hat das Bundeskartellamt - soweit ersichtlich - bislang keine andere Person oder Personenvereinigung beigeladen. Ob bei einer derartigen Sachlage im Verwaltungsverfahren grundsätzlich wenigstens je ein Vertreter der verschiedenen sich gegenüber stehenden Interessen beizuladen ist (so KG WuW/E OLG 2021, 2022 - Bahnhofsbuchhandlung - unter Hinweis auf die frühere Entscheidung KG WuW/E OLG 392, 394 - Exportförderung), kann offen bleiben. Jedenfalls kann festgestellt werden, dass infolge einer Beiladung des Antragstellers eine unzumutbare Belastung des vorliegenden Verwaltungsverfahrens nicht zu erwarten ist.
Nach Abwägung der im Rahmen der Ermessensausübung wesentlichen und vorstehend dargestellten Gesichtspunkte erscheint dem Senat eine Beiladung des Antragstellers zum Anerkennungsverfahren geboten. Da rechtliche Hindernisse, namentlich auch Geheimhaltungsinteressen, nicht entgegenstehen, hat der Senat die Verpflichtung des Bundeskartellamts, den Antragsteller zum Verfahren beizuladen, ausgesprochen (§ 71 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 1 GWB; vgl. insofern auch KG WuW/E OLG 2021, 2023 - Bahnhofsbuchhandel).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 GWB. Dem Beteiligten, der keinen Sachantrag gestellt hat, sind weder Auslagen zu erstatten noch ist er an den entstandenen Kosten und Auslagen zu beteiligen.
W.
OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 16.06.2004
Az: VI-Kart 2/04 (V)
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