Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Juli 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 322/03
(BPatG: Beschluss v. 19.07.2006, Az.: 7 W (pat) 322/03)
Tenor
Das Patent DE 100 45 404 wird widerrufen.
Gründe
I.
Gegen die Erteilung des Patents 100 45 404 mit der Bezeichnung "Hydraulische Ventilanordnung", veröffentlicht am 24. Oktober 2002, sind zwei Einsprüche eingelegt worden. Die Einsprüche sind mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.
Zum Stand der Technik sind im Einspruchsverfahren u. a. die deutsche Offenlegungsschrift DE 196 39 140 A1 und die deutschen Patentschriften DE 34 31 103 C2 und DE 36 39 174 C2 dem Patentgegenstand entgegengehalten worden.
Die Einsprechenden I und II stellten jeweils den Antrag, das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellte den Antrag, das Patent unverändert aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent in beschränktem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche 1 bis 5 und Beschreibung Kapitel [0001], [0006], [0007], jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, Streichung des Kapitels [0009] in der Beschreibung, übrige Unterlagen wie erteilt.
Die Patentinhaberin ist der Ansicht der Einsprechenden entgegengetreten. Sie macht geltend, dass der Patentgegenstand in der nach Haupt- oder Hilfsantrag geltenden Fassung der Patentansprüche gegenüber dem insgesamt aufgezeigten Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:
"Hydraulische Ventilanordnung mit einem Steuerventil, das einen Motoranschluss in einer ersten Betätigungsstellung mit einem Pumpenanschluss und in einer zweiten Betätigungsstellung mit einem Behälteranschluss verbindet, sowie in einer Verriegelungsstellung den Motoranschluss von Pumpen- und Behälteranschluss trennt, und mit einem Sperrventil, das zwischen das Steuerventil und den Motoranschluss geschaltet ist und die Motorleitung in einen dem Steuerventil zugeordneten ersten Abschnitt und einen dem Motoranschluss zugeordneten zweiten Abschnitt unterteilt, wobei für das Sperrventil ein als Sitzventil ausgebildetes Druckentlastungsventil vorgesehen ist, dessen Betätigungselement in Schließrichtung durch den Druck im ersten Abschnitt und eine Feder sowie in Öffnungsrichtung durch einen in Abhängigkeit von der Stellung des Steuerventils wirkenden konstanten Steuerdruck belastbar ist und das bei Betätigung eine in Sperrventil-Schließrichtung wirkende Federkammer des Sperrventils zum ersten Abschnitt hin druckentlastet, dadurch gekennzeichnet, dass das Druckentlastungsventil einen gehäusefesten Sitz und ein Betätigungselement aufweist, das unabhängig vom Betätigungselement des Sperrventils untergebracht ist."
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:
"Hydraulische Ventilanordnung mit einem Steuerventil, das einen Motoranschluss in einer ersten Betätigungsstellung mit einem Pumpenanschluss und in einer zweiten Betätigungsstellung mit einem Behälteranschluss verbindet, sowie in einer Verriegelungsstellung den Motoranschluss von Pumpen- und Behälteranschluss trennt, und mit einem Sperrventil, das zwischen das Steuerventil und den Motoranschluss geschaltet ist und die Motorleitung in einen dem Steuerventil zugeordneten ersten Abschnitt und einen dem Motoranschluss zugeordneten zweiten Abschnitt unterteilt, wobei für das Sperrventil ein als Sitzventil ausgebildetes Druckentlastungsventil vorgesehen ist, dessen Betätigungselement in Schließrichtung durch eine Feder sowie in Öffnungsrichtung durch einen in Abhängigkeit von der Stellung des Steuerventils wirkenden konstanten Steuerdruck belastbar ist und das bei Betätigung eine in Sperrventil-Schließrichtung wirkende Federkammer des Sperrventils zum ersten Abschnitt hin druckentlastet, dadurch gekennzeichnet, dass das Druckentlastungsventil einen gehäusefesten Sitz und ein Betätigungselement aufweist, das unabhängig vom Betätigungselement des Sperrventils untergebracht ist und in Schließrichtung durch den Druck im ersten Abschnitt belastbar ist, wobei der konstante Steuerdruck ein ständig erzeugter Systemdruck ist, der in Abhängigkeit von der Stellung des Steuerventils zugeführt wird."
