Landgericht Berlin:
Urteil vom 24. April 2007
Aktenzeichen: 15 O 718/06
(LG Berlin: Urteil v. 24.04.2007, Az.: 15 O 718/06)
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 19. September 2006 wird bestätigt.
2. Die Antragsgegnerin hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung auf die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs, gehören.
Der Antragsteller ist zudem gemäß § 1 Nr. 4 UklaV als branchenübergreifend und überregional tätiger Wettbewerbsverband im Sinne von § 13 Abs. 5 Nr. 2 UklaG festgestellt.
Im Impressum der Internetseitewww.xxx.comheißt es:
"xxx ist eine europäische Apotheke mit Standort und Zulassung in den Niederlanden.
xxx com
xxx 40 x
xx xx Zaandam
Niederlande ( ... )
Tel.: ...
Fax: ...
Zuständige Apothekerin:
Frau Drs. xxx xxx
BIG Registrierungsnummer ..."
Ende der 34. Kalenderwoche des Jahres 2006 wurde an Berliner Haushalte mit Tagespost die vom Antragsteller als Anlage A 3 zur Antragschrift eingereichte Faltbroschüre verteilt.
Der Inhalt dieser Faltbroschüre wird außerdem unter der Domainwww.xxx.comals pdf-Datei zum Abruf bereit gehalten.
In der Broschüre werden unter anderem die verschreibungspflichtigen Arzneimittel Ixx mit Sparbeispielen für rheumatoide Arthritis-Patienten, Bxxx mit Sparbeispielen für Multiple Sklerose-Patienten,Xxxxmit Sparbeispielen für Krebspatienten, Cxxx mit Sparbeispielen für HIV-Patienten,Zxxxmit Sparbeispielen für Mukoviszidose-Patienten und Vxxx mit Sparbeispielen für Antibabypillen vorgestellt.
Die Broschüre enthält ferner folgende Aussagen:
"Zuzahlungsbefreit€
xxx.com überweist Ihnen bei Rezeptbestellungen sofort Geld auf Ihr Konto."
"Ich bin zuzahlungsbefreit. Meine Ersparnis
- überweisen Sie bitte auf mein Konto
- verrechnen Sie bitte mit meiner nächsten Bestellung bei xxx
- schicken Sie mit bitte per Verrechnungsscheck.",
"Sie sind von der Zuzahlung befreit€
xxx überweist Ihnen Ihre Ersparnis auf Ihr Konto bzw. Sie erhalten von xxx einen Bankscheck über den Ersparnisbetrag oder verrechnet den Betrag mit Ihrer nächsten Bestellung."
Wegen der in dieser Broschüre enthaltenen Werbung sprach der Antragsteller mit einem an die "Firma xxx.com" gerichteten Schreiben vom 1. September 2006 eine Abmahnung aus.
Die Forderung nach einer strafbewehrten Unterlassungserklärung wurde mit Anwaltsschreiben vom 8. September 2006 zurückgewiesen.
Auf Antrag des Antragstellers hat das Gericht mit Beschluss vom 19. September 2006 eine einstweilige Verfügung erlassen und der Antragsgegnerin untersagt,
im geschäftlichen Verkehr für verschreibungspflichtige zugelassene Arzneimittel zu werben
1. gegenüber anderen Personen als Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubter weise Handel treiben, insbesondere wenn dies geschieht unter gänzlichem Fehlen der gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4, 7 a, Abs. 3 Satz 1 HWG vorgeschriebenen Pflichtangaben,
2. mit den Angaben:
2.1 "Zuzahlungsbefreit€
xxx.com überweist Ihnen bei Rezeptbestellungen sofort Geld auf Ihr Konto.",
2.2 "Ich bin zuzahlungsbefreit. Meine Ersparnis
- überweisen Sie bitte auf mein Konto
- verrechnen Sie bitte mit meiner nächsten Bestellung bei xxx
- schicken Sie mit bitte per Verrechnungsscheck.",
2.3 "Sie sind von der Zuzahlung befreit€
xxx überweist Ihnen Ihre Ersparnis auf Ihr Konto bzw. Sie erhalten von xxx einen Bankscheck über den Ersparnisbetrag oder verrechnet den Betrag mit Ihrer nächsten Bestellung."
Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.
Der Antragsteller beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 19. September 2006 zu bestätigen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 19. September 2006 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach § 929 Abs. 2 ZPO für unstatthaft und trägt weiter vor, die einstweilige Verfügung sei ihr bis zum 14. November 2006 nicht wirksam zugestellt worden, da sie die Annahme gemäß Art. 8 EuZVO in zulässiger Weise verweigert habe, da sie der deutschen Sprache nicht in ausreichendem Maße mächtig sei.
Die Antragsgegnerin hält die einstweilige Verfügung zudem im Hinblick auf § 922 Abs. 1 Satz 2 ZPO für formal fehlerhaft.
Die Antragsgegnerin trägt weiter vor, sie sei nicht passivlegitimiert.
Das Unternehmen xxx sei eine Gesellschaft niederländischen Rechts,xxxxxxxx( x.x. ), die entsprechend einer deutschen GmbH über eigene Rechtspersönlichkeit verfüge.
Sie sei auch nicht zur Vertretung dieser Gesellschaft befugt.
Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, die beanstandete Broschüre sei keine Werbung im Sinne des § 10 HWG, ihr Inhalt verstoße auch nicht gegen § 4 HWG. Es werde in der Broschüre nicht für Arzneimittel geworben, sondern nur auf das Kerngeschäft des Unternehmens xxx.com aufmerksam gemacht.
Die Antragsgegnerin ist schließlich der Auffassung, das Verbot ihrer Werbung verstoße gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
Gründe
I. Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen.
A. Die einstweilige Verfügung war nicht schon nach den §§ 936, 927 ZPO aufzuheben, weil die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach den §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO unstatthaft ist, wenn seit der Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Antragstellerin ein Monat verstrichen ist.
1. Auf Unterlassung gerichtete einstweilige Verfügungen sind durch Parteizustellung förmlich zu vollziehen. Für eine internationale Zustellung im Parteibetrieb ist ein Gesuch der Partei an den Vorsitzenden des Prozessgerichts nach § 183 ZPO erforderlich ( KG, Urteil vom 4. September 1999, 25 U 266/98 ) .
Dieses Gesuch hat der Antragsteller hier schon mit der Antragsschrift gestellt ( Bl. 8 d.A. ).
Für die Wahrung der Vollziehungsfrist war der Eingang des Antrages nach § 167 ZPO ausreichend.
Zeitliche Verzögerungen bei der Durchführung der Auslandszustellung durch die staatlichen Stellen gehen nicht zu Lasten des Antragstellers.
Ob eine Zustellung als "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO erfolgt ist, beurteilt sich nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes geschützt werden. Denn derartige Verzögerungen liegen außerhalb ihres Einflussbereichs. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen anzulasten, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter
( § 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können. Eine Zustellung "demnächst" nach Einreichung oder Anbringung des zuzustellenden Antrages oder der zuzustellenden Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben. Eine absolute Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als "demnächst" anzusehen ist, gibt es nicht. Die Zustellung ist dagegen nicht mehr "demnächst" erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. ( BGH NJW 2003, 2830; KG, Urteil vom 4. September 1999, 25 U 266/98 ).
Der Antragsteller hat hier nicht zu einer Zustellungsverzögerung beigetragen.
Wie bereits ausgeführt, hat der Antragsteller das Gesuch auf Vermittlung der Auslandszustellung bereits in der Antragschrift gestellt.
Da die Verantwortung für die korrekte und effiziente Durchführung des Verfahrens bei Zustellungen im Ausland nach den gesetzlichen Bestimmungen allein bei den Justizbehörden liegt ( BGH NJW 2003, 2380, 2381 ), sind die Umstände, die dazu geführt haben, dass die Antragsgegnerin in den Niederlanden die Annahme der zuzustellenden Schriftstücke unter Berufung auf Art. 8 der Verordnung ( EG ) 1348/2000 wegen unzureichender deutscher Sprachkenntnisse verweigert hat und der erste Zustellungsversuch in den Niederlanden damit fehlgeschlagen ist, nicht dem Antragsteller anzulasten.
