Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Mai 2003
Aktenzeichen: 14 W (pat) 3/01

(BPatG: Beschluss v. 13.05.2003, Az.: 14 W (pat) 3/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Mit dem angefochtenen Beschluß vom 10. November 2000 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 42 20 274 mit der Bezeichnung

"Gegen Abplatzungen bei Brandbeanspruchung beständiges Bauteil"

widerrufen.

Dem Beschluß liegen der mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1999 vorgelegte Anspruch 1 sowie die erteilten Ansprüche 2 bis 6 zugrunde, zu deren Wortlaut auf die Streitpatentschrift verwiesen wird. Anspruch 1 vom 19. Oktober 1999 lautet:

"Gegen Abplatzungen bei Brandbeanspruchung beständige Stahlbetonbauteile oder Spannbetonbauteile aus hochfestem Beton mit einer über die Festigkeitsklasse B 55 hinausgehenden Festigkeit, dadurch gekennzeichnet, daß der Beton 0,1 bis 0,3 Vol.-% Polyolefinfasern enthält, die durch Erweichen, Schmelzen oder Zersetzen bei Temperaturen von 150 bis 300¡C ein Kapillarsystem mit im wesentlichen linearen Kapillaren mit einem Durchmesser zwischen 10 und 100 µm und einer Länge zwischen 5 und 35 mm ausbilden können."

Der Widerruf ist im wesentlichen damit begründet, die Merkmale dieses Hauptanspruchs seien für einen Durchschnittsfachmann durch die Entgegenhaltung

(1) Deutsche Übersetzung der SE 460 118 B nahegelegt. Der Gegenstand des Streitpatents unterscheide sich von dem hieraus bekannten Stand der Technik durch die Forderung, Stahlbeton- oder Spannbetonbauteile anstelle von Stahlfaserbetonbauteilen gegen Abplatzungen bei Brandbeanspruchung zu schützen. In (1) finde sich die technische Lehre, zur Vermeidung explosionsartiger Abplatzungen durch das Verdampfen von Wasser eine Porosität bei Bedarf, dh bei Erhitzung zu erreichen. Dies werde durch Zugabe von Kunstharzfasern erreicht, die bei Erhitzung durch Erweichen, Schmelzen und Vergasen die Ausbildung von Kapillarkanälen bewirkten, durch welche der entwickelte Wasserdampf austreten könne. Patentgemäß werde der gleiche Weg für den Fall hochfesten Stahl- oder Spannbetons beschritten. Dessen bekannte Zusammensetzung trage selbst nichts zur Lösung der Aufgabe bei, ein destruktives Abplatzen bei Brandbeanspruchung zu verhindern.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des Patentinhabers, mit der er sein Patentbegehren mit den Patentansprüchen 1 bis 4 gemäß Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag I, weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag II, jeweils vom 14. Juni 2002 und jeweils unter Streichung der in diesen Anspruchssätzen enthaltenen Ansprüche 5 und 6, weiterverfolgt.

Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Gegen Abplatzungen bei Brandbeanspruchung beständiges Stahlbeton- oder Spannbetonbauteil aus hochfestem Beton mit einer über die in der DIN 1045 erfaßten höchsten Festigkeitsklasse B 55 hinausgehenden Festigkeit, wobeider Beton 0,1 bis 0,3 Vol.-% Polyolefinfasern enthält, die durch Erweichen, Schmelzen oder Zersetzen bei Temperaturen von 150 bis 300¡C ein Kapillarsystem mit im wesentlichen Kapillaren mit einem Durchmesser zwischen 10 und 100 µm und einer Länge zwischen 5 und 35 mm ausbilden können."

Der Hauptanspruch gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich hiervon durch die Einfügung der Angabe "kreisförmigen Querschnitts" nach "Polyolefinfasern".

