Bundesgerichtshof:
Urteil vom 13. Juli 2010
Aktenzeichen: Xa ZR 10/07
(BGH: Urteil v. 13.07.2010, Az.: Xa ZR 10/07)
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten und der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen werden, wird das am 9. November 2006 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das europäische Patent 359 593 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 die nachfolgende Fassung erhält, die Patentansprüche 2 bis 12 sich auf diese Fassung zurückbeziehen und Patentanspruch 13 entfällt:
"1. Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte umfasst:
- Man verwendet als Ausgangsmaterial die Kryopräzipitatfraktion des Plasmas, die im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII besteht;
- man unterzieht das wieder in wässrige Lösung gebrachte Kryopräzipitat einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischem Charakter, dessen Matrix ein Gel vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers ist, das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten;
- man gewinnt die verschiedenen Proteine selektiv durch sukzessive Erhörung der Ionenstärke des Elutionspuffers - und eine erhaltene Faktor-VIII-Lösung wird gefriergetrocknet."
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 2/3 und die Klägerin 1/3.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 359 593 (Streitpatents), das am 8. Februar 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität einer französischen Patentanmeldung vom 7. Juni 1988 angemeldet worden ist und die chromatographische Trennung von Plasmaproteinen, insbesondere Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor, Fibronectin und Fibrinogen betrifft. Das Streitpatent, das im Einspruchsverfahren in geänderter Fassung aufrechterhalten worden ist, umfasst 13 Patentansprüche. Die Patentansprüche 1 und 13 lauten in dieser Fassung in der Verfahrenssprache Französisch:
"1. Procede de separation des proteines F VIII, fibrinogne, fibronectine et Facteur von Willebrand du plasma humain ou animal et de preparation de concentres desdites proteines à usage therapeutique, caracterise en ce que il comporte les etapes suivantes:
- on utilise comme materiau de depart la fraction du plasma cryoprecipitee,
- constituee essentiellement de fibrinogne, de fibronectine, de Facteur von Willebrand et de Facteur VIII;
- on soumet ledit cryoprecipite remis en solution aqueuse à une separation unique par chromatographie sur une resine echangeuse d'anions dont la matrice est un gel de type polymre vinylique macroreticule, capable de par ses proprietes de porosite et d'hydrophobicite de retenir le complexe Facteur VIII - Facteur von Willebrand;
- et on recupre selectivement les differentes proteines par des augmentations successives de la force ionique du tampon d'elution.
13. Concentre de Facteur VIII susceptible d'tre obtenu par le procede selon l'une quelconque des revendications 1 à 9, caracterise en ce qu'il presente une activite specifique au moins egale à 100 Ul/mg de proteines et qu'il est de qualite assimilable à celle d'un concentre isogroupe."
Die Patentansprüche 2 bis 12 sind auf Patentanspruch 1 zurückbezogen.
Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit und unzulässiger Erweiterung angegriffen. Das Patentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der weitergehenden Klage teilweise für nichtig erklärt. Die geänderte Fassung der Patentansprüche nach dem angefochtenen Urteil weist gegenüber der Fassung aus dem Einspruchsverfahren folgende Änderungen auf:
1. In Patentanspruch 1 werden folgende Änderungen vorgenommen:
- Am Ende des bisher vorletzten Spiegelstrichs wird angefügt: "et dont le caractre changeur d'anion de la resine est apporte par des groupements de type DEAE greffes sur la matrice"
- Am Ende des Anspruchs wird ein zusätzlicher Spiegelstrich mit folgendem Text angefügt: "et on lyophilise une solution de Facteur VIII obtenue".
2. Patentanspruch 3 entfällt.
3. Die Patentansprüche 2 und 4 bis 12 beziehen sich - teilweise mit neuer Nummerierung - auf Patentanspruch 1 in der geänderten Fassung.
4. Im bisherigen Patentanspruch 13 - nunmehr Patentanspruch 12 - wird nach "Concentre de Facteur VIII" eingefügt: "sous forme lyophilisee".
Gegen das Urteil des Patentgerichts wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Die Klägerin strebt weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents an. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit einem Hauptantrag und mehreren Hilfsanträgen in geänderter Fassung in deutscher Sprache.
Nach dem Hauptantrag der Beklagten soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten (Änderungen gegenüber der Fassung aus dem Einspruchsverfahren sind durch Unterstreichung hervorgehoben):
"Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor aus menschlichem oder tierischem Plasma und zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte umfasst:
- Man verwendet als Ausgangsmaterial die Kryopräzipitatfraktion des Plasmas, die im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII besteht;
- man unterzieht das wieder in wässrige Lösung gebrachte Kryopräzipitat einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischem Charakter, dessen Matrix ein Gel vom Typ eines makroretikulären Vinylpolymers ist, das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten;
- man gewinnt die verschiedenen Proteine selektiv durch sukzessive Erhörung der Ionenstärke des Elutionspuffers."
Die Unteransprüche 2 bis 12 sollen sich auf Patentanspruch 1 in dieser Fassung, der Unteranspruch 13 hingegen auf die Patentansprüche 1 bis 9 in der Fassung aus dem Einspruchsverfahren zurückbeziehen. Nach den Hilfsanträgen sollen weitere Merkmale in Patentanspruch 1 aufgenommen werden.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. S. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Parteigutachten von Prof. Dr. Se. vorgelegt.
Gründe
Die zulässigen Berufungen beider Parteien haben jeweils nur zum Teil Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft die chromatographische Trennung von vier Proteinen, nämlich Faktor VIII, von-Willebrand-Faktor (vWF), Fibronectin und Fibrinogen, aus menschlichem oder tierischem Blutplasma.
1. Die genannten Proteine sind von Bedeutung für die Blutgerinnung. Bei Hämophilie A steht der Faktor VIII nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Zur Behandlung der Krankheit muss dieses Protein verabreicht werden. Hierzu muss es in hoch gereinigter Form vorliegen, d.h. frei von vielen anderen Blutbestandteilen sein, die unerwünschte Nebenwirkungen auslösen würden. Die Anwesenheit des von-Willebrand-Faktors ist demgegenüber vorteilhaft. Er bildet mit dem Faktor VIII ein schützendes Aggregat (Assoziat), das verhindert, dass der Faktor VIII im Organismus schnell abgebaut und damit unwirksam wird.
Die Reinheit von Proteinkonzentraten wird üblicherweise in der Einheit IE/mg angegeben. Die Größeneinheit "IE" (Internationale Einheit) oder "IU" (International Unit) ist definiert als die Menge des jeweiligen Proteins, die in einem Milliliter normalen Blutplasmas enthalten ist. Die Reinheit gibt die Menge des jeweiligen Proteins im Verhältnis zur Gesamtmenge aller in der untersuchten Flüssigkeit vorhandenen Proteine an. Davon zu unterscheiden ist die Konzentration, die in IE/ml beziffert wird und die Menge des jeweiligen Proteins bezogen auf das gesamte Volumen der untersuchten, aus Proteinen und Lösungsmitteln bestehenden Flüssigkeit angibt. Die Menge des jeweiligen Proteins kann anhand der Gerinnungsaktivität (VIII:C, vWF:RCO, vWF:CBA) oder anhand der mit Hilfe von Antikörpern ermittelten Menge der Proteine, unabhängig von deren Aktivität (VIII:Ag, vWF:Ag), ermittelt werden. Diese Werte können voneinander abweichen.
