Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. September 2003
Aktenzeichen: 4 Ni 35/02

(BPatG: Urteil v. 24.09.2003, Az.: 4 Ni 35/02)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 635 373 (Streitpatent), das am 13. Dezember 1993 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der japanischen Patentanmeldungen 179195/93 vom 20. Juli 1993, 298370/93, 298500/93 und 298501/93, jeweils vom 29. November 1993, angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 693 17 412 geführt wird, betrifft ein Tintenstrahlaufzeichnungsgerät, welches eine Tintenpatrone mit einem tinteninduzierenden Element verwendet. Es umfasst 39 Ansprüche. Der allein angegriffene Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Tintenpatrone miteinem Tintenspeicherabschnitt mit einem porösen Element zum Speichern von Tinte;

einem Tintenzuführabschnitt zum Zuführen von Tinte vom Tintenspeicherabschnitt zur Außenseite der Tintenpatrone, dadurch gekennzeichnet, dass ein Tinteninduzierelement zwischen dem Tintenspeicherabschnitt und dem Tintenzuführabschnitt angeordnet ist, um das poröse Element des Tintenspeicherabschnitts so zu drücken, dass das poröse Element verformt wird;

mit einem Halteelement zum Halten des Tinteninduzierelements;

mit einem Begrenzungselement, um das Tinteninduzierelement so zu begrenzen, dass es zu dem Tintenzuführabschnitt gleitet;

wobei das Tinteninduzierelement durch das Halteelement gleitfähig gehalten wird und als ein Faserbündel ausgebildet ist, wobei jede Faser entlang einer Gleitrichtung des Tinteninduzierelements vorgesehen ist.

Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent im Umfang seines Anspruchs 1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

- EP 0 536 980 A2 (D1)

- EP 0 139 508 A2 (D2)

- US 3 355 239 (D3)

- JP 05 104735 A (D4)

- US 4 771 295 (D5) als Beleg für das Fachwissen des Fachmanns.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 635 373 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent für bestandsfähig.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der der in Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist nicht begründet.

1. Das Streitpatent betrifft eine Tintenpatrone zum Speichern von Tinte, die einem Tintenstrahlkopf zugeführt werden soll, eine Tintenstrahlaufzeichnungseinheit, in die die Tintenpatrone und der Tintenstrahlkopf integriert sind und eine Tintenstrahlaufzeichnungsvorrichtung, an der die Aufzeichnungseinheit lösbar montiert werden kann.

Nach der Patentbeschreibung gibt es Aufzeichnungsvorrichtungen, die nach dem Tintenstrahlaufzeichnungsverfahren arbeiten und eine Aufzeichnung mit hoher Geschwindigkeit und hoher Dichte durchführen können. Im Stand der Technik seien Aufzeichnungseinheiten in diesen Vorrichtungen bekannt, bei denen ein rohrförmiger Tinteneinlassabschnitt des Aufzeichnungskopfes unter Druck in das poröse Material eines Tintenabsorbers einer Tintenpatrone eingesetzt sei, wenn Patrone und Aufzeichnungskopf verbunden sind. Man habe festgestellt, dass nach einem Wechsel der Tintenpatrone der Aufzeichnungskopf die Tinte von dieser nur schwer aufnehme und ein Tintenfluss oft nicht wieder hergestellt werden könne, so dass es schwierig sei, die Tinte in der neuen Patrone vollständig zu verbrauchen. Grund dafür sei das Eindringen von Luft in das poröse Material des Tintenabsorbers und in die Tintenbahn bzw in den Tinteneinlassabschnitt, wenn der Aufzeichnungskopf und die Tintenpatrone voneinander gelöst werden. Zur Lösung dieser Probleme seien mehrfach mechanische Vorrichtungen bzw Ventilmechanismen zum Steuern des Einströmens von Luft in die Tintenbahn vorgeschlagen worden. Es gebe jedoch keinen Vorschlag zur Lösung des Problems, zu verhindern, dass Luft während der Durchführung der Trennung und Wiederverbindung des Aufzeichnungskopfes und der Tintenpatrone in das poröse Material der Patrone eindringe.

