Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 21. März 2012
Aktenzeichen: 2 Ws 11 - 12/12

(OLG Hamburg: Beschluss v. 21.03.2012, Az.: 2 Ws 11 - 12/12)

Tenor

Die Beschwerden der Angeschuldigten R. und V. gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 8, vom 22. Dezember 2011 werden auf Kosten der Beschwerdeführer verworfen.

Gründe

I.

Aufgrund am 19. Dezember 2011 bei dem Landgericht Hamburg erhobener Anklage liegt den Angeschuldigten S., B., R., Prof. Dr. N, J ,F und V. zur Last, in der Zeit vom 17. Dezember 2007 bis zum 20. Juni 2008 gemeinschaftlich eine ihnen kraft Gesetzes und Rechtsgeschäfts obliegende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hatten, Nachteil zugefügt sowie dabei einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt zu haben, indem sie als Mitglieder des Vorstands der H bank AG in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken auf der Grundlage einer erkennbar mangelhaften und nicht vollständigen Kreditvorlage, an Hand derer eine umfassende Abwägung von Chancen und Risiken der Transaktion nicht möglich war, im Umlaufverfahren durch Eilbeschluss ein als €O. € bezeichnetes mehrteiliges Kreditengagement mit der Bank €B € genehmigten, obwohl für alle Angeschuldigten erkennbar für die Risikoprüfung nur unangemessen wenig Zeit zur Verfügung stand. Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, durch die Genehmigung und die nachfolgende Umsetzung der Transaktion für die H bank AG ein unvertretbar hohes Risiko eingegangen zu sein und dadurch einem Verlust in Höhe von 145.840.000,-- Euro (ohne Berücksichtigung der Transaktionskosten) für die H bank AG herbeigeführt zu haben. Den Angeschuldigten Prof. Dr. N und F liegt darüber hinaus zur Last, gemeinschaftlich als Mitglieder des Vorstands der H bank AG die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand unrichtig wiedergegeben zu haben, indem sie in dem Quartals-Zwischenbericht für den H -Konzern zum 31. März 2008 und in einer Pressemitteilung vom 20. Juni 2008 eine Übersicht über die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanzkennziffern des H Konzerns veröffentlichten und dabei einen Überschuss in Höhe von 81.000.000,-- Euro auswiesen, während tatsächlich ein Fehlbetrag in Höhe von 31.000.000,-- Euro vorlag, wobei sie eine derartige Abweichung zumindest für möglich hielten und billigend in Kauf nahmen. (Vergehen, strafbar gemäß §§ 266 Abs. 1 und 2, 263 Abs. 3 Nr. 2 1.Mod, 25 Abs. 2, 53 StGB, 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG)

Unter dem 3. Januar 2011 stellte im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt L als Vertreter der H bank AG unter Überreichung einer schriftlichen Vollmacht der Antragstellerin einen ohne nähere Begründung eingereichten Antrag auf Akteneinsicht, dem von Seiten der Staatsanwaltschaft unter Übersendung eines Datenträgers mit einer so genannten €EAkte€ stattgegeben wurde. Mit an die Staatsanwaltschaft Hamburg gerichtetem Schriftsatz vom 28. Juni 2011 begehrte Rechtsanwalt L, ebenfalls noch im Ermittlungsverfahren, erneut Gewährung von Akteneinsicht für die H Bank AG. Auf Hinweis der Staatsanwaltschaft, gemäß § 406e Abs. 1 StPO könne dem Antrag nur entsprochen werden, soweit dafür ein berechtigtes Interesse dargelegt werde, begründete Rechtsanwalt L den Akteneinsichtsantrag am 20. Juli 2011 schriftsätzlich unter Hinweis auf durch einen landgerichtlichen Beschluss vom 15. Oktober 2010 bestätigten Tatverdacht der Untreue im besonders schweren Fall und einen zusätzlichen Tatverdacht der unrichtigen Wiedergabe der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand gegen die Angeschuldigten Prof. Dr. N und F zusammengefasst damit, dass die H Bank AG Verletzte im Sinne des § 406e Abs. 1 S. 1 StPO sei und als solche ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht habe, weil sie mit Rücksicht auf die verfahrensgegenständlichen Vorwürfe die H Bank AG Schadensersatzansprüche angemeldet habe, die sie, nachdem die Angeschuldigten sich darauf beriefen, dass die Vorwürfe nicht zuträfen, gerichtlich bzw. in Schiedsverfahren durchsetzen müsse; in jenen Verfahren werde die H Bank AG zudem Gegenansprüche Angeschuldigter wegen der vorzeitigen Beendigung von deren Amts- und Anstellungsverhältnissen abzuwehren haben; die H Bank AG habe ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht, um prüfen zu können, ob und gegebenenfalls zu welchen Anteilen sie gegenüber den Angeschuldigten Schadensersatz geltend machen könne, sowie zur Abwehr der Gegenansprüche.

