Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Mai 2003
Aktenzeichen: 29 W (pat) 203/01
(BPatG: Beschluss v. 14.05.2003, Az.: 29 W (pat) 203/01)
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. September 1999 und vom 12. Juli 2001 aufgehoben und die Löschung angeordnet für die Waren und Dienstleistungen
"elektronische, Signal-, Kontrollapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Daten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger, Mechaniken für geldbetätigte Apparate, Datenverarbeitungsgeräte;
38: Telekommunikation, insbesondere Daten -und Sprachdienstleistungen, Telefonieren, Anrufweiterleitung, Konferenzschaltungen, Dolmetschen;
42: Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Dienstleistungen einer Datenbank, insbesondere Vermietung der Zugriffszeiten zu und Betrieb von Datenbanken, sowie Sammeln und Liefern von Daten, Nachrichten und Informationen; Vermietung von Datenverarbeitungseinrichtungen und Computern"
2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I Gegen die Eintragung der Wortmarke 396 47 927 N-Cardmit dem Waren- und Dienstleistungsverzeichnis Klasse 9: Elektrische, elektronische, optische, Meß-, Signal-, Kontroll- oder Unterrichtsapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton, Bild oder Daten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsgeräte und Computer.
Klasse 38: Telekommunikation, insbesondere Daten- und Sprachdienstleistungen, Telefonieren, Anrufweiterleitung, Konferenzschaltung, Dolmetschen; Betrieb und Vermietung von Einrichtungen für die Telekommunikation, insbesondere für Funk und Fernsehen.
Klasse 42: Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Dienstleistungen einer Datenbank, insbesondere Vermietung der Zugriffszeiten zu und Betrieb von Datenbanken, sowie Sammeln und Liefern von Daten, Nachrichten und Informationen, Vermietung von Datenverarbeitungseinrichtungen und Computern; Projektierung und Planung von Einrichtungen für die Telekommunikationhat der Inhaber der prioritätsälteren IR-Marke 641 657 M-CARD, die für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 Cartes de credit et d'identite, munies d'une bande magnetique ou d'un semiconducteur (puce) ainsi que d'autres supports de donnees sous forme de cartes.
16 Cartes d'identite et autres cartes d'admissions sans bande magnetique et sans semiconducteur (puce).
36 Operations financières en relation avec des cartes de debit et de credit et autres services en relation avec les paiements sans numeraire.
37 Services en relation avec des reparations.
38 Services en relations avec des telecommunications.
39 Services en relations avec les transports et voyages.
41 Services en relations avec la formation et des manifestations culturelles.
42 Services en relations avec la restauration (alimentation) et l'hebergement Schutz genießt, Widerspruch erhoben.
Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Erstbeschluß vom 17. Juni 1999 und Erinnerungsbeschluß vom 12. Juli 2001 wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Selbst wenn sich identische oder sehr ähnliche Waren oder Dienstleistungen gegenüberstehen können, reiche der äußerst geringe klangliche und bildliche Abstand zwischen den Vergleichszeichen wegen deren außergewöhnlicher Kennzeichnungsschwäche aus, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt, mit der sie sich in erster Linie gegen die Beurteilung der Kennzeichnungskraft wendet. Sie führt aus, daß bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft der Gesamteindruck maßgeblich sei, zu dessen Prägung auch schutzunfähige oder kennzeichnungsschwache Elemente beitragen können. Der Bestandteil "Card" könne allenfalls für die Waren der Klassen 9 und 16 als unmittelbar beschreibend gelten, nicht jedoch für die Dienstleistungen. Das weitere Markenelement "M" der Widerspruchsmarke habe zu den Waren und Dienstleistungen keinerlei unmittelbaren Bezug. Einzelbuchstaben seien nach der Rechtsprechung nunmehr im allgemeinen eintragbar. Dem Gesamtbegriff "M-Card" komme demnach normale Kennzeichnungskraft zu. Die sich gegenüberstehenden Marken seien schriftbildlich und klanglich hochgradig ähnlich.
Auf die Nichtbenutzungseinrede der Markeninhaberin hat die Widersprechende eine Eidesstattliche Versicherung und Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung eingereicht, auf die Bezug genommen wird.
Die Widersprechende beantragt, den Erinnerungsbeschluß vom 12. Juli 2001 und den Beschluß der Markenstelle für Klasse 38 vom 17. Juni 1999 aufzuheben und die Marke 396 47 927 in vollem Umfang zu löschen.
