Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 2. September 2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 69/05
(LAG Hamm: Beschluss v. 02.09.2005, Az.: 13 TaBV 69/05)
Tenor
Auf die Beschwerde des Wahlvorstands - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 23.11.2004 - 3 BV 39/04 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Arbeitgeberin wird verpflichtet, den Wahlvorstand von den Kosten der Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx in Höhe von 2.065,04 freizustellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Wahlvorstands auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten, die in insgesamt drei Beschlussverfahren entstanden sind.
In einem ersten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (2 BVGa 2/03 Arbeitsgericht Bochum = 13 TaBV 70/03 LAG Hamm; im Folgenden kurz: 2/03) begehrte der "Betriebsrat der Spedition S3xxxxxxx GmbH und der R1xx S3xxxxxxx GmbH, vertreten durch die Wahlvorstandsmitglieder", gestützt darauf, dass beide genannten Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden würden, die Übergabe einer Liste aller Beschäftigten beider Unternehmen einschließlich der Geburts- und Eintrittsdaten sowie der Privatanschriften.
Das Arbeitsgericht wies mit Beschluss vom 04.03.2003 das Begehren zurück, weil der antragstellende Betriebsrat anders als der Wahlvorstand gar keine entsprechende Befugnis habe; im Übrigen sei es nicht Aufgabe des einstweiligen Verfügungsverfahrens, die Frage zu klären, ob ein gemeinsamer Betrieb bestehe.
Mit Beschluss vom 27.05.2003 wies das Landesarbeitsgericht die "Beschwerde des Wahlvorstandes" gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zurück. Zur Begründung wird darin ausgeführt, die Bezeichnung des Betriebsrats als Antragsteller beruhe offensichtlich auf einem Schreibfehler oder einem Versehen. In der Sache könne angesichts unterschiedlicher eidesstattlicher Versicherungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass beide Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führten.
Zuvor hatte bereits der Wahlvorstand mit Schriftsatz vom 13.03.2003 ein weiteres Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit einem identischen Sachantrag eingeleitet (5 BVGa 5/03 Arbeitsgericht Bochum = 10 TaBV 102/03 LAG Hamm; im Folgenden kurz: 5/03).
Das Arbeitsgericht wies mit Beschluss vom 17.04.2003 den Antrag zurück mit der Erwägung, der antragstellende Wahlvorstand habe nicht die Umstände für die Annahme eines gemeinsamen Betriebes dargelegt. Dagegen hat der Wahlvorstand am 18.06.2003 Beschwerde eingelegt. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung wurde das Verfahren eingestellt.
Schließlich leitete der Wahlvorstand unter dem Aktenzeichen 2 BV 12/03 vor dem Arbeitsgericht Bochum ein Verfahren ein, gerichtet darauf, die drei Wahlvorstandsmitglieder nicht zu benachteiligen. Der Antrag wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 04.11.2003 zurückgewiesen.
Für die Durchführung des Verfahrens 2/03 stellten die Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx der Arbeitgeberin unter dem 21.01.2004 einen Betrag in Höhe von 626,17 (I. Instanz) und 765,60 (II. Instanz) in Rechnung; insoweit wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 04.05.2004 eingereichte Kopie (Bl. 5 f. d. A.). Für das Verfahren 5/03 berechneten sie, bezogen auf die I. Instanz, mit Kostennote vom 22.01.2004 einen Betrag in Höhe von 626,17 und, bezogen auf die II. Instanz, mit Rechnung vom 11.09.2003 einen Betrag in Höhe von 396,14 ; insoweit wird ebenfalls verwiesen auf den mit Antragsschriftsatz vom 04.05.2004 eingereichten Kopien (Bl. 7 f. d. A.).
Für das Verfahren 2 BV 12/03 erstellten sie unter dem 21.01.2004 eine Rechnung in Höhe von 651,46 . Insoweit wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 04.05.2004 eingereichte Kopie (Bl. 9 d. A.). Davon bezahlte die Arbeitgeberin unter Abzug von Fahrtkosten und Abwesenheitsgeldern einen Betrag in Höhe von 591,60 .