2. Im Übrigen ist dem Antragsteller erst aufgrund der gerichtlichen Verfügung vom 19. Dezember 2006 am 20. Dezember 2006 eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung vom 19. September 2006 zum Zweck der Zustellung im Parteibetrieb übersandt worden.
Da die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2006 erklärt haben, dass sie auf eine erneute Zustellung des Beschlusses verzichten, sind auch in der Folgezeit keine Versäumnisse des Antragsgegners zu erkennen, die zu einer Verzögerung der Zustellung geführt haben könnten.
B. Der Standpunkt der Antragsgegnerin, der Beschluss vom 19. September 2006 sei schon aus formalen Gründen aufzuheben, weil das Gericht die §§ 936, 922 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht beachtet habe, ist unzutreffend.
Nach diesen Vorschriften ist die Entscheidung zu begründen, wenn die einstweilige Verfügung im Ausland zugestellt werden soll.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin reicht es zur Begründung aber aus, wie hier geschehen, auf die Antragschrift zu verweisen und diese mit dem Beschluss zu verbinden ( vgl. Musielak/Huber, ZPO, § 922, Rn 4 m.w.N. )
Im übrigen hat schon der Antragsteller auf das Urteil des OLG Hamburg vom 19. August 2004, 5 U 32/04, hingewiesen, in dem ausgeführt wird:
Allerdings ist die einstweilige Verfügung unstreitig trotz der beabsichtigten ( und erfolgten ) Auslandszustellung entgegen § 922 Abs. 1 Satz 2 nicht begründet worden. Dieser Verstoß erweist sich im Ergebnis jedoch als unschädlich. Denn das Begründungserfordernis ist zwar gesetzlich zwingend vorgeschrieben, aber sanktionslos. Sein Sinn und Zweck liegt allein in der Sicherung der ordnungsgemäßen Auslandszustellung. Denn eine Reihe von Ländern stellen ausländische Gerichtsentscheidungen nicht förmlich zu, wenn ihnen nicht entnommen werden kann, auf welcher rechtlichen Grundlage die Verurteilung erfolgt ist. Hierfür sind u.a. Gründe der Vermeidung eines Verstoßes gegen den "ordre public" des Vollstreckungslandes ausschlaggebend. Die Begründungspflicht für die Auslandszustellung ergibt sich auch aus Art. 30 Abs. 1 und 4 AVAG ( Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen - Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz ). Bei einer nicht begründeten Entscheidung läuft der Antragsteller die Gefahr, dass eine förmliche Zustellung im Ausland zurückgewiesen wird und er hierdurch Rechtsnachteile erleidet. Weitergehende - materielle - Auswirkungen für das Inland hat das Begründungserfordernis hingegen nicht. Auch Zöller-Vollkommer ( ZPO, 24. Aufl., § 922 Rdn. 10 ) kommentiert diese Norm dementsprechend schlicht mit "leer laufend wegen Art. 103 I GG". Gegenteilige Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur trägt auch die Antragsgegnerin nicht vor. Deshalb verhilft dieser Verstoß der Antragsgegnerin nicht zum Erfolg.
Diesen Ausführungen schließt die Kammer sich an.
C. Im übrigen erweist sich der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung auch unter Berücksichtigung der Widerspruchsbegründung als zulässig und begründet.
Danach kann der Antragsteller die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auf die §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3 UWG stützen.
1. Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, nicht passivlegitimiert zu sein.
Es ist irrelevant, ob das Unternehmen, das im Internet unter der Bezeichnung "xxx.com" auftritt, wie die Antragsgegnerin behauptet, von einer Gesellschaft niederländischen Rechts, xxx die entsprechend einer deutschen GmbH über eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, betrieben wird.
Schuldner des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist nach § 8 Nr. 1 UWG zunächst derjenige, der dem § 3 UWG zuwiderhandelt. Schon § 8 Abs. 2 UWG zeigt, dass danach nicht nur der Träger des Unternehmens, dessen Waren oder Dienstleistungen beworben werden, Schuldner des Unterlassungsanspruchs sein kann.