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II hat folgenden Wortlaut:

"Verwendung von Polyolefinfasern kreisförmigen Querschnitts, die durch Erweichen, Schmelzen oder Zersetzen bei Temperaturen von 150 bis 300¡C ein Kapillarsystem mit im wesentlichen linearen Kapillaren mit einem Durchmesser zwischen 10 und 100 µm und einer Länge zwischen 5 und 35 mm ausbilden können, zur Herstellung eines gegen Abplatzungen bei Brandbeanspruchung beständigen Stahlbeton- oder Spannbetonbauteils aus hochfestem Beton mit einer über die in der DIN 1045 erfaßten höchsten Festigkeitsklasse B 55 hinausgehenden Festigkeit, wobei die Polyolefinfasern dem Beton in Mengen von 0,1 bis 0,3 Vol.-% zugesetzt werden."

Der Patentinhaber trägt im wesentlichen vor, (1) könne nicht als nächstgelegener Stand der Technik angesehen werden, dieser werde vielmehr durch äußere Netzbewehrungen an hochfesten Stahlbetonbauteilen zur Verhinderung des Abfallens von im Brandfall abgeplatzten Betonschalen gebildet. Hiervon ausgehend, könne der Fachmann auch aus (1) keine Anregung zur patentgemäßen Lösung des Problems erhalten. (1) sei stets im Zusammenhang mit

(1b) SE 381 452 B und deutsche Übersetzungauszulegen, auf deren Lehre sie aufbaue. (1) betreffe in Übereinstimmung mit

(Anlage 6) Betonkalender, Tl. 1, Ausgabe 1996, Auszug "Faserbeton", Seiten 111 bis 114 lediglich dünne Platten oder Scheiben aus Stahlfaserbeton und keine tragenden Bauteile aus hochfestem Beton, welcher ein grundlegend anderes Brandverhalten aufweise als herkömmlicher Beton. Die Fachwelt habe ausweislich

(Anlage 1) "Hochleistungsbeton", Beton-Kalender 1996, Seiten 441 bis 451, 480 bis 483 und 540 bis 545, insbes Seite 481 die Erwärmungseigenschaften von Hochleistungsbetonen nicht durch Extrapolation der Normalbetoneigenschaften ableiten können. Die nach (1) einzusetzenden Krenit¨-Fasern seien keine geeigneten Polypropylenfasern im Sinne des Streitpatents, sondern - wie aus

(Anlage 7a) Produktdatenblatt zu KRENIT¨-Polypropylen-Spleißfasern (2 Seiten) und

(Anlage 7b Internetausdruck vom 31. Juli 2001 zu allgemeinen Informationen bezüglich Polypropylenfasern (www.fibrin.at/allanwe.htm)

ersichtlich - Polypropylenbänder mit feinen Abspleißungen an den Enden, die keine linearen Kapillaren entsprechend dem Wortlaut des Anspruchs 1 ausbilden könnten. Darüber hinaus unterscheide sich der in (1) vorgeschlagene Anteil von 0,4 bis 0,8 Vol.-% an Krenit¨-Fasern vom patentgemäß einzuhaltenden von 0,1 bis 0,3 Vol.-% und Vergleichsversuche zeigten nach

(Anlage 8) Untersuchungsbericht des Instituts für Baustofflehre, Bauphysik & Brandschutz der Technischen Universität Wien vom 2. Januar 2002, daß ein Einbau von Polypropylenbändern in diesen Mengen eine Verschlechterung des Abplatzverhaltens im Vergleich zu Probekörpern ohne Polypropylenbänder bewirke. Aus

(Anlage 4) Neue Entwicklungen beim Einsatz von Hochleistungbeton, Philipp Holzmann AG, 1995, Seiten 1 bis 12 einer Nachveröffentlichung der Einsprechenden II, und aus späteren Anmeldungen der Einsprechenden I gemäß

