Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Oktober 2007
Aktenzeichen: 20 W (pat) 44/06

(BPatG: Beschluss v. 15.10.2007, Az.: 20 W (pat) 44/06)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 15. April 1997 beim Patentamt eingereichte Patentanmeldung wurde ein Patent mit der Bezeichnung "Verfahren zur Werkstückmaßkontrolle und zur Erhöhung der Bearbeitungsgenauigkeit spanender Werkzeugmaschinen" erteilt. Die Erteilung wurde am 19. November 1998 veröffentlicht. Das Patent umfasst acht Patentansprüche.

Der einzige unabhängige Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Werkstückmaßkontrolle und zur Erhöhung der Bearbeitungsgenauigkeit von Werkzeugmaschinen mit Hilfe der relativen Positionsbestimmung von Schneiden und Werkstückoberflächen, bei dem der durch die Reibung zwischen einem Zerspanungswerkzeug bzw. einem Tastwerkzeug und dem Werkstück oder einem werkstücknah befindlichen Antastgegenstand erzeugte Reibungskörperschall in Verbindung mit dem maschineneigenen Wegmesssystem genutzt wird, um das Werkstück auf Einhaltung der Toleranzen zu überprüfen und um den Temperaturgang und eine veränderte Schneidenlänge und -auffederung relativ zum Werkstück zu messen und zu kompensieren."

Die Ansprüche 2 bis 8 sind auf den Patentanspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogen. Bezüglich deren Wortlauts wird auf die Patentschrift verwiesen.

Gegen das Patent wurde am 19. Februar 1999 Einspruch erhoben, mit dem der Widerruf des Patents wegen fehlender Patentfähigkeit begehrt wird.

Die Einsprechende beruft sich im Einspruchsschriftsatz auf die Druckschriften D1 Modulares Process Monitor System PROMOS, Prozess- und Werkzeugoptimierung beim Schleifen, Prospekt der PROMETEC GmbH, Druckvermerk "PDA.241.086.GE"

D2 Messgerät zur Bestimmung des Abrichtbetrages, Flyer des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der Technischen Universität Braunschweig, ohne Druckvermerk D3 MSS Multi-Sensoric-System, Prospekt der Henri Hauser AG, Biel, Schweiz, Druckvermerk "Änderungen bleiben vorbehalten 145-20 3 9 1990 Gedruckt in der Schweiz"

D4 WO 92/04663 A1, Veröffentlichungsdatum 19. März 1992 D5 GETTELMANN, Ken: Jig Grinding Goes Modern. In:Modern Machine Shop Magazine, Dezember 1989 (Reprint ohne weitere Publikationsangaben)

D6 LANGE, D.: Messgerät zur Bestimmung des Abrichtbetrages bei der Schliefbearbeitung keramischer Werkstoffe. In: Jahrbuch Schleifen, Hohnen, Läppen und Polieren, 1993, Vulkan Verlag, ISBN 3-8027-2910-2, Seite 344-348 und trägt sinngemäß vor, dass dem Gegenstand des Streitpatents die notwendige Neuheit fehle und er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Die Einsprechende geht in ihrem Einspruchsschriftsatz davon aus, dass die Erfindung ein Verfahren zur Werkstückmaßkontrolle und zur Erhöhung der Bearbeitungsgenauigkeit von Werkzeugmaschinen mit Hilfe der relativen Positionsbestimmung von Schneiden und Werkstückoberflächen betreffe, bei dem der durch die Reibung zwischen einem Zerspanungswerkzeug bzw. einem Tastwerkzeug und dem Werkstück oder einem werkstücknah befindlichen Antastgegenstand erzeugte Reibungskörperschall in Verbindung mit dem maschineneigenen Wegmesssystem genutzt werde, um das Werkstück auf Einhaltung der Toleranzen zu überprüfen und um den Temperaturgang und eine veränderte Schneidenlänge und -auffederung relativ zum Werkstück zu messen und zu kompensieren.

Derartige Verfahren seien unter Zuhilfenahme selbstschaltender oder -messender Taster bereits Stand der Technik. Bezüglich dieser Behauptung hat die Einsprechende keine konkrete Druckschrift benannt, sondern ausgeführt, dies sei gemäß der Beschreibung im Streitpatent vom Patentinhaber bereits eingeräumt worden.