Die Markeninhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Einwand der Nichtbenutzung mit Ausnahme einer Benutzung der Widerspruchsmarke für Finanzdienstleistungen aufrecht und trägt im übrigen vor, daß der Markenbestandteil "card" das Gesamtzeichen nicht wesentlich mitpräge, sondern derart in den Hintergrund trete, daß er nicht geeignet sei, eine Verwechslungsgefahr zu begründen. "Card" sei schon nach der Fassung des Verzeichnisses auch für die Dienstleistungen der Klasse 36 sowie für Telefondienstleistungen beschreibend. Überdies seien Karten auf nahezu allen Gebieten erhältlich. Es stünden sich im wesentlichen nur noch die Buchstaben "N" und "M" gegenüber. Dem Inhaber einer Buchstabenmarke könne lediglich Identitätsschutz und nicht Schutz gegen den Rest des Alphabets gewährt werden. Die Unterschiede der Marken befinden sich am Anfang von Kurzmarken, so daß sie stärker beachtet würden. Der durchschnittlich informierte und aufmerksame Verbraucher müsse sich wegen des Überangebots von Marken mit dem Bestandteil "Card" oder "Karte" verstärkt auf die unterscheidenden Merkmale konzentrieren. Hilfreich sei dabei, daß er das "M" mit "Migros", einer bekannten Supermarktkette in der Schweiz gleichsetze und sofort mit dem Unternehmen der Widersprechenden verknüpfe. Eine derartige Verknüpfung gebe es bei der Marke "N-Card" dagegen nicht.
II Die zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Nach Auffassung des Senats besteht im Umfang der Löschungsanordnung nach § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG zwischen den Marken Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.
Die Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend vorzunehmen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Waren-/Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise, daß ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren/Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (stRspr vgl BGH GRUR 2002, 544, 545 - Bank 24, BGH MarkenR 2002, 332, 333 - DKV/OKV mwN auch zur Rechtsprechung des EuGH).
1. Für die Frage der Identität bzw Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen ist wegen der Nichtbenutzungseinrede von den Waren bzw Dienstleistungen auszugehen, für die die Benutzung der Widerspruchsmarke glaubhaft gemacht worden ist sowie von den "Finanzdienstleistungen" der Klasse 36, für die die Benutzung nicht mehr bestritten wird.
Die Widersprechende hat zur Überzeugung des Senats aufgrund der Erklärungen und Angaben der Eidesstattlichen Versicherung in Verbindung mit den eingereichten Unterlagen sowie der Musterkarte die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke nach Art, Zeit und Umfang hinreichend glaubhaft gemacht. Die Benutzung der Kunden-Kontokarte umfaßt den Bargeldbezug an den Migrosbank-Automaten und an allen Postomaten sowie das bargeldlose Zahlen in der Migros und in vielen weiteren Geschäften. Darüber hinaus wird die Widerspruchsmarke für eine Karte mit einem Computerchip sowie für ein Kartenlesegerät verwendet, das mit dem PC des Nutzers verbunden wird und den leichteren Zugang zum Datennetz der Migrosbank eröffnet und das Internetbanking ermöglicht. Da die Benutzungshandlungen in der Schweiz hier dem deutschen Benutzungszwang entsprechen, sind sie gemäß der Regelung des Art 5 I des "Übereinkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenschutz" vom 13. April 1892 (BlPMZ 1895, 70, Bestätigung BlPMZ 1955, 292) als rechtserhaltend anzusehen. Sie stellen eine funktionsgemäße Benutzung der eingetragenen Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 und 36 der Widerspruchsmarke dar.
