Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Juli 2002
Aktenzeichen: 30 W (pat) 251/01
(BPatG: Beschluss v. 22.07.2002, Az.: 30 W (pat) 251/01)
Tenor
Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 9 IR des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. Oktober 2001 aufgehoben.
Gründe
I.
Für die international registrierte Marke 708 024 siehe Abb. 1 am Endewird in der Bundesrepublik Deutschland die Schutzbewilligung begehrt für die Waren:
Electric, electronic and electroacoustic apparatus for receiving, recording, reproducing, transmitting and transforming sound signals and voice signals; customized software; software; compact discs; floppy disks; sound tapes; cassettes; parts and accessories to the aforesaid goods.
Die Markenstelle für Klasse 9 IR des Deutschen Patent- und Markenamts hat den nachgesuchten Schutz wegen fehlender Unterscheidungskraft verweigert. Die Marke weise in der Bedeutung "freie Sprechweise" auf den Einsatz der Waren bei der Sprachverarbeitung hin.
Die Markeninhaberin hat Beschwerde eingelegt. Mit näheren Ausführungen hält sie die Marke für schutzfähig und macht insbesondere geltend, daß FreeSpeech als Wort der englischen Sprache ohne unmittelbaren Produktbezug sei.
Die Markeninhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß der Markenstelle aufzuheben.
Ergänzend wird auf das schriftsätzliche Vorbringen und den Inhalt des patentamtlichen Beschlusses Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der IR-Marke kann nach § 113, § 107, § 37 Abs 1, § 8 Abs 2 Nr 1 und 2 MarkenG iVm MMA Art 5, PVÜ Art 6 quinquies B Nr 2 der Schutz nicht versagt werden.
Nach der genannten Vorschrift des § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG sind von der Eintragung solche Marken ausgeschlossen, die ausschließlich aus Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung ua der Art, der Beschaffenheit, der Bestimmung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren dienen können. Um eine solche Angabe handelt es sich bei der schutzsuchenden IR-Marke nicht; denn es ist nicht ersichtlich, daß FreeSpeech als konkrete unmittelbare Angabe über wesentliche Eigenschaften der unter dieser Marke angebotenen Waren dienen könnte und deswegen für die Mitbewerber der IR-Markeninhaberin freigehalten werden müßte.
"Free speech" ist ein Begriff der englischen Sprache und bedeutet im Deutschen "Redefreiheit" (vgl Eichborn, Die Sprache unserer Zeit, Wörterbuch Band IV S 349; Duden Oxford Großwörterbuch Englisch S 1162; Webster«s Third New International Dictionary S 907); das ist das - in Deutschland in Art 5 Abs 1 GG verankerte - Recht, seine Meinung ua in Wort frei äußern zu können (vgl Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 4. Aufl S 1285; Wahrig, Deutsches Wörterbuch S 1033). Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß mit einer Marke, die einen speziellen Bezug zur Redefreiheit im genannten rechtspolitischen Sinn hat, hinsichtlich der maßgeblichen Waren wesentliche Eigenschaften, Inhalte oder Zweckbestimmungen beschrieben werden könnten. Juristische oder politologische Lehrmittel kommen nach der Fassung des Warenverzeichnisses nicht in Betracht. Soweit Überwachungssysteme für elektronische Kommunikation unter das Warenverzeichnis fallen sollten, deren unkontrollierte Anwendung - wie von Kritikern geltend gemacht (vgl zB www.howstuffworks.com; www.art.net/freespeech) - ua die Beschränkung der Redefreiheit zur Folge haben könnte, so wäre dies nicht eine wesentliche Eigenschaft der Ware als solche. Damit läßt sich nicht feststellen, daß die schutzsuchende Marke insoweit freihaltebedürftig iSv § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Mitbewerber die Bezeichnung FreeSpeech in ihrer Bedeutung "Redefreiheit" ernsthaft benötigen.
