Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. August 2003
Aktenzeichen: 26 W (pat) 38/01

(BPatG: Beschluss v. 27.08.2003, Az.: 26 W (pat) 38/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegen die für die Waren

"Wein und Schaumwein"

unter der Nummer 2 909 129 eingetragene Wort-Bild-Markeist Widerspruch erhoben worden aus der Marke IR 2R 226 361 RICARD, die für die Waren

"liqueurs et spiritueux divers"

in der Bundesrepublik Deutschland Schutz genießt.

Die Markenstelle für Klasse 33 hat diesen Widerspruch zurückgewiesen. Die miteinander zu vergleichenden Waren seien ähnlich, es bestehe aber ein gewisser gruppenmäßiger Abstand. Damit seien nur geringe Anforderungen an den einzuhaltenden Zeichenabstand zu stellen. Auch wenn zugunsten der Widersprechenden eine gesteigerte Kennzeichnungskraft ihrer Marke für die Anisspirituose Pastis unterstellt werde, wirke sich das wegen der wirtschaftlichen Entfernung zwischen diesem Erzeugnis und den Weinen und Schaumweinen der angegriffenen Marke nicht entscheidungserheblich aus. In ihrer Gesamtheit unterschieden sich die Vergleichsmarken ohnehin ausreichend. Eine Kollisionsgefahr sei aber auch dann zu verneinen, wenn man lediglich die beiden Wörter RICARDELLE und RICARD gegenüberstelle. Zwar sei die Widerspruchsmarke in der jüngeren Marke vollständig enthalten. Das zusätzliche Wortelement "-ELLE" in der jüngeren Marke könne aber aufgrund seiner Länge und Klangstärke weder übersehen noch überhört werden. Auch in begrifflicher Hinsicht sei keine Kollisionsgefahr festzustellen, da die jüngere Marke keine sprachübliche Verkleinerungsform der Widerspruchsmarke darstelle und auf dem vorliegenden Warengebiet keine Übung bestehe, im Geschäftsverkehr eine Verkleinerungsform von Markenwörtern zu bilden. Ein gedankliches Inverbindungbringen sei nicht zu befürchten, da in der jüngeren Marke das Element "RICARD-" nicht selbständig kennzeichnend in Erscheinung trete, sondern mit dem Element "-ELLE" zu einer einheitlichen Wortbildung verschmelze. Das ergebe sich bereits aus der natürlichen Silbengliederung.

Hiergegen wendet sich die Widersprechende mit der Beschwerde. Die Vergleichswaren seien ähnlich, da sie über die gleichen Vertriebswege veräußert, in Geschäften unmittelbar nebeneinander angeboten und in den gleichen Herstellungsbetrieben produziert würden sowie als Getränke unmittelbar untereinander austauschbar seien. Die Widerspruchsmarke sei seit vielen Jahrzehnten eine relativ bekannte Marke in der Bundesrepublik Deutschland und könne eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft für sich in Anspruch nehmen. Eine wortbildliche Verwechslungsgefahr liege jedenfalls insoweit vor, als beide Marken auf runden Flaschen angebracht würden, die die Etiketten nicht vollständig erkennen ließen. Es sei daher nicht auszuschließen, dass nur der Wortbestandteil "RICARD" in dem Produktnamen "RICARDELLE" erkannt werde. Im übrigen bestehe die Gefahr, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht würden. Die Widerspruchsmarke werde als Marke für einen Pastisschnaps benützt und sei auch im Firmennamen der Widersprechenden enthalten. Die angesprochenen Verkehrskreise gingen daher davon aus, dass sich die Widersprechende entschlossen habe, den Stammbestandteil "RICARD" als Basis für weitere Produkte zu nehmen. Das sei schon deshalb wahrscheinlich, weil die Silbe "-ELLE" ohne weiteres als französische Endung erkannt werde und daher der weitere Bezug zu der französischen Markeninhaberin geschaffen werde. Der Stammbestandteil trete in beiden Marken hervor und rufe damit die Gefahr hervor, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht würden. Die Widersprechende beantragt, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie steht auf dem Standpunkt, dass die Waren einen erheblichen Abstand aufwiesen. Dies mache einen besonderen Abstand der Marken nicht erforderlich. In schriftbildlicher Hinsicht sei bei einem Vergleich der beiden Zeichen signifikant, dass die jüngere Marke einen Bildbestandteil aufweise, der zumindest mitbestimmend sei. In klanglicher Hinsicht unterschieden sich die Vergleichswörter durch ihre Silbenzahl. Da in der jüngeren Marke der Buchstabe "D" mit der zweiten Worthälfte verschmelze, habe der erste Bestandteil "RICARD" keine selbständig kennzeichnende Stellung innerhalb der Gesamtbezeichnung der jüngeren Marke mehr. Für ein gedankliches Inverbindungbringen der jüngeren Marke mit der Widerspruchsmarke existierten ebenfalls keine Anhaltspunkte, da die Beschwerdeführerin den Bestandteil "-ELLE" einmal als Verkleinerungsform, einmal als weibliche Endung und ein weiteres Mal als "französisch klingendes Anhängsel" bezeichnet habe; diese analytischen Betrachtungen aber unternähmen die beteiligten Verkehrskreise nicht. Eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke werde bestritten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, denn auch nach Auffassung des Senats besteht zwischen den sich gegenüberstehenden Marken keine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Die Gefahr markenrechtlich erheblicher Verwechslungen ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen, umfassend zu beurteilen. Zu den maßgeblichen Umständen gehören insbesondere die Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren sowie die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (EuGH GRUR 1998, 387 - Sabèl/Puma; BGH GRUR 1995, 216 - Oxygenol II).

