Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 7. Juli 2006
Aktenzeichen: 6 U 35/06
(OLG Köln: Urteil v. 07.07.2006, Az.: 6 U 35/06)
Tenor
1.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.01.2006 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 84 O 74/05 - wird zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
B E G R Ü N D U N G
I.
Die Parteien sind unmittelbare Wettbewerber im Bereich des Krankentransportwesens. Die Klägerin, ein in L. ansässiges Unternehmen, ist nach nordrheinwestfälischem Landesrecht, §§ 18 ff des Gesetzes über den Rettungsdienst sowie die Notfallrettung und den Krankentransport durch Unternehmer (RettG NRW), zur Durchführung von Krankentransporten befugt. Die Beklagte, die ihren Betriebssitz in N. hat, verfügt über eine entsprechende behördliche Genehmigung nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz (BayRDG), wonach sie Beförderungen durchführen darf, deren Ausgangs- oder Zielort im Einsatzbereich N. liegt, Art. 13 Abs. 2 BayRDG.
Am 20.03.2005 hat die Beklagte eine Patientin im Stadtgebiet von L. zur Durchführung einer Krankentransportfahrt mit einem hierfür bereit gehaltenen Fahrzeug aufgenommen und nach N. transportiert. Die Klägerin hat hierin einen Verstoß gegen §§ 18 ff RettG NRW gesehen, weil die Beklagte - unstreitig - über keine Genehmigung nordrheinwestfälischer Behörden zur Aufnahme von Krankentransportpatienten am Ausgangsort i.S. des § 22 Abs. 2 Satz 2 und § 23 Abs. 3 RettG NRW, nämlich im Betriebsbereich der Stadt L., verfügt. Sie hat die Beklagte unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten, § 4 Nr. 11 UWG, auf Unterlassung sowie auf Zahlung von Schadensersatz, nämlich Ersatz des ihr entgangenen Gewinns aus der fraglichen Krankentransportfahrt in Höhe von 400 € und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von weiteren 278,05 €, in Anspruch genommen.
Mit Urteil vom 12.01.2006, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, dass es sich bei den von der Klägerin in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 18 ff RettG um reine Marktzutrittsregelungen ohne Wettbewerbsbezug i.S. des § 4 Nr. 11 UWG handele. Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel.
Sie beantragt nunmehr - unter teilweiser redaktioneller Neufassung des Unterlassungsantrags -
die Beklagte zu verurteilen,
es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 € oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Patienten im Stadtbereich von L. mit Krankentransportwagen aufzunehmen, sofern und solange für diesen Betriebsbereich und für das eingesetzte Fahrzeug keine Genehmigung gemäß Rettungsgesetz NRW erteilt worden ist; an sie 400 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2005 zu zahlen; an sie weitere 278,05 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
wobei sie das Urteil verteidigt.
II.
Die zulässige Berufung führt in der Sache nicht zum Erfolg. Das Begehren der Klägerin stellt sich als insgesamt unbegründet dar, weil die in Frage kommende Vorschrift des § 18 RettG NRW keinen Marktbezug i.S. der - als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden - §§ 3, 4 Nr. 11 UWG aufweist.
1.
Der Senat folgt dem Landgericht nicht schon darin, dass § 18 RettG NRW als reine Marktzutrittsregelung, d.h. als eine Personen den Zugang zum Markt aus nicht auf das Verhalten am Markt bezogenen Gründen verwehrende Norm, dem Anwendungsbereich des § 4 Nr. 11 UWG von vorneherein entzogen sei.
Die Durchführung von Aufgaben sowohl der - im Streitfall nicht berührten - Notfallrettung als auch des Krankentransports durch private Unternehmer bedarf der behördlichen Genehmigung, § 18 Satz 1 RettG NRW, wobei die Voraussetzungen zur Erteilung der Genehmigung sowie ihr Umfang nach näherer Maßgabe der §§ 18 a ff RettG NRW geregelt sind. Die insoweit in §§ 22, 23 RettG NRW enthaltenen gegenständlichen, zeitlichen und räumlichen Beschränkungen hindern indes nicht grundsätzlich und nicht aus Gründen, die ohne Bezug zu Art und Weise einer Betätigung der um eine Genehmigung nachsuchenden Unternehmer auf dem Markt wären, den Zutritt zum Markt der mit Notfallrettung und Krankentransport befassten Kreise. Sie konkretisieren lediglich Grenzen und Umfang der behördlichen Erlaubnis.
