Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg:
Beschluss vom 28. Oktober 2008
Aktenzeichen: 3 Ta 210/08

(LAG Baden-Württemberg: Beschluss v. 28.10.2008, Az.: 3 Ta 210/08)

Die Einigungsgebühr für den Mehrwert eines Vergleichs bemisst sich nicht nach der Nr. 1003 VV RVG (1,0-facher Satz), sondern nach der Nr. 1000 VV RVG (1,5-facher Satz).

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Mannheim vom 28. August 2008 abgeändert:

Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Arbeitsgerichts Mannheim vom 21. Juli 2008 aufgehoben, soweit der Antrag auf die Erinnerung der Staatskasse konkludent zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Urkundsbeamtin angewiesen, den Antrag auf Vergütungsfestsetzung unter Beachtung der diesseitigen Rechtsauffassung neu zu bescheiden.

Gründe

I.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle weigert sich im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG, die Einigungsgebühr für einen Mehrvergleich nicht, wie beantragt, nach Nr. 1000 VV RVG festzusetzen. Sie hält im Hinblick auf eine vorgängige Erinnerung der Staatskasse auch in diesem Umfang eine Vergütung lediglich nach Nr. 1003 VV RVG für gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat im Ausgangsverfahren zunächst durch Beschluss vom 24. Januar 2008 (Bl. 21 der Akte) dem Kläger des Ausgangsverfahrens, das durch Prozessvergleich vom selben Tag erledigt worden war, rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragsstellung Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Abschluss des Vergleichs hat es die Bewilligung noch im Verhandlungstermin rückwirkend auch auf einen Vergleichsmehrwert erstreckt. Entsprechend dem hierauf gestellten Antrag hat die Urkundsbeamtin im Hinblick auf den Mehrvergleich, dessen Wert das Arbeitsgericht durch Beschluss nach § 63 Abs. 2 GKG vom 25. Januar 2008 (Bl. 26 der Akte) auf 2.112,00 EUR festgesetzt hat, eine Gebühr nach Nr. 1000 VV RVG und eine 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 VV RVG festgesetzt. Auf die Erinnerung der Staatskasse hat sie durch Beschluss vom 21. Juli 2008 die Einigungsgebühr einheitlich nach Nr. 1003 VV RVG für den gesamten Vergleichswert festgesetzt und den Differenzbetrag von der Antragstellerin zurückgefordert. Sie hat sich insoweit auf die Begründung der Erinnerung der Staatskasse bezogen, die sich ihrerseits auf eine Entscheidung des LAG Hamm vom 31. August 2007 (6 Ta 402/07, NZA-RR 2007, 601 ff.) gestützt hat. Die hiergegen eingelegte Erinnerung hat das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss zurückgewiesen (Bl. 59 der Akte), in dem es auch die Beschwerde zugelassen hat. Dieser hat es nicht abgeholfen (Verfügung vom 25. September 2008 - Bl. 72 der Akte) und sie hierher vorgelegt.

II.

Die an sich statthafte und vom Arbeitsgericht zugelassene Beschwerde (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG) ist auch in der Sache gerechtfertigt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat zu Unrecht auf die Erinnerung der Staatskasse für den vom Arbeitsgericht angenommenen Mehrwert des Vergleichs die Vergütung der Nr. 1003 VV RVG berechnet. Diese Vorschrift findet auf die vorliegende Fallgestaltung keine Anwendung. Die Anmerkung zu Nr. 1003 VV RVG unterscheidet sich, soweit hier von Interesse, von dem früheren § 23 BRAGO durch die klarstellende Vergünstigung, dass auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließlich für die Protokollierung eines Vergleichs nicht unter die Gebührenreduzierung fällt, die für ein anhängiges Verfahren und ein Prozesskostenhilfeverfahren vorgesehen ist.

