Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Dezember 2002
Aktenzeichen: 30 W (pat) 234/01
(BPatG: Beschluss v. 09.12.2002, Az.: 30 W (pat) 234/01)
Tenor
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Oktober 2001 aufgehoben, soweit darin der Widerspruch auch für die Waren "elektrische und elektronische Apparate und Instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Geräte zur Wiedergabe von Ton; Lautsprecher, elektroakustische Verstärker, Empfänger-/Verstärker-Geräte, Kopfhörer, Autoradioapparate" zurückgewiesen worden ist.
Insoweit wird wegen der Gefahr von Verwechslungen mit der Marke 671 672 die Löschung der angegriffenen angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Markesiehe Abb. 1 am Endeist am 20. Januar 1998 unter der Nummer 397 17 533 für die Waren Elektrische und elektronische Apparate und Instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten), wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, photographische, Film- und Unterrichtsapparte und -instrumente; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten; elektrische Anlagen, Vorrichtungen, Einrichtungen und Geräte für die Schwachstrom-, Nachrichten- und Hochfrequenztechnik, Lautsprecher, Mikrophone, Plattenspieler, elektroakustische Verstärker, Empfänger-/Verstärker-Geräte, Tonband-/Cassettengeräte, Kopfhörer, Videorecorder, Video-Kameras, Video-Monitore, Fernsehgeräte, Autoradioapparate, Tonbänder und Tonbandcassetten, Videocassetten, Alarmanlagen, Satellitenempfangsantennen und Satellitenempfangsgeräte; Uhren; Küchengeräte, nicht aus Edelmetall.
in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 20. Februar 1998.
Widerspruch erhoben hat am 14. Mai 1998 die Inhaberin der Marke 671 672 Boy, die seit dem 18. Februar 1955 für "tragbare Rundfunkempfänger" eingetragen ist. Die Widersprechende hat im Beschwerdeverfahren den Widerspruch dahin beschränkt, daß er sich nicht mehr gegen die Waren "Küchengeräte" der angegriffenen Marke richte.
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Der Bestandteil "CASH" stelle neben dem weiteren Bestandteil "BOY" ein gleichgewichtiges Element in der angegriffenen Marke dar, so daß der Verkehr keine Veranlassung habe, sich allein an dem Wort "BOY" zu orientieren. Nach dem Gesamteindruck der Marken seien Verwechslungen nicht zu befürchten.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Mit näheren Ausführungen hält sie auch unter Hinweis auf eine hohe Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Serienmarke für gegeben.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke für die Waren der Klassen 9 und 14 anzuordnen.
Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Eine Äußerung der Markeninhaberin zur Sache ist nicht zu den Akten gelangt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil auch in der Sache begründet. Im Umfang der im Tenor genannten Waren kann die Eintragung der angegriffenen Marke keinen Bestand haben, da insoweit Verwechslungen unter dem Gesichtspunkt des gedanklichen Inverbindungbringens mit der Widerspruchsmarke zu besorgen sind (§ 42 Abs 2 Nr 1 iVm § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG). Die weitergehende Beschwerde bleibt ohne Erfolg, da insoweit eine Verwechslungsgefahr ausscheidet.
Ob Verwechslungsgefahr besteht, hängt nach § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG ab von der Identität oder Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken einerseits und andererseits von der Identität oder Ähnlichkeit der von den beiden Marken erfaßten Waren. Darüber hinaus sind auch alle weiteren Umstände zu berücksichtigen, die sich auf die Verwechslungsgefahr auswirken können, insbesondere die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, wobei die verschiedenen für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr heranzuziehenden Faktoren in einer Wechselwirkung stehen (st Rspr vgl BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN; GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND jew mwN). Dies impliziert einen im Einzelfall auszufüllenden Wertungsspielraum, so daß auch bei (noch) gegebener Ähnlichkeit der Waren einerseits und einer gewissen Zeichenähnlichkeit andererseits nicht zwingend auf das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr geschlossen werden kann (vgl BGH GRUR 2000, 608, 610 - ARD-1). Nach § 9 Abs 1 Nr 2, 2. Halbsatz MarkenG schließt der Begriff der Verwechslungsgefahr die Gefahr ein, daß die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können.