(9a) DE 196 45 604 A1

(9b) EP 0 841 468 A1

(10) DE 195 10 338 A1 sowie ihrer hauseigenen Zeitschrift

(Anlage 12a) BAUBUDE, "Mit Dampf durch die Gassen ...", Ausgabe März 2002 ergebe sich, daß die Einsprechenden die Lehre des Streitpatents als neue Entwicklung bewertet und von ihr Gebrauch gemacht hätten. Durch die weiteren Nachveröffentlichungen

(Anlage 12b) Beilagenteil "Technik und Motor" der FAZ vom 29. Januar 2002 und

(Anlage 12c) Wirtschaftsteil einer Braunschweiger Zeitung vom 1. April 2000 "Schlanke Stützen für mehr Wohnqualität..."

werde belegt, daß sich die streitpatentgemäße Lehre in dieser Praxis bewährt habe und ausweislich der Schutzrechtsanmeldung

(11) DE 100 09 374 A1 und der späteren Veröffentlichung

(12) Skript "Zum Abplatzverhalten von Hochleistungsbetonen unter Brandangriff" des Instituts für Baustofflehre, Bauphysik und Brandschutz der Technischen Universität Wien, Heft 7, 2001, Seiten 5, 6, 152, 161 sei sie von der Fachwelt auch immer wieder aufgegriffen worden. Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sich der Patentinhaber mehrfach auf

(Anlage 5) Entscheidung T 799/99 der BK 3.3.5. des EPA vom 15. Januar 2002 über die Aufrechterhaltung des parallelen europäischen Patents 0 575 886.

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2003 hat der Patentinhaber die Teilung des Patents gemäß § 60 PatG erklärt.

Der Patentinhaber beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Restpatent aufrechtzuerhalten mit den Patentansprüchen 1 bis 4 unter Streichung der Ansprüche 5 und 6 gemäß Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 4 unter Streichung der Ansprüche 5 und 6 gemäß Hilfsantrag I, weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 4 unter Streichung der Ansprüche 5 und 6 gemäß Hilfsantrag II, jeweils vom 14. Juni 2002 sowie jeweils mit angepaßter Beschreibung vom 14. Juni 2002.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, der Fachmann habe (1) die Anregung entnehmen können, zur Verbesserung des Brandverhaltens von hochfesten Beton Polypropylenfasern einzubringen; zur Ermittlung günstiger Dimensionen und Gewichtsanteile seien lediglich übliche Versuche zur Optimierung notwendig gewesen.

Wegen weiterer Einzelheiten des schriftlichen Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II Die Beschwerde des Patentinhabers ist zulässig. Sie konnte jedoch nicht zum Erfolg führen, weil die Gegenstände des Anspruchs 1 nach Hauptantrag, des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag I sowie des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

Als nächstgelegenen Stand der Technik sieht der Senat - in Übereinstimmung mit dem Patentinhaber und der Beschwerdekammer 3.3.5. des EPA - netzbewehrte Bauteile aus hochfestem Beton an (vgl Streit-PS S 2 Z 37 bis 40, uU S 3 Abs 2, Anlage 4, S 6 in Verbindung mit S 4 reSp Abs 2 und Anlage 5, Brückenabs S 6/7).

Hiervon ausgehend stellt sich dem Fachmann sinngemäß die Aufgabe, bei Bauteilen aus hochfestem Beton das destruktive Abplatzen unter Brandbeanspruchung zu verhindern (Streit-PS S 2 42/43, vgl auch Anlage 5, S 7 Abs 2).

Der für die Lösung dieser Aufgabe zuständige Fachmann ist ein auf dem Gebiet der Betonherstellung versierter Praktiker mit (Fach)hochschulausbildung und mehrjähriger einschlägiger Erfahrung. Ihm erschließt sich ohne weiteres, daß auf dem speziellen Gebiet der hochfesten Bauteile noch keine Lösungen beschrieben sind. Somit ist er gehalten, sich auch auf dem unmittelbar benachbarten Gebiet der nicht hochfesten Betone zu informieren.

