Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Februar 2005
Aktenzeichen: 20 W (pat) 335/04
(BPatG: Beschluss v. 21.02.2005, Az.: 20 W (pat) 335/04)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I Die Einsprechenden bestreiten die Patentfähigkeit und berufen sich dabei auf
(1) US 6 121 530 A und
(2) US 5 991 737 A.
Sie stellen den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Nach Teilung ihres Patentes mit Schriftsatz vom 18. Februar 2005 beantragt die Patentinhaberin, das Patent mit Hilfsantrag II und VI, überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I, III, IV und V vom 17. Februar 2005 beschränkt aufrechtzuerhalten, und zwar mit der Maßgabe, daß in Hilfsantrag V in Anspruch 1 das Merkmal c) identisch ist mit Merkmal c) in Anspruch 1 des Hilfsantrags II und daß das Merkmal b) in Anspruch 8 identisch ist mit Merkmal b) in Anspruch 10 des Hilfsantrags II.
Der Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"1. Verfahren zum Erfassen von Sendebeiträgen in Form von Musikstücken, welches die Schritte aufweista) Bereitstellen eines Medienempfängers (1) eines Benutzers zum Empfangen der Sendebeiträge und Wiedergeben der Musikstücke mittels Audiosignaleb) Auswählen zumindest eines Musikstücks durch den Benutzerc) Übertragen der durch das zumindest eine ausgewählte Musikstück festgelegten Audiosignale an eine Vermittelungseinheit (3) mittels einer Sendeeinheit (2), wobei das Übertragen der Audiosignale über ein Mobilfunkgerät (2), vorzugsweise einem Handy, als Sendeeinheit (2) erfolgtd) Auswerten und Identifizieren der Audiosignale in der Vermittelungseinheit (3), wobei das Auswerten und Identifizieren der Audiosignale durch Umwandlung der Audiosignale des Musikstücks in ein Sonogram erfolgt und ein Vergleich mit den in einer Datenbank in der Vermittelungseinheit vorhandenen Sonogrammen erfolgte) Rückübermittelung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen des Musikstücks, insbesondere in Form des Musiktitels, von der Vermittelungseinheit zu dem Mobilfunkgerät (2) des Benutzers, wobei die Rückübermittlung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen anhand eines Message Service der Mobilfunktechnologie, insbesondere eines Short Message Service (SMS), erfolgtf) Abrechnen und Bestellen des Musikstücks, wobei das Abrechnen über eine Telefonrechnung eines das Mobilfunkgerät (2) betreibenden Mobilfunkbetreibers oder über einen die Vermittelungseinheit betreibenden Anbieter unter Vermittlung eines Mobilfunkbetreibers erfolgt, indem der Anbieter die Identität des Benutzers durch den Mobilfunkbetreiber erfährt."
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag I stimmt bis auf das Merkmal e) mit dem Anspruch 1 nach Hauptantrag überein. Das Merkmal e) lautet:
"e) Rückübermittelung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen des Musikstücks in Form des Musiktitels von der Vermittelungseinheit zu dem Mobilfunkgerät (2) des Benutzers, wobei die Rückübermittlung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen anhand eines Short Message Service (SMS) erfolgt".
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag II stimmt bis auf die Merkmale c) und e) mit dem Anspruch 1 nach Hauptantrag überein. Sie lauten:
"c) Übertragen der durch das zumindest eine ausgewählte Musikstück festgelegten Audiosignale an eine Vermittelungseinheit (3) mittels einer Sendeeinheit (2), wobei das Übertragen der Audiosignale einer beliebigen Musikquelle über ein Mobilfunkgerät (2), vorzugsweise einem Handy, als Sendeeinheit (2) erfolgt und wobei vom Benutzer keine weitere Eingabe oder Übertragung zur Identifizierung des ausgewählten Musikstücks vorgenommen wird",
"e) Rückübermittelung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen des Musikstücks in Form des Musiktitels von der Vermittlungseinheit zu dem Mobilfunkgerät (2) des Benutzers, wobei die Rückübermittlung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen anhand eines Message Service der Mobilfunktechnologie, insbesondere eines Short Message Service (SMS) erfolgt".
