Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Juli 2007
Aktenzeichen: 6 W (pat) 22/04

(BPatG: Beschluss v. 03.07.2007, Az.: 6 W (pat) 22/04)

Tenor

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Patentabteilung 25 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das am 22. März 2001 veröffentlichte Patent mit Beschluss vom 19. Dezember 2003 widerrufen. Die Entscheidung ist sinngemäß damit begründet, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen in unzulässiger Weise erweitert worden sei.

Gegen diesen das Patent widerrufenden Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen ursprünglich offenbart sei und dass der Gegenstand gemäß Hilfsanträgen durch den Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt werde.

Die Patentinhaberin stellte den Antrag, den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das Patent 44 05 796 aufrecht zu erhalten, hilfsweiseden angegriffenen Beschluss insoweit aufzuheben, als das Patent 44 05 796 beschränkt aufrecht erhalten wird mit folgenden Unterlagen:

neue Patentansprüche 1 bis 12 und angepasste Beschreibung (4 Seiten), vom 13. Februar 2004 (Hilfsantrag I), neue Patentansprüche 1 bis 9 vom 3. Juli 2007 (Hilfsantrag II), weitere neue Patentansprüche, wobei die Ansprüche 1 bis 3 und 5 bis 7 zusammengefasst werden (Hilfsantrag III)

sowie Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, und regt an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen zur Frage, ob ein Stand der Technik, der ein anderes Lösungsprinzip als die Erfindung offenbart, geeignet ist, um als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Kombination mit einem weiteren Stand der Technik herangezogen zu werden.

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Erstellen eines Mauerwerks aus Steinmaterial mit zumindest nach oben offenen Hohlräumen oder Kammern wie Hochlochsteinen, Hohlkammersteinen oder gebrannten Hochlochziegeln, dadurch gekennzeichnet, dass auf die Lagerfugen der Steinreihen ein Dünnbettmörtel in einer Dicke von 1 bis 5 mm aufgebracht wird, der mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist."

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I lautet:

"Verfahren zum Erstellen eines Mauerwerks aus Steinmaterial mit zumindest nach oben offenen Hohlräumen oder Kammern wie Hochlochsteinen, Hohlkammersteinen oder gebrannten Hochlochziegeln, dadurch gekennzeichnet, dass auf die Lagerfugen der Steinreihen ein Dünnbettmörtel in einer Dicke von 1 bis 5 mm aufgebracht wird, der mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist, wobei vor Aufbringen des Dünnbettmörtels unmittelbar auf den Steinen durchgehend den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngende Gewebestreifen aufgebracht werden, derart, dass ein Hineinfallen des Mörtelmaterials in die Löcher verhindert und gleichzeitig die Verklebung der Steinlagen untereinander gewährleistet wird."

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II lautet:

"Verfahren zum Erstellen eines Mauerwerks aus Steinmaterial mit zumindest nach oben offenen Hohlräumen oder Kammern wie Hochlochsteinen, Hohlkammersteinen oder gebrannten Hochlochziegeln, dadurch gekennzeichnet, dass auf die Lagerfugen der Steinreihen ein Dünnbettmörtel in einer Dicke von 1 bis 5 mm aufgebracht wird, der mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens in Verbindung mit einem Gewebematerial so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist, wobei vor Aufbringen des Dünnbettmörtels unmittelbar auf den Steinen durchgehend den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngende Gewebestreifen aufgebracht werden, derart, dass ein Hineinfallen des Mörtelmaterials in die Löcher verhindert und gleichzeitig die Verklebung der Steinlagen untereinander gewährleistet wird."

