Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 25. September 1996
Aktenzeichen: 8 E 403/96
(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 25.09.1996, Az.: 8 E 403/96)
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird geändert. Unter Ablehnung des Antrages im übrigen wird der Klägerin für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. -H. aus D. bewilligt. Die von der Klägerin aufzubringenden monatlichen Raten werden auf 150,- DM festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag,
den angefochtenen Beschluß zu ändern
und ihr für das bei dem
Verwaltungsgericht Arnsberg unter dem
Aktenzeichen 9 K 157/95 geführte
Klageverfahren Prozeßkostenhilfe ohne
Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung
von Rechtsanwältin F. -H. aus
D. zu bewilligen,
hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO, § 114 ZPO ist einer Partei, die nach
ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe zu bewilligen,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Klage mit dem schriftsätzlich sinngemäß angekündigten
Antrag,
den Bescheid des Beklagten vom
10. Dezember 1992 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember
1994 aufzuheben,
bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.
§ 45 Abs. 1 SGB X sieht vor, daß ein begünstigender
Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der
Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückgenommen werden darf. Voraussetzung ist
zunächst einmal, daß der begünstigende Verwaltungsakt
rechtswidrig gewesen ist. Im Klageverfahren wird deshalb
geklärt werden müssen, ob die Bewilligungsbescheide des
Beklagten vom 22. Dezember 1988, vom 2. Januar 1990, vom
18. Januar 1991 und vom 9. März 1992 rechtswidrig gewesen
sind, weil der Klägerin in den jeweiligen
Bewilligungszeiträumen vorrangig einzusetzendes Vermögen zur
Verfügung gestanden hat. Dazu bedarf es zunächst einmal
weiterer Sachaufklärung über die jeweilige Höhe des
Sparvermögens in den einzelnen Bewilligungszeiträumen. Sollte
sich ergeben, daß in den einzelnen Bewilligungszeiträumen
verwertbares Sparvermögen vorhanden war, wird sich auf der
Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats
die höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärte Frage
stellen, ob die Bewilligung der Sozialhilfe rechtswidrig war,
weil in dem jeweiligen Bewilligungszeitraum einsetzbares
Vermögen bis in Höhe des bewilligten Betrages zur Verfügung
gestanden hat.
Vgl. OVG NW, Urteile vom
19. November 1993 - 8 A 278/92 -, FEVS
45, 58, vom 2. Mai 1994
- 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 32 und vom
6. Februar 1996 - 8 A 3537/93 - sowie
Beschluß vom 6. September 1996
- 8 E 136/96 -.
Gegen das Urteil vom 6. Februar 1996 - 8 A 3537/93 - ist
Revision eingelegt worden, über die das
Bundesverwaltungsgericht, soweit ersichtlich, bisher nicht
entschieden hat.
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden,
soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes
vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem
öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. In
diesem Zusammenhang wird sich gegebenenfalls im Klageverfahren
die Frage stellen, ob der Beklagte in seinem
Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 1994 die jeweils
angeführten Bewilligungsbescheide bis zu einem Betrag von
21.319,51 DM aufheben konnte bzw. durfte oder ob er sich, wie
im Ausgangsbescheid vom 10. Dezember 1992 geschehen, mit der
Aufhebung der Bescheide bis zu einem Betrag von 5.848,74 DM
begnügen mußte.
Vgl. zum Problem der "Verböserung"
im Widerspruchsverfahren Kopp, VwGO,
10. Auflage 1994, § 68 Rdnr. 10
m.w.N.
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist das Vertrauen in der
Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen
verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die
er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen
rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der
Begünstigte allerdings gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X
nicht berufen, soweit der zurückzunehmende Verwaltungsakt auf
Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht hat. Angaben eines Bevollmächtigten muß
sich der Begünstigte in entsprechender Anwendung des § 278 BGB
zurechnen lassen.
Vgl. OVG NW, Urteil vom
19. September 1994 - 8 A 469/92 -.
Ob diese Voraussetzungen im Falle der Klägerin, wie der
Beklagte in den angefochtenen Bescheiden meint, vorliegen, muß
einer Klärung im Hauptverfahren vorbehalten bleiben und wird
u.a. davon abhängen, welche Angaben die Eltern der Klägerin
anläßlich der Antragstellung vom 4. Oktober 1988 im Sozialamt
des Beklagten über etwaiges Sparvermögen ihrer Tochter gemacht
haben. Gegebenenfalls wird Beweis erhoben werden müssen
darüber, ob dem Beklagten schon bei der Antragstellung am
4. Oktober 1988 bei der Klägerin vorhandenes Sparvermögen
bekannt war.