Im Anhörungsverfahren zu dem Akteneinsichtsgesuch wurde durch mehrere Angeschuldigte einer Akteneinsichtsgewährung widersprochen. Auf die anschließende Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die beantragte Akteneinsicht mit Ausnahme der Sonderbände €SB 16 € Konten€, €SB 17 € Kosten€ und €SB 34 € Beschuldigte Persönliches€ sowie der Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft vom 29. April 2011 an verschiedene Banken auf den Blättern 2069 bis 2090 der Hauptakten gewähren zu wollen, beantragten die Angeschuldigten R. und V., eine gerichtliche Entscheidung über den Akteneinsichtsantrag herbeizuführen.

Nach erfolgter Anklageerhebung bewilligte der Vorsitzende der Großen Strafkammer 8 des Landgerichts Hamburg, bei welcher das Verfahren anhängig geworden war, am 22. Dezember 2011 die beantragte Akteneinsicht mit Ausnahme der Sonderbände €Konten € SB 16€, €Kosten € SB 17€ und €Beschuldigte Persönliches € SB 34€ sowie der staatsanwaltschaftlichen Auskunftsersuchen an verschiedene Banken auf Blatt 2069 bis 2090 der Hauptakten. Zugleich wurde bestimmt, dass die Ausführung des Beschlusses, um den Verfahrensbeteiligten und dem Betroffenen D Gelegenheit zur Anfechtung zu geben, bis zum 6. Januar 2012 sowie für den Fall der Anfechtung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über das Rechtsmittel ausgesetzt sei.

Gegen die Gewährung der Akteneinsicht legten die Angeschuldigten V. und R. durch Schriftsätze ihrer Verteidiger am 29. Dezember 2011 und 5. Januar 2012 jeweils Beschwerde ein. Das Landgericht half den Beschwerden nicht ab. Die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf angetragen, die Beschwerden kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerden der Angeschuldigten R. und V. sind statthaft (§ 304 Abs. 1 i.V.m. § 406e Abs. 4 S. 4 StPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO). Sie sind jedoch unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat der gemäß § 406e Abs. 4 S. 1 StPO zuständige Vorsitzende der im Zwischenverfahren mit der Sache befassten Landgerichtskammer dem Akteneinsichtsgesuch in dem ausgesprochenen Umfang stattgegeben.

Gemäß § 406e Abs. 1 StPO kann ein Rechtsanwalt für den Verletzten Akteneinsicht nehmen, soweit hierfür ein berechtigtes Interesse besteht und dargelegt wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Überwiegende schutzwürdige Interessen der Angeschuldigten oder anderer Personen im Sinne des § 406e Abs. 2 S. 1 StPO stehen der Akteneinsichtsgewährung in dem durch den Kammervorsitzenden bewilligten, allein angefochtenen Umfang nicht entgegen.

1. Vorliegend wird für die H Bank AG als Antragstellerin Gewährung von Akteneinsicht an einen Rechtsanwalt, nämlich ihren Vertreter Rechtsanwalt L, begehrt.