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III lautet:

"Verfahren zum Erstellen eines Mauerwerks aus Steinmaterial mit zumindest nach oben offenen Hohlräumen oder Kammern wie Hochlochsteinen, Hohlkammersteinen oder gebrannten Hochlochziegeln, dadurch gekennzeichnet, dass auf die Lagerfugen der Steinreihen ein Dünnbettmörtel in einer Dicke von 1 bis 5 mm aufgebracht wird, der mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens in Verbindung mit einem Gewebematerial so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist, wobei vor Aufbringen des Dünnbettmörtels unmittelbar auf den Steinen durchgehend den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngende Gewebestreifen aufgebracht werden, derart, dass ein Hineinfallen des Mörtelmaterials in die Löcher verhindert und gleichzeitig die Verklebung der Steinlagen untereinander gewährleistet wird, dass der Dünnbettmörtel als Leichtzuschlag Perlite, Bims, Vermiculite, Kunststoffgranulat oder Glasgranulat enthält und dass die Gewebestreifen eine Maschengröße von ca. 5 bis 12 mm je nach Öffnungsbreite der Steinhohlräume oder Kammern aufweisen."

Hinsichtlich des Wortlauts der übrigen Ansprüche nach Haupt- und Hilfsanträgen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Auf den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung, die Gegenstände der Hilfsanträge II und III beruhten nach vorläufiger Einschätzung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, trägt die Patentinhaberin vor, der Senat dürfe im Beschwerdeverfahren keine neuen Einspruchsgründe berücksichtigen.

Im Prüfungs- und Einspruchsverfahren sind u. a. folgende Druckschriften in Betracht gezogen worden:

- DE 36 27 994 A1

- DE-Z: Baupraxis 1/82 "Mauerwerk ohne Stoßfugenvermörtelung", S. 18/19.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Patentinhaberin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der geltende Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist unzulässig.

In der ursprünglich eingereichten Fassung des Anspruchs 1 ist angegeben, dass der Dünnbettmörtel jeweils auf im Bereich der Lagerfugen unmittelbar auf den Steinen durchgehend angeordneten, den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngende Gewebestreifen aufgebracht wird, derart, dass ein Hineinfallen des Mörtelmaterials in die Öffnungen der Hohlkammern od. dgl. der Steine verhindert und gleichzeitig die Verklebung der Steinlagen untereinander gewährleistet ist.

Sowohl aus dem ursprünglichen Anspruch 1 wie auch aus der Gesamtheit der Unterlagen (vgl. z. B. S. 7, Abs. 1) ergibt sich, dass die Anordnung von den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngenden Gewebestreifen zwingend vorgesehen ist und einen erfindungswesentlichen Verfahrensschritt darstellt.

Gerade dieses in den gesamten Anmeldungsunterlagen als erfindungswesentlich herausgestellte Merkmal fehlt aber im erteilten Anspruch 1.

Der erteilte Anspruch 1 ist auf ein Verfahren gerichtet, bei dem der Dünnbettmörtel allein mittels wärmedämmender Leichtzuschläge und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens in der Lage ist, die Löcher in den Steinen zu überbrücken. Von einem Gewebestreifen, der dieses Hineinfallen unterbindet, ist nun keine Rede mehr.

Der erteilte Anspruch 1 ist somit unzulässig abgeändert, weil sein Gegenstand über das hinaus geht, was ursprünglich offenbart worden ist (PatG § 21, Abs. 1, Satz 4).

2. Der geltende Anspruch 2 gemäß Hilfsantrag I ist unzulässig.

Im geltenden Anspruch 1 ist u. a. angegeben,

"dass der Mörtel mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist."

Genau dieses Merkmal ist den Ursprungsunterlagen nicht zu entnehmen, da dort von einer Überbrückung der Löcher in den Steinen immer nur im Zusammenhang mit einem Gewebematerial die Rede ist. Ein Mörtel, der allein aufgrund von Zuschlägen die Löcher überbrücken kann, ist den Ursprungsunterlagen nicht zu entnehmen (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Hauptantrag).

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I ist somit unzulässig abgeändert, weil sein Gegenstand über das hinaus geht, was ursprünglich offenbart worden ist (PatG § 21, Abs. 1, Satz 4).

3. Die geltenden Ansprüche gemäß Hilfsantrag II sind zulässig.

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II entspricht dem geltenden Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I mit dem Zusatz "in Verbindung mit einem Gewebematerial". Durch diesen Zusatz kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Dünnbettmörtel nicht aus sich heraus die Löcher in den Steinen überbrücken kann, sondern nur in Verbindung mit einem Gewebestreifen, wie es in den ursprünglichen Unterlagen offenbart ist.