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag III stimmt bis auf das Merkmal f) mit dem Anspruch 1 nach Hauptantrag überein. Das Merkmal f) lautet:
"f) Abrechnen und Bestellen des Musikstücks, wobei das Abrechnen über eine Telefonrechnung eines das Mobilfunkgerät (2) betreibenden Mobilfunkbetreibers oder über einen die Vermittelungseinheit betreibenden Anbieter unter Vermittlung eines Mobilfunkbetreibers erfolgt, indem der Anbieter die Identität des Benutzers durch den Mobilfunkbetreiber erfährt, wobei das Musikstück per Knopfdruck auf dem Mobilfunkgerät (2) bestellt wird".
Im Wortlaut mit dem Anspruch 1 des Hilfsantrages III übereinstimmend enthält der Anspruch 1 nach Hilfsantrag IV im Merkmal f) noch die zusätzliche Beschränkung, wonach das
"Musikstück über WAP-Software bestellt wird."
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag V weist sämtliche Einschränkungen gemäß den Hilfsanträgen I bis IV auf. Dieser Anspruch lautet:
"1. Verfahren zum Erfassen von Sendebeiträgen in Form von Musikstücken, welches die Schritte aufweista) Bereitstellen eines Medienempfängers (1) eines Benutzers zum Empfangen der Sendebeiträge und Wiedergeben der Musikstücke mittels Audiosignaleb) Auswählen zumindest eines Musikstücks durch den Benutzerc) Übertragen der durch das zumindest eine ausgewählte Musikstück festgelegten Audiosignale an eine Vermittelungseinheit (3) mittels einer Sendeeinheit (2), wobei das Übertragen der Audiosignale einer beliebigen Musikquelle über ein Mobilfunkgerät (2), vorzugsweise einem Handy, als Sendeeinheit (2) erfolgt und wobei vom Benutzer keine weitere Eingabe oder Übertragung zur Identifizierung des ausgewählten Musikstücks vorgenommen wirdd) Auswerten und Identifizieren der Audiosignale in der Vermittelungseinheit (3), wobei das Auswerten und Identifizieren der Audiosignale durch Umwandlung der Audiosignale des Musikstücks in ein Sonogram erfolgt und ein Vergleich mit den in einer Datenbank in der Vermittelungseinheit vorhandenen Sonogrammen erfolgte) Rückübermittelung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen des Musikstücks in Form des Musiktitels von der Vermittelungseinheit zu dem Mobilfunkgerät (2) des Benutzers, wobei die Rückübermittlung der durch das Identifizieren der Audiosignale festgelegten Informationen anhand eines Short Message Service (SMS) erfolgtf) Abrechnen und Bestellen des Musikstücks, wobei das Abrechnen über eine Telefonrechnung eines das Mobilfunkgerät (2) betreibenden Mobilfunkbetreibers oder über einen die Vermittelungseinheit betreibenden Anbieter unter Vermittlung eines Mobilfunkbetreibers erfolgt, indem der Anbieter die Identität des Benutzers durch den Mobilfunkbetreiber erfährt, wobei das Musikstück per Knopfdruck auf dem Mobilfunkgerät (2) bestellt wird, und wobei das Musikstück über WAP-Software bestellt wird."
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag VI stimmt im Wortlaut mit dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag II überein und enthält im Merkmal c) noch die zusätzliche Beschränkung, wonach das Übertragen der Audiosignale ... erfolgt,
"indem eine Sprechverbindung zwischen dem Mobilfunkgerät (2) und der Vermittelungseinheit (3) zur Ermittlung des momentan gespielten Musikstücks aufgebaut wird".
II Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig.
1. Zum Hauptantrag und den Hilfsanträgen I, III und IV Der Anspruch 1 nach Hauptantrag und die Ansprüche 1 nach den Hilfsanträgen I, III und IV sind nicht rechtsbeständig.
Jeder dieser Ansprüche 1 umfaßt den Gegenstand des enger gefaßten Anspruchs 1 nach Hilfsantrag V. Dieser Anspruch 1 ist, wie unter 2. im einzelnen dargetan, nicht rechtsbeständig.
2. Zum Hilfsantrag V Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. In naheliegender Weise ergab er sich am Anmeldetag aus dem Stand der Technik nach (1) und (2) in Verbindung mit dem Fachwissen und -können.