2. Im Stand der Technik waren verschiedene Verfahren zur Herstellung von Faktor-VIII-Konzentraten bekannt. Als am weitesten verbreitet wird in der Streitpatentschrift die Ausfällung bei niedriger Temperatur genannt, die mit der Zugabe von Fällungsmitteln kombiniert werden kann. Die Reinheit solcher Konzentrate liegt nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift oft in der Größenordnung von 1 IE/mg und überschreitet im Allgemeinen nicht die Grenze von 10 bis 20 IE/mg. Als weitere Möglichkeiten werden sterische Ausschlusschromatographie und molekulare Filtration genannt, die mit niedriger Ausbeute ein Produkt lieferten, dessen spezifische Aktivität 30 IE/mg nicht überschreite und das einen Zusatz von Albumin als Stabilisator erfordere, wodurch die spezifische Aktivität auf ungefähr 3 bis 5 IE/mg abgesenkt werde. Bei einem neueren Verfahren werde der Faktor VIII mit Hilfe von auf einem chromatographischen Träger immobilisierten Antikörpern gereinigt. Diese Technik sei leistungsfähig, erfordere aber den Gebrauch von drastischen Lösungen. Deshalb sei eine Ultrafiltration erforderlich, die der biologischen Aktivität des Faktors VIII schade. Außerdem sei die Zugabe eines Stabilisators erforderlich, wodurch die spezifische Aktivität des Faktors VIII von 1000 bis 3000 IE/mg auf 3 bis 5 IE/mg verringert werde. Ferner werde auch die Ionenaustauschchromatographie eingesetzt. Diese Techniken eigneten sich wegen der Kompliziertheit der Arbeitsvorgänge und den niedrigen Ausbeuten jedoch nur für die Anwendung im Labormaßstab.
Erwähnt wird ferner das Verfahren nach der unter der Nummer 343 275 (K6) nachveröffentlichten europäischen Patentanmeldung 88108458.6, bei dem das durch Fällung bei niedriger Temperatur erhaltene Ausgangsmaterial mit Heparin und Aluminiumhydroxid behandelt und einer Gelpermeationschromatographie auf einem Ionenaustauscherharz des hydrophilen Typs wie Typ Fraktogel-DEAE unterzogen werde. Dieses Verfahren ist nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift durch eine spezielle Vorstufe gekennzeichnet, die insbesondere auf die Ethanolbehandlung verzichtet.
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Methode zur Gewinnung von Konzentraten der eingangs genannten Proteine zu entwickeln, die im industriellen Maßstab anwendbar ist und hochreine, insbesondere von Antikörpern tierischen Ursprungs freie Produkte mit hoher Aktivität liefert.
3. Zur Lösung dieses Problems wird in Patentanspruch 1 des Streitpatents in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung ein Verfahren vorgeschlagen, das folgende Merkmale aufweist (die abweichende Nummerierung durch das Patentgericht ist in eckigen Klammern wiedergegeben):
1. Das Verfahren dienta) der Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von-Willebrand-Faktor [M1] aus menschlichem oder tierischem Plasma [M2] undb) zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine zum therapeutischen Gebrauch [M3].
2. Als Ausgangsmaterial wird eine Plasmafraktion verwendet, diea) bei niedriger Temperatur gefällt worden ist (Kryopräzipitat) [M4], b) im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII besteht [M5]
c) und wieder in wässrige Lösung gebracht worden ist [M6].
3. Das Ausgangsmaterial wird einer einzigen (unique) Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischen Charakter unterzogen [M6], a) dessen Matrix ein Gel von der Art eines makroretikulären Vinylpolymers ist, b) das aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten.
4. Die verschiedenen Proteine werden selektiv gewonnen, indem die Ionenstärke des Elutionspuffers sukzessiv erhöht wird [M7].
4. Die Merkmale 3 und 4 bedürfen besonderer Betrachtung.
a) Die Ionenaustauschchromatographie ist eine besondere Form der Flüssigchromatographie. Die Lösung mit den zu trennenden Substanzen wird durch eine Säule (französisch "colonne", in der deutschen Übersetzung des Streitpatents als "Kolonne" bezeichnet) geleitet, die mit einem Material gefüllt ist, dessen Oberfläche ionisch geladene Teilchen aufweist und deshalb ionische Substanzen mit umgekehrter Ladung binden kann. Dieses Material liegt in Form von kleinen Kügelchen vor und wird auch als Gel bezeichnet. Die zu trennenden ionischen Substanzen werden in der Säule zunächst aus der Lösung entfernt und an das Gel angelagert. Anschließend wird eine Flüssigkeit durch die Säule geleitet, die andere Ionen enthält. Dadurch werden die ursprünglich an das Gel angelagerten ionischen Substanzen wieder abgelöst und ausgewaschen (eluiert). Ob es zu einem solchen Ionenaustausch kommt, hängt davon ab, wie stark die zuerst angelagerten Substanzen an das Gel gebunden sind und wie hoch die Ionenkonzentration in der für den Austausch eingesetzten Flüssigkeit ist. Durch schrittweise Erhöhung der Konzentration können die zu trennenden Substanzen einzeln herausgelöst werden, indem zunächst nur die am schwächsten an das Gel gebundenen Ionen und danach schrittweise die jeweils stärker gebundenen Ionen ausgetauscht werden.
Die in Merkmal 3 genannten Anionenaustauscher sind positiv geladen und binden deshalb negativ geladene Ionen (Anionen). Das Aggregat von Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor ist, wie der gerichtliche Sachverständige erläutert hat, nur oberhalb eines pH-Wertes von etwa 5,5 negativ geladen. Damit diese Proteine an einen Anionenaustauscher binden, darf der genannte pH-Wert nicht unterschritten werden.
b) Gemäß Merkmal 3a muss das für die Chromatographie verwendete Gel aus einem makroretikulären Vinylpolymer bestehen. Dies sind synthetisch hergestellte Stoffe, die durch Polymerisation von Vinylverbindungen entstehen. Makroretikulär ist ein solcher Stoff, wenn seine Netzstruktur relativ große Poren aufweist. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen liegt die Porengröße von makroretikulären oder makroporösen Harzen im Bereich von etwa 20 bis 200 Nanometern. Die Auswahl einer Porengröße in dieser Größenordnung ermöglicht es, größere Proteinkomplexe wie beispielsweise das Assoziat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor von anderen Stoffen abzutrennen.
Entgegen dem erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin besteht zwischen den Begriffen "makroretikulär" und "makroporös" im vorliegenden Zusammenhang kein Unterschied. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen werden die beiden Begriffe üblicherweise als Synonyme verwendet. Entsprechende Ausführungen finden sich in dem von der Klägerin vorgelegten Parteigutachten. Auch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat im Einspruchsverfahren keinen Unterschied zwischen "macroporosite" und "macroreticulation" gesehen (Beschluss vom 16.7.2003 - T 292/01 - 3.3.4, K4 Tz. 8-11).
c) Gemäß Merkmal 3b muss das eingesetzte Gel auch aufgrund seiner Hydrophobieeigenschaften in der Lage sein, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten. Hierzu ist erforderlich, dass das Gel - zusätzlich zu den ionischen Eigenschaften - Bereiche aufweist, die hydrophob, also weniger gut zur Bindung von Wassermolekülen geeignet sind. Dies ist vorteilhaft, weil auch Proteine hydrophobe Bereiche aufweisen, die mit dem Gel in Wechselwirkung treten können, wodurch die Anbindung der Proteine an das Gel unterstützt wird.