Die geltenden Ansprüche 2 bis 9 gemäß Hilfsantrag II ergeben sich aus den Ursprungsunterlagen bzw. der Patentschrift und sind somit ebenfalls zulässig.

4. Die geltenden Ansprüche gemäß Hilfsantrag III sind zulässig.

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III entspricht dem geltenden Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II, an den die Merkmale der erteilten Ansprüche 2 und 3 angehängt worden sind. Die erteilten Ansprüche 2 und 3 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 und 6. Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III ist somit zulässig.

Das Gleiche gilt auch für die übrigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag III, die sich aus den Ursprungsunterlagen bzw. der Patentschrift ergeben.

5. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag II mag neu sein, er ist jedoch nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der DE 36 29 994 A1 ist bekannt ein Verfahren zum Erstellen eines Mauerwerks aus Steinmaterial mit zumindest nach oben offenen Hohlräumen oder Kammern, wie Hochlochsteinen, Hohlkammersteinen oder gebrannten Hochlochziegeln (vgl. Anspruch 1).

Dieses bekannte Verfahren zeichnet sich weiterhin dadurch aus, dassauf die Lagerfugen der Steinreihen ein ...mörtel ... aufgebracht wird, ..., wobei vor dem Aufbringen des ...mörtels unmittelbar auf den Steinen durchgehend den Lochquerschnitt der Steinöffnungen verjüngende Gewebestreifen 1 aufgebracht werden, derart, dass ein Hineinfallen des Mörtelmaterials in die Löcher verhindert und gleichzeitig die Verklebung der Steinlagen untereinander gewährleistet ist (vgl. Anspruch 1 und Sp. 1, Z. 60 bis 69).

Als Unterschied zu diesem bekannten Verfahren verbleibt somit, dass als Mörtel ein Dünnbettmörtel mit einer Dicke von 1 bis 5 mm verwendet wird, der mit wärmedämmenden Leichtzuschlägen und Zusatzmitteln zur Verbesserung des Standvermögens so eingestellt ist, dass eine Überbrückung der Löcher in den Steinen gegeben ist.

Die Verwendung von Dünnbettmörtel mit einer Dicke von 1 bis 3 mm mit anorganischen Füllstoffen und organischen Zusätzen ist dem Fachmann zur Vermauerung von Poroton-Hochlochziegeln bereits hinlänglich bekannt (vgl. DE-Z: Baupraxis 1/82 "Mauerwerk ohne Stoßfugenvermörtelung", S. 19, Abschnitte "Der Mörtel" und "Auftragen des Dünnbettmörtels"). Dort ist auch beschrieben, dass der Mörtel bei richtiger Konsistenz nicht in die Löcher der Ziegel fällt (vgl. a. a. O. Abschnitt "Auftragen des Dünnbettmörtels").

Wenn dieser bekannte Mörtel nun bei dem aus der DE 36 27 994 A1 bekannten Verfahren verwendet wird, führt dies auf direktem Weg zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag II.

Eine solche Übertragung hat für den Fachmann entgegen der Auffassung der Patentinhaberin auch nahegelegen, da es in beiden Druckschriften um die Vermauerung von Hohlblocksteinen geht (vgl. in DE 36 27 994 A1: Sp. 1. Z. 29 bis 32 und in "baupraxis": S. 18, linke Sp., Abschnitt "Die Steine"), in beiden Druckschriften das Problem der Wärmedämmung angesprochen ist (vgl. in DE 36 27 994 A1: Sp. 1. Z. 56 bis 59 und in "baupraxis": S. 19, linke Sp., Abschnitt "Wärmeschutz") und beide Druckschriften Möglichkeiten aufzeigen, wie das Hineinfallen von Mörtel in die Löcher der Steine verhindert werden kann (vgl. in DE 36 27 994 A1: Sp. 2. Z. 24 bis 26 und in "baupraxis": S. 18, rechte Sp., Abschnitt "Auftragen des Dünnbettmörtels", letzter Satz).