2. Die antragstellende H Bank AG ist jedenfalls im Hinblick auf den Anklagevorwurf der Untreue Verletzte im Sinne des § 406e StPO, so dass die für die Akteneinsicht erforderliche Verletzteneigenschaft gegeben ist.

a) Das Gesetz bestimmt den Begriff des Verletzten sowohl mit Bezug auf § 406e StPO als auch in anderen Zusammenhängen nicht. Bei der am 1. April 1987 in Kraft getretenen neuen Regelung der §§ 406d ff. StPO hat der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des später in das Gesetz eingegangenen Regierungsentwurfes eines €Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren€ vom 10. April 1986 bewusst davon abgesehen, einen einheitlichen Verletztenbegriff zu bestimmen. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es, wie weitgehend anerkannt sei, gebe es einen einheitlichen Verletztenbegriff im Strafverfahren nicht, sondern sei dieser aus dem jeweiligen Funktionszusammenhang heraus zu bestimmen, wobei sich bei unterschiedlichen dogmatischen Ausgangspunkten namentlich zu § 172 StPO im Ergebnis die Auffassungen so angenähert hätten, dass in einem großen Kernbereich in der Praxis weitgehende Übereinstimmung bestehe, wer als Verletzter anzusehen sei; die nähere Bestimmung des Verletzten in Grenzbereichen solle der Rechtsprechung überlassen bleiben; eine notwendigerweise generalisierende gesetzliche Regelung könne zu einer größeren Rechtssicherheit nicht nennenswert beitragen (BT-Drs. 10/5305 S. 16 f.).

In Literatur und Rechtsprechung werden verschiedene Auffassungen dazu vertreten, wie € auf dieser Grundlage € der Begriff des Verletzten in § 406e StPO zu definieren ist. Teile der Rechtsprechung und Literatur setzen den Verletztenbegriff in den §§ 406d ff. StPO mit dem Verletztenbegriff gleich, der in § 172 StPO die Antragsbefugnis für Klagerzwingungsverfahren begründet. Die Verletzteneigenschaft und damit der Anspruch auf Akteneinsicht sollen, bei im Übrigen weiter Auslegung, danach nur dem zustehen, der durch die Tat € bei Unterstellung ihrer Begehung € unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., vor § 406d Rdn. 2 m.w.N.). Anstelle der Unmittelbarkeit der Verletzung wird zum Teil auf den Schutzbereich der verletzten Strafrechtsnorm abgestellt; Verletzter im Sinne der §§ 406d ff. StPO soll sein, wer in einem rechtlich geschützten Interesse durch eine Straftat beeinträchtigt wird, soweit die verletzte Strafrechtsnorm dabei auch seinem Schutz dient (vgl. Stöckel in KMR-StPO, Stand 2011, vor § 406d Rdn. 11). Nach einem weiteren Verständnis erfasst der Verletztenbegriff in §§ 406d ff. StPO darüber hinaus auch den Verletzten im Sinne des Adhäsionsverfahrens nach § 403 StPO (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2008, Aktenzeichen: 2 BvR 1043/08 m.w.N.; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor §§ 374 ff. Rdn. 20 m.w.N.). Nach diesem Verständnis kann Verletzter auch der durch eine Straftat nur mittelbar Geschädigte sein. Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren kommt danach zudem auch in Betracht, wenn die € bei Unterstellung der Tatbegehung € verletzte Strafnorm nicht den Antragsteller schützt, dieser aber zivilrechtliche Schadensersatzansprüche hätte (BVerfG, a.a.O.; Engelhardt in KK-StPO, 6. Aufl., § 403 Rdn. 5; vgl. auch Lauterwein, Akteneinsicht und €auskünfte für den Verletzten, Privatpersonen und sonstige Stellen §§ 406e und 475 StPO, 2011, S. 38).