Die Widerspruchsmarke wird, wie aus dem Schriftsatz vom 5. Dezember 2002 und den dazu übersandten Prospektkopien hervorgeht, seit Jahrzehnten für tragbare Rundfunkempfänger eingesetzt. Auch wenn die mit der Widerspruchsmarke erzielten, in der mündlichen Verhandlung genannten Umsätze nicht hinreichen mögen, um von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft sprechen zu können, muß doch jedenfalls von einer fest im Markt verankerten Marke ausgegangen werden, deren Kennzeichnungskraft sich im oberen durchschnittlichen Bereich bewegt.
Die im Tenor genannten Waren können teilweise identisch, im übrigen unproblematisch deutlich ähnlich sein mit den tragbaren Rundfunkempfängern der Widerspruchsmarke (vgl Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl 2002, S 285).
Allerdings ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr der Vergleichsmarken zu verneinen. In ihrer Gesamtheit unterscheiden sich die Vergleichsmarken "CASHBOY" und "Boy" klar und unverwechselbar in allen für die Beurteilung des Gesamteindrucks wesentlichen Kriterien; die angegriffene Marke besteht aus zwei Sprechsilben im Vergleich zur einsilbigen Widerspruchsmarke und weist mehr als die doppelte Anzahl von Buchstaben auf. Auch wenn die Widerspruchsmarke - formal betrachtet - identisch in der angegriffenen Marke enthalten ist, führt dies nicht zur Bejahung einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr. Solches würde abweichend von dem Grundsatz, daß ein Elementenschutz dem Markenrecht fremd ist (vgl Althammer/Ströbele MarkenG 6. Aufl § 9 Rdn 157 zu mehrgliedrigen Marken), nur dann in Betracht kommen, wenn der Bestandteil "BOY" die angegriffene Marke allein kollisionsbegründend prägen würde, was bei Einwortmarken - im Gegensatz zu mehrgliedrigen Kombinationsmarken - ohnehin nur im Ausnahmefall in Betracht kommt (vgl Althammer/Ströbele aaO). Eine lediglich mitprägende Wirkung auf den Gesamteindruck reicht dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht einmal bei mehrgliedrigen Marken aus, um die weiteren Bestandteile bei der Beurteilung des Gesamteindrucks und der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund treten zu lassen (vgl BGH MarkenR 2000, 21 - RAUSCH/ELFI RAUCH). Eine allein oder selbständig kollisionsbegründende Wirkung kommt dem Bestandteil "BOY" innerhalb der angegriffenen Marke nicht zu. Der Erfahrungssatz, daß der Verkehr Marken regelmäßig ohne analysierende Betrachtungsweise aufnimmt (vgl BGH MarkenR 1999, 199, 201 liSp 2. Absatz - MONOFLAM/POLYFLAM) spricht dafür, daß die Widerspruchsmarke insgesamt erfaßt wird. Es sind auch keine nachvollziehbaren Gründe ersichtlich, die das Publikum veranlassen könnten, in dem relativ kurzen Wort "CASHBOY" aus Gründen der Bequemlichkeit oder Vereinfachung nach einem den Gesamteindruck prägenden Einzelelement zu suchen. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke wird durch ihre beiden Wortbestandteile "CASH" und "BOY" gleichermaßen geprägt. Zwar vermag aus Rechtsgründen ein schutzunfähiger Bestandteil für sich gesehen keine selbständig kollisionsbegründende Wirkung zu entfalten. Die Auffassung der Widersprechenden, der Bestandteil "CASH" weise einen beschreibenden Sinngehalt auf und trete daher im Gesamteindruck zurück, wird indessen durch nichts gestützt.
Nicht auszuschließen ist demgegenüber, daß die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können (§ 9 Abs 1 Nr 2, 2. Halbsatz MarkenG). Es besteht mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens (vgl BGH GRUR 2000, 886, 887 - Bayer/BeiChem; GRUR 1999, 587, 589 - Cefallone). Die Widersprechende hat im einzelnen dargelegt, daß sie seit langem tragbare Rundfunkempfänger nicht nur unter der Widerspruchsmarke, sondern daneben verschiedene andere Typen solcher Geräte unter den Bezeichnungen "Beat-Boy", "Concert-Boy", "Elite-Boy", "Micro-Boy", "Music-Boy", "Party-Boy", "Teleboy", "City-Boy", "DECT-Boy", "Hit-Boy", "Mini-Boy", "Ocean-Boy", "Prima-Boy" und "Yacht-Boy" vertreibt (vgl. hierzu Prospektkopien gemäß Anlage zum Schriftsatz vom 5. Dezember 2002). Bei dieser Sachlage erscheint es naheliegend, daß die angegriffene Marke "CASHBOY" vom Verkehr als eine weitere "Boy"-Marke der Widersprechenden erachtet wird.