Damit ist Entgegenhaltung (1) als relevanter Stand der Technik zu werten. Denn (1) betrifft zwar keine Stahlbetonbauteile oder Spannbetonbauteile aus hochfestem Beton, sondern lediglich stahlfaserbewehrte Betonmassen, die vorzugsweise für dünnwandige Konstruktionen, dünne Scheiben bzw dünne Platten verwendet werden (Zusammenfassung iVm S 2 Abs 3). Sie befaßt sich aber ausdrücklich mit der Gefahr des explosionsartigen Abplatzens im Brandfall (Zusammenfassung Abs 2, S 2 Abs 4 und S 3 Abs 2) und lehrt, zur Verhinderung derartiger Abplatzungen dünne Fasern mit einer Stärke von 20 bis 40 µm einzumischen, vorzugsweise aus Kunstharz, beispielsweise Polypropylen (Ansprüche 1 und 2). Als (einziges) Beispiel sind Krenit¨-Fasern einer Länge von 6 bis 12 mm, einer Stärke von 20 bis 40 µm und einer Breite von 100 bis 300 µm angegeben (S 2 Abs 2).

Nach (1) ist zwar ein besonders erwünschter Effekt des Faserzusatzes, das Sedimentieren der in der Betonmasse vorliegenden Stahlfasern zu verhindern (Zusammenfassung, Anspruch 1 sowie S 1 Abs 3 bis S 2 Z 2). Der weitere vorteilhafte Effekt, die in Rede stehende Verhinderung des Abplatzens im Brandfall durch Erzielung von Porosität im Bedarfsfall, ist aber - wie erwähnt - ebenfalls deutlich herausgestellt. Diese vorteilhafte Wirkung wird darauf zurückgeführt, daß die Kunstharzfasern im Brandfall weich werden, schmelzen, vergasen bzw verdampft werden und hierdurch Kapillarkanäle ausbilden, durch die der entwickelte, für das Abplatzen als ursächlich angesehene Wasserdampf austreten kann (Zusammenfassung Abs 2, Anspruch 1 u S 2 Abs 4 bis S 3 Abs 2).

Für den Fachmann ist ersichtlich, daß diese zweitgenannte Wirkung nicht an das Vorhandensein der Stahlfasern gebunden ist. Er wird sie auch nicht auf die in (1b), Seite 2 angegebene Mörtelzusammensetzungen beschränkt lesen, denn die Ausführungen in (1) Seite 2 Abs 4/5 beziehen sich allgemein auf einen Vergleich von poröserem Beton mit einem dichterem Beton mit höherem Zementgehalt, in dem bei Bedarf Porosität durch die beschriebene Maßnahme erzielt wird. Der Fachmann erhält damit hinreichend Anregung, die Eignung der in (1) beschriebenen Wirkung von Polypropylenfasern für Bauteile aus hochfestem Beton zu überprüfen.

Daß nach (1) die Gefahr des explosionsartigen Abplatzens mit höherem Feuchtigkeitsgehalt zunehmen soll (S 3 Abs 2), demgegenüber aber bei hochfestem Beton mit besonders niedrigem Wassergehalt bei Brandbeanspruchung stets explosionsartige Abplatzungen aufgetreten sind (Streit-PS S 2 Z 24/25), stellt keinen für den Fachmann unauflösbaren Widerspruch dar, da er sich mit der unterschiedlichen Bindung des vorhandenen Wassers erklären läßt. Dieser Umstand berechtigt den Fachmann ebensowenig dazu, die in (1) diskutierte Bildung von Kapillarkanälen ohne jede experimentelle Überprüfung als für hochfesten Beton ungeeignet zu bewerten, wie die Erwartung, daß durch den Einbau der Fasern die Festigkeit herabgesetzt wird. Denn diesem vorhersehbaren Effekt kann der Fachmann durch Verwendung eines Betons Rechnung tragen, der - ohne eingelagerte Fasern - die Mindestfestigkeit der Klasse B 55 nicht gerade eben, sondern mit einem deutlichen Sicherheitszuschlag übertrifft (wie zB der in der Streit-PS S 2 Z 25 bis 27 genannte B 85).