Weitere Ausgestaltungen des Gegenstandes nach Patentanspruch 1 sind in Patentansprüchen 2 bis 6 (Hauptantrag) bzw. 2 bis 5 (Hilfsantrag) angegeben.
Dem Patentgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, eine hydraulische Ventilanordnung der gattungsgemäßen Art anzugeben, die ein besseres Regelverhalten hat (Patentschrift Sp. 1 Abs. [0005]).
II.
1. Über die Einsprüche ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 1 PatG i. d. F. vom 26. November 2001 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig. Sie sind auch begründet.
3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt weder in der erteilten Fassung der Patentansprüche noch in der Fassung der Patentansprüche nach Hilfsantrag eine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar, denn er beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als hier maßgeblicher Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur anzusehen, der auf dem Gebiet der Hydraulik und Pneumatik tätig ist.
3.1 Zum Hauptantrag Eine hydraulische Ventilanordnung mit einem Steuerventil (14), das einen Anschluss (32) eines (hydraulischen) Motors (92) in einer ersten Betätigungsstellung mit einem Pumpenanschluss (29) und in einer zweiten Betätigungsstellung mit einem Behälter- bzw. Tankanschluss (48) verbindet und in einer Verriegelungsstellung den Motoranschluss von Pumpen- und Behälteranschluss trennt, ist aus DE 36 39 174 C2 bekannt. Die bekannte Ventilanordnung weist auch die übrigen Merkmale gemäß Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 auf (StrPS Fig. 1 u. zugehörige Beschreibungsteile). So ist zwischen Steuerventil (14) und Motoranschluss (32) ein vorgesteuertes Sperrventil (16) angeordnet, das mittels eines Aufstoßkolbens (17) bei Anliegen eines entsprechenden Steuerdrucks im Druckraum (57) geöffnet werden kann (Sp. 6 Z. 28 bis 34). Es teilt die Motorleitung (31) in einen dem Steuerventil zugeordneten Abschnitt (49) und einen dem Motoranschluss zugeordneten Abschnitt (51). Das Sperrventil ist zwar nicht näher beschrieben. In Figur 1 erkennt der Fachmann jedoch ohne weiteres einen Sperrventil-Schließkörper (16) mit Sitz im Gehäuse (12) des Regelventils (11) und mit einer rückseitig anliegenden Ventilfeder. Der Federraum ist durch eine kleine radiale Öffnung mit dem Druck der Leitung (51) zum Motor beaufschlagt. Ferner ist in einem mit dem Federraum über eine Drosselstelle verbundenen axialen Kanal des Sperrventil-Schließkörpers eine axial bewegliche Ventilkugel angeordnet, die offensichtlich eine axiale Öffnung in der schließrichtungsseitigen Stirnwand des Sperrventil-Schließkörpers abdichtet, wenn der hydraulische Druck im Federraum des Sperrventils größer ist als der Gegendruck in der Motorleitung (53). In diese Öffnung kann das stirnseitige, durchmesserreduzierte Ende des Stößels des Aufstoßkolbens eindringen, um die Kugel von ihrem Sitz abzuheben und im weiteren das Öffnen des Sperrventils zu bewirken. Dieses im Sperrventil integrierte Ventil stellt somit ein als Sitzventil ausgebildetes Druckentlastungsventil im Sinne des Streitpatents dar, dessen Betätigungselement der genannte Aufstoßkolben (17) ist. Ersichtlich ist der gezeigte Aufstoßkolben entgegen der Öffnungsrichtung und damit in Schließrichtung des Druckentlastungsventils durch den Druck in der Motorleitung (31, 49) sowie eine Feder (im Raum 93) belastet. Das Öffnen des Druckentlastungsventils und des Sperrventils ist für das Absenken der Motorlast vorgesehen. Hierzu wird der Steuerschieber (34) des Steuerventils (14) aus der in Figur 1 gezeigten Neutralstellung nach rechts verschoben (Fig. 3 i. V. m. Sp. 6 Z. 7 bis 9) und der Druck in der Arbeitsleitung (31, 49, 53) aufgrund der Verschiebung der Steuerkante (63) (vgl. Fig. 1 und 3) in Richtung Tank (48) abgedrosselt. In dieser Stellung des Steuerventils (14) wird mittels eines ihm vorgeschalteten, als Druckminderventil arbeitenden Drosselventils (13) zugleich ein von der Pumpe gelieferter Druck auf einen niedrigeren und konstanten Steuerdruck, dort als Ausgangsdruck bezeichnet, geregelt. Dieser Steuerdruck wird in Neutralstellung und in Senkenstellung des Steuerventils in jeweils gleicher Weise durch das Drosselventil eingestellt (Sp. 4 Z. 66 bis Sp. 5 Z. 31 i. V. m. Sp. 6 Z. 9 bis 22). Er ist im Wesentlichen durch die Charakteristik der Feder (25) im Drosselventil definiert. Der im Auslassraum (23) des Drosselventils zur Verfügung gestellte Steuerdruck steht über die Arbeitsleitung (23), den Arbeitsraum (39), den Schrägkanal (78), die Steuerkammer (43) des Steuerventils sowie die Leitung (56) im Druckraum (57) des Aufstoßkolbens (17) an und erzeugt aufgrund der gleichzeitigen Druckabsenkung im Federraum (93) des Aufstoßkolbens eine Kolbenbewegung in Richtung der Ventilkugel des Druckentlastungsventils. Mit dem Aufstoßen der Kugel wird der Federraum des Sperrventils zum Leitungsabschnitt (53) hin druckentlastet.