Es mag zwar sein, daß der rechtspolitische Begriff "Redefreiheit" - nach Art eines Wortspiels oder bezogen auf die formale Bedeutung der Einzelbestandteile ("free" = "frei"; "speech" = "Rede, Sprache, das Sprechen", vgl Eichborn aaO Band I S 759 und Band II S 729; Duden Oxford aaO S 1551) - vielleicht im Sinne von "freie Sprechweise" und weiter folgernd auch mit Technik in Verbindung gebracht werden könnte, die irgendwie Spracherkennung betrifft, wie die Markenstelle meint. Das allein begründet jedoch noch kein Freihaltebedürfnis iSv § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG. Diese auf Artikel 3 Abs 1 Buchst c) Markenrichtlinie beruhende Vorschrift verfolgt das allgemeine Interesse daran, daß beschreibende Zeichen oder Angaben von jedermann, insbesondere von den Mitbewerbern des Anmelders, frei verwendet werden können. Dieses berechtigte Interesse besteht an allen unmittelbaren, konkreten Sachangaben, wie sie im Geschäftsverkehr und in der Werbung erforderlich sind, um den Anbietern zu ermöglichen, sich mit den angesprochenen Verkehrskreisen unmißverständlich über die Beschaffenheit der angebotenen Waren zu verständigen. Dazu gehören ferner auch allgemeine Angaben über sonstige für den Warenverkehr wichtige und für die umworbenen Abnehmer irgendwie bedeutsame Umstände mit Bezug auf die angemeldeten Waren (vgl BGH GRUR 1999, 1093, 1094 - FOR YOU; GRUR 2000, 231, 232 - FÜN-FER). Damit ist aber die Reichweite des Begriffs vom Freihaltungsbedürfnis erschöpft. Denn der Schutzzweck des § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG ist auf bestimmte Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs beschränkt. Dagegen reicht diese Vorschrift nicht so weit, darüber hinaus solche literarischen Wörter und Wortkombinationen von einer markenrechtlichen Monopolisierung auszunehmen, die allenfalls übertragenen Sinn einen Warenbezug aufweisen können (vgl BGH GRUR 1998, 465, 466 - BONUS; GRUR 1998, 813, 814 - CHANGE, GRUR 1999, 988, 990 - HOUSE OF BLUES; BPatG 24 W (pat) 155/97 - RoamAbout, PAVIS PROMA CD-ROM).
FreeSpeech gehört für solche Waren nicht zu der zuerst genannten Gruppe von Wörtern, sondern wirkt unspezifisch, verschwommen und interpretationsbedürftig. Zwar bestehen im Bereich der Spracherkennung (englisch "speech recognition" oder "voice recognition", vgl Microsoft Press Computerlexikon Ausgabe 2002 S 668; www.speech.de; www.fask.unimainz.de; www-3.ibm.com/software/speech) Probleme bei der Entwicklung von Systemen oder Geräten, die - bei Erreichung einer hohen Genauigkeit - zum Beispiel sprecherunabhängig eine Vielzahl von Sprechweisen und Akzenten bewältigen. Eine hinreichend bestimmte Aussage läßt sich der IR-Marke insoweit dennoch nicht ohne weiteres entnehmen. Es bedürfte erst nicht ganz unerheblichen Nachdenkens und gedanklicher Ergänzungen, um - ausgehend von dem englischsprachigen Begriff für "Redefreiheit" - diesen zu übertragen auf die Erkennung der Sprache unabhängig von Sprecher und Sprechweise und so einen konkreten Zusammenhang mit den beanspruchten Waren aufzufinden. Eine solche Betrachtung wäre analysierend und würde besondere Denkprozesse erfordern, was nicht Platz greift und der Annahme eines Freihaltebedürfnisses entgegensteht (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 8 Rdn 142 mwN).
Nichts anderes gilt, soweit es um Geräte gehen könnte, die im Deutschen als "Freisprechanlage" bezeichnet werden. Das sind Geräte, die es ermöglichen, beim Autofahren zu telefonieren, ohne den Hörer in der Hand halten zu müssen. Der englische Begriff für solche Anlagen lautet "handsfree (car, phone) kit" (www.quotes.quotations.com/handsfreecarkits; www.usatoday.com; www.carpoint.nl). Unter den genannten Umständen wirkt die IR-Marke auch für solche Waren unspezifisch und verschwommen.
Der schutzsuchenden Marke kann auch nicht jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG abgesprochen werden. Sie vermittelt - wie oben dargelegt - für die fraglichen Waren keinen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt (vgl ua BGH GRUR 2001, 1150 - LOOK; GRUR 2002, 64 - INDIVIDUELLE). Es sind auch keine anderen Umstände erkennbar, die gegen ihre Eignung zur Ausübung der Herkunftsfunktion sprechen.
Dr. Buchetmann Winter Voit Hu Abb. 1 http://agora/bpatg2/docs/30W(pat)251-01.3.gif
BPatG:
Beschluss v. 22.07.2002
Az: 30 W (pat) 251/01
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