d) Nach der im Berufungsverfahren verteidigten Fassung umfasst Patentanspruch 1 nur noch Verfahren, bei denen ein Anionenaustauscherharz von vergleichsweise gemäßigtem ionischem Charakter eingesetzt wird. Als schwache Austauschergruppen werden üblicherweise Diethylaminoethyl-Gruppen (DEAE-Gruppen) verwendet. Diese werden in der Beschreibung des Streitpatents als besonders geeignet hervorgehoben. Gruppen dieser Art sind nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen erst im sauren Bereich unterhalb eines pH-Werts von etwa 9 bis 10 ausreichend positiv geladen, um negativ geladene Ionen zu binden. Wird der pH-Wert über 9 erhöht, verliert das Austauscherharz schrittweise seine positive Ladung.
e) Aus Merkmal 3b ergibt sich, dass Faktor VIII bei der Anwendung des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 nicht vollständig von den anderen Proteinen isoliert wird. Die Verwendung eines Gels, das durch seine Porositäts- und Hydrophobieeigenschaften geeignet ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten, führt vielmehr dazu, dass Faktor VIII als Aggregat mit von-Willebrand-Faktor gewonnen wird. Im Laufe des Verfahrens wird zwar ein Großteil des von-Willebrand-Faktors ausgewaschen (Abs. 24; Abs. 43 Z. 15 f.), weil dieser in weitaus größeren Mengen im Ausgangsprodukt enthalten ist. Diejenigen Anteile an von-Willebrand-Faktor, die ein Aggregat mit Faktor VIII bilden, werden jedoch erst zusammen mit diesem eluiert (Abs. 25). Eine solche Ausgestaltung ist vorteilhaft, weil die Anwesenheit des von-Willebrand-Faktors den Abbau von Faktor VIII auch im Endprodukt und im Organismus des Patienten verhindert.
f) Auch die übrigen in Merkmal 1 aufgeführten Proteine brauchen bei dem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nicht zwingend vollständig von den jeweils anderen getrennt zu werden. Aus Merkmal 4, wonach die Ionenstärke des Elutionspuffers sukzessiv erhöht wird, ergibt sich allerdings, dass nach der Äquilibrierung des Puffers mindestens zwei Erhöhungsstufen durchlaufen werden, bei denen bestimmte Proteine eluiert werden. Dies kann entsprechend dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel in der Weise geschehen, dass in der ersten Erhöhungsstufe ein Gemisch aus von-Willebrand-Faktor und Fibronectin und in der zweiten Erhöhungsstufe das bereits erwähnte Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor eluiert wird. Zum Gegenstand von Patentanspruch 1 gehören aber auch Verfahren mit drei oder mehr Erhöhungsstufen, bei denen jedes der vier Proteine isoliert gewonnen wird. Alle von Patentanspruch 1 erfassten Verfahren bieten aufgrund der unterschiedlichen Erhöhungsstufen den Vorteil, dass neben dem Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor mindestens ein anderer Bestandteil des Ausgangsmaterials innerhalb eines Durchlaufs durch die Chromatographiesäule gewonnen werden kann.
5. Gegenstand von Patentanspruch 13 ist ein durch ein Verfahren nach den Ansprüchen 1 bis 9 in der Fassung aus dem Einspruchsverfahren erhältliches Konzentrat von Faktor VIII, das folgende Merkmale aufweist:
13.1 Das Faktor-VIII-Konzentrat besitzt eine spezifische Aktivität von mindestens 100 IE/mg 13.2 und ist in seiner Qualität vergleichbar mit einem Konzentrat, das aus nur einer Blutgruppe gewonnen worden ist.
a) Aus der Bezugnahme auf Patentanspruch 1 ergibt sich, dass das Konzentrat den Faktor VIII nicht vollständig isoliert, sondern als Aggregat mit dem von-Willebrand-Faktor enthält. Die in Merkmal 13.1 definierte spezifische Aktivität gibt den Anteil an wirksamem Faktor VIII bezogen auf die Gesamtmenge der in dem Konzentrat enthaltenen Proteine an. Aus Merkmal 13.2 ergibt sich, dass das Konzentrat frei von Isoagglutininen, d.h. Antikörpern gegen fremde Blutgruppenantigene, sein muss. Dies ermöglicht es, das Konzentrat unabhängig von der Blutgruppe des Patienten zu verabreichen.
b) Aus der Bezugnahme auf Patentanspruch 1 ergibt sich ferner, dass ein Faktor-VIII-Konzentrat im Sinne von Patentanspruch 13 ohne Zusatz von stabilisierenden Mitteln verwendbar sein muss. In der Beschreibung des Streitpatents wird als wesentlicher Vorteil des patentgemäßen Herstellungsverfahrens hervorgehoben, dass das auf diesem Weg gewonnene Faktor-VIII-Konzentrat gefriergetrocknet werden kann, ohne dass ein Stabilisator hinzugefügt werden muss (Abs. 25 und 46), durch den die spezifische Aktivität wieder reduziert würde.
II. Das Patentgericht hat den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung teilweise bejaht und teilweise verneint und den Gegenstand des Patentanspruchs 1 in dem von ihm als ursprungsoffenbart angesehenen Umfang des erstinstanzlichen Hilfsantrags I der Beklagten für patentfähig erachtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Gegenstand des Streitpatents in der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Fassung der Patentansprüche gehe zwar nicht wegen der Charakterisierung der Polymermatrix als "makroretikulär" (macroreticule, Merkmal 3a) über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Hierbei handle es sich um eine Eigenschaft, die dem in der Anmeldung erwähnten Anionenaustauscherharz Fractogel¨ TSK-DEAE 650 inhärent sei und dem Fachmann bereits mit der genannten Produktangabe offenbart werde. Unzulässig sei aber die Einbeziehung von Anionenaustauschern, bei denen auf das Trägermaterial keine DEAE-Gruppen aufgepfropft seien. In der Anmeldung würden lediglich Ionenaustauscher auf der Basis von Vinylpolymeren mit DEAE-Gruppen offenbart.
Der - ursprungsoffenbarte - Gegenstand des Streitpatents in der hilfsweise verteidigten Fassung, der eine Beschränkung auf Ionenaustauscher mit DEAE-Gruppen und als weiteren Verfahrensschritt die Gefriertrocknung vorsehe, sei durch den Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt. In der älteren Anmeldung K6 sei der Verfahrensschritt der Gefriertrocknung nicht offenbart. Er werde dort nicht erwähnt und sei im Stand der Technik lediglich als fakultative, nicht aber als selbstverständliche oder nahezu unerlässliche Vorgehensweise beschrieben, die der Fachmann in der Entgegenhaltung K6 gedanklich ergänze. In dem nächstkommenden Stand der Technik, der Entgegenhaltung K8, sei dieser Verfahrensschritt zwar vorgesehen; dort werde aber - anders als nach der Lehre des Streitpatents - zuvor Albumin als Stabilisator zugesetzt, wodurch die spezifische Aktivität des mittels Chromatographie an Anionenaustauschern auf Kohlehydratbasis erhaltenen Konzentrats reduziert werde. Hinweise, Anionenaustauscherharze mit einer Matrix aus makroretikulären Vinylpolymeren, wie sie in Patentanspruch 1 des Streitpatents angegeben seien, zur Herstellung von Faktor-VIII-Präparaten in Betracht zu ziehen, würden dem Fachmann weder in K8 noch in sonstigen in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen gegeben. Aus demselben Grund habe auch Patentanspruch 13 (in der als Patentanspruch 12 verteidigten Fassung) Bestand.
