Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 22. November 2001
Aktenzeichen: 5 U 80/01
(OLG Hamm: Urteil v. 22.11.2001, Az.: 5 U 80/01)
Tenor
Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das am 5. April 2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.150,00 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 11. Juli 2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen der Klägerin und der Beklagten werden zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen zu 5/6 die Klägerin und die Beklagte zu 1/6.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden zu 4/5 der Klägerin und zu 1/5 der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Parteien übersteigt nicht 60.000,00 DM.
Gründe
Die Berufung der Klägerin hat nur im Umfang der zweitinstanzlichen Klageerweiterung (Zinsanspruch) Erfolg. Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.
Die Pflicht der Klägerin, die Telekommunikationsleitung der Beklagten zu dulden, ist in zweiter Instanz nicht mehr im Streit. Die Parteien streiten nur noch darüber, ob der Klägerin ein einmalige Ausgleich nach § 57 II, 2 TKG zusteht, und wenn ja, in welcher Höhe. Ein Ausgleichanspruch besteht, er beträgt aber nur 2.150,00 DM. Er ist in der geltend gemachten Höhe zu verzinsen.
1.
Die Klägerin kann von der Beklagten einen einmaligen Ausgleich in Geld dafür verlangen, dass diese eine erweiterte Nutzung des Grundstücks zu Zwecken der Telekommunikation vornimmt, die nicht unter Verwendung des bereits existierenden, für die Zwecke der Telekommunikation einsetzbaren Leitungswegs erfolgt (§ 57 II, 2 TKG).
Die Beklagte hat die aufgrund der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten eingeräumte Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks der Klägerin zu Zwecken der Telekommunikation erweitert. Ausweislich des stets gleichlautenden Textes der Bestellungsurkunden vom 4.12.1970/23.4.1970 (Bl. 88 f. GA) war sie berechtigt, über das Grundstück "Hochspannungsleitungen auf einem Gestänge zu führen und die dafür erforderlichen Masten nebst dem nach den geltenden VDE-Vorschriften vorgeschriebenen Zubehör aufzustellen". Im Jahre 1997 hat sie aber zusätzlich zu den vorhanden Seilen für die Übertragung der elektrischen Energie ein weiteres Kabel gezogen. Hierbei handelt es sich um ein Lichtwellenleiterkabel zu Telekommunikationszwecken, das unstreitig an Telkommunikationsanbieter vermietet werden soll und für eine kommerzielle, öffentliche Telekommunikation bestimmt ist. Das ist nicht mehr "Zubehör" für die Hochspannungsleitungen, wie es Leitungen seien mögen, die lediglich zur Übermittlung innerbetrieblicher, im Rahmen der Energieversorgung erforderlicher Nachrichten genutzt werden.
Es waren bis dahin keine Leitungswege vorhanden, die im Sinne des § 57 II, 2 TKG zum Zwecke der Telekommunikation genutzt werden konnten. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die Behauptung der Beklagten zutrifft, dass die vorhandenen Leitungswege schon vorher im Wege der THF-Technik (Trägerfrequenz auf Hochspannungsleitungen) oder TRA-Technik (Trägerfrequenz auf Mittelspannungsleitungen) zu Zwecken der betriebsinternen Nachrichtenübermittlung genutzt worden sind. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung wird auch dann ausgelöst, wenn ein Übergang von einer betriebsinternen Datenübermittlung zur kommerziellen öffentlichen Telekommunikation erfolgt (BGH NJW 2000, 3206, 3209 f.). Dies folgt aus einer zulässigen und gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 57 II, 2 TKG (BGH a.a.O. mit weiteren Nachweisen).