Die naheliegende Verwendung von 0,4 Vol. -% der in (1) auf Seite 2 Absatz 2 beschriebene Krenit¨-Fasern in einem Bauteil aus hochfestem Beton führt aber unmittelbar zu einem Gegenstand, der mit Ausnahme des geringfügig niedrigeren Gehalts an Polyolefinfasern (0,3 gegenüber 0,4 Vol.-%) und der über den Durchmesser von 10 bis 100 µm hinausreichenden Breite von 100 bis 300 µm alle Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag aufweist. Insbesondere können die Fasern nach Überzeugung des Senates durch Erweichen, Schmelzen oder Zersetzen bei Temperaturen von 150 bis 300¡C ein Kapillarsystem mit "im wesentlichen linearen" Kapillaren ausbilden, denn eine Länge von 6 bzw 12 mm übertrifft die maximale Breite von 300 µm um den Faktor 20 bzw 40. Derartige langgestreckte Bänder erfüllen aber das Merkmal "im wesentlichen linear" und die Ausbildung des Kapillarsystem ist bei zu unterstellender fachmännischer, dh homogener Untermischung eine Funktion der Fasermengen.

Aufgrund der weitreichenden Übereinstimmung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag kann das Ergebnis des wie aufgezeigt naheliegenden orientierenden Versuches nicht derart entmutigend sein, daß es den Fachmann von einer weiteren Optimierung abhalten könnte. Der gegenüber Anspruch 1 geringfügig höhere Gehalt von 0,4 Vol.-% kann für sich genommen ausweislich des Beispiels in der Streitpatentschrift mit 4 kg Polypropylenfasern pro m3 Beton, was nach der Umrechnung gemäß Seite 3 Zeilen 27/28 (mit einer Dichte von 1 g/cm3; Krenit¨-Fasern haben nach Anlage 7a eine Dichte von 0,91 g/cm3) einer Größenordnung von 0,4 Vol.-% (bei genauer Umrechnung 0,44 Vol.-%) entspricht, die günstigen Versuchsergebnisse nicht beeinträchtigen. Eine bandförmige Querschnittsform der Fasern ist gemäß Seite 3 Zeilen 18/19 für die Ausbildung des Kapillarsystems nicht störend.

Die weitere Optimierung führt mit reinen Routineversuchen in den Bereich von 0,1 bis 0,3 Vol.-%, da der Fachmann aufgrund der vorhersehbaren Herabsetzung der Druckfestigkeit eine Minimierung des Faseranteils anstreben wird.

In weitere Optimierungsversuche hat der Fachmann auch die Verwendung üblicher Polypropylenfasern mit kreisförmigem Querschnitt einzubeziehen. Nach (1) sind zwar Krenit¨-Fasern bevorzugt; die allgemeine Lehre umfaßt aber auch andere übliche Ausführungsformen von Polypropylenfasern. Das Argument, Krenit¨-Fasern seien billiger, ist kein technischer Vorbehalt gegen den Einsatz von Polypropylenfasern mit kreisförmigem Querschnitt. Ein gegebenenfalls in Kauf zu nehmender wirtschaftlicher Nachteil ist bei den geringen Anteilen an Fasern überschaubar; dem Fachmann ist eine Abwägung mit eventuell erzielbaren technischen Vorteilen zuzumuten.

Damit ergibt sich nicht nur ein Bauteil mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, sondern auch die Gegenstände des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag I und des sich hiervon lediglich in der Wahl der Patentkategorie, aber nicht in gegenständlichen Merkmalen unterscheidende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II.