III. Dies hält den Angriffen der Berufungen überwiegend stand.
1. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts geht der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung allerdings nicht deshalb über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, weil er neben der Verwendung von DEAE-Gruppen auch die Verwendung anderer Austauschergruppen von gemäßigtem ionischem Charakter umfasst.
a) In den ursprünglich eingereichten Unterlagen, deren Inhalt insoweit mit dem Inhalt der Veröffentlichung der Anmeldung (K15) übereinstimmt, wird ausgeführt, die Erfindung betreffe ein Verfahren, bei dem ein Anionenaustauscherharz mit relativ mäßigem ionischem Charakter eingesetzt werde, das auch den Einsatz von hydrophoben Wechselwirkungen ermögliche und bestimmte Proteine nicht absorbiere, andere hingegen fixiere (K15 Sp. 3 Z. 26-31). Die besten Resultate seien beim Einsatz von DEAE-Gruppen erzielt worden, die auf ein Vinylpolymer-Gel wie beispielsweise Fractogel TSK aufgepfropft seien. Ein solches Harz sei unter der Bezeichnung Fractogel TSK-DEAE 650 (M) im Handel erhältlich (K15 Sp. 3 Z. 45-51). Die Verwendung eines vergleichbaren Gels sei in einem Aufsatz von Kato et. al. (hier K7) beschrieben worden. Die Retentions- und Elutionsfähigkeit eines solchen Gels beruhe auf einer geringen Fähigkeit zum Ionenaustausch und auf der großen Dimension der Poren (K15 Sp. 3 Z. 57-64).
In den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen ist die Verwendung eines Vinylpolymer-Gels mit aufgepfropften DEAE-Gruppen erst in dem als Unteranspruch ausgestalteten Patentanspruch 5 vorgesehen. In Patentanspruch 1 wird das Harz lediglich dahin charakterisiert, dass es relativ mäßigen ionischen Charakter aufweist, die Retention von sehr großen Molekülen ermöglicht und den Einsatz von hydrophoben Wechselwirkungen begünstigt.
b) Die damit offenbarte Erfindung ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts nicht auf die Verwendung eines Vinylpolymer-Gels mit aufgepfropften DEAE-Gruppen beschränkt. Zwar wird dieser Geltyp in der Beschreibung als besonders geeignet bezeichnet. Sowohl aus den einleitenden Formulierungen in der Beschreibung als auch aus Patentanspruch 1 in der Fassung der Anmeldung geht aber hervor, dass zur Erfindung auch Verfahren gehören sollen, bei denen andere Geltypen verwendet werden, sofern diese vergleichbare Eigenschaften aufweisen. Die hierfür wesentlichen Eigenschaften werden in der Beschreibung und in Patentanspruch 1 ausdrücklich angeführt:
- ein relativ mäßiger ionischer Charakter,
- die Fähigkeit, hydrophobe Wechselwirkungen zu begünstigen, und - eine hinreichende Porengröße.
Angesichts dessen ist die offenbarte Lehre nicht auf das in der Beschreibung als besonders geeignet bezeichnete Ausführungsbeispiel beschränkt. Sie umfasst vielmehr alle Verfahren, bei denen ein Anionenaustauscherharz mit den genannten Eigenschaften eingesetzt wird.
c) Der Gegenstand des Streitpatents ist auch nicht durch die Einfügung des Begriffs "makroretikulär" erweitert worden. Dieser Begriff deckt sich mit der bereits in der Anmeldung offenbarten Anforderung, dass die Poren des Gels eine ausreichende Größe aufweisen müssen.
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des Hauptantrags ist durch den Inhalt der älteren europäischen Patentanmeldung 343 275 (K6) vorweggenommen.
a) In K6 wird ein Verfahren zur Herstellung eines hochreinen, virusfreien Antihämophiliefaktors (AHF = Faktor VIII) durch Reinigung eines Kryopräzipitats mittels Chromatographie offenbart. Die im Stand der Technik bekannten Verfahren werden als wenig effektiv kritisiert. Eine Trennung mittels Affinitätschromatographie mit tierischen Antikörpern sei aufwendig und kostenintensiv und zudem nicht unbedenklich, weil stets eine gewisse Menge tierischen Eiweißes aus der Säule gewaschen werde. Als Alternative wird vorgeschlagen, das aufgetaute Kryopräzipitat vor der Entfernung der Viren mit heparinhaltigem Wasser bei pH 6,5 bis 7,5 zu extrahieren, mit einer Aluminiumhydroxid-Suspension zu versetzen und nach Abkühlung auf 10 bis 18¡C und Einstellen des pH-Wertes auf 6 bis 7 zu zentrifugieren oder zu filtern. Danach könne in bekannter Weise weitergearbeitet werden. Besonders vorteilhaft sei es, die Probe nach Entfernung der Viren einer Gelpermeationschromatographie an Ionenaustauschermaterialien zu unterwerfen. Als geeignetes Material wird Fractogel-DEAE genannt. Die Säule wird mit der Probe beschickt und mit verschiedenen Pufferlösungen gewaschen, die sich vor allem durch einen steigenden Gehalt von Natriumchlorid unterscheiden. Das gewünschte Produkt wird mit der dritten Lösung (Puffer C) eluiert, verdünnt und einer Sterifiltration unterzogen.
b) Die Entgegenhaltung K6 ist gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ bei der Neuheitsprüfung heranzuziehen. Sie ist zwar nach dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht worden. Ihr Anmeldetag liegt aber vor diesem Tag.
Der Inhalt der Entgegenhaltung darf nicht gemäß Art. 55 Abs. 1 Buchst. a EPÜ außer Betracht gelassen werden. Dabei kann offenbleiben, ob, wie die Beklagte geltend macht, die Offenbarung auf einem offensichtlichen Missbrauch zum Nachteil der Anmelderin beruht. Denn die maßgebliche Offenbarung ist früher als sechs Monate vor der Anmeldung des Streitpatents erfolgt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist Anknüpfungspunkt für die Sechsmonatsfrist des Art. 55 Abs. 1 EPÜ und der inhaltsgleichen Vorschrift in § 3 Abs. 5 PatG nicht das Prioritätsdatum, sondern der Anmeldetag der jüngeren Patentanmeldung (zur inhaltsgleichen Regelung in Art. XI § 3 Abs. 6 Satz 2 IntPatÜbkG: BGH, Beschl. v. 5.12.1995 - X ZB 1/94, GRUR 1996, 349, 350 - Corioliskraft II; zu Art. 55 EPÜ: EPA, Beschl. v. 12.7.2000 - G 3/98, ABl. 2001, 62, 71 ff. - Sechsmonatsfrist/University Patents). Die hiergegen von der Beklagten angeführten Gesichtspunkte stellen diese Rechtsprechung nicht in Frage. Die von der Beklagten aufgezeigte Konsequenz, dass ein europäisches Patent, das unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Anmeldung angemeldet worden ist, unter Umständen nicht erteilt werden kann, obwohl die missbräuchliche Veröffentlichung bei der Prüfung der prioritätsbegründenden Anmeldung außer Betracht zu bleiben hat, führt nicht zu einer Benachteiligung europäischer Patente. Dieselbe Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn die Priorität der ersten Anmeldung für eine nachfolgende deutsche Patentanmeldung in Anspruch genommen wird.