2.
Die Genehmigungsvorschrift des § 18 RettG NRW in Verbindung mit den den Umfang der behördlichen Erlaubnis konkretisierenden §§ 22, 23 RettG NRW stellt entgegen der Ansicht der Klägerin dennoch keine Marktverhaltensregelung i.S. des § 4 Nr. 11 UWG dar. Offen bleiben kann deshalb, ob die Beklagte dadurch, dass sie am 20.03.2005 eine Patientin zum Zwecke des Krankentransports in L. aufgenommen hat, ohne im Besitz einer hierzu berechtigenden Genehmigung der zuständigen nordrheinwestfälischen Behörden zu sein, gegen die fragliche Vorschrift verstoßen hat.
a)
Um eine Marktverhaltensregelung handelt es sich nur dann, wenn die fragliche Norm zumindest auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (vgl. BGH MD 2006, 1, 3 - Betonstahl; BGH MD 2006, 7, 11 - Schulfotoaktion; BGH GRUR 2005, 875 - Diabetesteststreifen; GRUR 2005, 960 - Friedhofsruhe), was anhand einer am Normzweck der Vorschrift orientierten Auslegung zu beurteilen ist. § 18 RettG NRW ist keine Marktverhaltensregelung in diesem Sinne.
Aufgaben der Notfallrettung und des Krankentransportes obliegen den Kreisen und kreisfreien Städten als Trägern des Rettungsdienstes, § 6 Abs. 1 RettG NRW. Private Unternehmer können mit entsprechenden Leistungen auftreten, bedürfen hierfür aber - in Nordrhein-Westfalen nicht anders als in den übrigen Bundesländern - einer behördlichen Genehmigung, § 18 RettG NRW, die, wie ausgeführt, nach näherer Maßgabe der §§ 18 a ff RettG NRW erteilt wird. Die fragliche Genehmigung ist grundsätzlich räumlich beschränkt. Sie gilt nur für einen bestimmten Betriebsbereich, § 22 Abs. 1 Satz 1 RettG NRW, welcher - anders als etwa nach Art. 13 Abs. 2 BayRDG - definiert ist als "das Gebiet, in dem das Unternehmen zur Entgegennahme von Beförderungsaufträgen berechtigt ist", § 22 Abs. 2 Satz 2 RettG NRW. § 23 Abs. 3 RettG NRW regelt zudem ausdrücklich, dass Beförderungen nur durchgeführt werden dürfen, "wenn ihr Ausgangsort im Betriebsbereich liegt", wobei im Einzelfall Ausnahmen erteilt werden können.
Wie sich insbesondere aus § 19 Abs. 4 RettG NRW ergibt, dient die nach näherer Maßgabe der §§ 18 a ff RettG NRW konkretisierte Genehmigungsvorschrift des § 18 RettG NRW dem öffentlichen Interesse an einem funktionsfähigen, flächendeckenden und bedarfsgerechten Rettungsdienst. Die Zulassung privater Unternehmer zu Notfallrettung und Krankentransport soll nämlich nicht dazu führen, dass die öffentlichen Leistungsträger auf die in diesem Aufgabenkreis anfallenden unwirtschaftlicheren Tätigkeiten verwiesen und solcherart in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Es besteht deshalb eine aus dem öffentlichen Interesse resultierende Notwendigkeit, auf der Grundlage bestimmter Bedarfsermittlungen und -berechnungen und abhängig von der Auslastungslage der öffentlichen Leistungserbringer nur auf einen bestimmten Bereich begrenzte behördliche Genehmigungen an Private zu erteilen.