Auszugehen ist von den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen. Diese machen die Gebührenermäßigung nicht davon abhängig, ob über die mitverglichenen nicht rechtshängigen Ansprüche vor Gericht verhandelt wurde oder nicht. Es kommt lediglich darauf an, ob ein gerichtliches oder ein Prozesskostenhilfeverfahren anhängig ist. Diese auch schon im Rahmen des § 23 BRAGO umstrittene Frage hat der Gesetzgeber bei der Neufassung des Gesetzes nicht gelöst. Es verbleibt deshalb weiterhin bei der im diesseitigen Beschluss vom 26. Juli 2001 (4 Ta 33/01 - www.lagbw.de/Ta/4ta3301.htm) vertretenen Auffassung. Dort wurde Folgendes ausgeführt:

Die vorliegende Frage wird in der Rechtsprechung kontrovers diskutiert. Dabei geht die Tendenz der Landesarbeitsgerichte dahin, bei der Erstreckung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO anzuwenden, während die Oberlandesgerichte eher dazu neigen, das Merkmal der Anhängigkeit für diese Fallgestaltung zu verneinen. Wegen der Rechtsprechungsnachweise wird auf den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. März 1999 (9 Ta 52/99 - JurBüro 1999, 359-360) verwiesen. Auch auf die vom Beschwerdeführer angezogene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 04. Mai 2000 (9 Ta 32/00 - AnwBl 2000, 692) wird Bezug genommen.

Der dort vertretenen Auffassung kann nicht gefolgt werden. Deshalb ist jedenfalls im Ergebnis an der vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg im Beschluss vom 29. Mai 1995 (1 Ta 27/95 - JurBüro 1995, 585) vertretenen Auffassung festzuhalten. Wortlaut und Sinngehalt rechtfertigen eine Ausdehnung der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO auf die vorliegende Fallgestaltung nicht. Dabei kann durchaus vom Anliegen des Gesetzgebers ausgegangen werden, die außergerichtliche Beilegung eines Rechtsstreits zu fördern. Wie dies der Gesetzgeber macht und welche Wege er dabei verfolgt, wird von diesem vorgegeben und bedarf hier keiner Korrekturen durch die Rechtsprechung. Bei der dem Rechtsanwalt zustehenden Gebühr ist jedenfalls von der Grundregel auszugehen, dass die Vergleichsgebühr 15/10 beträgt, es sei denn, über den Vergleichsgegenstand sei ein gerichtliches Verfahren anhängig. Dasselbe gilt, wenn ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist. Diese Gleichstellung ist nur für den Fall notwendig, dass das Prozesskostenhilfeverfahren als besonderes Verfahren vorgeschaltet ist. Für Prozesskostenhilfeanträge innerhalb eines bereits anhängigen Verfahrens hat diese Bestimmung keine Bedeutung. Dieses dem anhängigen gerichtlichen Verfahren gleichstehende Prozesskostenhilfeverfahren ist dann durchzuführen, wenn mit der Klageerhebung noch zugewartet wird, bis eine Entscheidung über die Bewilligung ergangen ist, wenn nicht die Klageerhebung sogar von einer positiven Entscheidung abhängig gemacht wird. Es wird also vom Gericht eine Entscheidung verlangt über das Vorliegen der subjektiven und objektiven Bewilligungsvoraussetzungen. Im Rahmen der Erfolgsaussicht muss sich das Gericht bereits mit dem Anspruch befassen und eine Prognose anstellen. Die Gleichstellung des Prozesskostenhilfeverfahrens mit dem gerichtlichen Verfahren rechtfertigt sich also daraus, dass der Gesetzgeber in typisierender Weise die erhöhte Vergleichsgebühr auch in diesem Fall nicht gewähren will, weil vom Gericht eine Entscheidung verlangt wird, die sich mittelbar auf den Streitgegenstand bezieht. Notwendig ist aber in jedem Fall, dass die Ansprüche, die von § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO erfasst werden, klar umrissen sind. Sie lassen sich auch im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens individualisieren. Es muss von Anfang an feststehen, wegen welcher Ansprüche eine Entscheidung begehrt wird.