Ausgehend von einer Benutzung der Marke für "Magnet- und Chipkarten, Kartenlesegeräte und sonstige Datenträger" sowie für "Finanzdienstleistungen mit Zugang zu Datennetzen und dem Internetbanking" besteht Ähnlichkeit zu den "elektronischen, Signal-, Kontrollapparaten und -instrumenten (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Daten, maschinenlesbaren Datenaufzeichnungsträgern, Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsgeräte" sowie zu "Telekommunikation" (vgl Stoppel Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl, 104, 105, 202). Aus diesen Gründen kam es nicht mehr darauf an, inwieweit die von der Widersprechenden erbrachten Finanz- und Dienstleistungen des Internetbankings zugleich eine Benutzung der Dienstleistungen der Klasse 38 "Services en relations avec des telecommunications" darstellen, für die die Widerspruchsmarke ebenfalls Schutz genießt. Die beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 42 "Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Dienstleistungen einer Datenkank, insbesondere Vermietung der Zugriffszeiten zu und Betrieb von Datenbanken, sowie Sammeln und Liefern von Daten, Nachrichten und Informationen" umfassen auch solche, die das Internetbanking sowie das bargeldlose Zahlen ermöglichen; so daß sich die Marken im Verkehr zur Kennzeichnung gleicher Dienstleistungen begegnen können und im übrigen enge Ähnlichkeit gegeben ist (vgl Stoppel aaO S 104, 105 Datenverarbeitungsprogramme = Telefon-, Scheck-, Kredit-, Identifikationskarten BPatG 30 W (pat) 303/96). Schließlich ist anerkannt, daß die beanspruchte Dienstleistung "Vermietung von Datenverarbeitungseinrichtungen und Computern" mit den zu berücksichtigenden Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke ähnlich sind (vgl Stoppel aaO, S 104, 105 - BPatG 24 W (pat) 59/96 und 29 W (pat) 193/86).
2. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist mindestens als normal anzusehen. Zwar ist der Markenbestandteil "Card" für die benutzten Waren und Dienstleistungen eine beschreibende Angabe und nicht selbständig kollisionsbegründend. Der Buchstabe "M" hat dagegen für die betroffenen Waren und Dienstleistungen keinen beschreibenden Bedeutungsgehalt. Buchstaben unterliegen in Alleinstellung und in Kombinationen denselben Maßstäben wie andere Markenformen (vgl Amtl. Begr. S 64; BGH GRUR 2001, 161, 162 - Buchstabe K; BGH WRP 2003, 517, 518 - Buchstabe "Z" (BGH GRUR 2002, 1067, 1069 DKV/OKV). Ihre Kennzeichnungskraft ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen.
Die Bezeichnung "M-Card" stellt keine warenbeschreibende Sachaussage dar, die auf bestimmte Eigenschaften der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen selbst Bezug nimmt. Daher ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen.
Davon ausgehend und unter Berücksichtigung der Ähnlichkeit der maßgeblichen Vergleichswaren ist die Markenähnlichkeit derart groß, daß die Verwechslungsgefahr im Umfang der Teillöschung zu bejahen ist.
Die Marken "M-Card" und "N-Card" sind sich im maßgeblichen Gesamteindruck nach Zeichenbildung, Wortlänge, Klangrhythmus und Schriftbild äußerst ähnlich. Dabei darf für die Prüfung der Verwechslungsgefahr der schutzunfähige gemeinsame Bestandteil "Card" nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben und der Markenvergleich nicht auf die Elemente "M" und "N" beschränkt werden. Vielmehr kann der beschreibende Markenteil im Zusammenhang mit weiteren Ähnlichkeiten beider Marken ihrem Gesamteindruck nach als zusätzlicher Grund für die Bejahung der Verwechslungsgefahr Bedeutung haben (vgl Ströbele/Hacker aaO § 9 Rdn 330, 331 mwN). Das ist hier der Fall. Die den Gesamteindruck mit prägenden Buchstaben "M" und "N", die bereits für sich genommen die ähnlichsten Buchstaben des Alphabets darstellen, sind mit identischen, selbständig nicht kollisionsbegründenden Markenelementen in gleicher Weise zu einer Einheit verbunden, die ein nahezu identisches Gesamtklang- bzw -schriftbild ergibt. Auch wenn es sich um relativ kurze Zeichen handelt und sich die einzige Abweichung am betonten und stärker beachteten Wortanfang befindet, ist der Unterschied zwischen den Buchstaben M und N zu gering, um für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsabnehmer ein Auseinanderhalten der Marken in der unsicheren Erinnerung zu gewährleisten. Denn die ohnehin sehr geringe Differenz der Großbuchstaben "M" und "N" wird noch dadurch vermindert, daß die Konsonanten in ihrer Klang- und Bildwirkung durch die nachfolgende identische Aussprache und visuelle Aufnahme beeinflußt werden.
Für eine Auferlegung von Kosten nach § 71 Abs 1 Satz 1 MarkenG bestand keine Veranlassung.
Grabrucker Pagenberg Richter Voit ist abgeordnet und kann daher nicht unterzeichnen.
Grabrucker Hu
BPatG:
Beschluss v. 14.05.2003
Az: 29 W (pat) 203/01
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