Unterstellt man im Sinne der Ausführungen der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung, dass bei der aus DE 36 39 174 C2 bekannten Ventilanordnung der Aufstoßkolben bei weiterer Verschiebung mit dem breiteren Teil seines Stößels auch den Sperrventil-Schließkörper von seinem Sitz stößt, der Aufstoßkolben also zugleich Betätigungselement des Druckentlastungsventils und des Sperventils ist, unterscheidet sich die Ventilanordnung nach Streitpatent von der nach DE 36 39 174 C2 noch durch die kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1, wonach das Druckentlastungsventil einen gehäusefesten Sitz hat und sein Betätigungselement unabhängig von dem Betätigungselement des Sperrventils untergebracht ist. Hierdurch sollen die wechselseitigen Abhängigkeiten bei Betätigung und Betrieb zweier baulich kombinierter Ventile vermindert und aufgabengemäß ein besseres Regelverhalten der hydraulischen Ventilanordnung erreicht werden.
Die diesbezüglichen Maßnahmen, die mangels weiterer Angaben im Anspruch 1 im Grunde lediglich auf die Trennung zweier baulich integrierter Ventile abzielen, bieten sich dem Fachmann ohne weiteres an, wenn die z. B. aus wirtschaftlichen oder raumsparenden Erwägungen einmal vorgenommene bauliche Vereinigung von Ventilen und ihren Betätigungen sich als nachteilig in Bezug auf ihr betriebliches bzw. regelungstechnisches Verhalten herausstellt. Der Umbau einer derartigen Ventilanordnung unter Beibehaltung der grundsätzlichen Funktionalität des hydraulischen Gesamtsystems stellt an den Fachmann i. d. R. keine Anforderungen, die den Bereich seiner fachlichen Routine übersteigen.