Der Wahlvorstand hat die Ansicht vertreten, die Einschaltung der Rechtsanwälte sei in vollem Umfang erforderlich gewesen.
Er hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller von den Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx in Höhe von 2.669,40 freizustellen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, sie müsse nicht für Kosten aufkommen, die in Folge der Durchführung aussichtsloser Beschlussverfahren entstanden seien. Davon abgesehen hätte man einen ortsansässigen Rechtsanwalt beauftragen können, so dass keine Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder entstanden wären.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23.11.2004 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Arbeitgeberin müsse nicht offensichtlich aussichtslose Beschlussverfahren finanzieren.
Gegen diesen ihm am 22.04.2005 zugestellten Beschluss hat der Wahlvorstand bereits am 12.04.2005 Beschwerde eingelegt; die Begründung erfolgte am 06.05.2005.
Er weist darauf hin, dass erste einstweilige Verfügungsverfahren sei erforderlich gewesen, weil die begehrten Auskünfte jedenfalls bzgl. der Firma R1xx S3xxxxxxx GmbH nicht vorgelegen hätten. Die Rechtsfrage eines gemeinsamen Betriebes sei noch nicht rechtskräftig geklärt gewesen.
Weil das Arbeitsgericht den Antrag für unzulässig gehalten habe, wäre es erforderlich gewesen, vorsorglich ein zweites einstweiliges Verfügungsverfahren anzustrengen.
Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder müssten entrichtet werden, weil er, der Wahlvorstand, zu den Rechtsanwälten T1xxxx & S4xxxxxx das größte Vertrauen gehabt hätte.
Die Fotokopierkosten seien im Wesentlichen durch Kopien der eidesstattlichen Versicherungen entstanden.
Der Wahlvorstand beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 23.11.2004 2 (3) BV 23/04 abzuändern und die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Wahlvorstand von den Kosten der Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx in Höhe von 2.473,94 freizustellen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihre in der I. Instanz bereits vorgebrachten Einwände.
B.
Die zulässige Beschwerde des Wahlvorstandes ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gegründet; im Übrigen war sie zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin ist nach § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG verpflichtet, den Wahlvorstand von den Kosten der Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx in einer Gesamthöhe von 2.065,04 freizustellen. Die übrigen Kosten in Höhe von 396,14 laut Kostennote vom 11.09.2003 und für die Erstellung von Fotokopien hat die Arbeitgeberin hingegen nicht zu tragen.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG AP Nr. 15, 20 und 21 zu § 20 BetrVG 1972; zustimmend z. B. Fitting, 22. Aufl., § 20 Rdnr. 38 m.w.N.) umfasst die Kostentragungspflicht nach § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Wahlvorstand von Ansprüchen Dritter freizustellen, wenn die entstandenen Aufwendungen zur ordnungsgemäßen Durchführung einer Betriebsratswahl erforderlich waren. Dazu können auch die Kosten eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gehören, das zur Klärung bestehender Meinungsverschiedenheiten im Laufe eines Wahlverfahrens eingeleitet und durchgeführt wurde. Dabei kann der Wahlvorstand einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen betrauen, sofern er dies nach Abwägung aller Umstände für sachlich notwendig erachten durfte. Dies ist der Fall, wenn die Sach- und/oder Rechtslage Schwierigkeiten aufweist oder für deren Beurteilung bestimmte, dem Rechtsanwalt im besonderen Maße bekannte Verhältnisse von Bedeutung sein können. Entscheidend ist letztlich, ob der Wahlvorstand zur Zeit der Beauftragung des Rechtsanwalts eine anwaltliche Vertretung bei vernünftiger Betrachtung für erforderlich halten durfte.
I.
