Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 29. August 1997
Aktenzeichen: 6 U 243/96
(OLG Köln: Urteil v. 29.08.1997, Az.: 6 U 243/96)
1. Wird ein Kombinationsarzneimittel gem. § 105 Abs. 3a Nr. 5 AMG unter Ànderung der Art und Menge der arzneilich wirksamen Bestandteile einer Aufbereitungsmonographie des (ehem.) Bundesgesundheitsamtes (hier: Aufbereitungsmonographie für Pfefferminzöl) angepaßt, ist eine Neuzulassung des geänderten Arzneimittels nur dann entbehrlich, wenn eine vollständige Anpassung dieses geänderten Arzneimittels erfolgt. 2. ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" können nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht als ein vollständig von den in eine Aufbereitungsmonographie (hier: ,Myalgien" und ,neuralgiforme Beschwerden" erfaßt angesehen werden. Erweitert der Anbieter die Indikationen seines nach § 105 AMG ,fiktiv" zugelassenen Arzneimittels auf diesen Anwendungsbereich, bedarf es zu seiner Verkehrsfähigkeit einer neuen Zulassung. 3. Aus der Kenntnis der Werbung für ein - nicht verschreibungspflichtiges - Arzneimittel oder aus sonstigen allgemeinen werblichen Verlautbarungen des Anbieters über sein Produkt läßt sich im Verfahren der einstweiligen Verfügung im Regelfalle nicht darauf schließen, der um Unterlassung des Vertriebs dieses Arzneimittels nachsuchende Konkurrent habe auch Kenntnis von dessen fehlender Verkehrsfähigkeit mangels Zulassung.
Gründe
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Begründet ist
jedoch nur das Rechtsmittel der Antragstellerin, während die
Berufung der Antragsgegnerin in der Sache ohne Erfolg bleibt.
Die Antragstellerin verlangt mit ihrem zuletzt gestellten
(Haupt-)Antrag im Wege der einstweiligen Verfügung von der
Antragsgegnerin zu Recht, daß diese es unterläßt, ihr Arzneimittel
Euminz N mit der Indikation ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" in der
im Tenor dieses Urteils ersichtlichen Form zu vertreiben und zu
bewerben.
Der auf dieses Unterlassungsbegehren gerichtete Antrag der
Antragstellerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist
zulässig.
Zweifel am Vorliegen des Verfügungsgrundes der Dringlichkeit (§
935, 940 ZPO) bestehen nicht. Da es sich bei dem Streit der
Parteien um eine Wettbewerbsangelegenheit handelt, greift zu
Gunsten der Antragstellerin die Dringlichkeitsvermutung des § 25
UWG ein. Dem unstreitigen Sachverhalt und dem Vortrag der insoweit
darlegungs- und glaubhaftmachungspflichtigen Antragsgegnerin lassen
sich jedoch keine Umstände entnehmen, die zur Widerlegung dieser
Vermutung führen. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden,
daß die Antragstellerin durch ihr eigenes Verhalten die mangelnde
Dringlichkeit ihres Rechtsschutzverlangens kenntlich gemacht hat.
Der Anwendungsbereich ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" war zwar
bereits in der Veröffentlichung über die Markteinführung von Euminz
N per 15. März 1996 in der auch von der Antragstellerin bezogenen
Pharmazeutischen Zeitung (PZ) vom 14. März 1996 angegeben, ebenso,
daß Euminz N Pfefferminzöl enthält. Zeitgleich mit der
Markteinführung von Euminz N hatte die Antragsgegnerin unstreitig
zudem Thekenaufsteller mit diesen Informationen an die Apotheken
verteilt. Dieselben Angaben, wie sie vorstehend angeführt sind,
waren außerdem in dem der Antragstellerin mit Schreiben vom 22.
März 1996 zugegangenen Exemplar der Fachinformation für Euminz N
enthalten sowie weiterhin in der (im Tenor dieses Urteils in Kopie
wiedergegebenen) Werbeanzeige der Antragsgegnerin in der
Zeitschrift ,Bild + Funk", die in der Zeit vom 15. - 22. April 1996
erschienen ist. Diese Veröffentlichungen waren aber angesichts der
dort enthaltenen und vorstehend angeführten Fakten nicht geeignet,
der Antragstellerin bereits die positive Kenntnis von dem in Rede
stehenden Wettbewerbsverstoß der Antragsgegnerin zu vermitteln, daß
nämlich Euminz N mit einer für dieses Arzneimittel nicht
zugelassenen Indikation in den Verkehr gebracht und beworben wird.
