Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 23. Juli 2013
Aktenzeichen: I-20 U 116/12
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 23.07.2013, Az.: I-20 U 116/12)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18. Juni 2012 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mönchengladbach abgeändert, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt wurde und wird der Beklagte verurteilt, es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, geschäftlich handelnd apothekenpflichtige Arzneimittel im Rahmen der Botenzustellung durch Auszubildende an Kunden abgeben zu lassen, wenn nicht zuvor eine persönliche Beratung durch entsprechend qualifiziertes pharmazeutisches Personal in der Apotheke stattgefunden hat.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 10.000,00 € abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
A)Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Der Kläger ist die X. Der Beklagte betreibt in H. eine Apotheke. Diese bietet als Service ein sogenanntes Pillentaxi an, bei dem telefonisch in der Apotheke bestellte Arzneimittel durch Boten zugestellt werden.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist ein Vorgang vom 11.09.2011, einem Samstag. An diesem Tag rief die Zeugin W. in der Apotheke des Beklagten an und bestellte bei der Mitarbeiterin M. des Beklagten das ärztlich verschriebene Antbiotikum "Amoxi 250 Trockensaft" und das apothekenpflichtige Mittel "Ducolax Zäpfchen". Die Anlieferung erfolgte sodann durch eine Auszubildende. Die Zeugin W. erkundigte sich nach der Anwendung des Antibiotikums, worauf die Botin des Beklagten darauf verwies, als Auszubildende keine pharmazeutischen Fragen beantworten zu können. Der Kläger sieht in diesem Verhalten einen Verstoß gegen die Beratungspflicht des § 20 ApoBetrO und die entsprechenden Vorschriften der Berufsordnung der Apothekerkammer Nordrhein.
Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers. Er meint, § 20 ApoBetrO beinhalte keine zwangsweise Beratung. Es müsse ausreichen, dass die Zeugin W. ja während der Öffnungszeiten der Apotheke hätte dort anrufen können.
Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründeten Berufung.
Er macht weiter geltend, das Verhalten des Beklagten stelle einen nach § 4 Nr. 11 UWG unlauteren Verstoß gegen § 20 ApoBetrO und einen Verstoß gegen § 10 der Berufsordnung dar.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bestreitet weiter die Aktivlegitimation des Klägers und verteidigt im Übrigen das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Sachvortrages. Im Übrigen handele der Kläger rechtsmissbräuchlich. Hinter dem Kläger stehe die Apothekerkammer Nordrhein. Diese könne aber auf einfacherem Wege im Verwaltungsverfahren gegen ihn vorgehen.
Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
B)Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger kann von dem Beklagten nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 20 ApoBetrO verlangen, dass dieser es unterlässt, durch zur pharmazeutischen Beratung ungeeignete Boten wie z.B. Auszubildende Arzneimittel zustellen zu lassen, wenn nicht zuvor eine pharmazeutische Beratung durch geeignetes Fachpersonal stattgefunden hat. Dem steht nicht entgegen, dass Kunden von Apotheken nicht gezwungen werden können, eine Beratung entgegen zu nehmen. Im Sinne des verständig zu würdigenden Tenors erfüllt der Beklagte nämlich seine Beratungspflicht auch dann, wenn er aktiv den Beratungsbedarf erfragt beziehungsweise erfragen lässt, mag daraufhin der Kunde eine Beratung auch ablehnen. Das gilt insbesondere dann, wenn wie hier, durch Nachfragen des Kunden deutlich wird, dass eine ursprüngliche Annahme, der Kunde bedürfe keiner Beratung, irrig war. Die Nachfrage zeigt vielmehr, dass eine Pflicht zum aktiven Handeln besteht, die der Beklagte hier nicht erfüllt.
Ohne Erfolg bestreitet der Beklagte die Aktivlegitimation des Klägers. Der Kläger, zu dessen Mitgliedern unter anderem sämtliche Industrie- und Handelskammern zählen, hat auf Grund seiner Mitgliederstruktur eine umfassende Verbandsklagebefugnis für das gesamte Bundesgebiet (BGH GRUR 1995, 122 - Laienwerbung für Augenoptiker; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., Einl. Rn. 2.29).
Ein rechtmissbräuchliches Verhalten des Klägers ist nicht ersichtlich. Es mag sein, dass der Kläger auf Veranlassung der Apothekerkammer Nordrhein tätig geworden ist. Ein Vorgehen auf Veranlassung einer Kammer oder eines Mitbewerbers dürfte bei Verbänden und insbesondere bei dem Kläger sogar der Regelfall sein. Dass die Kammer selbst gegen den Beklagten vorgehen könnte, führt nicht dazu, dass der Kläger den ihm als Verband zustehenden Unterlassungsanspruch nicht durchsetzen könnte.
