Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 3. April 1992
Aktenzeichen: 6 U 7/92
(OLG Köln: Urteil v. 03.04.1992, Az.: 6 U 7/92)
Tenor
Die Berufung des Antragstellers gegen das am 27. November 1991 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn - 14 O 146/91 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Gründe
E n t s c h e i d u n g s g r ü n
d e
Die Berufung ist zulässig, sie hat aber
in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsteller hat einen
Wettbewerbsverstoß der Antragsgegnerin, aufgrund dessen sein
Unterlassungsbegehren gerechtfertigt sein könnte, unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt dargetan.
Der Vertrieb des Erzeugnisses
"S. ITALIENISCHER WERMUTWEIN"
verstößt in der beanstandeten
Ausstattung, die keine Angaben zum Alkoholgehalt enthält, nicht
gegen § 15 a WeinVO und ist deswegen auch nicht gemäß § 1 UWG
wettbewerbswidrig.
Die in § 15 a WeinVO ausgesprochene
Verpflichtung, den Alkoholgehalt in Volumenprozenten anzugeben,
erfaßt nämlich ausschließlich inländische weinhaltige Getränke.
Dies ergibt eine Auslegung der Vorschrift. Die Bestimmung
unterscheidet zwar in ihrem Wortlaut nicht nach in- und
ausländischen weinhaltigen Getränken. Die zu ihrem Erlaß
ermächtigende Gesetzesnorm des § 31 Abs. 6 WeinG, die als
Rechtsgrundlage in der Óberschrift zu § 15 a WeinVO angegeben ist,
bezieht sich jedoch ausschließlich auf inländische weinhaltige
Getränke. Eine dem § 31 Abs. 6 WeinG konforme Auslegung ergibt
mithin, daß auch § 15 a WeinVO lediglich für inländische
weinhaltige Getränke die Angabe der Volumenprozente vorsieht.
Daß sich § 31 Abs. 6 WeinG allein auf
Inlandsprodukte bezieht, ist allerdings seinem Wortlaut allein
nicht zu entnehmen. Insoweit ist vielmehr dem Antragsteller
einzuräumen, daß ohne nähere Differenzierung zu diesem Punkt von
"weinhaltigen Getränken" die Rede ist. Der Sachzusammenhang, in dem
§ 31 Abs. 6 WeinG steht, ergibt jedoch, daß es sich um eine
Regelung handelt, die allein inländische Erzeugnisse zum
Gegenstand hat. Zu Recht hat bereits das Landgericht darauf
hingewiesen, daß der die §§ 30 und 31 WeinG umfassende Titel 1 des
Teils II, 1. Abschnitt des Weingesetzes mit
"inländische weinhaltige Getränke"
überschrieben ist, während Titel 2
desselben Abschnitts die Óberschrift
"ausländische weinhaltige Getränke"
trägt. Schon diese äußere
Kennzeichnung, die den Aufbau des Gesetzes anschaulich macht,
deutet darauf hin, daß § 31 WeinG ausschließlich Vorschriften
enthält, die inländische, nicht aber ausländische Produkte
betreffen.
Bedeutsamer ist noch, daß der übrige
Regelungsinhalt des § 31 WeinG die Vorschrift des § 31 Abs. 6 auch
inhaltlich in einen Zusammenhang stellt, der inländische
weinhaltige Getränke zum Gegenstand hat, während die §§ 32 - 34
WeinG sich mit entsprechenden ausländischen Erzeugnissen befassen.
So wird in § 31 Abs. 1 WeinG, der mit den Worten "Inländische
weinhaltige Getränke" beginnt, die grundsätzliche Verpflichtung
vorangestellt, derartige Produkte als "weinhaltiges Getränk" oder
"weinhaltigen Aperitif" zu bezeichnen. § 31 Abs. 2 WeinG läßt es
nur unter sehr begrenzten Voraussetzungen zu, daß eine engere
geographische Bezeichnung als "deutsch" verwendet oder ein Hinweis
auf die Herkunft der zur Herstellung verwendeten Erzeugnisse
gegeben wird. Daß eine solche Regelung nur deutsche Erzeugnisse
betreffen kann, bedarf keiner näheren Ausführungen. Demgegenüber
werden für ausländische weinhaltige Getränke in § 34 Abs. 1 WeinG
bestimmte Bezeichnungen vorgeschrieben und/oder erlaubt sowie
gefordert, daß bestimmte Angaben in deutscher Sprache erfolgen.