Diese Veröffentlichungen wiesen auch nicht bereits derart deutlich
auf diesen Wettbewerbsverstoß hin, daß das Ignorieren dieser
Hinweise ein bewußtes Desinteresse der Antragstellerin für solche
Wettbewerbsvertöße zum Ausdruck bringen würde. Nur ein derartiges
Verhalten der Antragstellerin könnte es jedoch ausnahmsweise
rechtfertigen, davon in gleicher Weise wie aus einem zu langen
Zuwarten nach der positiven Kenntnis der Verletzungshandlung den
Schluß auf die mangelnde Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens zu
ziehen (vgl. dazu Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7.
Auflage, Kapitel 28 - 29 m. w. N.). Selbst wenn sich aus den
Werbungen und sonstigen Verlautbarungen der Antragsgegnerin zu
Euminz N in der Zeit bis Anfang Mai 1996 für ein erfahrenes
pharmazeutisches Unternehmen, wie es die Antragstellerin ist,
ergeben haben sollte, daß es sich bei Euminz N um ein sogenanntes
fiktiv zugelassenes Arzneimittel handelt, welches gemäß § 105 Abs.
3 a AMG einer Aufbereitungsmonographie des BfArM angepaßt worden
ist, mußten diese Umstände bei der Antragstellerin keine Zweifel
begründen, daß sich die von der Antragsgegnerin angegebenen
Anwendungsbereiche von Euminz N nicht im Rahmen der Monographie
halten, und ihr Anlaß zu weiteren Ermittlungen in diese Richtung
geben. Die Antragstellerin durfte vielmehr zunächst davon ausgehen
und darauf vertrauen, daß die Antragsgegnerin ihr Arzneimittel
mangels gegenteiliger Hinweise im Einklang mit den Erfordernissen
des Arzneimittelgesetzes in den Verkehr bringt, insbesondere also
auch nur mit den für diese Arzneimittel zugelassenen Indikationen.
Zu Zweifeln gegenüber einer zulässigen Inanspruchnahme des
Anwendungsbereiches , Kopfschmerzen vom Spannungstyp" für Euminz N
war im übrigen zu diesem Zeitpunkt für die Antragstellerin um so
weniger Anlaß, als das ursprüngliche Kombinationspräparat Euminz
der Antragsgegnerin u.a. für die Anwendungsbereiche ,Kopfschmerzen"
und ,Migräne" (fiktiv) zugelassen war. Vor diesem Hintergrund
begegnet es somit keinen Dringlichkeitsbedenken, wenn die
Antragstellerin angibt, sie sei erst Anfang Mai 1996 im
Zusammenhang mit anderen Beanstandungspunkten zur Bewerbung von
Euminz N auf die streitgegenständliche Zulassungsproblematik diese
Arzneimittels aufmerksam geworden. Die Abmahnung der
Antragsgegnerin mit Schreiben der Antragstellerin vom 21. Mai 1996
liegt wiederum ausreichend zeitnah zu dieser Kenntniserlangung von
der Verletzungshandlung, ebenso die Einleitung des vorliegenden
Verfügungsverfahrens am 12. Juni 1996 bei gebotener Beachtung, daß
das vorprozessuale Einigungsgespräch der Parteien aus Gründen, die
ihre Ursache unstreitig in terminlichen Schwierigkeiten der
Antragsgegnerin hatten, erst am 10. Juni 1996 stattfinden
konnte.
Die Klagebefugnis der Antragstellerin für den geltend gemachten
Unterlassungsanspruch folgt - zumindest - aus § 3 Abs. 2 Ziff. 1
UWG, wie unter den Parteien angesichts der von der Antragstellerin
auf demselben (bundesdeutschen) Markt wie Euminz N vertriebenen
Kopfschmerzmittel nicht streitig ist, so daß der Verfügungsantrag
der Antragstellerin auch insoweit zulässig ist.
Das Unterlassungsbegehren der Antragstellerin ist jedoch gemäß §
1 UWG in Verbindung mit §§ 21 AMG, 3 a HWG ebenfalls begründet, so
daß die vom Landgericht am 12. Juni 1996 erlassene
Beschlußverfügung mit entsprechender Anpassung an den von der
Antragstellerin im Berufungstermin teilweise neu formulierten
Unterlassungsantrag gemäß § 936, 925 Abs. 2 ZPO zu bestätigen
war.