Nach § 3 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen verboten. Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt insbesondere derjenige unlauter, der einer gesetzlichen Vorschrift zuwider handelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
§ 20 ApoBetrO regelt sowohl in der bis zum 11.06.2012 geltenden (nachfolgend als a.F. bezeichnet) als auch in der aktuellen Fassung die Beratung der Kunden beim Erwerb von Arzneimitteln in der Apotheke und stellt damit eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 4 Rn. 11.77).
Zu Recht gehen die Parteien davon aus, dass ein Unterlassungsanspruch voraussetzt, dass das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung, als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung verboten ist. Allerdings hat sich dadurch, dass nunmehr nach § 17 Abs. 2 ApoBetrO ausdrücklich eine Beratung durch das pharmazeutische Personal der Apotheke in unmittelbaren Zusammenhang mit der Auslieferung erfolgen muss, wenn eine solche nicht zuvor in der Apotheke stattgefunden hat, der Sache nach das Recht nicht fördert. Die neue Forderung bedeutet lediglich eine Klarstellung und Präzisierung der zuvor schon geltenden Rechtslage.
Auch schon nach § 20 Abs. 1 ApoBetrO a.F., der inhaltlich dem jetzigen Absatz 1a entspricht, bestand ein Pflicht des Apothekers, den Kunden zu informieren und zu beraten. Dabei war und ist der Vorschrift eine Verpflichtung zum aktiven Tun, nämlich der Ermittlung und Befriedigung des Informationsbedarfs zu entnehmen (Pfeil/Piek, ApoBetrO, Stand 9. Erg. Lfrg. 2012, § 20 Rn. 23, 57). Der Apotheker oder entsprechend qualifiziertes Personal musste also schon früher durch gezielte Nachfrage den Informationsbedarf des Patienten von sich aus ermitteln. Dass er erst auf Nachfrage entsprechend berät, reicht nicht aus. Aus dem Umstand, dass im Versandhandel die Möglichkeit der telefonischen Beratung als ausreichend angesehen wird, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Der Kunde, der sich an eine Versandapotheke wendet, nimmt dabei nämlich bewusst in Kauf, dass eine Information und Beratung nur telefonisch stattfinden kann. Der Kunde, der sich jedoch an den örtlichen Apotheker wendet, verzichtet nicht in gleicher Weise auf eine Beratung. Vielmehr wird er berechtigterweise erwarten, durch den Apotheker oder das pharmazeutische Fachpersonal ausreichend unterrichtet zu werden.
Bei der im Einzelfall zulässigen Zustellung durch Boten durch den stationären Apotheker geht auch § 17 Abs. 2 ApoBetrO a.F. ganz offensichtlich davon aus, dass die Beratung entweder schon bei der Bestellung in der Apotheke stattgefunden hat oder aber der Bote nicht nur die Ware überbringt, sondern auch eine Beratung und Information des Kunden übernehmen kann.
Das bedeutet im Übrigen nicht, dass der Kunde in jedem Fall verpflichtet ist, eine "Zwangsberatung" über sich ergehen zu lassen. Wenn der Kunde unmissverständlich auf eine Beratung verzichtet, muss sie ihm nicht aufgezwungen werden. Allein aus dem Umstand einer telefonischen Bestellung kann ein solcher Verzicht auf die Beratung jedoch nicht hergeleitet werden. Die Entscheidung des Kunden für den örtlichen Apotheker statt für eine Versandapotheke zeigt vielmehr, dass der Kunde sich nicht mit den eingeschränkten Diensten der Versandapotheke zufrieden gibt. Die Zustellung durch Boten der Apotheke ist eben keine Form des Versandhandels, sondern der stationären Abgabe von Arzneimitteln.
Davon, dass die Zeugin W. unmissverständlich eine Beratung abgelehnt hätte, kann hier keine Rede sein. Zwar will die Zeugin M. den Eindruck gewonnen haben, die Zeugin bedürfe keiner weiteren Informationen. Sie hat diesen Informationsbedarf aber unstreitig auch nicht erfragt. Woraus sie ihren Eindruck gewonnen haben will, erschließt sich auch nicht. Die Nachfragen der Zeugin W. bei der Anlieferung haben aufgezeigt, dass die Annahme der Zeugin M. jedenfalls unbegründet war. Die Abgabe der Arzneimittel an die Zeugin W. hätte daher so lange unterbleiben müssen, wie eine fachkundige pharmazeutische Beratung nicht gewährleistet war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die hierfür in § 543 Abs. 2 ZPO niedergelegten Voraussetzungen sind nicht gegeben. Als reine Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Beklagten vom 25. April 2013 und des Klägers vom 16. Mai 2013 enthalten kein neues tatsächliches Vorbringen und erfordern daher keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Streitwert: 20.000,00 € (entsprechend der von den Parteien nicht angegriffenen erstinstanzlichen Festsetzung)
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 23.07.2013
Az: I-20 U 116/12
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