Die Verweisung in § 34 Abs. 2 WeinG auf § 31 WeinG beschränkt sich
sodann auf einzelne Absätze und Sätze, ohne daß § 31 Abs. 6 WeinG
genannt wird. Den klar abgegrenzten Regelungsinhalten einerseits
und der auf bestimmte Teile des § 31 WeinG beschränkten Verweisung
zum anderen ist nach alledem mit hinreichender Deutlichkeit zu
entnehmen, daß § 31 Abs. 6 WeinG ausschließlich inländische
weinhaltige Getränke betrifft.
Der Antragsteller macht geltend, der
Gesetzgeber habe § 31 Abs. 6 WeinG eigens geschaffen, um Art. 3
Abs. 1 Nr. 9 der geänderten Richtlinie 79/112/EWG in nationales
deutsches Recht umzusetzen. Dies sei den Gesetzesmaterialien zu
entnehmen. Daß in § 34 Abs. 2 WeinG nicht auch auf § 31 Abs. 6
WeinG verwiesen werde, stelle ein redaktionelles Versehen dar. § 31
Abs. 6 WeinG sei nachträglich eingefügt worden, dabei sei
offensichtlich übersehen worden, § 34 Abs. 2 WeinG entsprechend zu
ergänzen.
Diese Argumentation vermag die Annahme
nicht zu rechtfertigen, § 31 Abs. 6 WeinG umfasse auch
ausländische Produkte. Dabei kann dahinstehen, ob den Materialien
wirklich der Wille der Gesetzgebungsorgane entnommen werden kann,
auch ausländische Erzeugnisse in die durch § 31 Abs. 6 WeinG
getroffene Regelung einzubeziehen. Zweifelsfrei ist dies schon
deswegen nicht, weil der Gesetzgeber davon ausgehen konnte, daß
jedenfalls Erzeugnisse aus anderen EG-Ländern schon wegen der dort
gleichfalls gebotenen Umsetzung der vorgenannten Richtlinie in
Zukunft Angaben über den Alkoholgehalt enthalten würden.
Jedenfalls aber widersprechen die
Ausführungen des Antragstellers, mit denen er aufgrund der
Gesetzesmaterialien Schlußfolgerungen auf Inhalt und Tragweite
der gesetzlichen Bestimmung ziehen will, wesentlichen Grundsätzen
der Gesetzesauslegung. Maß-gebend für die Auslegung einer
Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende
objektivierte Wille des Gesetzgebers, so, wie er sich aus dem
Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt,
in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die
subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten
Organe über die Bedeutung der Bestimmung. Der
Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung
nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den
angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder
Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht
ausgeräumt werden können (vgl. BVerfGE 1, 299, 312).
Wie bereits ausgeführt, ergibt
vorliegend der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des
Gesetzgebers aufgrund des Sinnzusammenhangs, in den die Bestimmung
hineingestellt ist, daß sie ausschließ-lich inländische Erzeugnisse
betrifft. Sollte, was im übrigen nicht zweifelsfrei zu erkennen
ist, vom Gesetzgeber etwas anderes gewollt gewesen sein, so zwingt
dies aus den angeführten Gründen nicht zu einer abweichenden
Beurteilung.
Für eine enge, die Vorschrift auf
inländische Produkte beschränkende Auslegung spricht überdies, daß
die in § 31 Abs. 6 WeinG ausgesprochene Ermächtigung im Falle
einer weiten Auslegung in Widerspruch zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
stünde, während sie bei enger Auslegung verfassungsgemäß ist. Die
verfassungskonforme Auslegung verdient den Vorzug (vgl. BVerfGE 7,
267, 273).
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt vor,
daß Inhalt, Zweck und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zum
Erlaß von Rechtsverordungen im Gesetz bestimmt werden müssen. Diese
Voraussetzungen wären nicht erfüllt, wenn die vom Antragsteller
angenommene weite Fassung der Norm zugrundegelegt würde.
Zwar ist auch bei Gesetzen, die zum
Erlaß von Verordnungen ermächtigen, wie bei jeder anderen
Gesetzesnorm eine Auslegung möglich. Es genügt, wenn sich Inhalt,
Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem Gesamtzusammenhang, also
aus dem gesamten Gesetz und aus dem Ziel ergeben, das die
gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt (vgl. Maunz/Dürig, Rdnr.
31 zu Art. 80 GG). Die drei genannten Voraussetzungen, die nach
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 "im Gesetz" angegeben sein müssen, müssen
auch nicht in jedem Fall "im Text" des Gesetzes mitgeteilt sein.