Im Übrigen trägt die Einsprechende vor, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht neu. Insoweit erläutert die Einsprechende unter Bezugnahme auf die Druckschriften D1 bis D6 lediglich, dass die Verwendung von Körperschallsensoren zur Erfassung von Oberflächenkonturen an Werkstücken oder Werkzeugen durch den Stand der Technik vorweggenommen sei.

Der Patentinhaber ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten und hat geltend gemacht, der Einspruch sei unzulässig, weil er sich nur mit einem Teil der durch das Patent geschützten Lehre auseinander setze. In jedem Falle sei der Einspruch aber auch unbegründet, weil die in den herangezogenen Druckschriften D1 bis D6 beschriebenen Lösungen die Lehre des Patentanspruchs 1 weder neuheitsschädlich vorwegnehmen noch für den Fachmann nahelegen würden.

Durch Beschluss vom 21. Oktober 2003 hat die Patentabteilung 52 des Deutschen Patent- und Markenamts den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat die Patentabteilung ausgeführt, die Einspruchsbegründung erfülle nicht das Erfordernis der Angabe von Tatsachen im Einzelnen, weil sich die Einsprechende nicht mit allen Merkmalen der Erfindung, sondern nur mit Einzelmerkmalen des erteilten Anspruchs 1 auseinander gesetzt habe.

Hiergegen wendet sich die Einsprechende mit der Beschwerde und trägt vor, der Einspruch sei zulässig, weil zu seiner Begründung darauf verwiesen worden sei, dass das streitpatentgemäße Verfahren mit selbstschaltenden oder -messenden Tastern bereits vorbekannt sei. Darüber hinaus habe die Einsprechende nachgewiesen, dass das Ersetzen eines mechanisch schaltenden Tasters durch einen Körperschallsensor, der den durch die Reibung zwischen einem Zerspanungswerkzeug, bzw. einem Tastwerkzeug und dem Werkstück oder einem werkstücknahe befindlichen Antastgegenstand erzeugte Reibungskörperschall detektiert, bereits bekannt sei.

Die Einsprechende nennt in der Beschwerdebegründung darüber hinaus als weitere Druckschrift die Veröffentlichung:

D7 DE 689 12 221 T2 (= deutschsprachige Übersetzung der europäischen Patentschrift EP 0 352 635 B1)

und legt dar, dass und warum diese Druckschrift ihrer Auffassung nach dem Patentgegenstand neuheitsschädlich entgegenstehe.

Die zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Einsprechende beantragt schriftsätzlich, den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 52 vom 21. Oktober 2003 aufzuheben und die Sache an das Patentamt zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen.

Hilfsweise beantragt die Einsprechende, den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 52 vom 21. Oktober 2003 aufzuheben und das Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit in vollem Umfang zu widerrufen.

Der Patentinhaber stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Zu weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Einspruch gegen das Patent ist unzulässig, da er nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründet worden ist.

Dem Einspruchsschriftsatz lässt sich zwar entnehmen, dass als Widerrufsgrund fehlende Patentfähigkeit, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG, geltend gemacht werden soll.

Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG sind jedoch die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist "im Einzelnen" anzugeben. Dieses Erfordernis ist in ständiger Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass eine so vollständige Darlegung der Tatsachen zu erfolgen hat, dass das Patentamt und der Patentinhaber daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können; sie sollen allein anhand der mitgeteilten Umstände, ohne eigene Ermittlungen, in die Lage versetzt sein, zu prüfen, ob der behauptete Widerrufsgrund gegeben ist (vgl. Benkard/Schäfers, PatG, 10. Aufl. § 59, Rdn. 17 mit weiteren Nachweisen). Hierfür muss grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit der gesamten patentierten Lehre stattfinden, denn eine Befassung nur mit einem Teilaspekt der Erfindung macht den Einspruch unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1987 - X ZB 28/86, GRUR 1988, 364 - Epoxidationsverfahren).

Diesen Anforderungen an die Substantiierungspflicht genügt der Einspruch nicht.

Widerrufsgrund "fehlende Neuheit" (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG)

Wird, wie vorliegend, im Einspruch behauptet, der Patentgegenstand sei durch schriftliche Beschreibung bekannt, so muss der beschriebene Gegenstand ausreichend angegeben und der Zusammenhang mit den einzelnen Merkmalen der unter Schutz gestellten Erfindung dargetan werden.