Mit dem als Anlage 8 eingereichten Untersuchungsbericht kann die dargelegte Begründung für das Naheliegen dieser Gegenstände nicht in Frage gestellt werden. Dieser Untersuchungsbericht kann nicht belegen, daß die Angaben in (1) unzutreffend oder rein spekulativ sind, denn die untersuchten Betonrezepturen weichen erheblich von der in (1b) auf Seite 10 wiedergegebenen "Zusammensetzung des Fiberbetons" ab, und zwar nicht nur bezüglich der Verhältnisse von Wasser: Zement: Zuschlag, sondern auch bezüglich des Gehaltes und der Dimensionen der Stahlfasern.

Mit dem Untersuchungsbericht kann auch nicht glaubhaft gemacht werden, daß die Nacharbeitung des Beispiels der Streitpatentschrift mit Krenit¨-Fasern gemäß (1) anstelle der angegebenen Polypropylenfasern zu unbrauchbaren Ergebnissen führt, denn auch vom Mischungsaufbau dieses Beispiels unterscheiden sich die Betonrezepturen gemäß Tabelle 2-1 der Anlage 8 schon hinsichtlich der Bestandteile Zement, Wasser, Zuschlag und Silikatstaub ganz erheblich. Der Untersuchungsbericht zeigt somit lediglich, daß die vom Patentinhaber wie vorgetragen vorgenommenen Abänderungen der Lehre nach (1), um zu einem hochfesten Beton zu gelangen, keinen geeigneten Ansatz zur Lösung der gestellten Aufgabe darstellen.

Auch die vom Patentinhaber vorgetragenen Hilfserwägungen zum Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit geben zu keiner anderen Beurteilung Anlaß. Zwar wird vom Senat als zutreffend erachtet, daß das Streitpatent sich in der Praxis bewährt hat, zu einer Vielzahl von korrespondierenden Patenten im Ausland geführt hat, autorisiert und unautorisiert von anderen benützt wird und zu Weiterentwicklungen auch in Form späterer Patentanmeldungen angeregt hat. Die Brauchbarkeit einer Erfindung ist nach der einschlägigen Rechtsprechung indessen nur dann als Beweisanzeichen für eine erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen, wenn es sich nicht lediglich um die normale soziale Brauchbarkeit als dem Erfindungsbegriff immanentes Kriterium, sondern um eine überragende gesellschaftliche Brauchbarkeit, dh einen echten sozialen Fortschritt handelt (Schulte PatG 6. Aufl § 4 Rdn 80, BPatG GRUR 1995, 397). Ein derartiger Ausnahmefall ist aber vorliegend weder geltend gemacht noch ersichtlich. Lizenzvergabe, Lob der Fachwelt, Mitbenutzungsrechte, Nachahmung und wirtschaftlicher Erfolg können zwar für den Wert einer Erfindung und damit ergänzend gegen ein Naheliegen sprechen, jedoch ein Naheliegen auf Grund des vorliegenden Standes der Technik nicht gegenstandslos machen bzw nicht quasi zwangsläufig zu einer positiven Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit führen (Schulte PatG 6. Aufl § 4 Rdn 66, 67, 102, 103, 108, 109, 132, 133; T 351/93 Abl 96 Sonder A 32). Dies würde auch für den Zeitfaktor gelten (Schulte PatG 6. Aufl § 4 Rdn 136), der aber aus dem seit längerem bekannten Einbau von Polypropylenfasern in Feuerfestmassen nicht abgeleitet werden kann, da Feuerfestmassen einen weniger relevanten Stand der Technik darstellen als der Stahlfaserbeton gemäß (1).

Nach alledem sind Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I und Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II mangels Patentfähigkeit ihrer Gegenstände nicht rechtsbeständig.

Die Unteransprüche 2 bis 4 nach Hauptantrag, Hilfsantrag I und Hilfsantrag II, zu deren Wortlaut auf den Akteninhalt verwiesen wird, müssen das Schicksal des jeweiligen Patentanspruchs 1 teilen, da über die Anträge nicht teilweise entschieden werden kann.

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BPatG:
Beschluss v. 13.05.2003
Az: 14 W (pat) 3/01


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