Die beiderseitigen Waren sind als alkoholische Getränke, die einander ergänzen, ähnlich (Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl., S 362 liSp; vgl auch BGH GRUR 99, 245 - LIBERO; 2001, 507 - EVIAN/ REVIAN), wobei diese Ähnlichkeit jedoch wegen des gruppenmäßigen Abstandes nicht sehr eng sein dürfte. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke wird als durchschnittlich angenommen, denn die von der Widersprechenden vorgetragenen Umsatzzahlen begründen noch keine gesteigerte Kennzeichnungskraft. An den Abstand der Vergleichsmarken sind deshalb insgesamt mittlere Anforderungen zu stellen, denen die angegriffene Marke jedoch gerecht wird.

Bei der Prüfung der Ähnlichkeit von Kennzeichnungen ist grundsätzlich auf den Gesamteindruck abzustellen, den sie hervorrufen (EuGH aaO - Sabèl/Puma; BGH GRUR 2000, 506 - ATTACHÉ/TISSERAND). Darin aber weichen die Vergleichszeichen so deutlich voneinander ab, dass Verwechslungen insoweit nicht zu befürchten sind. Auch eine unmittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Übereinstimmung prägender Markenbestandteile besteht nicht (vgl dazu BGH WRP 2000, 173 - RAUSCH/ELFI RAUCH), denn zwischen dem in der angegriffenen Wort-Bild-Marke prägenden und zur Bezeichnung ohne weiteres geeigneten Wort RICARDELLE (Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl., § 9 Rdnr 433 f) und der Widerspruchsmarke RICARD besteht keine unmittelbare Verwechslungsgefahr. Die Vergleichswörter sind in ihrer Länge so unterschiedlich, dass bereits dies zu einer Verneinung einer klanglichen und schriftbildlichen Verwechslungsgefahr führt. Bei der Buchstabenfolge "-ELLE" in der angegriffenen Marke handelt es sich auch nicht lediglich um eine uncharakteristische Endung, die oft nicht in der Erinnerung verbleibt (Ströbele/Hacker, aaO, § 9 Rdnr 187 f) oder für eine Verkleinerungsform gehalten wird (aaO). Sie ist sowohl aus dem Italienischen wie auch aus dem Französischen bekannt, steht aber weder für eine Verkleinerungsform noch für eine bloß unbeachtliche Endung und nur gelegentlich für die weibliche Form eines Adjektivs. Hinzu kommt, dass der Verkehr auf dem vorliegenden Warengebiet nicht an eine entsprechende Übung der Hersteller und Anbieter (etwa Markenwörter - je nach der von ihnen angesprochenen Zielgruppe - mit "männlichen" oder "weiblichen" Endungen zu versehen) gewöhnt ist und deshalb auch nicht von dem Vorliegen einer markenmäßig unbeachtlichen Endung ausgehen wird. Im übrigen verschmilzt die Lautfolge "-ELLE" mit dem vorangehenden Konsonanten "D", was zusätzlich von der Annahme einer bloßen Endung wegführen dürfte. Eine begriffliche Verwechslungsgefahr liegt ebenfalls nicht vor, da ein gemeinsamer Sinngehalt nicht ersichtlich ist. Schließlich ist die mögliche Anbringung der Vergleichszeichen auf gerundeten (Flaschen-)Oberflächen, die unter Umständen nur eine Teilsicht auf die Kennzeichnung erlauben, kein für die Bejahung einer Verwechslungsgefahr maßgebliches Argument, denn die (willkürliche) nur teilweise Berücksichtigung von Markenwörtern - was ja bis hin zu Einzelbuchstaben von ansonsten völlig unterschiedlichen Wörtern gehen müsste - würde zu einer unübersehbaren und letztlich objektiv nicht mehr wägbaren Zahl von Verwechslungsfällen führen. Im übrigen hat eine solche markenmäßige Unkenntlichkeit in der Praxis eher Nachfrage oder genauere Prüfung, nicht aber Verwechslungen zur Folge.

Auch für eine mittelbare Verwechslungsgefahr, bei deren Annahme ohnehin Zurückhaltung geboten ist (vgl Ströbele/Hacker, aaO, Rn 470), sind keine hinreichenden Tatbestandsmerkmale zu erkennen. Die Widersprechende ist nicht Inhaberin einer Serie von (der angegriffenen Marke etwa vergleichbar gebildeten) Zeichen mit dem Stammbestandteil "RICARD". Es handelt sich bei der Marke "RICARD" auch nicht um ihre Firmenkennzeichnung. Diese lautet vielmehr PERNOD RICARD S.a., so dass es für den angesprochenen Verkehr auch von daher gesehen nicht naheliegt, in einer Marke, die (neben mehreren anderen Elementen) die Buchstabenfolge "RICARD..." enthält, (ausnahmsweise) einen Hinweis auf die Firma der Widersprechenden zu vermuten. Anhaltspunkte für eine mittelbar begriffliche Verwechslungsgefahr sind schon deshalb nicht ersichtlich, weil - wie oben festgestellt - die beiden Vergleichsmarken keinerlei naheliegenden oder ohne weiteres erfassbaren Begriffsgehalte aufweisen.

Da mithin keine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen bejaht werden kann, kam es auf die von der Markeninhaberin in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Einrede mangelnder Benutzung mit Ausnahme der Ware "Anisschnaps" nicht an.

Der Beschwerde der Widersprechenden musste deshalb der Erfolg versagt werden.

Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs 1 MarkenG bestand kein Anlass.

Albert Reker Eder Fa






BPatG:
Beschluss v. 27.08.2003
Az: 26 W (pat) 38/01


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