Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 19. Dezember 2000
Aktenzeichen: X ZR 128/00

(BGH: Beschluss v. 19.12.2000, Az.: X ZR 128/00)

Tenor

Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der am 19. Juli 2000 eingelegten Berufung gegen das am 11. Mai 2000 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts gewährt.

Gründe

I. Durch Urteil vom 11. Mai 2000 hat das Bundespatentgericht das Patent 41 08 789, dessen eingetragener Inhaber die Beklagte zu 1 ist, im Umfang der Patentansprüche 1 und 4 für nichtig erklärt. Das Urteil ist der Beklagten am 25. Juni 2000 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 19. Juli 2000 Berufung eingelegt. Nachdem ihr eine Mitteilung des Senats vom 28. August 2000 zugegangen ist, daß die Berufungsbegründung nicht innerhalb der bis zum 21. August 2000 laufenden Frist eingegangen sei, hat die Beklagte am 12. September 2000 die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Klägerin ist diesem Begehren entgegengetreten.

II. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren. Der hierauf gerichtete Antrag der Beklagten ist innerhalb der ZweiWochen-Frist beim Senat eingegangen, die in entsprechender Anwendung von §§ 233, 234, 236 ZPO in dem ein Patentnichtigkeitsverfahren betreffenden Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof zu beachten ist (Sen.Beschl. v. 31.05.2000 -X ZR 154/99, Mitt. 2000, 418 -Schaltmechanismus). Zugleich mit dem Antrag ist die Berufung begründet, also die versäumte Prozeßhandlung nachgeholt worden, wie es entsprechend § 236 Abs. 2 ZPO ferner erforderlich ist. Schließlich hat die Beklagte auch glaubhaft gemacht, ohne ihr Verschulden verhindert gewesen zu sein, die am 21. August 2000 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten.

1.

§ 85 Abs. 2 ZPO ist Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, wonach sich die Partei eines Gerichtsverfahrens, die sich von einem Bevollmächtigten vertreten läßt, dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen muß. Dieser Grundsatz gilt deshalb auch in Patentnichtigkeitsverfahren und für die Vertretung durch Patentanwälte. Da mit der Vertretung der Parteien vor dem Bundesgerichtshof betraute Patentanwälte durch § 111 Abs. 4 PatG Rechtsanwälten gleichgestellt sind, haben auch sie regelmäßig die strenge Sorgfalt walten zu lassen, die nach ständiger Rechtsprechung von einem pflichtbewußten Rechtsanwalt im Hinblick auf die Wahrung von in Berufungsverfahren zu beachtenden Fristen verlangt werden kann.

2.

Danach darf ein in einem Patentnichtigkeitsverfahren vor dem Bundesgerichtshof als Bevollmächtigter einer Partei handelnder Patentanwalt die Berechnung dieser Fristen, die Führung des Fristenkalenders oder sonstiger Fristenvermerke oder -tafeln -einschließlich der bei Rechtsmittelbegründungsfristen regelmäßig vorzusehenden Vorfrist (BGH, Beschl. v. 06.07.1994 -VIII ZB 26/94, NJW 1994, 2551 m.w.N.) -seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen; er selbst muß allerdings durch geeignete allgemeine Anweisungen auf einen verläßlichen, Fristversäumnisse möglichst vermeidenden Geschäftsgang in seiner Praxis hinwirken. Im Hinblick auf die Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist müssen die Anweisungen auf folgenden Verfahrensablauf gerichtet sein: Es darf nicht die Nachricht des Berufungsgerichts abgewartet werden, in welcher der Tag des Eingangs der Berufungsschrift mitgeteilt wird. Das mutmaßliche Ende der Frist muß vielmehr schon bei oder alsbald nach Absendung der Berufungsschrift vermerkt werden. Dieser Vermerk ist sodann zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, sobald das genaue Eingangsdatum der Berufungsschrift, etwa infolge der gerichtlichen Mitteilung hierüber, zuverlässig feststellbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17.09.1998 -I ZB 33/98, NJW 1999, 142; Beschl. v. 06.05.1997 -VI ZB 12/97, MDR 1997, 775; Beschl. v. 06.02.1997 -III ZB 97/96, VersR 1997, 642). Wenn die mutmaßliche Frist nicht mit der tatsächlich zu beachtenden Berufungsbegründungsfrist übereinstimmt, darf sie mithin entgegen der von der Klägerin vertretenen Meinung bereits nach Notierung der berichtigten Frist und nicht erst nach ihrer sachlichen Erledigung gestrichen werden.