Als maßgebliches Datum für die Offenbarung im Sinne von Art. 55 Abs. 1 EPÜ ist bei Anmeldungen im Sinne von Art. 54 Abs. 3 EPÜ nicht der Tag der Veröffentlichung anzusehen, sondern der Tag der Einreichung oder der Prioritätstag der nachveröffentlichten Anmeldung (BGH, Beschl. v. 5.12.1995 - X ZB 1/94, GRUR 1996, 349, 350 - Corioliskraft II; Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 3 Rdn. 214; Benkard/Melullis, EPÜ, Art. 55 Rdn. 12; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., § 16 a VI 1; MGK/Loth, Art. 55 Rdn. 56; Singer/Stauder, EPÜ, 5. Aufl., Art. 55 Rdn. 17; a.A. Straus GRUR Int. 1994, 89, 91 ff.). Die Ausnahmeregelung in Art. 55 EPÜ nimmt auf die Bestimmung in Art. 54 EPÜ insgesamt Bezug und ordnet an, dass bestimmte Entgegenhaltungen nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn das nach Art. 54 EPÜ maßgebliche Datum innerhalb der in Art. 55 EPÜ festgelegten Sechsmonatsfrist liegt. Für ältere Anmeldungen, die gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ als Stand der Technik zu berücksichtigen sind, ist das maßgebliche Datum aber nicht der Veröffentlichungstag, sondern der Tag der Einreichung oder - gemäß Art. 89 EPÜ - der Prioritätstag dieser Anmeldung. Dieses Datum muss folgerichtig auch bei der Anwendung von Art. 55 Abs. 1 EPÜ herangezogen werden.
Im Streitfall ist die in K6 veröffentlichte Anmeldung mehr als sechs Monate vor dem Anmeldetag des Streitpatents eingereicht worden. Damit liegt der maßgebliche Zeitpunkt nicht innerhalb der Sechsmonatsfrist des Art. 55 Abs. 1 EPÜ.
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung ist in K6 vollständig offenbart.
(1) Offenbart sind zum einen die Merkmalsgruppen 1 und 2 sowie das Merkmal 4. Die einzelnen Verfahrensschritte nach K6 sind weitgehend identisch mit den im Streitpatent beschriebenen. Auch die Zusammensetzung der bei der Chromatographie verwendeten Pufferlösungen ist bei den in K6 und in der Streitpatentschrift beschriebenen Ausführungsbeispielen, wie der Privatgutachter der Klägerin zutreffend ausführt, im Wesentlichen gleich. Soweit im Detail geringfügige Unterschiede bestehen, ändern diese nichts daran, dass alle in Patentanspruch 1 des Streitpatents aufgeführten Merkmale in K6 vorweggenommen sind.
(2) Eindeutig und vollständig offenbart ist auch die Merkmalsgruppe 3.
Einer vollständigen Offenbarung steht nicht entgegen, dass in K6 die Eigenschaften des im Ausführungsbeispiel eingesetzten Produkts Fractogel-DEAE nicht näher beschrieben sind. Für eine die Neuheit ausschließende Offenbarung reicht es aus, wenn ein bestimmtes Anionenaustauscherharz benannt wird, das alle in Merkmalsgruppe 3 definierten Eigenschaften aufweist, also mäßigen ionischen Charakter hat, eine makroretikuläre Struktur aufweist und aufgrund seiner Porosität und Hydrophobieeigenschaften in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor zurückzuhalten. Eine wissenschaftliche Begründung dafür, weshalb der Einsatz eines solchen Materials den patentgemäßen Erfolg eintreten lässt, ist nicht erforderlich.
Die in K6 angegebene Produktbezeichnung "Fractogel-DEAE" und die ergänzende Erläuterung, dies sei ein Chromatographiematerial auf der Basis von Copolymerisaten aus Oligoethylenglycolen, Glycidylmethacrylaten und Pentaerythroldimethacrylaten (K6 Sp. 2 Z. 54 bis Sp. 3 Z. 3), reichen zur Offenbarung eines Anionenaustauscherharzes mit diesen Merkmalen aus. Die Produktbezeichnung ist zwar formal unvollständig, weil keine Teilchengröße angegeben ist und weil am Prioritätstag neben dem Produkt Fractogel TSK-DEAE 650, das alle patentgemäßen Merkmale aufweist, auch ein Produkt namens Fractogel EMD verfügbar war, von dem dies nicht sicher festgestellt werden kann. Beides ist aber im vorliegenden Zusammenhang unerheblich.
Die Teilchengröße beschreibt nach den übereinstimmenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen und des Parteigutachters der Klägerin nur die Größe der einzelnen Harzkügelchen, nicht aber die nach den Merkmalen 3a und 3b maßgebliche Porengröße. Wenn Fractogel TSK-DEAE 650M (Medium) die in den genannten Merkmalen definierte Porengröße aufweist, gilt dasselbe auch für die Produktvariante S (Superfine). Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ermöglicht die Variante S eine höhere Trennschärfe bei Substanzen, die sich nur geringfügig unterscheiden und deshalb bei nahe beieinander liegenden Ionenstärken eluiert werden. Dieser Eigenschaft kommt angesichts des relativ großen Abstandes der Ionenstärken in dem in K6 beschriebenen Ausführungsbeispiel nur geringe Bedeutung zu. Der Fachmann, ein Chemiker, Biochemiker oder Mediziner mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss und umfassender beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Gewinnung von Plasmaproteinen einschließlich deren chromatographischer Trennung, würde deshalb jedenfalls auch die preisgünstigere Teilchengröße M heranziehen.
Ob die unter der Bezeichnung Fractogel EMD angebotene Produktvariante ebenfalls alle in Merkmalsgruppe 3 aufgeführten Eigenschaften aufweist, bedarf keiner näheren Aufklärung. Der Senat ist aufgrund der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die unvollständige Produktbezeichnung in K6 aus der Sicht des Fachmanns jedenfalls auch auf Fractogel TSK als verwendbares Harz hinwies. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann darüber hinaus auch Fractogel EMD in Betracht gezogen hätte und ob beim Einsatz dieses Materials ebenfalls alle Merkmale von Patentanspruch 1 des Streitpatents erfüllt sind. Die Klägerin hat zwar durch Vorlage von Werbematerial (L23 und L24) belegt, dass am Prioritätstag auch Fractogel EMD angeboten wurde, dessen Austauscher auf so genannten Tentakeln angebracht sind. Dieses Material hatte - anders als Fractogel TSK - am Prioritätstag jedoch allenfalls geringe Verbreitung gefunden. Der Fachmann hatte angesichts dessen keinen Anlass, die formal unvollständige Bezeichnung "Fractogel" allein auf den neueren Produkttyp zu beziehen. Mangels eines entsprechenden Hinweises in K6 lag es fern, dass die überlegenen Wirkungen des darin beschriebenen Verfahrens gerade auf besonderen Eigenschaften des so genannten Tentakel-Materials beruhten. Aus der maßgeblichen Sicht des Fachmanns sprach vielmehr alles dafür, dass er das in K6 beschriebene Verfahren mit Fractogel TSK ausführen konnte. Dies reicht für eine vollständige Offenbarung des Gegenstands von Patentanspruch 1 des Streitpatents aus. Selbst wenn der Fachmann ergänzend in Erwägung gezogen haben sollte, das in K6 offenbarte Verfahren auch mit Fractogel EMD auszuführen, würde dies einer eindeutigen Offenbarung von Fractogel TSK nicht entgegenstehen. Die dann eröffnete Auswahl zwischen zwei alternativen Lösungswegen würde im vorliegenden Fall nichts daran ändern, dass der Einsatz des marktgängigen Produkts Fractogel TSK als eigenständiger Lösungsweg offenbart ist.