§ 57 II 2 TKG muss verfassungskonform dahin verstanden werden, dass auch in Fällen der Ausweitung bisher gestatteter betriebsinterner Telekommunikation auf Dienstleistungen für die Öffentlichkeit eine einmalige Ausgleichszahlung geschuldet wird. Von Verfassungs wegen ist es allerdings nicht geboten, die in § 57 I Nr. 1 TKG angeordnete Duldungspflicht generell mit einem finanziellen Ausgleich zu verbinden. Im Einzelfall übermäßig belastende Beeinträchtigungen werden - bei richtigem Verständnis dieser Norm - durch die gesetzlichen Entschädigungstatbestände ausreichend abgemildert . Die betroffenen Grundeigentümer können ihre Grundstücke faktisch in unvermindertem Maße und in gleicher Weise wie bisher nutzen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es nicht um einen finanziellen Ausgleich für eine (zusätzliche) Nutzungseinschränkung, sondern darum, dass den Eigentümern ihr Recht beschnitten wird, mit der Sache nach Belieben zu verfahren ( § 903 BGB) und eine Fremdnutzung zu untersagen, oder sich marktgerecht vergüten zu lassen. Art. 14 I 1 GG zwingt den Gesetzgeber zu einer finanziellen Ausgleichsregelung, wenn sonst kein gerechtes und ausgewogenes Verhältnis zwischen den Eigentümerinteressen und den Belangen der Allgemeinheit erzielt werden kann. Das ist hier der Fall. Die betroffenen Eigentümer müssen nicht hinnehmen, dass Dritte ihre Grundflächen zu Telekommunikationszwecken vermarkten, daraus Gewinn erzielen und sie dafür keinen Geldausgleich erhalten. Dies lässt sich auch mit der besonderen Sozialbindung des Grundeigentums und dem mit der gesetzlichen Regelung verfolgten Zweck nicht mehr rechtfertigen. Die den Eigentümern in aller Regel für die Einräumung der schon bestehenden Leitungsrechte gezahlten Vergütungen decken die neue Nutzungsdimension nicht ab. Eine unentgeltliche Verpflichtung zur Duldung einer solchen Umnutzung ist auch vom Schutzzweck des § 57 TKG nicht mehr gedeckt (BGH a.a.O.).
Wäre die Ausgleichspflicht allein auf jene Fälle beschränkt, in denen die Leitungsrechtsinhaber ihre Befugnis zum erstmaligen Einbau eines telekommunikationsfähigen Leitungsweges (neben der ohnehin gesicherten Leitung) Gebrauch machen, dann ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum ein Ausgleichsanspruch bei Auswechslung und Umnutzung einer bisher nur betriebsintern genutzten Telekommunikationsleitung versagt werden soll. In beiden Fällen ist der Eingriff in das Grundeigentum von gleicher Qualität, weil er die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich einschränken darf ( § 57 I Nr. 1 TKG). Von einem eingeräumten Leitungsrecht sind beide Fälle nicht gedeckt. Es handelt sich jedes Mal nur darum, ob man dem Grundstückseigentümer einen Ausgleich für die neue Nutzungsdimension gewähren soll, weil Dritte über das erweiterte Leitungsrecht das Grundstück zur privaten Gewinnerzielung vermarkten. Für diesen Ansatz spielt es keine Rolle, ob im Rahmen der Duldungspflicht nach § 57 I TKG eine bisher nur betriebsintern benutzbare Leitung ausgetauscht oder eine neue Leitung gebaut wird (BGH a.a.O.) .
2.
Die Höhe des Ausgleichsbetrages war gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Der Senat hält im Ergebnis wie das Landgericht einen Betrag von 5,00 DM für den laufenden Meter für angemessen. Gegenstand des Ausgleichs ist aber die reine Leitungslänge von 430 m, und nicht die vom Landgericht zu Grunde gelegte Länge des Schutzstreifens von 490 m. So errechnet sich ein Ausgleichsbetrag von 430 mal 50 = 2.150,00 DM.
Der wirtschaftliche Nutzen der Telekommunikationsleitung für die Beklagte hat für die Schätzung außer Betracht zu bleiben (BGH NJW 2000, 3206, 3211).