Einen Hinweis auf eine derartige prinzipielle Problemlösung entnimmt der Fachmann jedoch auch schon der DE 196 39 140 A1. In Figur 1 dieser Druckschrift ist eine Ventilanordnung zur Steuerung eines hydraulischen Antriebs aufgezeigt, bei der ebenfalls vorgesteuerte Sperrventile (Rückschlagventile 40, 50) mit integrierten Kugelventilen (Vorsteuerventile 80, 90) zum Einsatz kommen. Die beiden Vorsteuerventile können von einem einzigen Schaltkolben (Steuerkolben 100) mit zwei Schaltstiften (101, 102) betätigt werden. Bei einer derartigen Anordnung wurde jedoch festgestellt, dass bei bestimmten Betriebsweisen das Betätigungselement (Steuerkolben 100) Schwingungen ausführt und es daher zu einem instabilen Verhalten der Steuerung kommt (Sp. 4 Z. 6 bis 20). Zur Vermeidung dieser Instabilität ist dort als wesentliche Maßnahme und in entsprechender Übereinstimmung mit dem grundlegenden Lösungsgedanken des angefochtenen Patents vorgeschlagen, die integrierte Bauweise von Sperrventil und Vorsteuerventil aufzugeben und separate, außerhalb der Sperrventile angeordnete Vorsteuerventile (Entsperrventile 60, 70) vorzusehen (Sp. 4 Z. 21 bis 29). Der Fachmann sucht daher die Ursache von Instabilitäten des Regelverhaltens zuerst bei sich einander während der Regelung beeinflussenden Komponenten, hier den Sperrventilen mit integriertem Vorsteuerventil. Bei der dort als bekannt vorausgesetzten Anordnung nach Figur 1 war das Betätigungselement für das Vorsteuerventil nicht zugleich auch für die Betätigung des Sperrventils vorgesehen. Das gilt in gleicher Weise für die Ventilanordnung nach der aus Sicht der Patentinhaberin dem Patentgegenstand nächstkommenden Druckschrift DE 34 31 103 C2, bei der das Sperrventil (16) nach Druckentlastung des Federraumes durch Aufstoßen der Ventilkugel des Druckentlastungsventils hydraulisch geöffnet wird. Der Fachmann leitet das unschwer her aus der in Öffnungsrichtung wirkenden, mit größtem Durchmesser dargestellten Ringschulter am Sperrventil-Schließkörper, die vom Lastdruck in der Leitung (48) beaufschlagt ist (Fig.). Gleich nach dem Aufstoßen wird dieser Lastdruck die weitere Öffnung des Sperrventils übernehmen. Derartige hydraulische Sperrventilbetätigungen sind dem Fachmann geläufig. Er zieht sie bedarfsweise in Betracht, auch z. B. als Alternative zur ggf. stoßkolbengesteuerten (durch die Beschreibung aber nicht gestützten) Öffnung des Sperrventils bei der Ventilanordnung nach DE 36 39 174 C2. Von dieser Anordnung ausgehend neben dem Gedanken der Separierung von baulich integrierten Ventilen zur Verbesserung des Regelverhaltens der Ventilanordnung auch das übrige hydraulische Steuerungskonzept der DE 34 31 103 C2 zu übernehmen, bestand kein Anlass, es sei denn, dass hierdurch neue Probleme aufgetreten wären. Ein derartiger Fall lag hier nicht erkennbar vor und ist auch von der Patentinhaberin nicht geltend gemacht worden.
Nach alledem bedurfte es keiner erfinderischen Tätigkeit, die Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 aufzufinden.
3.2 Zum Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag vereinigt die Merkmale der erteilten Patentansprüche 1 und 3. Ein bisher im Oberbegriff des Anspruchs 1 enthaltenes Merkmal ist in den kennzeichnenden Teil des neuen Anspruchs 1 aufgenommen worden.
Das hinzugekommene Merkmal besagt, dass der konstante Steuerdruck ein ständig erzeugter Systemdruck ist, der in Abhängigkeit von der Stellung des Steuerventils zugeführt wird.
Bei der bekannten Ventilanordnung nach DE 36 39 174 C2 wird - wie schon ausgeführt - der konstante Steuerdruck abhängig von der Stellung des Steuerventils, hier unter Verwendung eines Drossel- bzw. Druckminderventils (13), erzeugt und dem Druckraum (57) des Betätigungselements (17) aufgeschaltet, und zwar dann, wenn er gebraucht wird, d. h. eine Schaltstellung geändert werden soll. Der Steuerdruck liegt hier somit nicht ständig vor. Die mit einer teilweisen oder ständigen Verfügbarkeit eines Steuerdrucks verbundenen Vor- und Nachteile, u. a. seine allseitige, sofortige oder eingeschränkte Verfügbarkeit und seine Nutzbarkeit für mehrere Anwendungen zugleich oder einzelne Anwendungen, sind dem Fachmann allgemein geläufig, so dass er die Steuerdruckvorhaltung entsprechend den jeweiligen Anforderungen geeignet wählen wird. Eine erfinderische Tätigkeit erfordert diese im Griffbereich des Fachmannes liegende Maßnahme danach nicht.
Auch die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.3 Dass in den geltenden Patentansprüchen 2 bis 5 nach Hilfsantrag, die die kennzeichnenden Merkmale der erteilten Patentansprüchen 2 und 4 bis 6 beinhalten, noch etwas Patentbegründendes enthalten ist, hat die Patentinhaberin nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.
BPatG:
Beschluss v. 19.07.2006
Az: 7 W (pat) 322/03
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