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge I bis III ist ebenfalls in K6 offenbart.
a) Nach Hilfsantrag I soll in Patentanspruch 1 der bisher in Patentanspruch 9 vorgesehene Verfahrensschritt einer Virusinaktivierung in Gegenwart von chemischen Inaktivierungsagentien aufgenommen werden. Dieser Schritt ist auch in dem in K6 geschilderten Ausführungsbeispiel vorgesehen. Als besonders geeignet wird dort unter anderem Tween/TNBP (Trin-Butylphosphat) genannt, das auch in der Streitpatentschrift hervorgehoben wird.
b) Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 hinsichtlich des Merkmals 4 dahin konkretisiert werden, dass die Ionenstärke ein erstes Mal erhöht wird, wodurch der größte Teil des von-Willebrand-Faktors desorbiert wird, und dann ein zweites Mal erhöht wird. Dies entspricht der Vorgehensweise aus dem in K6 geschilderten Ausführungsbeispiel. Dass in K6 die Isolierung anderer Proteine als Faktor VIII nicht ausdrücklich erwähnt wird, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das dort geschilderte Ausführungsbeispiel sieht ebenso wie das Ausführungsbeispiel in der Streitpatentschrift eine zweimalige Erhöhung der Ionenstärke bei im Wesentlichen gleichen Verfahrensparametern vor. Die Anwendung dieses Verfahrens führt deshalb ebenso wie bei dem Ausführungsbeispiel in der Streitpatentschrift zur Abtrennung eines großen Teils des von-Willebrand-Faktors in der ersten Erhöhungsstufe.
c) Nach Hilfsantrag III soll Patentanspruch 1 dahin ergänzt werden, dass durch die Wahl des Äquilibrierungs- und Elutionspuffers die schwach hydrophoben Bindungen, die sich auf dem Polyvinylkörper bilden, ausgenützt werden.
Ob Patentanspruch 1 auch in dieser Fassung dem Gebot der Deutlichkeit (Klarheit) entspricht, wie es in Art. 84 EPÜ niedergelegt und auch bei der Formulierung beschränkter Patentansprüche in Patentnichtigkeitsverfahren zu beachten ist (vgl. Sen.Urt. v. 18.3.2010 - Xa ZR 54/06, Tz. 55 - Proxyserversystem, zur Veröffentlichung vorgesehen), kann dahingestellt bleiben. Das zusätzlich in den Patentanspruch aufgenommene Merkmal kann nach der Streitpatentschrift jedenfalls dadurch verwirklicht werden, dass der bei der Chromatographie verwendete Puffer Lysin in der Größenordnung von 2 bis 4 Gramm pro Liter und Glycin in einer Größenordnung von 8 bis 11 Gramm pro Liter enthält. Die Verwendung eines solchen Puffers in der zweiten Elutionsphase ist bereits in K6 offenbart.
4. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag IV ist demgegenüber patentfähig.
a) Nach Hilfsantrag IV soll das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 um den abschließenden Schritt der Gefriertrocknung (Lyophilisation) ergänzt werden. Dieser Verfahrensschritt ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
b) Ein Verfahren mit diesem Merkmal ist, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, in K6 nicht offenbart.
Die Gefriertrocknung der erhaltenen Faktor-VIII-Lösung wird weder in K6 noch in der dort mehrfach zitierten europäischen Anmeldung 238 701 (L37) erwähnt. Sie mag zwar, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, zur schonenden Stabilisierung von Proteinpräparaten das Mittel der Wahl und in den meisten Fällen nahezu unerlässlich sein. Dies genügt jedoch nicht, um diesen Verfahrensschritt zu dem Informationsgehalt zu rechnen, den der Fachmann bei aufmerksamer Lektüre von K6 gleichsam mitliest.
In K6 wird als einer der Vorteile des dort offenbarten Verfahrens beschrieben, dass nach den erfindungsgemäßen Schritten - zu denen die als besonders vorteilhafte Ausgestaltung bezeichnete Gelpermeationschromatographie nicht gehört - in an sich bekannter Weise weitergearbeitet werden könne (K6 Sp. 1 Z. 44-54). Weder hieraus noch aus L37 ergibt sich, dass zu den als bekannt vorausgesetzten Verfahrensschritten eine Gefriertrocknung gehört. In L37 wird vielmehr ausgeführt, die Aufarbeitung in bekannter Weise erfolge vorzugsweise dadurch, dass Aluminiumhydroxid zugesetzt, dann abzentrifugiert und filtriert werde; als weiterer Schritt wird eine Virusinaktivierung empfohlen (L37 S. 3 Z. 16-24; S. 4 Z. 20-27). Das dafür eingesetzte Natriumcholat/TNBP könne beispielsweise durch Ölextraktion wieder entfernt werden. Die wässrige Schicht werde beispielsweise durch ein Ultrafilter gereinigt und könne danach in üblicher Weise in Ampullen gefüllt und therapeutisch eingesetzt werden (L37 S. 4 Z. 27-32).
Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ist die Gefriertrocknung zwar das "Mittel der Wahl", um Proteinpräparate über einen längeren Zeitraum lagerfähig zu machen. Dies deckt sich im Kern mit der Einschätzung des Parteigutachters der Klägerin, der die Gefriertrocknung für therapeutisch einzusetzende Faktor-VIII-Konzentrate sogar als praktisch unerlässlich ansieht, und wird zusätzlich bestätigt durch die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus Arzneibüchern aus Deutschland, Österreich und Frankreich (Jo2a bis Jo5), aus denen hervorgeht, dass Faktor-VIII-Präparate im Prioritätszeitpunkt ausschließlich in gefriergetrockneter Form angeboten wurden. Auch daraus ergibt sich aber nicht, dass es aus technischer Sicht keine Alternative zur Gefriertrocknung gab. Dem Fachmann war vor dem aufgezeigten Hintergrund bei der Lektüre von K6 zwar bewusst, dass es weiterer Verfahrenschritte bedarf, damit ein nach dem dort beschriebenen Verfahren hergestelltes Faktor-VIII-Konzentrat für den therapeutischen Einsatz geeignet ist. Hierfür gab es aus technischer Sicht aber mehrere Möglichkeiten, unter denen er unter Rückgriff auf sein allgemeines Fachwissen auswählen konnte. Angesichts dessen kann nicht gefolgert werden, dass er die Gefriertrocknung in K6 als selbstverständlichen Verfahrensschritt mitlas und alle in Betracht kommenden Alternativen von vornherein verwarf.
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Fassung von Hilfsantrag IV ist dem Fachmann durch den Stand der Technik auch nicht nahegelegt.