b)
Wenn mithin auch davon auszugehen ist, dass § 18 RettG NRW den Schutz der öffentlichen Leistungserbringer vor konkurrierenden privaten Unternehmen bezweckt (so auch die amtliche Begründung bei Ausgliederung des bis dahin bundesrechtlich geregelten Krankentransportwesens aus dem Bereich des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG), BT-Drs. 11/4224, Seite 6), so weist die Norm dennoch keinen Marktbezug auf. Der öffentliche Rettungsdienst ist bei Wahrnehmung der ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben nämlich nicht "Marktteilnehmer" i.S. der §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 4 Nr. 11 UWG, in dessen Interesse es das Marktverhalten zu regeln gälte. Soweit die öffentliche Hand Aufgaben der Notfallrettung und des Krankentransports i.S. des RettG NRW wahrnimmt, handelt sie vielmehr ausschließlich hoheitlich und deshalb nicht als am Wettbewerb i.S. des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Teilnehmende.
Nach den gesetzlichen Vorgaben sind die Träger des Rettungsdienstes öffentlichrechtliche Institutionen, nämlich nach § 6 Abs. 1 RettG NRW die Kreise bzw. kreisfreien Städte, welchen die fraglichen Aufgaben auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge und Gefahrenabwehr als Pflichtaufgaben, § 6 Abs. 3 RettG NRW, zugewiesen sind. Die Leistungen sowohl der Notfallrettung als auch des Krankentransports werden auf der Grundlage einer (öffentlichrechtlichen) Gebührensatzung berechnet, § 14 Abs. 1 RettG NRW, und schließlich stehen die Träger der Aufgaben nach dem RettG NRW unter der Sonderaufsicht der zuständigen Behörden bzw. des für das Gesundheitswesen zuständigen Ministeriums, § 17 Abs. 1 RettG NRW. Die Gesetzessystematik erlaubt mithin nur den Schluss auf ein rein hoheitliches Handeln des öffentlichen Rettungsdienstes (so auch BVerwG, Beschl. vom 08.11.2004 - 3 B 36/04 - zur Notfallrettung nach dem BayRDG). Eine weitere Differenzierung nach Aufgaben der Notfallrettung einerseits und des Krankentransports andererseits verbietet sich, nachdem § 6 Abs. 1 RettG NRW beide Formen des Rettungsdienstes gleichberechtigt und ohne Unterscheidung nebeneinander nennt und auch in sonstiger Weise, sei es hinsichtlich der Erhebung von Gebühren oder bei der Frage der behördlichen Aufsicht, keine Besonderheiten gelten.
3.
§ 18 RettG NRW i.V. mit den die Genehmigungsvoraussetzungen konkretisierenden §§ 22, 23 RettG NRW dient deshalb nicht dazu, - zumindest auch - das Verhalten der zum Krankentransport zugelassenen privaten Unternehmer untereinander im Wettbewerb zu regeln. Auswirkungen auf deren Wettbewerb sind vielmehr bloßer Reflex dieser öffentlichrechtlichen Regelungen und können nicht mit einer Wettbewerbsklage unterbunden werden. Der von der Klägerin im Schriftsatz vom 23.06.2006 betonte Umstand, dass es sich bei den §§ 18 ff. RettG NRW um rein gewerberechtliche Sonderbestimmungen handele, ändert daran nichts.
Der Senat hält an dieser Auffassung auch in Ansehung des Urteils des OLG Hamm vom 17.11.2005 - 4 U 105/05 - fest. Das Oberlandesgericht hat § 18 RettG NRW ausdrücklich als Marktverhaltensregelung i.S. des § 4 Nr. 11 UWG beurteilt und sich zur Begründung auf einen aus dem Marktbezug des § 49 Abs. 4 PBefG zu folgernden "erst recht"-Schluss bezogen. Wenn auch kein ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit der allgemein vertretenen Ansicht besteht, dass das in § 49 Abs. 4 PBefG geregelte Rückkehrgebot für Mietwagenunternehmer als Marktverhaltensregelung anzusehen ist, so erscheint dem erkennenden Senat im Hinblick auf die unterschiedlichen Regelungsgegenstände und divergierenden Normzwecke der Schluss auf eine parallele Beurteilung des § 18 RettG NRW nicht geboten zu sein.
Auf der Abweichung zur zitierten Entscheidung des OLG Hamm beruht die Zulassung der Revision.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
OLG Köln:
Urteil v. 07.07.2006
Az: 6 U 35/06
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