b) Der Senat neigt in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht der letztgenannten Auffassung zu (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 9. August 2010, Aktenzeichen 2 Ws 121/10). Vor allem der systematische und funktionale Zusammenhang des Akteneinsichtsrechts nach § 406e StPO mit dem Adhäsionsverfahren sowie der auf eine Stärkung der Stellung von Verletzten in Strafverfahren gerichtete Wille des Gesetzgebers bei der Neufassung der §§ 406d ff. StPO rechtfertigen die weite Auslegung des Verletztenbegriffes (BVerfG, a.a.O.). Der Gesetzgeber hat ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfes zur Einfügung der §§ 406d ff. StPO mit der Reform eine Verbesserung der Rechtsstellung von Verletzten in Strafverfahren auch im Hinblick auf eine €Verbesserung der Ersatzmöglichkeiten beim materiellen Schaden€ bezweckt (BT-Drs. 10/5305, S. 8). Das danach berechtigte Interesse daran, zur Prüfung von Ansprüchen, die im Adhäsionsverfahren verfolgt werden können, Einsicht in die Strafakten zu nehmen, spricht für eine einheitliche Auslegung des Verletztenbegriffs in § 403 StPO und 406e StPO, denn ein Adhäsionsantrag wird in der Regel sinnvollerweise durch Akteneinsicht vorbereitet werden. Dies gilt ebenso für Geschädigte, die Ansprüche aus auch strafrechtlich relevantem Verhalten im Zivilverfahren statt im Adhäsionsverfahren verfolgen (BVerfG, a.a.O.).

Im Ergebnis kann indes dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen ist, denn vorliegend ist auch nach den engeren Auffassungen, die eine unmittelbare Rechtsgutverletzung bzw. eine Erfassung des verletzten Rechtsgutes durch den Schutzbereich der verletzten Strafnorm verlangen, eine Verletzteneigenschaft der H Bank AG als Antragstellerin jedenfalls hinsichtlich des Anklagevorwurfes der Untreue anzunehmen.

Der Senat legt das Tatgeschehen zu Grunde, wie es mit Bezug auf den Untreuevorwurf in der Anklageschrift beschrieben ist. Im Falle der Unterstellung dieses Vorwurfes in tatsächlicher Hinsicht als wahr kommt eine rechtliche Bewertung des Handelns der Angeschuldigten als Untreue wegen Eingehung eines nach dem Inhalt der durch ihre vormalige Stellung als Vorstandsmitglieder der H Bank AG begründeten Treueverhältnisse unvertretbaren Risikos in Betracht (vgl. allg. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 266 Rdn. 48 zum Stichwort €Vorstandsmitglieder€, Rdn. 67, jeweils m.w.N.). Die Antragstellerin H Bank AG stellt sich auf dieser Grundlage als unmittelbar Geschädigte dar, denn nach dem Anklagevorwurf erwuchs ihr aus dem von den Angeschuldigten in deren Eigenschaft als Vorstandsmitglieder genehmigten und auf der Grundlage dieser Genehmigung durchgeführten Geschäft €O € mit der Bank €B€ ein Vermögensverlust in Höhe von mindestens 145.840.000,-- Euro. § 266 StGB bezweckt zudem gerade den Schutz des individuellen Vermögens des jeweiligen Treugebers (Fischer, a.a.O., Rdn. 2 m.w.N.), also hier des Vermögens der antragstellenden H Bank AG. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass vorliegend eine so genannte Gremienentscheidung in Frage steht, denn angesichts der früheren Aufgabengebiete der Angeschuldigten bei der Antragstellerin, wie sie in der Anklageschrift dargestellt worden sind, und der besonderen Risiken des Kreditgeschäftes €O € lag eine eigene Prüfungspflicht aller Angeschuldigten nicht fern (vgl. allg. Fischer a.a.O., Rdn. 73 m.w.N.).

c) Mit Bezug auf den bestehenden Grad des Verdachts einer Tatbegehung und das Verfahrensstadium bestehen Einschränkungen für die Akteneinsichtsgewährung nicht.

Aus den Gesetzesmaterialien zu den §§ 406d ff. StPO lässt sich eine Absicht zur Eingrenzung der Akteneinsicht nach Verfahrensstadium und/oder Verdachtsgrad nicht entnehmen.