Soweit die Klage aus den vorstehenden Gründen hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet, ist es der Klägerin zuzumuten, die
Kosten der Prozeßführung durch monatsweise Ratenzahlung
aufzubringen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Einkommen
einzusetzen. Zum Einkommen gehören gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2
ZPO alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Diese Einkünfte
hat die Klägerin in der Beschwerdeschrift vom 11. April 1996
mit 1.909,53 DM angegeben (Rente in Höhe von 1.309,53 DM;
Kindergeld in Höhe von 200,- DM; Pflegegeld in Höhe von
400,- DM). Ob das Pflegegeld Einkommen im Sinne des § 115
Abs. 1 Satz 2 ZPO ist, kann an dieser Stelle offenbleiben,
weil die Weitergabe des Pflegegeldes an die Mutter der
Klägerin - wie noch näher auszuführen sein wird - jedenfalls
als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
ZPO vom Einkommen abzusetzen ist.
Vgl. zur Frage, ob Leistungen nach
dem BSHG zum Einkommen gehören, die
Nachweise bei Baumbach-Lauterbach-
Albers- Hartmann, ZPO, 54. Auflage
1996, § 115 Rdnr. 19; Münchener
Kommentar zur ZPO, 1992, § 115
Rdnr. 14, und OLG Köln, Beschluß vom
30. März 1993 - 25 WF 35/93 -, MDR
1993, 805.
Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO iVm § 76 Abs. 2 Nr. 3
BSHG ist der monatliche Beitrag in Höhe von 21,43 DM für die
von der Klägerin abgeschlossene Sterbeversicherung vom
Einkommen abzusetzen.
Vgl. Lehr- und Praxiskommentar zum
BSHG, 4. Auflage 1994 § 76 BSHG
Rdnr. 28 unter Hinweis auf § 14 BSHG.
Des weiteren ist gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO iVm
der Bekanntmachung des Bundesministers der Justiz zu § 115 ZPO
vom 18. Juni 1996, BGBl I S. 824, ein Freibetrag in Höhe von
649,- DM abzusetzen.
§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO sieht zudem vor, daß vom
Einkommen auch die Kosten der Unterkunft und Heizung
abzusetzen sind, soweit sie nicht in einem auffälligen
Mißverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen. In
der Anlage zu der Beschwerdeschrift hat die Klägerin die
Unterkunftskosten mit 355,37 DM beziffert. Sie setzen sich
zusammen aus der Kaltmiete in Höhe von 222,- DM, aus den
monatlichen Kosten der Àlheizung in Höhe von 30,- DM, aus den
anteiligen Kosten für die Benutzung des Badezimmers in Höhe
von 50,- DM und aus den sonstigen Nebenkosten in Höhe von
53,37 DM. Von den geltend gemachten Unterkunftskosten in Höhe
von 355,37 DM ist ein Betrag in Höhe von 50,- DM für die
Benutzung des Badezimmers wieder abzuziehen, weil eine
Rechtsgrundlage für diese Belastung nicht ersichtlich ist.
Vom Einkommen sind gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO
weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf
besondere Belastungen angemessen ist. Diese besonderen
Belastungen bestehen aus den Beiträgen zu Behindertenverbänden
und dem Betrag für den Kauf einer Wertmarke für Freifahrten
mit dem Behindertenausweis. Dies macht einen monatlichen
Betrag in Höhe von 25,50 DM aus. Als besondere Belastung im
Sinne der vorgenannten Bestimmung ist auch die Weitergabe des
Pflegegeldes in Höhe von 400,- DM monatlich an die Mutter der
Klägerin anzusehen. Das Pflegegeld soll nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem
Pflegebedürftigen ermöglichen, die - grundsätzlich -
unentgeltliche Pflegebereitschaft einer nahestehenden Person
oder eines Nachbarn zu fördern und zu erhalten und von dem
Pflegebedürftigen nicht näher zu belegende Aufwendungen zur
Sicherstellung seiner häuslichen Pflege abzugelten.
Vgl. statt aller das Urteil vom
18. Mai 1995 - 5 C 1.93 -, BVerwGE 98,
248 = FEVS 46, 20.
Dieser Zweck des Pflegegeldes rechtfertigt es, die von der
Klägerin unwidersprochen behauptete Weitergabe des
Pflegegeldes an ihre sie betreuende Mutter als besondere
Belastung abzusetzen, wenn nicht schon viel dafür spricht, das
Pflegegeld nicht als Einkommen im Sinne des § 115 Abs. 1
Satz 2 ZPO anzusehen. Der Klägerin ist es nicht zuzumuten, das
Pflegegeld einzusetzen, um die Kosten der Prozeßführung
aufzubringen.
