Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 25. September 2008
Aktenzeichen: VII ZB 99/07
(BGH: Beschluss v. 25.09.2008, Az.: VII ZB 99/07)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Dezember 2007 wird auf Kosten der Antragsteller zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf € 910,21 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren als frühere Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners Festsetzung ihrer Vergütung. Sie hatten den Antragsgegner als Beklagten in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht vertreten. Der Antragsgegner ließ durch die Antragsteller unter anderem hilfsweise die Aufrechnung mit Schadensersatzforderungen erklären. Das Landgericht entschied durch zwischenzeitlich rechtskräftiges Vorbehaltsurteil über die Klageforderung und behielt die Entscheidung über die Aufrechnungsforderungen dem Nachverfahren vor. Durch Beschluss vom 22. Dezember 2006 setzte es den Streitwert entsprechend der Klageforderung in Höhe von 65.833,94 € fest, die Aufrechnungsforderungen blieben unberücksichtigt.
Gleichzeitig mit der Erklärung, das Mandat niederzulegen, beantragten die Antragsteller die Festsetzung des Streitwerts für den noch anhängigen Teil des Rechtsstreits. Mit Beschluss vom 6. Februar 2007 setzte das Landgericht den Streitwert für den noch anhängigen Teil des Rechtsstreits in Höhe der hilfsweise erhobenen Aufrechnungsforderungen von 119.224,53 € fest.
Die Antragsteller haben ihrem Antrag auf Festsetzung der Vergütung gegen den Antragsgegner die addierten Streitwerte in Höhe von 185.058,47 € zugrunde gelegt. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten; er hat den Streitwert der Klageforderung für maßgebend erachtet. Die Rechtspflegerin beim Landgericht ist in ihrer Entscheidung vom addierten Gegenstandswert ausgegangen und hat die Vergütung nach Abzug unstreitig geleisteter Zahlungen auf verbleibende 910,82 € festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Vergütungsfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren die Antragsteller die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht führt aus, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Relevanz, Grundlage für die Berechnung des Honorars sei die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (im Folgenden: BRAGO). Sämtliche Gebühren der Antragsteller würden sich aus dem Wert der Klageforderung berechnen. Die Voraussetzungen einer Streitwertaddition nach § 7 Abs. 2 BRAGO lägen nicht vor, da die Aufgabe der Antragsteller einheitlich die Abwehr der klägerischen Forderung gewesen sei. Der Mehraufwand durch den vorsorglichen Aufrechnungseinwand rechtfertige keine höhere Vergütung. Nach § 7 Abs. 1 BRAGO würden sich die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem Maß der aufgewandten Arbeit, sondern nach dem Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit bemessen. Zum gleichen Ergebnis führe auch die Anwendung von § 8 Abs. 1 S. 1 BRAGO, § 19 Abs. 3 GKG in der Fassung bis zum 30. Juni 2004 (im Folgenden: a.F.). Die Tätigkeiten des Gerichts und des Anwalts entsprächen sich, da das Gericht bei Erlass des Vorbehaltsurteils zumindest die Erheblichkeit des Aufrechnungseinwands prüfen müsse. Aus der Festsetzung des Streitwerts für das noch anhängige Nachverfahren durch Beschluss des Landgerichts vom 6. Februar 2007 könne zugunsten der Antragsteller nichts gefolgert werden. Maßgeblich sei gemäß § 9 Abs. 1 BRAGO der Streitwertbeschluss vom 22. Dezember 2006.
2. Die Rechtsbeschwerde meint, das Beschwerdegericht sei zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, die nicht beschiedene Hilfsaufrechnung müsse bei der Bemessung der Rechtsanwaltsgebühren außer Betracht bleiben.
Das Beschwerdegericht verkenne, dass die Gebühren des Rechtsanwalts gemäß § 7 Abs. 1 BRAGO nach dem Wert berechnet würden, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit habe. Ein Anwalt müsse sich zwingend mit dem Verteidigungsmittel der Hilfsaufrechnung eingehend befassen.
Zu Unrecht verweise das Beschwerdegericht auf § 19 Abs. 3 GKG (a.F.). Diese Vorschrift gelte nur dann, wenn das Gericht über die Hilfsaufrechnung entscheide. Gleichwohl habe sich der Rechtsanwalt mit der Hilfsaufrechnung befasst. Das Merkmal des "Sichbefassens" habe für die anwaltliche Tätigkeit, anders als bei der Bemessung der Gerichtskosten nach § 19 GKG (a.F.), entscheidende Bedeutung. Der Anwalt könne nach § 10 Abs. 1 BRAGO eine besondere Streitwertfestsetzung verlangen, weil es sich bei nicht beschiedener Hilfsaufrechnung jedenfalls teilweise um eine Tätigkeit handele, die gesondert zu bewerten sei.