Die genannten Voraussetzungen liegen hier im Bezug auf das über zwei Instanzen geführte erste einstweilige Verfügungsverfahren 2/03 vor. Darin ging es vor der Aufstellung einer Wählerliste im Rahmen des § 2 Abs. 2 S. 1 WO entscheidend darum, ob zwei Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bildeten. Wenn in dieser Situation einer ungeklärten und nicht einfach zu lösenden Rechtsfrage (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) der Wahlvorstand zu dem Beschluss gelangt ist, einen Rechtsanwalt mit der schnellen gerichtlichen Klärung des Rechtsproblems zu betrauen, hielt er sich damit im Rahmen der Erforderlichkeit.
Daran war er namentlich durch das unter dem Aktenzeichen 1 BV 21/02 (ArbG Bochum) = 13 TaBV 38/03 (LAG Hamm) von Arbeitgeberseite angestrengte Wahlanfechtungsverfahren nicht gehindert, weil die in der arbeitsgerichtlichen Entscheidung vom 13.12.2002 äußerst knappen Ausführungen zur Frage zweier Unternehmen mit einen gemeinsamen Betrieb nicht von der der Rechtskraft unterfallenden Feststellung über die Rechtsunwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 14.06.2002 erfasst worden sind (siehe auch die Protokollfeststellungen im genannten Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht vom 15.07.2003).- Davon abgesehen war dieses Beschlussverfahren auch noch gar nicht abgeschlossen, als der Wahlvorstand seine Rechtsanwälte im Februar 2003 zur Einleitung des ersten einstweiligen Verfügungsverfahrens beauftragte.
II.
Das zweite einstweilige Verfügungsverfahren musste erstinstanzlich auch noch durchgeführt werden, weil das Arbeitsgericht zuvor im Beschluss vom 04.03.2003 (2/03) tatsächlich (inzidenter) zu der Feststellung gelangt war, das Aktivrubrum könne nicht auf den Wahlvorstand umgestellt werden, und der Betriebsrat habe keine Antragsbefugnis.
Vor diesem Hintergrund hatte der Wahlvorstand, um beispielsweise dem Einwand zu entgehen, mit zunehmender Zeit keinen Verfügungsgrund mehr zu haben, gar keine andere Möglichkeit, als ein zweites einstweiliges Verfügungsverfahren einzuleiten. Die damit einhergehenden Kosten hätte die Arbeitgeberin ohne weiteres verhindern können, wenn sie in der Verhandlung am 04.03.2003 (2/03) der angeregten Umstellung des Aktivrubrums zugestimmt hätte (siehe Schriftsatz des Wahlvorstandes vom 04.05.2005, Seite 4). So bedurfte es erst der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.05.2003, bevor feststand, dass schon im Verfahren 2/03 der Wahlvorstand der richtige Antragsteller war.
Wenn dann trotzdem im Verfahren 5/03 mit Schriftsatz vom 16.06.2003 Beschwerde eingelegt wurde, obwohl der Wahlvorstandsseite bereits zuvor das Protokoll der LAG-Verhandlung vom 27.05.2003 vorlag mit dem Tenor, die Beschwerde "des Wahlvorstandes" werde zurückgewiesen, dann waren die dafür angefallenen Kosten in Höhe von 396,14 allerdings nicht mehr erforderlich; es lag nämlich mit der erwähnten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in der Sache ein (rechtskräftiger) Beschluss zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeberin zu der Problematik vor, wie sie auch Gegenstand des Beschlussverfahrens 5/03 war.
III.
Die Aufwendungen für die von Wahlvorstandsseite herangezogenen auswärtigen Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx in Gestalt von Fahrkosten und Abwesenheitsgeldern sind von der Arbeitgeberin gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu tragen.
Nach der zu folgenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 31 zu § 40 BetrVG) kann (auch) ein Wahlvorstand zur Vertretung seiner rechtlichen Interessen grundsätzlichen einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wählen. Allerdings muss er, wenn er nicht ein ortsansässiges, sondern ein auswärtiges Rechtsanwaltsbüro beauftragen will, prüfen, ob die dadurch entstehenden Mehrkosten sachlich gerechtfertigt sind und damit eine angemessene Berücksichtigung der finanziellen Belange des Arbeitgebers gewährleistet ist.