Vom Einkommen nicht abgezogen werden können die von der
Klägerin in der Anlage zu ihrer Beschwerdeschrift angegebenen
Aufwendungen für Ernährung und Wäschepflege in Höhe von
450,- DM, die anteiligen Kosten für die Benutzung des Telefons
und des Fernsehens sowie die anteiligen Kosten für den Bezug
einer Tageszeitung. Die hierfür aufzubringenden Beträge muß
die Klägerin aus dem laufenden Einkommen bezahlen. Auch die
Rechtsschutzversicherung in Höhe von 70,50 DM jährlich
(=5,87 DM monatlich) kann nicht gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG
vom Einkommen abgesetzt werden.
Vgl. OVG NW, Beschluß vom 15. April
1988 - 8 B 1043/88 -.
Von dem Einkommen der Klägerin in Höhe von 1.909,53 DM ist
mithin ein Betrag in Höhe von 1.451,30 DM abzuziehen, der sich
im einzelnen zusammensetzt aus 21,43 DM gemäß § 115 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 ZPO, aus 649,- DM gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2
ZPO, aus 305,37 DM gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO und aus
425,50 DM gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO. Der Klägerin
verbleibt mithin ein einzusetzendes Einkommen in Höhe von
458,23 DM. Bei einem einzusetzenden Einkommen in dieser Höhe
sieht § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO vor, daß eine monatliche Rate in
Höhe von 150,- DM zugemutet wird, um zu den Kosten der
Prozeßführung beizutragen. Darüber hinaus bestimmt § 115
Abs. 3 ZPO, daß Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt wird, wenn
die Kosten der Prozeßführung der Partei vier Monatsraten nicht
übersteigen. Vier Monatsraten belaufen sich bei der Klägerin
auf 600,- DM.
Demgegenüber betragen die Kosten der Prozeßführung nicht,
wie das Verwaltungsgericht annimmt, ca. 1.000,- DM, sondern
ca. 2.000,- DM. Da das Klageverfahren gemäß § 188 Satz 2 VwGO
gerichtskostenfrei ist, entstehen nur Gebühren und Auslagen
der beauftragten Rechtsanwältin. Diese Gebühren und Auslagen
bemessen sich im vorliegenden Fall nach dem Gegenstandswert,
d.h. nach dem Wert der von der Klägerin zurückgeforderten
Sozialhilfe in Höhe von 21.319,51 DM und nicht - wie das
Verwaltungsgericht meint - in Höhe von 5.848,47 DM. Hiernach
berechnen sich die Gebühren und Auslagen ihrer Anwältin gemäß
§§ 8, 10 BRAGO iVm § 13 Abs. 2 GKG auf der Grundlage eines
Gegenstandswertes in Höhe von 21.319,51 DM. Danach werden
voraussichtlich eine Prozeß-, eine Verhandlungs- und eine
Beweisgebühr in Höhe von 525,- DM, insgesamt 1.575,- DM
entstehen (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 iVm § 123 BRAGO). Hinzu
kommt eine Gebühr für Post- und Telekommunikationsleistungen
in Höhe von 40,- DM (§ 26 Satz 2 BRAGO) und Auslagen für die
Wahrnehmung eines etwaigen Termins zur mündlichen Verhandlung
und Beweisaufnahme in Höhe von ca. 80,- DM (Fahrtkosten ca.
50,- DM und Abwesenheitsgeld ca. 30,- DM gemäß § 28 BRAGO).
Die so voraussichtlich anfallenden Gebühren und Auslagen in
Höhe von 1.695,- DM sind noch um die Umsatzsteuer in Höhe von
15 % zu erhöhen (vgl. § 25 Abs. 2 BRAGO). Zu den Gebühren und
Auslagen in Höhe von 1.695,- DM kommt mithin ein Betrag in
Höhe von 254,25 DM hinzu, so daß sich die Kosten der
Prozeßführung voraussichtlich auf ca. 1.949,- DM belaufen
werden. Dieser Betrag kann von der Klägerin nicht durch
zumutbare Monatsraten in Höhe von 150,- DM für vier Monate
aufgebracht werden. Vielmehr kann der Klägerin lediglich eine
monatliche Rate in Höhe von 150,- DM auf der Grundlage eines
einzusetzenden Einkommens in Höhe von 458,23 DM zugemutet
werden. Dies gilt selbst dann, wenn entsprechend den Angaben
der Klägerin noch ein monatlicher Betrag in Höhe von 50,- DM
für die Benutzung des Bades und von 5,87 DM für die
Rechtsschutzversicherung abgezogen werden, denn § 115 Abs. 1
Satz 4 ZPO sieht vor, daß monatliche Raten in Höhe von
150,- DM für einzusetzendes Einkommen zwischen 400,- DM und
500,- DM zuzumuten sind.
Mit Rücksicht auf die der Klägerin zuzumutende Ratenzahlung
mußte der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ohne
Ratenzahlungsanordnung abgelehnt und die Beschwerde
dementsprechend zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 188 Satz 2, 166 VwGO,
§ 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 25.09.1996
Az: 8 E 403/96
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