Bei Aufzeichnungseinheiten, bei denen der Aufzeichnungskopf und die Tintenpatrone voneinander lösbar seien, bestehe ferner auch die Gefahr des Leckens von Tinte aus dem Tintenzuführabschnitt der Patrone, wenn diese vom Aufzeichnungskopf entfernt worden sei.

2. Der Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zugrunde, eine Tintenpatrone mit geringen Kosten und hoher Zuverlässigkeit zu schaffen, bei der nach dem Trennen und Verbinden eines Aufzeichnungskopfes und einer Tintenpatrone das Lecken von Tinte verhindert und eine beständige Tintenzufuhr sichergestellt wird.

3. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäss eine Tintenpatrone mit folgenden Merkmalen:

a) Es handelt sich um eine Tintenpatrone.

b) Zu der Tintenpatrone gehörenba) ein Tintenspeicherabschnitt mit einem porösen Element zum Speichern von Tinte, bb) ein Tintenzuführungsabschnitt zum Zuführen von Tinte in einen Tintenspeicherabschnitt zur Außenseite der Tintenpatrone, bc) ein Tinteninduzierelement zwischen dem Tintenspeicherabschnittund dem Tintenzuführabschnitt, um das poröse Element des Tintenspeicherabschnitts so zu drücken, dass das poröse Element verformt wird, bd) ein Halteelement zum Halten des Tinteninduzierelements undbe) ein Begrenzungselement, um das Tinteninduzierelement so zubegrenzen, dass es zu dem Tintenzuführabschnitt gleitet.

c) Das Tinteninduzierelementca) wird durch das Halteelement gleitfähig gehalten undcb) ist als Faserbündel ausgebildet, wobei jede Faser entlang einer Gleitrichtung des Tinteninduzierelements vorgesehen ist.

4. Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglichen Patentansprüche 1 und 2 zurück, in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibung S 14, Z 52 bis 55 (Patentschrift EP 0 635 373 B1, S 14, Z 8 bis 10). Das im ursprünglichen Patentanspruch 1 enthaltene letzte Merkmal, dass die Fasern des Bündels parallel zur Tintenfließrichtung vorgesehen sind, wurde dabei ersetzt durch das Merkmal cb), dass die Fasern entlang einer Gleitrichtung des Tinteninduzierelements vorgesehen sind. Da, wie sich aus der Figur 12 mit zugehöriger Beschreibung für den Fachmann eindeutig ergibt, die Tintenfließrichtung mit der Gleitrichtung des Tinteninduzierelements gleichgerichtet ist, beschreiben diese Merkmalsangaben dieselbe Richtung. Sie sind als gleich wirkend anzusehen. Ihr Austausch stellt - entgegen den Erwägungen in der mündlichen Verhandlung - keine unzulässige Änderung iSv § 21 Abs 1 Nr 4 dar.

5. Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, ist die Tintenpatrone nach Patentanspruch 1 neu, da in keiner der entgegengehaltenen Druckschriften eine Patrone gezeigt wird, bei der das Tinteninduzierelement in einem Halteelement gleitverschieblich gehalten wird und wobei der Verschiebeweg des Tinteninduzierelements durch ein Begrenzungselement begrenzt wird.

6. Die Tintenpatrone nach Anspruch 1 beruht nach Auffassung des Senats auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Sie war für den Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

Fachmann ist hier ein Techniker oder Ingenieur einer Fachhochschule mit beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Tintenversorgung von Druckköpfen in Druckern.