Da die Antragsgegnerin im Impressum der Seitewww.xxx.com, über die der Inhalt der beanstandeten Broschüre auch abgerufen werden kann, nach dem Einleitungssatz "xxx ist eine europäische Apotheke mit Standort und Zulassung in den Niederlanden" als "Zuständige Apothekerin" namentlich genannt wird ( sogar mit Angabe, ihrer "BIG Registrierungsnummer", deren Zweck offenbar die sichere Identifizierung des registrierten Apothekers etc. ist ), ist mangels stichhaltiger Einwendungen der Antragsgegnerin davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin für den Inhalt der beanstandeten Broschüre verantwortlich ist und damit dem Antragsteller auf Unterlassung haftet.
2. Werbung im geschäftlichen Verkehr für verschreibungspflichtige zugelassene Arzneimittel gegenüber anderen Personen als Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubter weise Handel betrieben, ist unlauter im Sinne der §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 10 Abs. 1 HWG.
Da in der Broschüre die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4, 7 a, Abs. 3 Satz 1 HWG vorgeschriebenen Pflichtangaben fehlen, ergibt sich die Unlauterkeit der Werbung auch aus den §§ 3, 4 Nr. 11 in Verbindung mit diesen Vorschriften.
Der Versuch der Antragsgegnerin, die beanstandete Broschüre nicht als Werbung für Arzneimittel, sondern als Vorstellung des Unternehmenswww.xxx.comdurch Erläuterung seines Kerngeschäfts darzustellen, überzeugt nicht.
Es ist der Antragsgegnerin darin zuzustimmen, dass Voraussetzung für ein Verbot, wie es der Antragsteller begehrt, ist, dass überhaupt für Arzneimittel im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes Werbung getrieben wird ( § 1 Abs. 1 HWG ).
Es ist ihr grundsätzlich weiter darin zuzustimmen, dass den Bestimmungen des Heilmittelwerbegesetzes nicht schlechthin jede Pharma-Werbung unterfällt.
Einbezogen in den Geltungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes ist allerdings die produktbezogene Werbung ( Produkt-, Absatzwerbung ). Nur die allgemeine Firmenwerbung
( Unternehmens-, Imagewerbung ), die ohne Bezugnahme auf bestimmte Präparate für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein wirbt, liegt außerhalb des Geltungsbereichs des Heilmittelwerbegesetzes, auch wenn sie - mittelbar - den Absatz der Produkte des Unternehmens fördern kann und soll, wie umgekehrt die Produktwerbung immer auch Firmenwerbung ist. ( BGH GRUR 1992, 873 € Pharma-Werbespot; BGH NJW 1998, 604, 606 = GRUR 1997, 761 € Politikerschelte; BGH NJW 2006, 3203, 3205 = GRUR 2006, 949 € Kunden werben Kunden )
Die für die Anwendbarkeit des Heilmittelwerbegesetzes danach entscheidende Frage, ob die zu beurteilende Werbung Absatz- oder Firmenwerbung ist, hängt davon ab, ob nach dem Gesamterscheinungsbild der Werbung die Darstellung des Unternehmens im Vordergrund steht
( Firmenwerbung ) steht oder die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Arzneimittel ( Absatzwerbung ) ( BGH GRUR 1992, 873 € Pharma-Werbespot ).
Da in der beanstandeten Broschüre "Sparbeispiele" für bestimmte Patientengruppen anhand konkret bezeichneter Arzneimittel in konkreten Darreichungsformen vorgerechnet werden, liegt hier produktbezogene Werbung vor.