Es gehe, anders als das Beschwerdegericht meine, nicht um die Erhöhung des Streitwerts. Betroffen sei nur das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Ein Festsetzungsantrag nach § 10 BRAGO diene nur als Grundlage für eine Abrechnung mit der eigenen Partei.
Fehl gehe auch das Argument des Beschwerdegerichts, nach § 7 Abs. 1 BRAGO würden sich die Gebühren nicht nach dem Maß der aufgewendeten Arbeit, sondern nach dem Wert des Gegenstands der Tätigkeit bemessen. Die mit der Hilfsaufrechnung geleistete Arbeit werde schließlich nach ihrem Gegenstandswert berechnet. Diesen habe das Landgericht auf 119.224,53 € festgesetzt.
3. Der angefochtene Beschluss hält der rechtlichen Überprüfung stand.
a) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auf das Verfahren die BRAGO angewendet, § 61 Abs. 1 S. 1 RVG. Nach den Feststellungen wurde der unbedingte Auftrag zur Prozessvertretung vor dem 1. Juli 2004 erteilt.
b) Das Beschwerdegericht hat dem Vergütungsfestsetzungsbegehren der Antragsteller zu Recht nur den Wert der Klageforderung ohne Addition der nicht verbeschiedenen Hilfsaufrechnung zugrunde gelegt. Allerdings ist die Frage in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) Einerseits wird vertreten, der Wert der nicht beschiedenen Hilfsaufrechnung müsse zum Wert der Klageforderung hinzugerechnet werden (LG Hamburg, MDR 1966, 853; LAG Hamm, MDR 1989, 852; LAG Köln, AnwBl 2002, 185; LAG Nürnberg, MDR 2005, 120; VGH Baden-Württemberg, AGS 2008, 138; E. Schneider in: Anwaltkommentar BRAGO, § 10, Rdn. 14 und 17; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, VV 3100 Rdn. 132; Kroiß in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl., § 33 Rdn. 6; Rohn in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl., Anh. II Rdn. 24; Hansens, Anmerkung zu VGH Baden-Württemberg, RVGReport 2008, 154 f.).
Aus § 7 BRAGO folge, dass der Wert der anwaltlichen Tätigkeit zu bestimmen sei. Die gerichtlichen Wertvorschriften müssten deshalb auf die anwaltliche Tätigkeit bezogen und angewandt werden. Anwälte hätten auch bei Hilfsanträgen das Geschäft zu besorgen und könnten nicht abwarten, ob zunächst eine Entscheidung über den unbedingten Antrag ergehe. § 9 BRAGO habe seinen Sinn darin, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der für anwaltliche Gebühren maßgebliche Gegenstandswert des § 8 Abs. 1 BRAGO nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften bestimme, wenn beide Werte übereinstimmten, sich also die anwaltliche und die gerichtliche Tätigkeit auf denselben Gegenstand beziehen würden. Dies sei dann nicht der Fall, wenn das Gericht in die Prüfung des Hilfsantrags nicht eingetreten sei. Der Anwalt sei dann gleichwohl durch Entgegennahme der Informationen sowie durch Anfertigen und Einreichen einer Klageschrift tätig geworden. Der Anwalt hafte auch für eventuelle Fehler, die er im Zusammenhang mit einem Hilfsbegehren begehe, weshalb er auch entsprechend vergütet werden müsse.
bb) Die Gegenansicht geht davon aus, dass allein der Wert der Klageforderung für die Bemessung der Anwaltsgebühren bestimmend sei (OLG Köln, NJW-RR 1995, 827; LAG Berlin, NZA-RR 2004, 374; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. August 2006 - 13 W 31/06, in juris dokumentiert; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Dezember 2006 - 6 Ta 584/06, in juris dokumentiert; OLG Hamm, AGS 2007, 254; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 10 BRAGO Rdn. 5; 38. Aufl., § 33 RVG, § 33 Rdn. 5; Fraunholz in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 33 Rdn. 5; Göttlich/Mümmler/Rehberg/ Xanke, RVG 2. Aufl., "Aufrechnung" 1.2.1; Madert, Der Streitwert bei der Hilfsaufrechnung, AGS 2002, 218, 220; Bläsing, Der Streitwert im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Diss. 2001, S. 119).