Die Antragsgegnerin vertreibt und bewirbt ihr nicht
verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel Euminz N mit einer
Indikation, für die diese Präparat nicht zugelassen ist, und
verstößt damit gegen § 21 AMG und § 3 a HWG.
Der Anwendungsbereich von Euminz N wird, wie aus den
Ablichtungen im Tenor dieses Urteils ersichtlich, von der
Antragsgegnerin in den Pflichtangaben nach § 4 HWG wie folgt
angegeben:
, Zur äußerlichen Anwendung bei neuralgieähnlichen Beschwerden
(leichter Nervenschmerzen), insbesondere Kopfschmerzen vom
Spannungstyp."
Die darin enthaltene Indikation ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp"
stellt eine Erweiterung der Indikationen dar, für die Euminz N
(fiktiv) zugelassen ist, so daß es für die Verkehrsfähigkeit von
Euminz N im Bezug auf diese Indikation gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG
einer neuen - aber nicht vorliegenden - Zulassung bedürfte. Dabei
spielt es keine Rolle, daß das ursprüngliche
Kombinationsarzneimittel Euminz der Antragsgegnerin u. a. für die
Anwendungsbereiche ,Kopfschmerzen" und ,Migräne" gemäß § 105 AMG
fiktiv zugelassen war und diese Anwendungsbereiche möglicherweise
die Indikation ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" umfassen. Die
Antragsgegnerin hat ihr Kombinationspräparat Euminz gemäß § 105
Abs. 3 a Nr. 5 AMG unter Ànderung der Art und Menge der arzneilich
wirksamen Bestandteile der Aufbereitungsmonographie des BGA für
Pfefferminzöl (BAnZ Nr. 50 vom 13. März 1986 in der Fassung der
Veröffentlichung im Bundesanzeiger Nr. 128 vom 14. Juli 1993)
angepaßt. Die durch § 105 Abs. 3 a Nr. 5 AMG geschaffene
Erleichterung bei der Veränderung der Zusammensetzung eines
Arzneimittels ohne Neuzulassung setzt aber eine vollständige
Anpassung des geänderten Arzneimittels an die
Aufbereitungsmonographie voraus, also insbesondere auch die
Óbernahme der dort genannten Anwendungsbereiche, was wiederum
bedeutet, daß die in der Monographie vorgegebenen
Anwendungsbereiche nicht überschritten werden dürfen. Andernfalls
würde § 105 Abs. 3 a Nr. 5 AMG die Möglichkeit eröffnen, daß neue
Arzneimittel auf den Markt kommen, die in dieser Zusammensetzung
weder in einem Zulassungsverfahren überprüft wurden, noch sich (wie
die fiktiv zugelassenen Präparate) in langer Praxis bewährt haben.
Solche Arzneimittel bis zur Nachzulassung ungeprüft in den Verkehr
kommen zu lassen, wäre jedoch im Hinblick auf die u.a. mit § 21 AMG
aus Gründen der allgemeinen Gesundheit angestrebte
Arzneimittelsicherheit nicht vertretbar und widerspricht
ersichtlich auch der Intention des § 105 Abs. 3 a Nr. 5 AMG (vgl.
dazu Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht Kommentar, 1996 f, § 105 AMG
Anm. 29; vgl. außerdem 6. Bekanntmachung des BGA vom 23. Oktober
1990 über die Verlängerung der Zulassungen nach Art. 3 § 7 des
AMNG, BAnz. S. 5827). Mit der Inanspruchnahme der Indikation
,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" für Euminz N überschreitet jedoch
die Antragsgegnerin die durch die Monographie für Pfefferminzöl
vorgegebenen Anwendungsbereiche, die in der Monographie, was die
hier allein interessierende äußerliche Anwendung anbelangt, wie
folgt beschrieben werden:
,Myalgien und neuralgiforme Beschwerden. Katarrhe der oberen
Luftwege. Nasensalbe: Katarrhe der oberen Luftwege."