Die in Art. 87f GG verbürgte und in § 1 TKG zum gesetzgeberischen Regelungsziel erhobene Verwirklichung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsleistungen unter gleichzeitiger Förderung des Wettbewerbs setzt notwendigerweise voraus, dass die privaten Anbieter zur Verminderung des Wettbewerbsvorsprungs der U AG ohne unzumutbaren Kostenaufwand auf das Leitungsnetz der Energieindustrie zurückgreifen können. Die von den Leitungsrechtsinhabern an die Grundstückseigentümer zu zahlende Vergütung führt aber zwangsläufig zu einer Verteuerung der von den Telekommunikationsanbietern zu entrichtenden Entgelte und schließlich der Endabnehmerpreise. Nicht sachgerecht erscheint es daher, die Höhe der Ausgleichszahlung an dem wirtschaftlichen Nutzen auszurichten, der aus dem Betrieb der Telekommunikationslinie gezogen wird. Ein solcher Ansatz erwiese sich auch - zumal für eine Einmalzahlung - als wenig praktikabel (BGH a.a.O.).
Als Bemessungsgrundlage kommt stattdessen in erster Linie die Höhe des Entgelts in Betracht, das nach den jeweiligen Marktverhältnissen für die Einräumung eines Nutzungsrechts zu Telekommunikationszwecken gezahlt wird (BGH a.a.O.). Nach dem Vortrag der Parteien ist jedoch davon auszugehen, dass sich ein derartiger Marktwert noch nicht gebildet hat.
Die Behauptung der Klägerin, dass sich ein Marktpreis für die Einräumung eines Telekommunikationsrechtes noch nicht gebildet hat, ist von der Beklagten nicht substantiiert bestritten worden. Die Vorlage von Gerichtsentscheidungen des OLG München und des OLG Oldenburg durch die Beklagte lässt einen Marktpreis gerade nicht erkennen. Die ausgeurteilten Entschädigungen für den laufenden Meter Leitung reichen von 0,50 DM (OLG München 8.12.1999, Anlage B 7) über 3,00 DM (OLG München 13.12.2000, Anlage B 8) bis 4,00 DM (OLG Oldenburg 17.5.2001, Anlage B 9). Nach einer ebenfalls vorgelegten Richtlinie der Baden-Württembergischen Bauernverbände und des Verbandes der Elektrizitätswerke C aus dem Jahre 1985 sind Entschädigungen zwischen 0,45 DM und 1,60 DM vorgesehen (Anlage B 10). Rückschlüsse auf M wären ohnehin nur bedingt möglich.
Auch der von der Klägerin in erster Instanz vorgelegte Vertrag zwischen ihren Rechtsvorgängern und den Stadtwerken C aus dem Jahre 1997 über eine Entschädigung für die Verlegung einer Telekommunikationsleitung (Bl. 154 GA) ist für die Feststellung eines Marktpreises ungeeignet. Abgesehen davon, dass es sich um eine Entschädigung in einem Einzelfall handelt, sind die Grundlagen der Vereinbarung unklar geblieben. Der schriftliche Vertrag sieht eine jährlich Entschädigung von 250 DM vor, ohne aus sich heraus irgendwelche Bemessungsgrundlagen erkennen zu lassen. Die Behauptung der Klägerin, man sei dabei von einem Ausgleich von 11,00 DM pro laufenden Meter im Falle einer einmaligen Entschädigung ausgegangen, ist bestritten worden. Die Klägerin hat keinen Beweis angetreten.
Mangels eines Marktpreises für die Verlegung von Telekommunikationsleitungen ist als Ausgangspunkt für den nach § 287 ZPO zu schätzenden Ausgleich daher auf die übliche Vergütung für die Verlegung von Versorgungsleitungen zurückzugreifen (BGH a.a.O.). Anknüpfungspunkt für die Schätzung des Senats war insoweit die seinerzeit von den Parteien bei Einräumung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten getroffenen Entschädigungsvereinbarung vom 2.3.1971 (Bl. 152 f. GA).