Mittelbare Verwechslungsgefahr kann entgegen den Ausführungen der Markenstelle nicht unter dem Gesichtspunkt eines gesamtbegrifflichen Charakters der angegriffenen Marke ausgeschlossen werden (vgl. hierzu Althammer/Ströbele aaO § 9 Rdn 222). Es ist nichts dafür ersichtlich, daß "CASHBOY" einen ohne weiteres verständlichen Gesamtbegriff vermittelt - wie zB das Wort "Playboy" -, der von der Vorstellung wegführen könnte, es handle sich um Serienmarken eines Unternehmens.
Nach alledem war der Beschwerde in dem angegebenen Umfang der Erfolg nicht zu versagen.
Die weitergehende Beschwerde - betreffend die weiteren Waren der angegriffenen Marke, soweit sich der Widerspruch gegen sie richtet - ist nicht begründet. Auch insoweit ist die Gefahr unmittelbarer Verwechslungen aus den oben bereits genannten Gründen zu verneinen; der Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr steht fehlende bzw nicht hinreichende Warenähnlichkeit entgegen. Der Verschiedenheit der beiderseitigen Waren kommt bei der mittelbaren Verwechslungsgefahr zwar geringere Bedeutung zu als bei der unmittelbaren, weil es gerade das Typische einer Markenserie ist, zur Kennzeichnung verschiedener Waren zu dienen. Gleichwohl bestehen auch insoweit Grenzen. Je weiter sich Waren voneinander entfernen, um so weniger drängt sich der Gedanke an Serienmarken des Markeninhabers auf (vgl Althammer/Ströbele aaO § 9 Rdn 223). Da der Begriff der Verwechslungsgefahr allein im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke auszulegen ist (EuGH GRUR 2001, 1148, 1149 Rdn 22 - Bravo; GRUR 1998, 922, 924 Rdn 26 ff - Canon), kommt es für die Annahme von Warenähnlichkeit daher darauf an, ob die Waren von den angesprochenen Verkehrskreisen demselben Unternehmen zugeordnet werden. Für diese Beurteilung ist entscheidend, ob die beiderseitigen Waren in Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte - so enge Berührungspunkte aufweisen, daß die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl Althammer/Ströbele aaO § 9 Rdn 41 mwN).
Nach diesen Grundsätzen ist in Bezug auf die Waren "Uhren" eine Verwechslungsgefahr schon mangels Warenähnlichkeit mit "tragbaren Rundfungempfängern" zu verneinen (vgl Richter/Stoppel aaO S 342). Der von der Widersprechenden hervorgehobene Umstand, daß sie auch Uhrenradios herstelle, führt zu keiner anderen Beurteilung, weil dies hier nicht die geschützten Waren sind. Für den noch verbleibenden Teil der Waren der angegriffen Marke scheidet jedenfalls eine hinreichende Ähnlichkeit mit den "tragbaren Rundfunkempfängern" der Widerspruchsmarke aus. Hierbei ist von Bedeutung, daß die Widerspruchsmarke nicht etwa Schutz für das breite Warengebiet der Klasse 9 oder den gesamten Bereich der traditionellen Unterhaltungselektronik genießt, sondern nur für das eng begrenzte Gebiet der tragbaren Rundfunkempfänger. Das ist ein tragbares Gerät zum Empfang von Darbietungen in Wort und Ton. Vor diesem Hintergrund legen Art, Verwendungszweck und Nutzung der weiteren Waren nicht ohne weiteres eine Verbindung mit einem Unternehmen nahe, das sich mit der Herstellung von tragbaren Rundfunkempfängern befaßt. Jedenfalls kann von engerer Ähnlichkeit nicht ausgegangen werden, so daß sich die für solche Waren verwendete angegriffene Marke nicht in die für "tragbare Rundfunkempfänger" gebildete Markenserie der Widersprechenden einordnet.
Zu einer Auferlegung der Kosten des Verfahrens bestand kein Anlaß (§ 71 Abs 1 MarkenG).
Dr. Buchetmann Winter Schramm Hu Abb. 1 http://agora/bpatgkollision/docs/30W(pat)234-01.1.3.gif
BPatG:
Beschluss v. 09.12.2002
Az: 30 W (pat) 234/01
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/a5eccbd235db/BPatG_Beschluss_vom_9-Dezember-2002_Az_30-W-pat-234-01