Darlegungs- und glaubhaftmachungspflichtig für den im
vorliegenden Verfahren geltend gemachten Verstoß der
Antragsgegnerin gegen § 1 UWG ist zwar die Antragstellerin. Dafür,
daß ihr Präparat Euminz N gemäß §§ 105, 21 AMG als zugelassen gilt
und somit verkehrsfähig ist, trägt jedoch, weil die Indikation
,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" in der Aufbereitungsmonographie
nicht genannt wird, dort sogar noch nicht einmal ,Kopfschmerzen" in
den Anwendungsbereichen aufgeführt sind, die Antragsgegnerin die
Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast. Die von ihr vorgelegten
Glaubhaftmachungsmittel reichen aber nicht aus, um ,Kopfschmerzen
vom Spannungstyp" nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen
als einen vollständig von den Bereichen Myalgien und neuralgiformen
Beschwerden erfaßten Unterfall anzusehen, wie es von der
Antragsgegnerin geltend gemacht wird. Es ist nicht einmal
hinreichend glaubhaft, daß zumindest Óberschneidungen dieser
Anwendungsgebiete bestehen, die eine entsprechend eingeschränkte
Indikationsangabe für Euminz N rechtfertigen könnten. Das von der
Antragsgegnerin vorgelegte klinische Gutachten von Prof. Dr. G. vom
20. August 1986, in dem die Wirksamkeit von Euminz N zur Behandlung
des Kopfschmerzes vom Spannungstyp untersucht wird, kann schon
deshalb nicht mit dem gesicherten Stand der Wissenschaft
gleichgesetzt werden, weil es sich dabei nur um eine einmalige
Untersuchung handelt. Im übrigen entspricht die in dem Gutachten
vorgeschlagene Verdeutlichung der Indikationsbeschreibung in der
Monographie für Pfefferminzöl ,Muskelschmerzen und Nervenschmerzen,
insbesondere Kopfschmerz vom Spannungstyp mit normaler bzw.
erhöhter Schmerzempfindlichkeit perikranialer Muskeln" nicht der
von der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren geltend gemachten
vollständigen Erfassung des Indikationsbereichs ,Kopfschmerzen vom
Spannungstyp" von den Anwendungsbereichen der Monographie. Die im
Berufungstermin von der Antragsgegnerin vorgelegte klinische
Untersuchung zu dem Produkt ,Tiger Balm" vermag das Gutachten von
Prof. Dr. G. und die darauf gestützte Ansicht der Antragsgegnerin
zu der Berechtigung der Inanspruchnahme der Indikation
,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" für Euminz N schon deshalb nicht
zu bestätigen, weil das Produkt ,Tiger Balm" eine erheblich andere
Zusammensetzung als Euminz N aufweist, u. a. zum Beispiel Kampfer
und Menthol enthält. Die anderen zu den Akten gereichten Nachweise
zur medizinischen Fachliteratur einschließlich der Angaben in der
IHS-Klassifikation zum Begriff ,Muskelschmerz" und dort in ,Code 2"
zum Kopfschmerz vom Spannungstyp sind ebenfalls nicht geeignet, um
hinreichend glaubhaft zu machen, daß die Indikation ,Kopfschmerz
vom Spannungstyp" von den Bereichen ,Myalgien und bzw. oder
,neuralgiformen Beschwerden" im Sinne des Vortrags der
Antragsgegnerin vollständig erfaßt wird. In dieser Fachliteratur
wird zwar häufig erwähnt, daß Kopfschmerzen vom Spannungstyp durch
Muskelverspannungen verursacht werden können, wie dies ersichtlich
auch die Antragstellerin nicht in Zweifel zieht. Diese
Fachliteratur vermittelt aber weder ein einheitliches Bild dazu,
was alles unter , Kopfschmerzen vom Spannungstyp" erfaßt wird, noch
dazu, was die Ursachen dieses Kopfschmerzes sind. Zum Beispiel
werden dazu in der erwähnten IHS-Klassifikation Formen des
Kopfschmerzes ohne Muskelverspannungen und gesteigerte
Schmerzempfindlichkeit gezählt; als Ursachen werden u. a. auch
psychische Gründe genannt. Für einzelne Erscheinungsformen des
Kopfschmerzes vom Spannungstyp sind ausweislich der
IHS-Klassifikation die genauen Ursachen nicht bekannt. Bereits ohne
die von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen von Prof.