(1) In der deutschen Offenlegungsschrift 34 32 083 (K8) und der inhaltsgleichen Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 173 242 (K8a) werden eine pasteurisierte isoagglutininfreie Faktor-VIII-Präparation und ein Verfahren zu ihrer Herstellung offenbart. In der Beschreibung wird ausgeführt, die Verwendung von Anionenaustauschern mit Ecteola-Cellulose und QAE-Gruppen (Quarternary Amino Ethyl) zur Reinigung von Faktor VIII sei bislang im Technikums- oder Produktionsmaßstab nicht gelungen. Überraschenderweise sei gefunden worden, dass eine Chromatographie an basischen Ionentauschern durchaus für die Produktion von Faktor-VIII-Präparaten geeignet sei, sofern geeignete Adsorptionsbedingungen gewählt würden. Als Ausgangsprodukt wird unter anderem Kryopräzipitat genannt, das in Lösung gebracht und mit einem Anionenaustauscher auf Kohlenhydratbasis behandelt werden soll. Als geeignete Anionenaustauscher kämen beispielsweise DEAE-, QAE- oder Ecteola-Gruppen in Betracht, und zwar besonders solche auf Basis von Cellulose, Sephadex oder Sepharose, vorzugsweise DEAE-Sepharose. Die Chromatographie soll bevorzugt bei pH 5,5 erfolgen. Zur Waschung sei ein Puffer, der 0,1 mol/l Natriumacetat, 0,1mol/l Lysin und 1 g/l Natriumchlorid enthält, besonders geeignet. Für die Desorption des Faktors VIII kämen konzentrierte Salzlösungen in Betracht, beispielsweise mit Natriumchlorid, vorteilhafter jedoch mit Kaliumbromid, Natriumbromid oder Calciumchlorid. Das Faktor-VIII-haltige Eluat lasse sich mit den üblichen Methoden konzentrieren, durch Verdünnung mit einem Dialysepuffer auf die gewünschte Aktivität einstellen und nach Sterilfiltration abfüllen und gegebenenfalls gefriertrocknen.
Damit sind die Merkmalsgruppen 1 und 2 offenbart.
Nicht offenbart ist hingegen die Merkmalsgruppe 3. Bei den in K8 genannten Ionenaustauscherharzen besteht die Matrix aus Polymeren auf Kohlehydratbasis und damit nicht aus einem Vinylpolymer. Eine Übereinstimmung besteht nur insoweit, als auf die Polymermatrix DEAE-Gruppen aufgepfropft sind, wie dies auch bei den im Streitpatent beschriebenen Ausführungsbeispielen der Fall ist. K8 enthält keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, Faktor VIII nicht isoliert, sondern als Aggregat gemeinsam mit dem von-Willebrand-Faktor zu gewinnen. In der Beschreibung wird ausgeführt, für die Desorption des Faktors VIII von den Anionenaustauschern seien insbesondere Lösungen mit Kaliumbromid, Natriumbromid und Kalziumchlorid geeignet; diese hätten gegenüber Natriumchlorid den Vorteil, dass der Faktor VIII als relativ scharfer Peak mit einer hohen Aktivität pro Volumen eluiert werde (K8 S. 9 Z. 8-12). Diese Ausführungen sind darauf gerichtet, Faktor VIII möglichst isoliert zu gewinnen.
Nicht offenbart ist ferner das Merkmal 4. In K8 ist nur eine einmalige Erhöhung der Ionenstärke zur Eluierung von Faktor VIII vorgesehen. Eine mindestens zweimalige Erhöhung mit der Folge, dass in einem Durchgang mindestens zwei unterschiedliche Proteinfraktionen gewonnen werden können, wird nicht erwähnt.
(2) Die Ausführungen in K8 gaben dem Fachmann Veranlassung, anstelle der dort vorgeschlagenen Austauscherharze auf der Basis von Kohlehydraten die aus verschiedenen Veröffentlichungen bekannten Harze auf Basis von Vinylpolymeren einzusetzen.
Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen war für den Fachmann am Prioritätstag erkennbar, dass die vorteilhaften Wirkungen des in K8 offenbarten Verfahrens nicht auf dem Material beruhen, aus dem die Gelmatrix besteht, sondern auf der Porengröße und den mechanischen Eigenschaften des Gels. Der Fachmann wusste, dass Harze auf Kohlehydratbasis relativ große Poren aufweisen, dass aber auch diese Porengröße für die Trennung der hier in Rede stehenden Proteine eher an der unteren Grenze liegt. Die Verfügbarkeit von Harzen auf Basis von Vinylpolymeren, die eine nochmals gesteigerte Porengröße bei besseren mechanischen Eigenschaften boten und beispielsweise in den von Kato et.al veröffentlichten Aufsätzen "Characterization of TSK-GEL DEAE-Toyopearl ion exchanger" (Journal of Chromatography, 245 (1982), 193-211, K7) und "Evaluation of conventional and mediumperformance anion exchangers for the separation of proteins" (Journal of Chromatography, 245 (1982), 219-225, K9) beschrieben wurden, gab dem Fachmann deshalb Anlass, solche Materialien bei dem in K8 beschriebenen Verfahren anstelle von Harzen auf Kohlehydratbasis jedenfalls auszuprobieren.
Dass die genannten Materialien schon am Prioritätstag von K8 bekannt waren, führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie bereits dargelegt enthalten die Ausführungen in K8 keinen Hinweis darauf, dass die Verwendung neuerer Harztypen nachteilig sein könnte. In K8 wird vielmehr darauf hingewiesen, es sei überraschenderweise gefunden worden, dass Anionenaustauscher entgegen vorherigen Einschätzungen durchaus für die Produktion von Faktor-VIII-Präparationen geeignet seien (K8 S. 6 Z. 1-4). Dies gab Anlass, den in K8 eröffneten Weg weiterzubeschreiten und andere Austauscherharze, die aufgrund ihrer generellen Eigenschaften zusätzliche Vorteile versprachen, ebenfalls auf ihre Eignung zur Gewinnung von Faktor VIII im Wege der Anionenaustauschchromatographie zu untersuchen. Hierbei bot sich das kommerziell erhältliche Produkt DEAE-Toyopearl, das auch unter der Bezeichnung Fractogel TSK vertrieben wird, nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen als besonders geeignet an.
(3) Der Fachmann hatte darüber hinaus Anlass, das Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor bestehen zu lassen und nur die überschüssigen Anteile an von-Willebrand-Faktor aus dem Ausgangsgemisch zu entfernen.
In K8 wird zwar nahegelegt, den von-Willebrand-Faktor durch die Verwendung besonders geeigneter Salzlösungen möglichst vollständig zu entfernen. Wie die Klägerin durch die Vorlage des Aufsatzes "Stabilization of Factor VIII in Plasma by the von Willebrand Factor" von Weiss et al. (Jo19) belegt und wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, war dem Fachmann am Prioritätstag aber bekannt, dass es für bestimmte Zwecke vorteilhaft sein kann, das Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor nicht aufzutrennen, weil es die Stabilität von Faktor VIII erhöht. Dies gab Anlass, auf die in K8 beschriebenen zusätzlichen Maßnahmen zur Trennung dieses Aggregats zu verzichten.
(4) Weder aus K8 noch aus dem sonstigen Stand der Technik ergab sich hingegen eine Anregung, die beiden genannten Änderungen mit dem weiteren Schritt zu kombinieren, in einer einzigen Trennung durch mehrfache Erhöhung der Ionenstärke nicht nur ein einzelnes Protein bzw. einen bestimmten Proteinkomplex, sondern mehrere Proteine oder Proteinkomplexe zu gewinnen.