Wenn ein Unternehmen für die Gesamtheit seiner Leistungen und damit für seine gesamte Produktpalette wirbt und insoweit den Begriffs "Arzneimittel" verwendet, ist darin allein noch keine produktbezogene Werbung für einzelne oder jedes einzelne Arzneimittel des werbenden Unternehmens zu sehen. ( vgl. BGH GRUR 1992, 873 € Pharma-Werbespot )
Wenn die Aufmerksamkeit des Publikums nicht auf bestimmte Arzneimittel, sondern generell auf Qualität und Preiswürdigkeit aller pauschal beworbener Produkte gelenkt wird, besteht nicht die Gefahr, der das Heilmittelwerbegesetz mit der Einbeziehung produktbezogener Werbung in seinen Geltungsbereich entgegenwirken will, dass ein bestimmtes, in seinen Wirkungen und Nebenwirkungen vom Publikum nicht überschaubares Mittel ohne ärztliche Aufsicht oder missbräuchlich angewandt werden könnte oder dass es den Werbeadressaten ermöglicht würde, bei Arztbesuchen auf die Verschreibung eines bestimmten Arzneimittels zu drängen. ( BGH GRUR 1992, 873 € Pharma-Werbespot )
Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass im vorliegenden Fall von absatzbezogener Werbung auszugehen ist, dass die Gefahren, denen das Heilmittelwerbegesetz begegnen will, hier vorliegen.
Die streitgegenständliche Broschüre bewirbt keineswegs nur pauschal die Vorzüge der Preisgestaltung der Produktpalette des Unternehmens "xxx".
Die beanstandete Broschüre enthält vielmehr etliche Sparbeispiele für bestimmte Patientengruppen ( z.B. Krebspatienten, HIV-Patienten ), die auf diese Weise zumindest im weitesten Sinn die Anwendungsgebiete der genannten Arzneimittel erkennen lassen und daher dem Verbraucher die Möglichkeit eröffnen, im Bedarfsfall im Wege der Selbstmedikation auch auf die Arzneimittel des Unternehmens "xxx" zurückzugreifen.
Da in den sogenannten Sparbeispielen für bestimmte Arzneimittel in konkreten Darreichungsformen für Gesetzlichversicherte unter Berücksichtigung der Zuzahlungen der Krankenkasse sowie der sogenannten "xxx Zuzahlung" sowie für Privatversicherte durch Gegenüberstellung von "Apotheken-Preis" und "xxx Preis" Beträge als "Auszahlung/Ersparnis" vorgerechnet werden, wird zudem die Aufmerksamkeit des angesprochenen Patienten, der möglicherweise ein anderes Arzneimittel nimmt, auf die dort vorgestellten Produkte gelenkt.
Gerade auch das Versprechen von Zahlungen in unterschiedlicher Höhe gegenüber Gesetzlichversicherten, die von der Zuzahlung befreit sind, ist letztlich geeignet, diese zu veranlassen, bei Arztbesuchen auf die Verschreibung des Arzneimittels zu drängen, das ihnen die höchste Zahlung verspricht.
3. Werbung im geschäftlichen Verkehr für verschreibungspflichtige zugelassene Arzneimittel mit den Angaben:
- "Zuzahlungsbefreit€
xxx.com überweist Ihnen bei Rezeptbestellungen sofort Geld auf Ihr Konto.",
- "Ich bin zuzahlungsbefreit. Meine Ersparnis
- überweisen Sie bitte auf mein Konto
- verrechnen Sie bitte mit meiner nächsten Bestellung bei xxx
- schicken Sie mit bitte per Verrechnungsscheck.",
- Sie sind von der Zuzahlung befreit€
xxx überweist Ihnen Ihre Ersparnis auf Ihr Konto bzw. Sie erhalten von xxx einen Bankscheck über den Ersparnisbetrag oder verrechnet den Betrag mit Ihrer nächsten Bestellung."
ist unlauter im Sinne der §§ 3, 4 Nr. 1 UWG.
Nach § 4 Nr. 1 UWG handelt unlauter, wer Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Ein derartiger Einfluss liegt vor, wenn er in einer Anlockwirkung besteht, die so groß ist, dass bei einem verständigen Verbraucher ausnahmsweise die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund tritt
( vgl. OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06 ).
Dabei genügt es, dass die Einflussnahme dazu geeignet ist, also eine gewisse objektive Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Entscheidungsfreiheit in dieser Weise beeinträchtigt wird ( OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06; Köhler/Bornkamm, UWG, § 4, Rn. 1.8 ).