Dr. D. vom 13. März 1997 und 11. Juli 1997 läßt sich danach auf der
Grundlage der von der Antragsgegnerin überreichten Fachliteratur
nicht als genügend glaubhaft gemacht ansehen, daß der Kopfschmerz
vom Spannungstyp nach gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis
tatsächlich vollständig von den in der Monographie für
Pfefferminzöl genannten Indikationen als ein Unterfall von
,Myalgien und neuralgiformen Beschwerden" erfaßt wird. Die
erwähnten Àußerungen von Prof. Dr. D. verstärken allenfalls diese
Bedenken. Diese Stellungnahmen sind im übrigen nicht mit den
Àußerungen von Prof. Dr. D. in dem Artikel ,Selbstmedikation bei
Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp" in der Deutschen
Apothekerzeitung vom 2. März 1995 (Autoren: G., So., Z. und D.)
unvereinbar, wo zumindest für die leichte Form des Kopfschmerzes
vom Spannungstyp erklärt wird, es könne u. a. Pfefferminzöl als
Alternative zu Analgetika eingesetzt werden. Auch nach den
Stellungnahmen von Prof. Dr. D. vom 13. März 1997 und 11. Juli 1997
bleiben Fälle von Spannungskopfschmerzen als Begleiterscheinung zur
Muskelverspannung und gelegentlich auch zur Schmerzhaftigkeit der
Nackenmuskulatur sowie der perikranialer Muskulatur denkbar. Nach
Prof. Dr. D. gibt es lediglich keine regelmäßige Korrelation
zwischen Muskelverspannung und schmerzhafter Muskelverspannung
einerseits und Kopfschmerz vom Spannungstyp andererseits, was den
bereits erörterten Angaben in der IHSKlassifikation entspricht.
Bei dieser Sachlage kann im vorliegenden einstweiligen
Verfügungsverfahren nicht davon ausgegangen werden, daß der
Kopfschmerz vom Spannungstyp nach gesicherter wissenschaftlicher
Erkenntnis im Sinne des Vortrags der Antragsgegnerin ein
beispielhafter Unterfall von Myalgien und neuralgiformen
Beschwerden darstellt und damit vollständig unter den
Anwendungsbereich der Monographie für Pfefferminzöl fällt. Es gibt
lediglich Hinweise darauf, daß ein bestimmter Typ von
Spannungskopfschmerz als Begleiterscheinung zu einer schmerzhaften
Muskelverspannung auftreten kann und insoweit eventuell von dem
Begriff der Myalgie erfaßt wird. Selbst dies läßt sich jedoch nach
den vorgelegten Stellungnahmen und Auszügen aus der Fachliteratur
nicht sicher beurteilen, abgesehen davon, daß die Antragsgegnerin
sich bei ihren Pflichtangaben zu Euminz N, wie sie im Tenor dieses
Urteils in Ablichtung wiedergegeben sind, nicht auf eine solche
begrenzte Indikation für Kopfschmerzen vom Spannungstyp beschränkt,
sondern mit dem einleitenden Hinweis ,insbesondere" entsprechend
ihrem eigenen Verständnis Spannungskopfschmerzen als beispielhaften
Unterfall von Muskel- und leichten Nervenschmerzen nennt.
Schließlich ist auch das Schreiben des BfArM vom 29. August 1996
an die Antragsgegnerin und die in der eidesstattlichen Versicherung
von Prof. Dr. Sch. vom 10. Oktober 1996 wiedergegebene Àußerung der
zuständigen Sachbearbeiterin des BfArM vom selben Tage nicht
geeignet, eine Erfassung der Indikation ,Kopfschmerz vom
Spannungstyp" durch die Anwendungsbereiche der Monographie für
Pfefferminzöl zumindest aus der Sicht des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte glaubhaft zu machen. In dem
Schreiben vom 29. August 1996 nimmt das BfArM ausdrücklich gerade
nicht Stellung zu den ihm von der Antragsgegnerin im Schreiben vom
26. August 1996 gestellten Frage, ob Kopfschmerzen vom Spannungstyp
in dem Indikationsgebiet der Monographie für Pfefferminzöl
inbegriffen sind. Was die Àußerung der zuständigen Sachbearbeiterin
des BfArM in dem Telefonat vom 10. Oktober 1996 angeht, wonach die
Teilindikation ,... insbesondere bei Kopfschmerzen vom
Spannungstyp" nach Auffassung des BfArM auch auf der Basis der
Anwendungsgebiete der Aufbereitungsmonographie für Pfefferminzöl
zulässig sei, gibt die eidesstattliche Versicherung von Prof. Dr.
Sch. keinen Aufschluß darüber, ob es sich bei dieser Àußerung nicht
nur um eine, wie bei telefonischen Anfragen üblich, unverbindliche
Ansicht der Sachbearbeiterin gehandelt hat. Zudem kann bei der für
jedes Arzneimittel maßgeblichen Frage der Zulassung eine derartige
telefonische Erklärung seitens des BfArM nicht genügen, um so
weniger angesichts der sich aus der vorgelegten medizinischen
Literatur ergebenden Zweifel gegenüber einer Erstreckung der
Anwendungsbereiche der Monographie für Pfefferminzöl auf die in
Rede stehende Indikation ,Kopfschmerz vom Spannungstyp".