Ausgangspunkt sei § 8 BRAGO. Danach bestimme sich der Gegenstandswert für die Rechtsanwaltsgebühren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Da sich im Falle einer Hilfsaufrechnung die Gerichtsgebühren gemäß § 45 Abs. 3 GKG (§ 19 Abs. 3 GKG a.F.) nur im Falle einer Entscheidung über die Hilfsaufrechnung erhöhen würden, könne wegen der Verweisung für die anwaltliche Tätigkeit nichts anderes gelten. §§ 8 Abs. 1, 9 BRAGO, § 19 Abs. 3 GKG a.F. stünden deshalb auch einer Entscheidung nach § 10 BRAGO entgegen. Das Argument, der Anwalt müsse sich mit der Hilfsaufrechnung befassen, könne nicht überzeugen, da diese am Zeitaufwand orientierte Sichtweise dem Gebührensystem der BRAGO, welches eine Mischkalkulation enthalte, fremd sei.
cc) Der erkennende Senat schließt sich im Ergebnis der letzteren Ansicht an. Sie orientiert sich am Wortlaut des Gesetzes und deckt sich auch mit der Entstehungsgeschichte der Norm. Nach den Gesetzesmaterialien ist eine Entscheidung nach § 10 BRAGO für andere Fälle vorgesehen. Eine Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 10 BRAGO ist zum einen gedacht für die Fälle, in denen ein Gerichtsbeschluss nach dem Gerichtskostengesetz nicht ergehen kann, weil sich die Gerichtsgebühren nicht nach einem Streitwert, Geschäftswert und dergleichen, sondern beispielsweise nach einem Gebührenrahmen bestimmen oder weil das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist. Zum anderen sollen die Fälle erfasst werden, in denen der nach dem Gerichtskostengesetz ergehende Beschluss für die Berechnung der Gebühren des Rechtsanwalts nicht maßgebend ist, weil beispielsweise für seine Gebühren besondere Wertvorschriften bestehen (Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957, BT-Drucksache 2/2545, S. 231 f.). Ebenso ging der Gesetzgeber bei § 8 BRAGO davon aus, dass die für die Bewertung des Gegenstands der gerichtlichen Tätigkeit geltenden Vorschriften sich durchweg auch für die Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit in einem entsprechenden gerichtlichen Verfahren eignen.
Ein abweichendes Verständnis der BRAGO hatte auch der Gesetzgeber bei Einführung des RVG nicht. Die für die Entscheidung wesentlichen Normen der §§ 7 bis 10 BRAGO wurden inhaltlich ohne Veränderung in das RVG übernommen.
Etwas anderes ist für den konkreten Fall auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. September 1968 (III ZB 11/67, NJW 1968, 2334) abzuleiten. In dieser Entscheidung wird ausgeführt, dass die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts für die Gebühren des Rechtsanwalts dann maßgebend ist, wenn die gerichtliche Tätigkeit, für welche die Gebühren festgesetzt wurden, im Bezug auf den Streit- bzw. Verfahrensgegenstand übereinstimmen. § 9 BRAGO habe nicht den Sinn, die allgemeine Regel des § 7 BRAGO zu durchbrechen, nach der sich die Gebührenberechnung nach dem Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit zu richten hat.
Dem Argument erhöhter anwaltlicher Haftungsrisiken im Falle der Hilfsaufrechnung kommt insoweit keine besondere Bedeutung zu. Auch bei sonstiger anwaltlicher Tätigkeit kann die mögliche Haftungssumme höher liegen als der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit. Durch die Wertgrenzen des § 22 Abs. 2 S. 1 und 2 RVG hat der Gesetzgeber des RVG ein solches Auseinanderfallen von Gegenstandswert und möglicher Haftungssumme bei Streitwerten über € 30.000.000,00 sogar ausdrücklich gesetzlich angeordnet, selbst wenn dafür ein spezieller Auslagentatbestand geschaffen wurde, aus dem der Anwalt seine im Einzelfall gezahlte Prämie für die Vermögensschadenshaftpflichtversicherung fordern kann, RVG VV Nr. 7007.
dd) Somit bemisst sich der Gegenstandswert für die Vergütungsansprüche der Antragsteller für sämtliche Gebühren nach dem Wert der Klageforderung, §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 BRAGO. Die nicht verbeschiedene Hilfsaufrechnung bleibt nach § 8 Abs. 1 BRAGO, § 19 Abs. 3 GKG (a.F.) außer Betracht, da das Mandatsverhältnis mit Erlass des Vorbehaltsurteils beendet wurde.
Der Gegenstandswert für die Klage bis zum Erlass des Vorbehaltsurteils ist vom Prozessgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 auf 65.833,94 € für die Verfahrensbeteiligten bindend festgesetzt worden, § 9 Abs. 1 BRAGO. Eine Aussetzung des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 19 Abs. 4 BRAGO kommt daher nicht in Betracht. Auch der Festsetzungsbeschluss des Landgerichts für das Nachverfahren vom 6. Februar 2007 hat für dieses Kostenfestsetzungsverfahren keine Bedeutung.
Dressler Kniffka Bauner Eick Halfmeier Vorinstanzen:
LG Chemnitz, Entscheidung vom 22.12.2006 - 7 O 4261/01 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 03.12.2007 - 3 W 1371/07 -
BGH:
Beschluss v. 25.09.2008
Az: VII ZB 99/07
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