Als Fachmann gilt hier ein Elektroingenieur mit Fachhochschulabschluß und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik. Zu seinen Aufgaben zählt, wie sich ein zellulares Telefon sinnvoll in der Medientechnik einsetzen läßt.
a) Hierzu kennt er aus (2) ein Verfahren zum Erfassen von Sendebeiträgen in Form von Musikstücken, bei dem einem Benutzer über ein sogenanntes Handy der Titel eines von ihm gehörten Musikstückes angezeigt wird. Im einzelnen geht dies folgendermaßen vonstatten:
Es wird ein Medienempfänger 16 eines Benutzers - zB ein Radio - bereitgestellt, der Sendebeiträge, zB Musikstücke, empfängt und einem Benutzer 24 zu Gehör bringt (Fig 1, Sp 4 Z 9 und 10). Wenn er nähere Informationen über den Sendebeitrag wünscht, zB den Titel des momentan gespielten Musikstückes erfahren möchte, um es ggf käuflich zu erwerben, so bietet hierzu eine Sendeeinheit 18 in Form eines Handys die geeignete Hilfe zur Identifizierung des ausgewählten Musikstückes (Sp 1 Z 12 bis 26 iVm Sp 4 Z 9 bis 17 und Sp 3 Z 21 bis 23).
Nach Anwählen einer Vermittelungseinheit 22 und Eingabe der am Radio eingestellten Empfangsfrequenz wird dieses den Sendebeitrag kennzeichnende Datum vom Handy 18 an die Vermittelungseinheit 22 übertragen und von ihr als Identifizierungsauftrag aufgefaßt (Sp 3 Z 28 bis 31, Sp 4 Z 18 bis 20 iVm Z 24 bis 26). Zum Identifizieren dieses Musikstückes vergleicht sie das empfangene Datum der am Medienempfänger 16 eingestellten Empfangsfrequenz mit allen aktuellen, in einer Datenbank 34 vorhandenen Rundfunk- und Fernsehprogrammen (ggf nach "audio or visual pattern recognition", Sp 4 Z 46 bis 49) und sendet den dabei ermittelten Musiktitel an das Mobilfunkgerät 18 des Benutzers zurück (Fig 2 iVm Sp 3 Z 47 bis 54, Sp 4 Z 24 bis 26, Sp 4 Z 41 bis 60). Da dieser Musiktitel in der Datenbank in Form digitaler Daten vorliegt, erfolgt die Rückübermittlung der durch das Identifizieren festgelegten Informationen üblicherweise anhand einer Kurznachricht (SMS).
Will der Benutzer 24 das Musikstück daraufhin käuflich erwerben, so kann es durch Knopfdruck auf dem Mobilfunkgerät 18 bestellt werden (Sp 5 Z 37 bis 41). Die Abrechnung erfolgt über die Telefonrechnung eines das Mobilfunkgerät 18 betreibenden Mobilfunkbetreibers (Sp 4 Z 32 bis 37).
b) Das aus (2) bekannte Verfahren setzt zum Identifizieren des ausgewählten Musikstückes voraus, daß die Vermittelungseinheit 22 die zum Zeitpunkt der Wiedergabe des Musikstückes am Mediumempfänger 16 eingestellte Empfangsfrequenz kennt. Hierzu muß dieses Datum entweder vom Benutzer am Mobilfunkgerät 18 manuell eingegeben oder vom Mobilfunkgerät 18 mit verhältnismäßig großem, zusätzlichem benutzerseitigem apparativem Aufwand ermittelt werden (Fig 3 iVm Sp 5 Z 23 bis 41), um dann an die Vermittelungseinheit 22 übertragen zu werden.