Eine solche Entscheidung wird bei der Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf nicht anhängige Gegenstände nicht verlangt. Es steht zum Zeitpunkt der Erstreckung nicht einmal ohne weiteres fest, welche Gegenstände in den Vergleich einbezogen und welche nicht vom abzuschließenden Vergleich erfasst werden sollen. Die Erstreckung erfolgt ohne Prüfung der Erfolgsaussicht der Auffassung, die die von der Bewilligung begünstigte Partei einnimmt. Gegen die Ausdehnung der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden spricht neben dem Umstand, dass sie als Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist, auch die nicht zu leugnende Tatsache, dass der Begriff Anhängigkeit, wie weit gefasst er auch immer zu verstehen sein mag, jedenfalls voraussetzt, dass Klarheit darüber besteht, auf welche Sachverhalte sich eine gerichtliche Prüfung und Entscheidung erstrecken soll. Wenn nach dem Gesetz ein gerichtliches oder ein Prozesskostenhilfeverfahren anhängig sein muss, kann sich das nur auf konkrete Streitigkeiten beziehen und nicht etwa nur die allgemeine Klärung der Rechtsbeziehungen der Parteien betreffen. Demgegenüber ist es unbeachtlich, ob der Vergleich mit oder ohne gerichtliche Hilfe in Bezug auf die nicht anhängigen Gegenstände zustande kommt, weil der Gesetzgeber nicht die Abwesenheit gerichtlicher Interventionen, sondern die Tatsache privilegiert hat, dass die Parteien nicht konkrete Streitpunkte zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gemacht haben, die sie anstreben. Es erscheint auch gekünstelt, die Höhe der Vergleichsgebühr davon abhängig zu machen, ob die Parteien nun bezüglich der außergerichtlichen Gegenstände eine eigenständig formulierte Einigung zu Protokoll geben - insoweit würde Prozesskostenhilfe nicht für eine beabsichtigte, sondern für eine bereits abgeschlossene Rechtsverfolgung gewährt - oder ob die gütliche Beilegung des Rechtsstreit nur unter Einbeziehung außergerichtlicher Gegenstände mit gerichtlicher Hilfe möglich ist, was im arbeitsgerichtlichen Verfahren zum Alltag gehört. Für eine Auslegung des Begriffs anhängig, die den Wortsinn völlig verlässt, besteht kein Anlass, zumal ja der Gesetzeswortlaut auf das Vorliegen eines gerichtlichen oder eines Prozesskostenhilfeverfahrens abhebt. Die Entscheidung, die ja sachgerecht vor Abschluss des Vergleichs zu ergehen hat, erzeugt ja nicht einmal zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Anhängigkeit des Gegenstandes in einem solchen Verfahren, sondern erst die Einigung der Parteien über die gütliche Beilegung und ihre sachliche Reichweite. Ein Prozesskostenhilfeverfahren kann aber nur insoweit anhängig sein, als die Gegenstände, für die Prozesskostenhilfe bewilligt werden soll, feststehen. Ob dabei der Streitgegenstand im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt ist, ist wiederum unmaßgeblich, weil diese Frage ja Gegenstand der Entscheidung des Gerichts ist. Die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen noch abzuschließenden Vergleich betrifft aber keine Entscheidung über bereits bestimmte Gegenstände, sondern regelt nur eine Vergütungsfolge für die Einigung, die regelmäßig noch zu finden ist. Ob eine Erfolgsaussicht für eine etwa beabsichtigte Rechtsverfolgung vorliegt, ist völlig unbeachtlich. Sie erstreckt sich ja auch auf solche Gegenstände, für die mangels Erfolgsaussicht im Falle eines Prozesskostenhilfeverfahrens keine Prozesskostenhilfe bewilligt worden wäre.

Deshalb kann die Tatsache, dass das Arbeitsgericht im Ausgangsverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Bindung für das Vergütungsfestsetzungsverfahren nachträglich auf den Vergleich erstreckt hat, nicht dazu führen, dass sich die Vergütung für den Vergleich nach § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO bemisst. Die einbezogenen Streitigkeiten waren nicht Gegenstand eines Prozesskostenhilfeverfahrens. Die Frage der Erörterung dieser Gegenstände in einer mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht, die zu einem Prozessvergleich führt, ist kein Tatbestandsmerkmal des § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO.

Hieran hat sich in Bezug auf die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 und 1003 VV RVG nichts geändert. Die gesetzlichen Vorgaben sind nicht zum Nachteil der Rechtsanwälte gegenüber dem Rechtszustand, wie er sich aus § 23 BRAGO ergab, modifiziert worden. Es besteht deshalb keine Veranlassung, von dieser ständigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg abzuweichen. Deshalb hat die Urkundsbeamtin die Vergütung des Antragstellers unter Berücksichtigung dieser Auffassung neu zu berechnen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.






LAG Baden-Württemberg:
Beschluss v. 28.10.2008
Az: 3 Ta 210/08


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