Aus verschiedenen Einzelregelungen in § 406e StPO ergibt sich dagegen unmissverständlich, dass die Gewährung von Akteneinsicht nach dieser Vorschrift grundsätzlich in jedem Verfahrensstadium gewährt werden kann und damit sogar bereits im Ermittlungsverfahren, in welchem ein besonderer Verdachtsgrad sich in der Regel den Akten noch nicht entnehmen lässt. Die Möglichkeit von Akteneinsicht bereits im Ermittlungsverfahren ergibt sich deutlich bereits aus der Zuständigkeitsregelung in § 406e Abs. 4 S. 1 StPO, wonach im vorbereitenden Verfahren und nach Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht entscheidet und im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Bestärkt wird dies noch durch die Regelungen des § 406e Abs. 4 S. 4 StPO, wonach gemäß § 406e Abs. 4 S. 2 StPO gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht eingeholte gerichtliche Entscheidungen unanfechtbar sind, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, und des § 406e Abs. 2 S. 3 StPO, wonach Akteneinsicht versagt werden kann, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert werden würde, sofern nicht die Staatsanwaltschaft in den in § 395 StPO genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat. Aus allen diesen Regelungen ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit zur Gewährung von Akteneinsicht auch bereits vor Abschluss der Ermittlungen ausgegangen ist.

Erst Recht kann deshalb Akteneinsicht im vorliegenden Verfahrensstadium des gerichtlichen Zwischenverfahrens, in welchem immerhin bereits eine Prüfung der Staatsanwaltschaft, ob die Ermittlungen im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten, mit bejahendem Ergebnis durchgeführt worden ist, gewährt werden.

Die Annahme der Beschwerdeführer, es bestehe ein Erfordernis einer gerichtlichen Eröffnungsentscheidung bzw. sogar einer rechtskräftigen Verurteilung als Voraussetzung einer Akteneinsichtsgewährung zu Gunsten Tatverletzter geht folglich fehl (vgl. auch Lauterwein, a.a.O., S. 67).

3. Ein berechtigtes Interesse der antragstellenden H Bank AG an der Akteneinsicht ist ausreichend dargelegt.

a) Berechtigt im Sinne des § 406e Abs. 1 StPO ist ein Interesse, wenn es durch die Sachlage in tatsächlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht gerechtfertigt ist, was insbesondere dann anzunehmen ist, wenn es zur Verfolgung oder Abwehr rechtlicher Ansprüche dient (vgl. Hilger, a.a.O., § 406e Rdn. 6). Ein berechtigtes Interesse ist deshalb anzunehmen, wenn die begehrte Akteneinsicht der Prüfung dienen soll, ob und in welchem Umfang die verletzte Person gegen einen Beschuldigten zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 406e Rdn. 3) oder der Verletzte sich etwa über das Nichtvorliegen von Umständen vergewissern will, die einem scheinbar bereits schlüssigen Anspruch entgegenstehen könnten (vgl. BVerfG, a.a.O.).

So liegt es hier. Ein berechtigtes Interesse der H Bank AG als Antragstellerin ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie den ihr € bei Unterstellung der Begehung der angeklagten Untreue € in Folge der Tat entstandenen Vermögensschaden gegenüber den Angeschuldigten geltend machen will. Dass insoweit bereits ein Rechtsstreit eingeleitet und Gegenforderungen angemeldet worden sind, ändert daran nichts, weil dadurch das Interesse der Antragstellerin, die Schlüssigkeit ihres eigenen Begehrens sowie der Gegenforderungen zu überprüfen, nicht berührt wird.

Der Annahme eines berechtigten Interesses der antragstellenden H Bank AG steht auch nicht entgegen, dass weite Teile der Ermittlungsakten aus von der Antragstellerin selbst an die Staatsanwaltschaft herausgegebenen Unterlagen bestehen. Dieser Umstand beseitigt weder ein berechtigtes Interesse, etwa erneut in zuvor herausgegebene Unterlagen Einsicht zu nehmen, noch ein berechtigtes Interesse etwa an der Einsicht in zusätzliche Unterlagen und die Ergebnisse polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Auswertungen. Für eine €Ausforschung€ im Sinne einer zivilrechtlich unzulässigen Beweisgewinnung fehlt es bereits an konkreten Anhaltspunkten (zur Problematik Lauterwein, a.a.O., S. 66 ff. m.w.N.).

b) Dem hier mangels Vorliegens einer Ausnahmekonstellation nach § 406e Abs. 1 S. 2 StPO (Entbehrlichkeit in Fällen der Nebenklageberechtigung) zu erfüllenden Erfordernis der Darlegung eines berechtigten Interesses an der Akteneinsicht ist mit dem Vorbringen der Antragstellerin Genüge getan.