An diesen Punkt knüpft der Fachmann an. Er legt das Verfahren ohne großen Aufwand bedienungsfreundlicher aus, so daß vom Benutzer keine weitere Eingabe oder Übertragung zur Identifizierung des ausgewählten Musikstückes vorgenommen werden muß und auch kein weiterer Geräteaufwand von ihm zu besorgen ist. Denn der Fachmann weiß, daß sich ein Musikstück auch dann identifizieren läßt, wenn der Benutzer ein Lied durch Singen, Summen oder Pfeifen einer Melodie in ein zelluläres Telefon eingibt und daß dies an jedem Ort möglich ist ((1) Sp 5 Z 10 und 11, Sp 2 Z 33 bis 38, Sp 2 Z 48 bis 51): Die in das Mikrophon des Handys eingegebenen Audiosignale werden in einem Prozessor 14 aufbereitet und zu einer Vermittelungseinheit A - dem Retrieval-System A - übertragen, dort ausgewertet und durch Vergleich mit den in einer Datenbank abgelegten Daten (frequenztypische Kenngrößen, Fig 1 und 2) von Musikstücken verglichen (Fig 3, 4). Daraufhin wird der Titel des gefundenen Musikstückes im Display 20 des Handys B vor Augen geführt (Sp 4 Z 8 bis 20).
Dieses Wissen wendet der Fachmann zur Verbesserung des aus (2) bekannten Verfahrens an: Da über den Lautsprecher des Medienempfängers 18 die Melodie des Musikstückes ertönt, braucht sie nicht eigens durch Pfeifen, Summen oder Singen des Benutzers erzeugt zu werden. Statt dessen leitet man die vom Lautsprecher kommenden Audiosignale als Melodie dem Mikrophon des Handys 18 zu und überträgt sie von ihm zur Vermittelungseinheit 22, wobei es auf die Kenntnis der gerade eingestellten Empfangsfrequenz nicht ankommt. Diese somit von einer beliebigen Musikquelle stammenden Audiosignale werden in der Vermittelungseinheit 22 passend (mehr sagt der anspruchsgemäße Ausdruck "Sonogram" nicht) umgewandelt, woraufhin durch Vergleich mit den in einer Datenbank abgespeicherten umgewandelten Audiosignalen von Musikstücken das ausgewählte Musikstück identifiziert, der Musiktitel ermittelt wird.
c) Die Bestellung des Musikstückes über WAP-Software liegt dann im Bereich fachmännischen Handelns. Da nach (1) die Vermittelungseinheit mit der Musikdatenbank zur Identifizierung der an sie übermittelten Audiosignale Bestandteil des Internets ist und damit das Mobilfunktelefon B Zugang zu ihm hat (Fig 4), ist es WAP-fähig, so daß die entsprechende Software zum Bestellen vom Internet heruntergeladen werden kann.
3. Zum Hilfsantrag II Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag II ist gleichfalls nicht rechtsbeständig.
Daß ein Verfahren zum Erfassen von Sendebeiträgen in Form von Musikstücken mit den Schritten a) bis f) auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht, ergibt sich aus dem oben unter 2. a) und b) Gesagten.
4. Zum Hilfsantrag VI Auch der Anspruch 1 nach Hilfsantrag VI ist nicht bestandfähig.
An der fehlenden Patentfähigkeit ändert sich nichts, wenn zusätzlich zu den Verfahrensschritten a) bis f) des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II noch gemäß Schritt c) des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag VI hinzutritt, daß zur Ermittelung des momentan gespielten Musikstückes für die Audiosignalübertragung eine Sprechverbindung zwischen Handy und Vermittelungseinheit aufgebaut wird.
Nach (1) sind die vom Handy empfangenen Audiodaten vor dem Vergleichen mit den Daten der Musikdatenbank passend aufzubereiten (Fig 3, Sp 3 Z 56 bis Sp 4 Z 3). Diese Aufbereitung läßt der Fachmann bei Übertragung der aus (1) entnommenen Erkenntnisse auf das Verfahren nach (2), wenn er gemäß dem oben unter 2. a) und b) Gesagten vorgeht, nicht vom Handy 18, sondern vielmehr von der Vermittelungseinheit 22 ausführen. Denn ihm liegt an der Benutzung eines herkömmlichen Handys als Sendeeinheit und er ordnet erforderliche Zusatzgeräte nach Möglichkeit losgelöst vom Benutzer zentral, an der Vermittelungsstelle, an. Dabei liegt es auf der Hand, die Audiodaten in herkömmlicher Weise in einer Sprechverbindung vom Handy 18 zur Vermittelungseinheit 22 zu übertragen, wie man dies auch bei Benutzung eines Festnetztelefons als Sendeeinheit ausführen würde ((2) Sp 3 Z 35 bis 37).
Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Martensbr/Be
BPatG:
Beschluss v. 21.02.2005
Az: 20 W (pat) 335/04
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