Erforderlich ist aber, daß sie aus dem Text bestimmt werden können
(Maunz/Dürig, Rdnr. 33 zu Art. 80 GG; BVerfGE 7, 272; 8, 307; 10,
31). Eben diese Voraussetzung wäre hier nicht erfüllt, wenn auch
ausländische weinhaltige Getränke von § 31 Abs. 6 WeinG erfaßt sein
sollten. Sofern der Gesetzgeber dies beabsichtigt hat, ließe es
sich jedenfalls nicht mit der Bestimmtheit, wie sie für eine
Ermächtigungsnorm im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG geboten ist, dem §
31 Abs. 6 WeinG entnehmen. Óberschrift und Sinnzusammenhang des §
31 WeinG sprechen nämlich aus den oben angeführten Gründen
deutlich gegen eine Erstreckung des Gesetzes auf ausländische
weinhaltige Getränke. Sollte die Regelung gleichwohl einen
weitergehenden Inhalt haben, so wäre insoweit jedenfalls die nach
Art. 80 Abs. 1 GG gebotene hinreichende Deutlichkeit von Inhalt
und Ausmaß der Ermächtigung nicht mehr gegeben.
Der Antragsteller meint weiter, eine
Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Angabe des Alkoholgehalts in
Volumenprozenten ergebe sich hinsichtlich des hier in Rede
stehenden Erzeugnisses jedenfalls unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 Nr.
9 der Richtlinie 79/112/EWG in der Fassung der Richtlinie
86/197/EWG. Der europäische Gerichtshof (EuGH) habe nämlich den
Grundsatz der unmittelbaren Wirkung nicht fristgerecht umgesetzter
Richtlinien entwikkelt, nach dem inhaltlich unbedingte und
hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie auch ohne
einzelstaatliche Umsetzung gerichtlich geltend gemacht werden
könnten. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt
werden.
Der Inhalt einer Richtlinie ist für die
Rechtssubjekte in den Mitgliedsstaaten grundsätzlich kein
unmittelbar geltendes Recht. Vielmehr ist erst das den Richtlinien
angeglichene Recht nationales Recht und dann für den einzelnen
verbindlich (vgl. Baumbach-Hefermehl, 16. Aufl., Einleitung UWG
Rdnr. 609). Allerdings kann eine Richtlinie als Bestandteil des
Gemeinschaftsrechts Außenwirkung erlangen. Dies gilt dann, wenn ein
Mitgliedsstaat seiner Umsetzungspflicht nicht fristgerecht
nachkommt. Von Bedeutung ist dies aber lediglich in dem Sinne, daß
das der Richtlinie widersprechende nationale Recht nicht zum N a c
h t e i l der Betroffenen angewendet werden darf. Auch den vom
Antragsteller zitierten Entscheidungen des Europäischen
Gerichtshofs ist lediglich zu entnehmen, daß sich das einzelne
Rechtssubjekt gegenüber dem Staat - auch vor Gericht - auf den
Inhalt einer Richtlinie berufen kann, wenn sie nicht fristgerecht
umgesetzt worden ist, vorausgesetzt, die Bestimmungen der
Richtlinie erscheinen inhaltlich als unbedingt und ausreichend
genau, so daß es für ihre Annahme keines nationalen
Ausführungsaktes bedarf (EuGH, Sammlung 1974, 1337, 1348 - van
Duyn/Home Office; Sammlung 1982, 53, 71 - Becker/Finanzamt;
Sammlung 1983, 2727, 2743 - Ministère Public/Auer). Verbindlich
ist eine Richtlinie auch dann aber nur für den Mitgliedsstaat,
nicht für den einzelnen. Dieser kann aus einer Bestimmung der
Richtlinie nicht in Anspruch genommen werden (vgl.
Baumbach/Hefermehl a. a. O.).
Soweit der Antragsteller sich zur
Begründung seines Anspruchs auch auf § 3 UWG beruft, fehlt es an
substantiiertem Vorbringen, jedenfalls aber an der gebotenen
Glaubhaftmachung. Der Antragsteller hätte im einzelnen darlegen und
glaubhaft machen müssen, welche Vorstellungen die angesprochenen
Verbraucher haben, wenn ihnen Wermutwein in der beanstandeten
Ausstattung ohne Angabe des Alkoholgehalts angeboten wird, daß
diese Vorstellung inhaltlich unrichtig ist und daß der
hervorgerufene Irrtum wettbewerblich relevant ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 ZPO
mit der Verkündung rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 03.04.1992
Az: 6 U 7/92
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