Dies ist bei den beanstandeten Werbeaussagen anzunehmen.
Maßgeblich ist, dass nach dem auf der Domainwww.xxx.comvorgestellten Modell für Personen, die von der Zuzahlung befreit sind, nicht nur wie sonst bei Rabattgewährungen eine vom Kunden zu erbringende Zahlung reduziert wird, sondern der Kunde ein Geschenk erhält, dem keinerlei eigene Vermögenshingabe gegenübersteht. Das begründet eine bei gewöhnlichen Rabatten nicht gegebene Motivation, unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit möglichst viele Medikamente bei dem von der Antragsgegnerin als "zuständige Apothekerin" repräsentierten Unternehmen zu bestellen, um so in den Genuss entsprechend hoher Geldgeschenke zu gelangen. ( vgl. OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06 )
Die durch die beanstandete Werbung herbeigeführte Anlockwirkung ist unsachlich.
Sie beruht weder auf der bezogenen Ware oder auf mit dem Warenbezug verbundenen Nebenleistungen noch auf der Höhe der dafür jedoch nicht vom Kunden, sondern dessen gesetzlicher Krankenversicherung zu erbringenden Gegenleistung. Sie erstreckt sich insbesondere darauf, auch solche Verschreibungen vorzulegen, die medizinisch nicht indiziert sind, weil auch mit diesen Geld verdient werden kann, und verlässt damit den Bereich des Sachbezugs zum geförderten Geschäft. ( vgl. OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06 )
Die Anlockwirkung ist auch unangemessen. Sie ist geeignet, zumindest bei einem Teil der Verbraucher die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund zu drängen, weil die in Aussicht gestellten Geldgeschenke anders als Warengeschenke, die nur bei entsprechendem Bedarf nützlich sind, uneingeschränkt Wert besitzen. ( vgl. OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06 )
Der Einwand der Antragsgegnerin, § 3 UWG schütze Mitbewerber, während Budgetinteressen der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht in den Anwendungsbereich des § 3 UWG fielen, geht völlig an der Sache vorbei.
Der Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung besteht unter anderem besteht darin, die angemessene Versorgung der Patienten mit Medikamenten sicherzustellen, und nicht darin, mit Hilfe der Antragsgegnerin "auf Rezept bares Geld zu verdienen" ( vgl. OLG München, Urteil vom 22. März 2007, 29 U 5300/06 ). Die §§ 3, 4 Nr. 1 UWG schützen vor diesem Hintergrund die Mitbewerber des von der Antragsgegnerin repräsentierten Unternehmens, die dies im Gemeininteresse respektieren.
Es trifft zwar zu, dass üblicherweise Ärzte darüber entscheiden, welche Arznei in welcher Mengen einem Patienten verschrieben wird.
Häufig werden aber Verschreibungen, insbesondere Folgeverschreibungen für chronisch kranke Patienten, an die sich mit den oben erwähnten Sparbeispielen die Antragsgegnerin zielgerichtet wendet, auf telefonische Anfrage allein aufgrund von Angaben der Patienten ausgestellt. Oftmals kann auch bei einem ohnehin notwendigen Arztbesuch die Verschreibung eines zusätzlichen von der Antragsgegnerin vergüteten Medikaments auf ähnliche Weise erreicht werden.
Vor diesem Hintergrund kann dahin stehen, ob der Unlauterkeitsvorwurf daneben auch auf einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 HWG gestützt werden könnte.
4. Die streitgegenständliche Werbung unterliegt deutschem Recht.
Soweit zu Werbezwecken mit der Tagespost Faltbroschüren an Berliner Haushalte verteilt werden, kann daran kein Zweifel bestehen.
Dies gilt aber auch insoweit, als die die Broschüre mit dem beanstandeten Inhalt auf der Domainwww.xxx.comals pdf-Datei zum Abruf bereit gehalten wird, da das Bereithalten der Broschüre, die sich gezielt an Personen wendet, die in Deutschland krankenversichert sind, sich bestimmungsgemäß in Deutschland auswirken soll ( vgl. BGH NJW 2006, 2630, 2632 = GRUR 2006, 605 € Arzneimittelwerbung im Internet ).