Ausgehend von diesen Maßstäben, war hier in allen drei Verfahren die Beauftragung der nicht in B1xxxx, sondern in D1xxxxxx ansässigen Rechtsanwälte T1xxxx & S4xxxxxx bei verständiger Würdigung sachlich gerechtfertigt. Entscheidend spricht dafür, dass die genannten Rechtsanwälte von Arbeitgeberseite unwidersprochen schon in dem Anfechtungsverfahren 1 BV 21/02 (ArbG Bochum) = 13 TaBV 38/03 (LAG Hamm) für den Betriebsrat tätig waren und sich dort bereits mit der Grundsatzfrage des Bestehens eines gemeinsamen Betriebes zweier Unternehmen auseinander zu setzen hatten. So verfügten sie über besondere Kenntnisse und Einblicke, die gerade für die Entscheidung der genannte Rechtsfrage von großer Bedeutung waren, als sie ab Februar bzw. März 2003 die Vertretung in den beiden einstweiligen Verfügungsverfahren übernahmen (vgl. BAG, a.a.O.). Entsprechende Erwägungen gelten für die im April 2003 erfolgte Mandatierung im Verfahren 2 BV 12/03 (ArbG Bochum).
Im Übrigen darf im Rahmen des zugunsten des Wahlvorstands bestehenden Beurteilungsspielraumes auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Arbeitgeberin dadurch lediglich Mehrkosten von insgesamt 103,20 zzgl. Mehrwertsteuer in insgesamt drei Verfahren entstanden sind.
IV.
Hingegen besteht kein aus § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG ableitbarer Anspruch auf Freistellung von Fotokopierkosten.
Soweit die Wahlvorstandsseite in dem Zusammenhang auf Kopien der eidesstattlichen Versicherungen verweist, sind die dadurch entstandenen Kosten von der Prozessgebühr des für das vorliegende Verfahren noch einschlägigen § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgedeckt, können also nicht zusätzlich als Dokumentenpauschale gemäß § 27 BRAGO in Ansatz gebracht werden (vgl. LAG Köln, Beschluss v. 29.12.1998 10 (4) Ta 195/98; OLG Hamm, Beschluss vom 05.03.2001 23 W 608/00).
Nach alledem ergibt sich ein Freistellungsanspruch von folgenden Kosten:
Kostenrechnung vom 21.01.2004 zum Verfahren 2 BVGa 2/03 = 13 TaBV 70/03:
I. Instanz = 2 Gebühren zzgl. Fahrtkosten/Abwesenheitsgeld und Pauschale (§ 26 BRAGO) sowie Umsatzsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO) abzüglich 4,00 zzgl. Mehrwertsteuer (Fotokopien), insgesamt 621,53 ;
II. Instanz = 2 Gebühren zzgl. Pauschale (§ 26 BRAGO) und Umsatzsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO) abzgl. 3,00 zzgl. Mehrwertsteuer (Fotokopien), insgesamt 762,12 .
Kostenrechnung vom 22.01.2004 zu 5 BVGa 5/03:
2 Gebühren zzgl. Fahrtkosten/ Abwesenheitsgeld und Pauschale (§ 26 BRAGO) sowie Umsatzsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO) abzüglich 4,00 zzgl. Mehrwertsteuer (Fotokopien), insgesamt 621,53 .
Kostenrechnung vom 21.01.2004 zu 2 BV 12/03:
neben dem bereits erstatteten Betrag in Höhe von 591,60 zusätzlich Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld, insgesamt 51,60 zzgl. Mehrwertsteuer = 59,86 .
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.
Dr. Müller Steinmeier Göersmeier
LAG Hamm:
Beschluss v. 02.09.2005
Az: 13 TaBV 69/05
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