Die Einsprechende hat zum Ausgangspunkt ihrer Einspruchsbegründung zur fehlenden Neuheit gemacht, dass ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 bereits zum Stand der Technik gehöre, sofern die relative Positionsbestimmung von Schneiden und Werkstückoberflächen statt durch die Reibung zwischen einem Zerspanungswerkzeug bzw. einem Tastwerkzeug und dem Werkstück oder einem werkstücknah befindlichen Antastgegenstand erzeugte Reibungskörperschall unter Zuhilfenahme selbstschaltender oder -messender Taster erfolgt.

Damit ist weder der angeblich bekannte Gegenstand ausreichend angegeben, noch ist der Zusammenhang mit dem gesamten Patentgegenstand dargetan. Es fehlt jegliche Angabe dazu, aus welcher Druckschrift der beschriebene Gegenstand bekannt sei. Das rein formelle, wörtliche Zitat des patentierten Anspruchs 1 lässt nicht erkennen, dass tatsächlich ein Stand der Technik vorhanden ist, der die aufgeführten Merkmale aufweist. Es genügt in diesem Zusammenhang nicht, dass sich die Einsprechende auf Angaben in der Streitpatentschrift selbst beruft, solange die Streitpatentschrift selbst keine druckschriftlichen Belege für den als bekannt angenommenen Stand der Technik nennt. Hinzu kommt, dass sich die patentierte Lehre selbst nach den Ausführungen der Einsprechenden zumindest durch die Verwendung von Körperschallsensoren von dem als bekannt angenommenen Stand der Technik unterscheidet.

Soweit die Einsprechende im weiteren anhand der Druckschriften D1 bis D6 erläutert, dass die Verwendung von Körperschallsensoren anstelle der mechanisch schaltenden Taster aus dem Stand der Technik bekannt sei, berührt dies aber die Frage der Neuheit der patentierten Lehre nicht, da kein Stand der Technik bekannt geworden ist, aus dem die patentierte Lehre in ihrer Gesamtheit hervorgehen würde. Es wird jeweils nur auf einzelne Merkmale der patentierten Lehre eingegangen.

Im Ergebnis fehlt es daher an einer substantiierten Darstellung des Widerrufsgrundes, wobei dahinstehen kann, ob die Angaben der Einsprechenden zur Vorveröffentlichung der Druckschrift D1 überhaupt ausreichend sind.

Widerrufsgrund "Nichtberuhen auf erfinderischer Tätigkeit"

(§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG)

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, § 4 Satz 1 PatG. Wird im Einspruch behauptet, der Patentgegenstand beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, ist eine Substantiierung in der Weise nötig, dass das Naheliegen der Gesamtlehre für den Patentinhaber und die Patentabteilung auf der Grundlage des Standes der Technik erkennbar ist.

Hierzu - insbesondere zu einer Kombination aus verschiedenen Entgegenhaltungen, die den Gesamtgegenstand nahelegen würde - hat die Einsprechende nichts vorgetragen. Der Nachweis des Naheliegens würde aber auch schon daran scheitern, dass die Einsprechende keinen Stand der Technik benannt hat, aus dem die Überprüfung des Werkstücks auf Einhaltung der Toleranzen sowie die Messung und Kompensation des Temperaturgangs und der Schneidenauffederung hervorgeht. Damit ist auch hier nur eine Teillehre abgehandelt werden.

Damit erweist sich der Einspruch sowohl bezüglich der angeblich fehlenden Neuheit als auch bezüglich des angeblichen Nichtberuhens auf erfinderischer Tätigkeit als unsubstantiiert und formell unvollständig. Die im Schriftsatz vom 12. Oktober 2007 erstmals genannte Druckschrift D7 und die hierzu gegebenen Erläuterungen können die Zulässigkeit des Einspruchs nicht begründen, da diese nach Ablauf der Einspruchsfrist erfolgt sind.

Die Beschwerde erweist sich folglich insgesamt als unbegründet.

Dr. Bastian Martens Höppler Kleinschmidt Pr






BPatG:
Beschluss v. 15.10.2007
Az: 20 W (pat) 44/06


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