Die Unanwendbarkeit des deutschen Wettbewerbsrechts beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand konnte auch nicht aus § 4 TDG hergeleitet werden. Das Herkunftslandprinzip im Sinne des § 4 Abs. 2 TDG fand auf den vorliegenden Fall schon tatbestandlich keine Anwendung.
Nach § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 5 TDG wurden zu den Telediensten im Sinne des Teledienstgesetzes zwar auch Angebote von Waren in elektronisch abrufbaren Datenbanken mit interaktivem Zugriff und unmittelbarer Bestellmöglichkeit gerechnet. Ein "Online-Verkauf" im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 5 TDG erforderte jedoch, dass der Benutzer seine Bestellung unmittelbar elektronisch, d. h. ohne "Medienbruch" aufgeben kann ( vgl. LG Hamburg, Urteil vom 17. August 2006, 315 O 340/06; Mand, Internationaler Versandhandel mit Arzneimitteln, GRUR Int. 2005, 637 643 m. w. Nachw.). Daran fehlt es hier. Für die Lieferung verschreibungspflichtiger Medikamente verlangt xxx ausweislich der Werbung die Einsendung des Original-Rezepts per Post. Danach liegt eine wirksame Bestellung erst vor, wenn mittels "Medienbruchs" das Original-Rezept vorliegt.
Entsprechendes gilt für die Rechtslage nach dem seit dem 1. März 2007 geltenden Telemediengesetz, das das Herkunftslandprinzip in § 3 regelt.
Auch wenn die in § 2 Abs. 2 TDG enthaltenen Regelbeispiele nicht in das Telemediengesetz übernommen worden sind, weil sie zumindest teilweise angesichts der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß erschienen, sind Telemedien im Sinne dieses Gesetzes nur Online-Angebote von Waren und Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit ( vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste, S. 15 f ).
Schließlich erfasst auch die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ( 2000/31/EG ) wie Art. 2 lit h) ii) 3. Spiegelstrich sowie die Erwägungsgründe 18 und 21 zeigen, ausschließlich reine Online-Vorgänge ( vgl. Mand a.a.O., Rn 73 ).
5. Die herangezogenen Bestimmungen des UWG und des HWG verstoßen nicht gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 28 EG bis 30 EG.
a) Das in § 10 Abs. 1 HWG enthaltene Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel steht in Einklang mit Art. 88 Abs. 1 des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel. Da das Werbeverbot in § 10 Abs. 1 HWG somit die innerstaatliche Umsetzung einer gemeinschaftlichen Harmonisierungsmaßnahme darstellt, kommt eine Prüfung anhand der Bestimmungen des EG-Vertrages nicht in Betracht (EuGH NJW 2004, 131, 13, Rn 139 = GRUR 2004, 418 € Doc-Morris).
b) 4 Nr. 1 UWG ist eine Handelsregelung, die nicht die Merkmale der Waren selbst, sondern die Modalitäten ihres Verkaufs betrifft ( Köhler/Bornkamm, UWG, Einl., Rn 2.23 ).
Derartige Regelungen sind nur dann Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EG, wenn sie zwei Voraussetzungen nicht genügen. Derartige Regelungen müssen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und sie müssen den Absatz der inländischen Erzeugnisses und die Erzeugnisse der anderen Mitgliedsstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren. ( EuGH NJW 2004, 131, 13, Rn 69 = GRUR 2004, 418 € Doc-Morris; Köhler/Bornkamm, UWG, Einl., Rn 2.22 ).
Diese Voraussetzungen erfüllt § 4 Nr. 1 UWG.
Die Vorschrift gilt für alle betroffenen inländischen und ausländischen Wirtschaftsteilnehmer.
Sie berührt inländische und ausländische Wirtschaftsteilnehmer nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht gleichermaßen, insbesondere behindert sie den Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedsstaaten nicht stärker als für inländische Erzeugnisse.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
LG Berlin:
Urteil v. 24.04.2007
Az: 15 O 718/06
Link zum Urteil:
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