Die Beklagte hat damals 65.382,30 DM bezahlt. Berücksichtigt man die unstreitig zwischenzeitlich eingetretenen Preissteigerungen (Mittelwert aus den Indexsteigerungen "Lebenshaltungskosten" und "Bauwerke", i. E. vgl. Bl. 214 f. GA) entspricht dies - rechnerisch unstreitig - einer heutigen Entschädigung von rd. 187.000,00 DM. Bei einer Schutzstreifenlänge von 490 m errechnet sich eine Entschädigung von rund 380,00 DM je laufenden Meter Schutzstreifen.
Diese Entschädigung ist aber für die gesamte in Anspruch genommene Fläche bezahlt worden: 490 laufende Meter in einer Breite von - im Mittel - 60 m (Eintragungsbewilligungen für die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten, Bl. 88 f. GA). Für diesen gesamten Schutzstreifen hat die Klägerin bereits eine Entschädigung erhalten. Es ist nunmehr lediglich - mittig durch die Masten gezogen - eine weitere Leitung hinzugekommen, die auf den Schutzflächenbedarf keinen Einfluss hat. Für den jetzt zu bestimmenden Ausgleich für die zusätzliche Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne der zitierten BGH-Entscheidung spielt die Fläche keine Rolle. Der Ausgleich kann sich nur auf die reine Leitungslänge beziehen, so dass der Betrag von 380,00 DM je laufenden Meter Schutzfläche durch 60 zu dividieren ist: 380/60 = 6,33 DM.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die weitere, oberirdisch verlegte Leitung praktisch zu keiner Erhöhung des Haftungsrisikos des Grundstückseigentümers führt. Beschädigungen durch Erdarbeiten sind ausgeschlossen. Leitungsinspektionen der Beklagten erfolgen nur aus der Luft (Hubschrauber). Eine weitere Nutzungseinschränkung des Eigentümers gibt es nicht. Es geht - wie der BGH (a.a.O.) ausgeführt hat - ausschließlich um einen Ausgleich dafür, dass die Beklagte ohne Einwilligung der Klägerin einen weiteren Gewinn aus dem Grundstück zieht. Das ist ein Unterschied zu der damaligen Entschädigung für die Stromleitungen, die auch dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Grundstücksbeeinträchtigung Rechnung zu tragen hatte. Bei der Schätzung des Ausgleichsbetrages ist daher ein weiterer Abschlag vorzunehmen. Eine Ermäßigung des bis hierhin errechneten Betrages von 6,33 DM auf den auch vom Landgericht angenommenen Betrag von 5,00 DM je laufenden Meter erscheint angemessen.
Ob dieser Betrag dem durchschnittlichen Wert pro Quadratmeter für landwirtschaftlich genutzte Flächen in Nordrhein-Westfalen entspricht, wie die Beklagte behauptet, ist unerheblich. Dieser normale Grundstückswert spielt für den Ausgleich, der Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, keine Rolle. Der Ausgleich ist nicht in Relation zu dem normalen Grundstückswert zu bestimmen, sondern in Relation zu dem Betrag, den die Beklagte selbst als angemessene Entschädigung für das Überspannen einer Grundstücksfläche mit Stromleitungen angesehen hat (etwa 380,00 DM je laufenden Meter Schutzfläche in einer Tiefe von 60 m im Mittel).
Bei der Schätzung des Ausgleichs kann jedoch nur die reine Leitungslänge der Telekommunikationsleitung Berücksichtigung finden, die im vorliegenden Fall von der Länge des Schutzstreifens für die Stromleitungen abweicht. Die größere Länge des Schutzstreifens resultiert aus seiner Tiefe von rund 60 m, die aus den oben dargelegten Gründen auf die Bemessung des zusätzlichen Ausgleichs keinen Einfluss hat. Zu berücksichtigen sind daher nicht 490 m, sondern 430 m. Die Parteien haben diese reine Leitungslänge in erster Instanz unstreitig gestellt (Bl. 150 GA). Der von der Beklagten an die Klägerin zu zahlende Ausgleich beträgt somit 430 * 5,00 DM = 2.150,00 DM.
3.
Der Zinsanspruch ist nicht bestritten worden.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I, 92 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und die Festsetzung der Beschwer aus § 546 II ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 22.11.2001
Az: 5 U 80/01
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