3.

Genügt die Praxisorganisation den genannten Anforderungen, fehlt es regelmäßig an einem der Partei wie eigenes anzulastenden anwaltlichen Fehlverhalten, wenn im Einzelfall der mit der Führung des Fristenkalenders betraute, sonst zuverlässig arbeitende und erfahrene Mitarbeiter des bevollmächtigten Patentanwalts die zunächst ausgehend von dem mutmaßlichen Ende der Berufungsbegründungsfrist notierte Frist streicht, ohne zuvor die ab dem tatsächlichen Eingang der Berufung beim Berufungsgericht laufende Frist vermerkt zu haben, und deshalb die rechtzeitige Begründung des Rechtsmittels unterbleibt. Es liegt dann nämlich lediglich ein Versäumnis dieses Mitarbeiters vor, für dessen Verhalten die Partei nicht einzustehen hat.

4.

Durch die patentanwaltliche Versicherung des Patentanwalts Dipl.-Ing. U. C. und die eidesstattliche Erklärung der Patentanwaltsfachangestellten M. P. sowie den in Ablichtung zu den Gerichtsakten gereichten Auszug aus dem Fristenkalender der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist glaubhaft gemacht, daß ein solcher Fall auch hier gegeben ist. Aus den Angaben dieser Schriftstücke ergibt sich, daß die Behandlung der Berufungsbegründungsfristen in Patentnichtigkeitssachen in der Praxis der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in der soeben geschilderten Weise organisiert ist. Die Frist vom 18. August 2000 wurde am 18. Juli 2000 mit einem auf die Notwendigkeit der Wiedervorlage und der Berufungsbegründung hindeutenden Zusatz notiert. Die Bürovorsteherin P. hatte den Fristenkalender und die auch Vorfristen enthaltende Fristentafel bis dahin seit mittlerweile zehn Jahren sorgfältig und beanstandungslos geführt. Am 24. Juli 2000 hat sie jedoch -was sie und Patentanwalt Dipl.-Ing. C. auf eine Erkältung mit Kreislaufproblemen zurückführen -bei Eingang der Mitteilung der Geschäftsstelle des Senats die bestehenden Anweisungen nicht befolgt und die mutmaßliche Frist gestrichen, ohne zugleich die tatsächliche Berufungsbegründungsfrist zu notieren. Der Senat hat keine Anhaltspunkte, die durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der sich aus den genannten Schriftstücken ergebenden Darstellungrechtfertigen könnten. Auch die Klägerin zieht das versicherte Geschehen nicht in Zweifel. Sie meint allerdings, ein der Beklagten anzulastendes Versäumnis ihrer Prozeßbevollmächtigten darin sehen zu können, daß nach den Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch die mutmaßliche Frist (18. August 2000) anweisungsgemäß nicht als bloß vorläufige habe gekennzeichnet werden müssen und demgemäß auch nicht als solche notiert worden sei. Das hindert die Wiedereinsetzung jedoch nicht, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß bei der von der Klägerin für notwendig gehaltenen Kennzeichnung das Geschehen unterblieben wäre, das -wie glaubhaft gemacht - tatsächlich zur Fristversäumnis geführt hat. Es darf vielmehr angenommen werden, daß Frau P. am 24. Juli 2000 sich auch durch einen auf die Vorläufigkeit der notierten Frist hinweisenden Zusatz nicht hätte abhalten lassen, diese zu streichen, ohne zuvor die tatsächlich zu beachtende Frist im Fristenkalender einzutragen.






BGH:
Beschluss v. 19.12.2000
Az: X ZR 128/00


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