Somit war es für den Fachmann naheliegend, den in der Literaturstelle "baupraxis" beschriebenen Mörtel im Zusammenhang mit einem aus der DE 36 27 994 A1 beschriebenen Verfahren einzusetzen, da in beiden Fällen eine gemeinsame Problemstellung das verbindende Glied dargestellt hat.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II ist somit nicht gewährbar.

6. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III mag neu sein, er ist jedoch nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 mit den zusätzlichen Merkmalen der erteilten Ansprüche 2 und 3, wonachder Dünnbettmörtel als Leichtzuschlag Perlite, Bims, Vermiculite, Kunststoffgranulat oder Glasgranulat enthält und die Gewebestreifen einer Maschengröße von ca. 5 bis 12 mm je nach Öffnungsbreite der Steinhohlräume oder Kammern aufweisen.

Wie in der Literaturstelle "baupraxis" beschrieben (vgl. S. 19 Abschnitt "Der Mörtel"), sind dem dort verwendeten Mörtel bereits anorganische Füllstoffe und organische Zusätze zugegeben. Somit erschöpft sich das im Anspruch 1 enthaltene Merkmal, wonachder Dünnbettmörtel als Leichtzuschlag Perlite, Bims, Vermiculite, Kunststoffgranulat oder Glasgranulat enthältallenfalls in einer einfachen Auswahl aus bekannten Zusatzstoffen.

Eine solche Auswahl vermag eine erfinderische Tätigkeit jedoch nicht zu begründen. Denn die beanspruchten Zuschlagstoffe stellen lediglich eine willkürliche Auswahl aus einer Fülle von Möglichkeiten dar, die offenbar die gleichen Eigenschaften besitzen wie die in der "baupraxis" verwendeten Zuschlagstoffe, da sowohl der Mörtel gemäß "baupraxis" als auch der patentgemäße Mörtel zur Vermauerung von Hohlblocksteinen verwendbar ist, wärmedämmende Eigenschaften besitzt und nicht in die Löcher der Steine hineinfällt. Somit betrifft die beanspruchte Auswahl lediglich den analogen Einsatz bekannter Materialien in bekannter Weise, ohne dass unerwartete Wirkungen eintreten; zumindest sind weder den Anmeldungsunterlagen noch der Patentschrift solche unerwarteten Wirkungen zu entnehmen und auch in der mündlichen Verhandlung ist nichts Derartiges vorgetragen worden.

Schließlich vermag auch die Angabe, wonach die Gewebestreifen eine Maschengröße von ca. 5 bis 12 mm je nach Öffnungsbreite der Steinhohlräume oder Kammern aufweisen, den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III nicht zu retten, da die Maschenweite schon allein durch die Lochgröße in den Steinen vorgegeben ist und auch - wie im Anspruch 1 angegeben - je nach Öffnungsbreite variiert.

Nach alledem ist auch der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag III nicht gewährbar.

8. Die übrigen Ansprüche fallen notwendigerweise mit dem jeweiligen Anspruch 1 (vgl. BGH GRUR 1989, 103 "Verschlussvorrichtung für Gießpfannen" i. V. m. BGH GRUR 1980, 716 "Schlackenbad").

9. Entgegen der Meinung der Patentinhaberin war es dem Senat nicht verwehrt, den Gegenstand der Patentansprüche gemäß den Hilfsanträgen II und III auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu prüfen.