Kann sich somit die Antragsgegnerin zur Rechtfertigung der
Indikation ,Kopfschmerz vom Spannungstyp" für ihr Arzneimittel
Euminz N nicht auf die Monographie für Pfefferminzöl berufen,
sondern bedarf sie hierfür einer besonderen Zulassung gemäß § 29
Abs. 3 Ziff. 3 AMG, verstößt das von der Antragstellerin mit dem
Verfügungsantrag beanstandete Handeln der Antragsgegnerin gegen die
wertbezogene, weil dem Schutz der allgemeinen Gesundheit dienende
Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG und damit zugleich - ohne daß
es hierzu weiterer Voraussetzungen bedarf - gegen § 1 UWG. Ebenso
ist das streitgegenständliche Wettbewerbsverhalten aus den
vorstehenden Gründen gemäß § 1 UWG in Verbindung mit § 3 a AWG
unlauter.
Die Antragstellerin ist zur Geltendmachung des sich aus diesen
Anspruchsgrundlagen ergebenden Unterlassungsanspruchs gegenüber der
Antragsgegnerin aktivlegitimiert. Ungeachtet dessen, ob die
Antragstellerin die Antragsgegnerin bereits als unmittelbar durch
den Wettbewerbsverstoß Verletzte auf Unterlassung in Anspruch
nehmen kann, ergibt sich die Aktivlegitimation der Antragstellerin
jedenfalls aus § 13 Abs. 2 Ziff. 1 UWG. Die Voraussetzungen dieser
Vorschrift sind über die bereits erwähnten Tatbestandsmerkmale
hinaus auch insoweit erfüllt, als dort die Eignung der
Wettbewerbshandlung zur wesentlichen Beeinträchtigung des
Wettbewerbs auf dem örtlichen Markt gefordert ist. Daß das
Inverkehrbringen eines Arzneimittel mit einer nicht zugelassenen
Indikation - im Streitfall noch dazu mit einer Indikation, von der
große Teile der Bevölkerung ,betroffen" sind bzw. ,betroffen" sein
können - eine solche Wettbewerbshandlung darstellt, bedarf keiner
Darlegung.
Ist somit das Unterlassungsbegehren aus dem Hauptantrag der
Antragstellerin erfolgreich, kann dahinstehen, ob auch das mit dem
Hilfsantrag der Antragstellerin geltend gemachte
Unterlassungsverlangen zulässig und in der Sache gerechtfertigt
ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Die
teilweise Neuformulierung des Hauptantrags der Antragstellerin im
Berufungstermin rechtfertigt keine Anwendungen des § 269 Abs. 3 ZPO
und damit keine teilweise Kostenbelastung der Antragstellerin. Die
teilweise Neuformulierung des Hauptantrags besteht lediglich darin,
daß die Antragstellerin die schon mit der Antragsschrift
überreichten Beispiele der Verwendung der streitgegenständlichen
Indikation ,Kopfschmerzen vom Spannungstyp" durch die
Antragsgegnerin in den Antrag einbezogen hat zur Dokumentation der
Art und Weise, wie die Antragsgegnerin diese Indikation in ihren
Verlautbarungen zu Euminz N wiedergibt. Dies stellt jedoch
zumindest im Streitfall in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen
zur fehlenden Berechtigung der Antragsgegnerin, die Indikation
,Kopfschmerz vom Spannungstyp" für ihr Arzneimittel in Anspruch zu
nehmen, keine teilweise Rücknahme des ursprünglichen
Rechtsschutzbegehrens dar, sondern dient nur dessen besserer
Veranschaulichung. Aber selbst wenn man in dieser Neuformulierung
eine gewisse Einschränkung des ursprünglichen Verfügungsantrags
sehen sollte, ist diese Einschränkung so geringfügig, daß sie in
entsprechender Anwendung des in § 92 Abs. 2 ZPO enthaltenen
Rechtsgedankens keine teilweise Belastung der Antragstellerin mit
den Kosten des Rechtsstreits rechtfertigt.
Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 ZPO mit der Verkündung
rechtskräftig.
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OLG Köln:
Urteil v. 29.08.1997
Az: 6 U 243/96
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/a49a66c849dc/OLG-Koeln_Urteil_vom_29-August-1997_Az_6-U-243-96