Nach zutreffender Auffassung ist eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich und genügt es, wenn der Antragsteller sich auf bestimmte Zwecke beruft, die er mit der Akteneinsicht verfolgen will; Begründungen hinsichtlich der konkreten Eignung und Erforderlichkeit der Informationen für die Zwecke des Antragstellers sind nicht erforderlich (vgl. dazu nur Velten in SK-StPO, Stand 2009, § 406e Rdn. 18). Insbesondere gilt dies, wenn € wie hier € als Zweck die Geltendmachung und Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche benannt wird, weil dies ausweislich des Regierungsentwurfes zur Einfügung der §§ 406d ff. StPO vom Gesetzgeber ausdrücklich als legitim erachtete Zwecke sind (BT-Drs. 10/5305, S. 8).

Ein in diesem Sinne ausreichender Vortrag liegt vor. Das Verlangen näheren Vorbringens zu der die Grundlage etwaiger Schadensersatzansprüche der Antragstellerin bildenden Tat und den für Gegenansprüche der Angeschuldigten maßgeblichen Einzelheiten ihrer früheren Beschäftigungsverhältnisse würde sich nach Vorliegen der secHundertsechs Seiten umfassenden Anklageschrift mit deren umfassenden diesbezüglichen Darstellungen als bloße Förmelei darstellen.

4. Dem Interesse der Antragstellerin an der begehrten Akteneinsicht entgegenstehende schutzwürdige Interessen der Angeschuldigten haben mit dem Ausnehmen der Sonderbände €SB 16€, €SB 17€ und €SB 34€ sowie der Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft auf den Blättern 2069 bis 2090 der Hauptakten ausreichend Berücksichtigung gefunden (s. vorstehend I.).

Grundsätzlich kommt den durch § 406e Abs. 2 S. 1 StPO geschützten Interessen der Beschuldigten in einem Verfahren hohes Gewicht zu, weil die Gewährung von Akteneinsicht einen Eingriff in ihr durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt; Folge ist, dass bei Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht die gegenläufigen Interessen gegeneinander abzuwägen sind, um festzustellen, welches Interesse im Einzelfall schwerer wiegt (BVerfG, a.a.O.).

Diese Abwägung erbringt aus folgenden Erwägungen hier ein Überwiegen der Interessen der Antragstellerin: Das Ermittlungsverfahren ist mit dem Ergebnis der Anklageerhebung und der damit verbundenen Bejahung genügenden Anlasses zur öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO abgeschlossen. Die in Rede stehenden Aktenteile betreffen nicht Umstände aus privatem Lebensbereich oder Intimsphäre der Angeschuldigten, sondern vielmehr solche aus ihrer früheren beruflichen Geschäftstätigkeit für die Antragstellerin als deren Vorstandsmitglieder. Das Interesse der Antragstellerin an die Schlüssigkeit ihrer gegenüber den Angeschuldigten geltend gemachten Forderungen und deren Gegenforderungen betreffenden ergänzenden Informationen ist angesichts des exorbitant großen in Rede stehenden Schadensbetrages und der deshalb mit der zivilrechtlichen Rechtsverfolgung verbundenen gravierenden Kostenrisiken hoch. Es überwiegt das Geheimhaltungsinteresse der in nicht geringem Maße straftatverdächtigen Angeschuldigten.

Nach allem ist den Interessen der Beschwerdeführer mit der Ausnahmeregelung hinsichtlich der landgerichtlicherseits von der Akteneinsicht ausgenommenen Aktenteile ausreichend Rechnung getragen.

5. Eine durch die Akteneinsichtsgewährung begründete Verfahrensverzögerung ist nicht zu befürchten, zumal die Akteneinsicht nach dem Strafkammervorsitzenden überlassener Entscheidung sowohl durch Überlassung der Originalakten als auch durch Überlassung von Kopieakten, insbesondere in Gestalt einer so genannten €EAkte€, gewährt werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich beider Beschwerden jeweils auf § 473 Abs. 1 StPO.






OLG Hamburg:
Beschluss v. 21.03.2012
Az: 2 Ws 11 - 12/12


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