Die Gewinnung mehrerer Fraktionen durch stufenweise oder kontinuierliche Erhöhung der Ionenstärke gehört zwar für sich genommen zu den Grundtechniken der Ionenaustauschchromatographie. Trotz der damit theoretisch eröffneten Möglichkeiten ist in K8 jedoch nur eine einmalige Erhöhung zur Gewinnung von Faktor VIII vorgesehen. Auch wenn der Fachmann aus den oben genannten Gründen Anlass hatte, Faktor VIII nicht isoliert, sondern als Aggregat mit dem von-Willebrand-Faktor zu gewinnen und hierzu das aufgrund seiner allgemeinen Eigenschaften überlegene Gelmaterial einzusetzen, gab ihm dies keinen Hinweis darauf, den Trennungsvorgang zugleich so umzugestalten, dass er mehrere Proteinfraktionen in einem Durchgang isolieren konnte. Eine Weiterentwicklung in diese Richtung stellt keine im Belieben des Fachmanns stehende Maßnahme dar, deren Einsatz im Zusammenhang mit dem in K8 offenbarten Verfahren für den Fachmann ohne weiteres auf der Hand lag. Zwar lag es, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, nahe, die Ionenstärke sukzessive zu erhöhen, wenn die Gewinnung mehrerer Fraktionen als Ziel ins Auge gefasst wurde. Weder aus K8 noch aus dem sonstigen Stand der Technik ergab sich jedoch eine Anregung, die bekannten Verfahren zur Gewinnung von Faktor-VIII-Präparaten in Richtung auf diese Zielsetzung hin weiterzuentwickeln.
5. Die Patentansprüche 2 bis 12 sind auf Patentanspruch 1 in der geänderten Fassung zurückbezogen und haben zusammen mit diesem Bestand.
6. Der Gegenstand von Patentanspruch 13 des Streitpatents ist hingegen nicht patentfähig - unabhängig davon, auf welche Fassung der Patentansprüche 1 bis 9 er zurückbezogen ist.
a) Aus der Rückbeziehung auf die Patentansprüche 1 bis 9 ergibt sich, wie bereits oben dargelegt wurde, dass das Faktor-VIII-Konzentrat zum therapeutischen Gebrauch geeignet sein muss. In Patentanspruch 13 ist hingegen nicht zwingend festgelegt, dass das Konzentrat in einem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 bis 9 hergestellt worden ist. Es genügt, wenn es auf diesem Wege erhältlich ist. Für weitere Sachmerkmale, die sich aus der Bezugnahme auf das erfindungsgemäße Verfahren ergäben (vgl. BGH, Urt. v. 19.6.2001 - X ZR 159/98, GRUR 2001, 1129 - zipfelfreies Stahlband), bietet die Beschreibung des Streitpatents keine Anhaltspunkte. Der Gegenstand von Patentanspruch 13 wird deshalb durch die Aufnahme weiterer Verfahrensschritte in Patentanspruch 1 nicht beschränkt.
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann bei Anwendung des in K6 beschriebenen Verfahrens ohne weiteres ein therapeutisch einsetzbares Faktor-VIII-Konzentrat mit den Merkmalen 13.1 und 13.2 erhält, wie dies die Klägerin unter Berufung auf den in erster Instanz vorgelegten Untersuchungsbericht (K37) geltend macht. Ein Faktor-VIII-Konzentrat mit diesen Eigenschaften ist jedenfalls durch K8 nahegelegt.
(1) In K8 wird in Patentanspruch 9 sowie in der Beschreibung (S. 10 Z. 23-29) eine pasteurisierte, hochgereinigte Faktor-VIII-Präparation offenbart, die praktisch frei von Immunglobulinen, Isoagglutininen, Fibronectin und gerinnbarem Fibrinogen ist und durch eine spezifische Clotting (C)-Aktivität (F VIII:C) von etwa 100 E/mg Protein und ein Verhältnis von F VIII:C zu F VIII R:Ag (Related Antigen) > 1 charakterisiert ist.
Anders als die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (K4 Tz. 28) hat der Senat keine Zweifel daran, dass die dabei angegebene Einheit "E/mg" identisch ist mit der in K8 in unmittelbarem Zusammenhang damit erläuterten Einheit "IE/mg". Diese wird in K8 in Übereinstimmung mit der oben genannten Definition dahin erläutert, dass 1 IE der Faktor-VIII-Aktivität von 1 ml Normalplasma entspricht (K8 S. 11 Z. 7-9). Zwischen diesen Ausführungen und der vorangehenden Beschreibung einer Präparation mit einer Aktivität von 100 "E/mg" finden sich keine weiteren Aktivitätsangaben. K8 enthält auch an anderen Stellen keine Hinweise darauf, dass zusätzlich zu der international gebräuchlichen Einheit "IE" eine national oder von der Anmelderin festgelegte Einheit "E" verwendet werden soll. Aus all dem folgt, dass die beschriebene Präparation eine Clotting-Aktivität von 100 IE/mg Protein aufweist.
(2) Abweichend von Merkmal 13.1 bezieht sich die in K8 angegebene Reinheit auf ein Präparat, in dem Faktor VIII weitgehend isoliert ist, d.h. das Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor aufgelöst worden ist. Die Reinheitsangabe in Merkmal 13.1 bezieht sich hingegen auf ein Konzentrat, in dem Faktor VIII zumindest zu einem wesentlichen Teil in Form dieses Aggregats vorliegt. Ein solches Konzentrat war durch K8 jedoch nahegelegt.
Wie bereits oben ausgeführt wurde, erfordert die Auftrennung des Aggregats eine besondere Ausgestaltung des in K8 offenbarten Verfahrens, die der Fachmann als entbehrlich erkennt, weil er beispielsweise aus Jo19 weiß, dass die Anwesenheit des von-Willebrand-Faktors in bestimmten Mengen vorteilhaft ist. Durch eine entsprechende Abwandlung des Verfahrens gelangte der Fachmann zu der Möglichkeit, ein Konzentrat zu gewinnen, bei dem die Reinheit des Aggregats aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor den in K8 angegebenen Wert erreicht. Dass es hierzu zusätzlicher, durch den Stand der Technik nicht nahegelegter Maßnahmen bedurfte, ist nicht ersichtlich. Auch im Streitpatent werden - über die ebenfalls nahegelegte Verwendung von Austauscherharzen auf der Basis von Vinylpolymeren hinaus - solche Maßnahmen nicht aufgezeigt.
Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass bei dem in K8 beschriebenen Herstellungsverfahren als weiterer Verfahrensschritt die Zugabe von Stabilisatoren vorgesehen ist, die zu einer Reduzierung der spezifischen Aktivität des fertigen Konzentrats auf Werte zwischen 5 und 10 IE/mg führen (K8 S. 9 Z. 29 bis S. 10 Z. 6). Die Zugabe solcher Stabilisatoren ist bei dem Verfahren gemäß K8 erforderlich, weil die stabilisierende Wirkung des von-Willebrand-Faktors wegfällt. Die durch den Stand der Technik nahegelegte Abwandlung, das Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor nicht aufzutrennen, macht auch diese zusätzliche Maßnahme entbehrlich. Die in K8 und im Streitpatent vorgesehene Gefriertrocknung erfordert die Zugabe von Stabilisatoren nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nur dann, wenn es besondere Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Proteine beim Einfrieren beschädigt werden. Solche Anhaltspunkte sind bei dem Aggregat aus Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor nicht gegeben.
(3) Merkmal 13.2, wonach das Konzentrat in seiner Qualität vergleichbar ist mit der eines Konzentrats gleicher Blutgruppe, führt zu keiner abweichenden Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Dieses Merkmal ist nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen eine zwangsläufige Folge der in Merkmal 13.1 festgelegten Reinheit. Es stellt sich ohne weiteres ein, wenn die im Stand der Technik vorhandenen Anregungen zur Herstellung eines Konzentrats mit dieser Reinheit aufgegriffen werden.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 92 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Keukenschrijver Gröning Bacher Hoffmann Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.11.2006 - 3 Ni 5/04 (EU) -
BGH:
Urteil v. 13.07.2010
Az: Xa ZR 10/07
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