Zwar ist das Bundespatentgericht grundsätzlich nicht befugt, im Einspruchsbeschwerdeverfahren von Amts wegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens in erster Instanz waren, aufzugreifen und hierauf seine Entscheidung zu stützen. Die Beschränkung der Prüfungskompetenz der 2. Instanz gilt jedoch nur, wenn der Streitgegenstand in erster und zweiter Instanz identisch ist. Wird die Fassung des Patents - wie im vorliegenden Fall - im Beschwerdeverfahren geändert, so ist Streitgegenstand nicht mehr das Patent, das durch die angefochtene Entscheidung beurteilt wurde, sondern das Patent, dessen Fassung der Patentinhaber nunmehr verteidigt. Die neue Fassung, mit der die Ansprüche, die Beschreibung oder die Zeichnungen geändert werden, darf nur aufrechterhalten werden, wenn sie alle Voraussetzungen für eine Patentierung erfüllt. Das Bundespatentgericht hat in diesem Fall daher eine geänderte Fassung des Patents in vollem Umfang auf die Erfüllung aller Erfordernisse des Patentgesetzes zu prüfen, und zwar ohne Beschränkung auf die gesetzlichen Widerrufsgründe gemäß § 21 PatG oder auf den in ersten Instanz geltend gemachten Einspruchsgrund (vgl. etwa Schulte, Patentgesetz, 7. Aufl., § 59 Rn. 196; Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 59 Rn. 62 c; BGH GRUR 1998, 901 "Polymermasse").

10. Für den Senat gab es keinen Anlass, der Anregung der Patentinhaberin zu folgen und die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 100 Abs. 2 PatG).

Erstens handelt es sich bei der Frage, ob der für die Entscheidung relevante Fachmann verschiedene Dokumente verknüpft und zur Lösung einer Aufgabe heranzieht, nur bedingt um eine Rechtsfrage. Es bedarf nämlich einer wertenden Entscheidung, ob die Erfindung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls für einen Fachmann nahe gelegen hat. Eine solche Feststellung von Tatsachen unterliegt aber keiner Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren.

Zweitens ist fraglich, inwieweit die von der Patentinhaberin aufgeworfene Rechtsproblematik hier entscheidungserheblich ist. Für die Entscheidung des Prüfers oder des Senats kann zwar das Vorliegen objektiver Anhaltspunkte, die für oder gegen ein Naheliegen der Erfindung sprechen, von Bedeutung sein - so auch das Erfordernis, mehrere Dokumente zu kombinieren. Derartige Beweisanzeichen erlauben für sich genommen jedoch keinen zwingenden Schluss, dass die Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht (vgl. BGH GRUR 1979, 619 "Tabelliermappe"; 1962, 350 "Dreispiegel-Rückstrahler"; Schulte, Patentgesetz, 7. Aufl., § 4 Rn. 66; Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 4 Rn. 47).

Drittens ist aber auch die Frage, ob die Kombination verschiedener Entgegenhaltungen ein Indiz gegen das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit sind, bereits höchstrichterlich entschieden und bedarf keiner erneuten Überprüfung. Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Entgegenhaltungen aus dem Stand der Technik, also alle Dokumente aus der Neuheitsprüfung, auch bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen (BGH GRUR 1969, 271 "Zugseilführung"), wobei die erfinderische Tätigkeit auf Grund einer Gesamtschau des Standes der Technik zu beurteilen ist (vgl. BGH BlPMZ 1953, 227 "Rohrschelle"; 1954, 24 "Mehrfachschelle"; 1964, 167, 168 rechte Sp. "Schreibstift"; 1974, 208, 209 rechte Sp. "Stromversorgungseinrichtung"). Der maßgebliche Fachmann hat nach der Rechtsprechung Kenntnis des gesamten Stands der Technik seines Fachgebiets und hat Zugang zu allen Dokumenten seines Gebiets, sowie zu den Dokumenten des Recherchenberichts (vgl. dazu etwa BGH BlPMZ 1989, 133 "Gurtumlenkung"). Es kann also aus den verschiedenen Dokumenten des Standes der Technik gleichsam ein Mosaik gebildet werden (combination of documents). Basis für die Prüfung kann somit u. a. auch die Verknüpfung von mehreren Dokumenten sein. So wurde vom Bundesgerichtshof eine erfinderische Tätigkeit verneint, wenn die Erfindung lediglich eine dem Fachmann mögliche, mosaikartige Zusammenstellung aus dem Stand der Technik ist (BGH BlPMZ 1963, 365, 366 rechte Sp. "Schutzkontaktstecker").






BPatG:
Beschluss v. 03.07.2007
Az: 6 W (pat) 22/04


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