Mit der JP 5-104 735 ist eine Tintenpatrone veröffentlicht, die in einem Gehäuse 23 einen Tintenzuführungsabschnitt mit einem porösen Element 24 zum Speichern von Tinte aufweist. Weiterhin ist ein Tintenzuführungsabschnitt 25 zum Zuführen von Tinte vom Tintenspeicherabschnitt zur Außenseite der Tintenpatrone vorhanden. Zwischen dem Tintenspeicherabschnitt und dem Tintenzuführungsabschnitt ist ein Tinteninduzierelement ortsfest angeordnet, das als Faserbündel 26 ausgebildet ist. Dieses Tinteninduzierelement drückt das poröse Element so, dass dieses verformt wird. Dies ist der Fig 1 zu entnehmen, wobei der Fachmann hierzu eventuell auf Fachwissen, veröffentlicht zB in der US 4 771 295, zurückgreift. Das poröse Element ist auch leicht verformbar, da es gemäß Übersetzung der Beklagten S 6, Z 1 bis 3, als Schwamm oder Filz hergestellt ist. Die Fasern des Faserbündels sind in Tintenfließrichtung angeordnet (Fig 1), was wie zuvor ausgeführt, dem Merkmal entspricht, dass die Fasern in Gleitrichtung des Tinteninduzierelements vorgesehen sind. Somit weist diese Tintenpatrone alle Merkmale des Patentanspruchs 1 auf, bis auf die Merkmale bd), be) und ca), wonach das Tinteninduzierelement durch das Halteelement gleitfähig gehalten und durch ein Begrenzungselement in seiner Bewegung im Tintenzuführabschnitt begrenzt wird.

Mit letztgenannten Merkmalen soll erreicht werden, dass Toleranzen in der Länge des Tinteninduzierelements ausgeglichen werden und immer ein luftblasenfreier Kontakt zwischen dem Tinteninduzierelement und dem Tintenkanal des Aufzeichnungskopfes sichergestellt wird.

Dieses funktionsnotwendige Ziel wird bei der Tintenpatrone nach der JP 5-104 735 A dadurch erreicht, dass beim Aufstecken der Tintenpatrone auf den Aufzeichnungskopf das Tinteninduzierelement ein weiteres poröses Teil 33, das in Kontakt mit einem Filter 34 steht, so zusammendrückt, dass eine höhere Kapillarität entsteht als im Tinteninduzierelement. So entsteht ein ungestörter Tintenfluss vom porösen Element zum Tintenkanal im Aufzeichnungskopf. Um die hierfür erforderlichen Kräfte aufbringen zu können, muss das Tinteninduzierelement im Halteelement 25 befestigt sein. Diese Lösung führt somit von der patentgemäßen Lösung weg, ein gleitbewegliches Tinteninduzierelement vorzusehen.

Die Unterschiedsmerkmale legt auch das Wissen und Können des Fachmanns nicht nahe. Wenn der Fachmann eine andere Möglichkeit sucht, Toleranzen im Bereich des Tinteninduzierelements auszugleichen, weil ihm der in der JP 5-104 735 A vorgeschlagene Weg mit dem weiteren porösen Element 33 verbesserungsbedürftig erscheint, so erschließen sich ihm alle konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten hierzu. Er wird sie allerdings in naheliegender Weise auf der Seite des Aufzeichnungskopfs anwenden und ggf andere Ausführungen basierend auf der Elastizität der vorhandenen oder neuer Teile realisieren.

Der Fachmann musste ausgehend von der Tintenpatrone nach der JP 5-104 735 A mehrstufige Überlegungen ausführen, um zu dem bislang nicht begangenen Weg zu gelangen. Er musste erkennen, dass mit einem Tinteninduzierelement, das - begrenzt von einem Begrenzungselement und dem verformten porösen Element - in dem Halteelement gleiten kann, ein Toleranzausgleich sowohl bei der Länge des Tinteneinlasses des Aufzeichnungskopfes als auch bei der des Tinteninduzierelements der Tintenpatrone möglich ist.

Beim weiteren Stand der Technik nach der EP 0 139 508 A2 und EP 0 536 980 A2 ist das Tinteninduzierelement fest im Aufzeichnungskopf angeordnet. Die US 3 355 239 betrifft einen Faserschreiber, dessen Schriftstärke durch Druck auf die Schreibspitze veränderbar ist. Dieser Stand der Technik liegt weiter ab und kann daher das Beanspruchte weder für sich, noch in Kombination mit einer oder mehreren der genannten Druckschriften, nahe legen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

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Urteil v. 24.09.2003
Az: 4 Ni 35/02


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