Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. August 2002
Aktenzeichen: 15 W (pat) 37/01

(BPatG: Beschluss v. 05.08.2002, Az.: 15 W (pat) 37/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 22. Dezember 1989 eingereichte Patentanmeldung, für die je eine Priorität vom 26. Dezember 1988 und eine vom 22. Februar 1989 in Anspruch genommen worden ist, hat das Deutsche Patentamt das Patent 39 42 694 mit der Bezeichnung

"Abdeckung für einen gefalteten Gassack einer Aufprallschutzvorrichtung in Kraftfahrzeugen"

erteilt.

Nach Prüfung eines dagegen eingelegten Einspruchs hat die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent mit Beschluß vom 7. Juni 2000 beschränkt aufrechterhalten.

Dem Beschluß lagen die Patentansprüche 1 bis 5, eingegangen am 22. Dezember 1999 zugrunde. Diese Patentansprüche lauten:

"1. Abdeckung für einen gefalteten Gassack einer Aufprallschutzvorrichtung in Kraftfahrzeugen, die zwischen dem Gassack und einem Fahrzeuginsassen anzuordnen ist und eine äußere Oberflächenschicht sowie einen Kern aus einem thermoplastischen Kunststoff mit einem Biege-Elastizitätsmodul von nicht weniger als 1000 kg/cm (japanische Industrienorm K 72 03-1982) aufweist, dessen Härte größer ist als die der Oberflächenschicht, wobei Schwächungszonen in den Kern eingeformt sind, in denen die Abdeckung beim Aufblasen des Gassackes leicht bricht, dadurch gekennzeichnet, daß die äußere Oberflächenschicht ein thermoplastischer Kunststoff mit einer Härte A von 20 bis 90 (japanische Industrienorm K 6 301-1 975) ist und aus Polyolefin-Elastomeren, Polyvinylchlorid-Elastomeren, weichem Polyvinylchlorid oder deren Mischungen besteht und daß der thermoplastische Kunststoff des Kerns aus Polyethylen hoher Dichte, Polypropylen, Blockcopolymeren von Propylen und Ethylen, statistischen Copolymeren von Propylen und Ethylen, Polyolefin-Kautschuk oder deren Mischungen besteht.

2. Abdeckung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das Polyolefin-Elastomer ein EPM-Kautschuk, EPDM-Kautschuk, Ethylenbuthen-1-Copolymer Polypropylen, Polyethylen, Polyisobutylen oder deren Mischung ist.

3. Abdeckung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß die äußere Schicht einen Kohlenwasserstoff-Kautschuk als Weichmacher in einer Menge von bis 30 Gew-% enthält.

4. Abdeckung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Kern einen Polyolefin-Kautschuk in einer Menge von nicht mehr als 60 Gew-% enthält.

5. Abdeckung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Kern ein Gemisch eines Propylen/Ethylen-Blockcopolymeren und eines Polyolefin-Kautschuks ist, wobei in dem Gemisch der Anteil an Polyolefin 60 Gew-% nicht übersteigt".

Die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Gegenstände der Patentansprüche ausreichend ursprünglich offenbart seien und der Gegenstand des Patentanspruchs 1 im Hinblick auf den Stand der Technik nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Als Stand der Technik wurde berücksichtigt:

(1) US 41 48 503

(2) JP-OS 63-22 7 313

(3) JP-OS 63-135 246,

(4) Kunststofflexikon, herausgegeben von K. Stoeckhert und W. Woebcken, Carl-Hanser-Verlag München, Wien, 8. Auflage, (1992), Seiten 32 und 33 (nachveröffentlicht).

Gegen diesen Beschluß hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt und vorgetragen, daß die Entwicklung der beanspruchten Abdeckung bei Kenntnis der Literaturstellen (1) und (2) bzw (3) auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Beschwerdeführerin entgegen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Einsprechenden ist frist- und formgerecht eingelegt worden (PatG § 73). Sie ist jedoch nicht erfolgreich.

1. Bezüglich einer ausreichenden Offenbarung der geltenden Patentansprüche bestehen keine Bedenken. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 finden sich in den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2 und 6 und im erteilten Patentanspruch 1. Die Unteransprüche 2 bis 5 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3, 5, 7 und 8 und den erteilten Ansprüchen 2 und 4 bis 6. Der Unterschied vom geltenden, beschränkt aufrechterhalten Patentanspruch 1 zum erteilten Anspruch 1 liegt darin, daß in der Aufzählung der möglichen thermoplastischen Kunststoffe für die äußere Oberflächenschicht (kennzeichnender Teil) auf das Polystyrol verzichtet wurde.

2. Die Neuheit der beanspruchten Abdeckung gemäß Patentanspruch 1 wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Sie ist auch gegeben, da in keiner der im Verfahren erörterten Druckschriften eine Abdeckung mit all den Merkmalen des Patentanspruchs 1 vorbeschrieben ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist folgende Merkmale auf:

1. Abdeckung für einen gefalteten Gassack einer Aufprallschutzvorrichtung in Kraftfahrzeugen, 2. die zwischen dem Gassack und einem Fahrzeuginsassen angeordnet ist.

3. Die Abdeckung besteht aus einer äußeren Oberflächenschicht, 3.1 bestehend aus einem thermoplastischen Kunststoff aus der Gruppe Polyolefin-Elastomer, Polyvinylchlorid-Elastomer, weichem Polyvinylchlorid oder deren Mischungen 3.2 mit einer Härte A von 20 bis 90 (JPI K 6301 - 1975) und 4. einem Kern, 4.1 bestehend aus einem thermoplastischen Kunststoff aus der Gruppe Polyethylen hoher Dichte, Polypropylen, Blockcopolymere von Propylen und Ethylen, statistischen Copolymeren von Propylen und Ethylen, Polyolefinkautschuk oder deren Mischungen 4.2 mit einem Biegeelastizitätsmodul von nicht weniger als 1000 kg/cm (JPI K 7203-1982)

4.3 wobei die Härte des Kerns größer ist als die der Oberflächenschicht und 4.4 wobei Schwächungszonen in den Kern eingeformt sind, in denen die Abdeckung beim Aufblasen des Gassacks leicht bricht.

In der nächstliegenden Entgegenhaltung (1) US 41 48 503 wird zwar auch ein Gassack mit einer Abdeckung beschrieben, wobei ein relativ harter Kern mit einem Kissen abgedeckt wird, das aus einem Material hergestellt werden soll, das eine gewisse Flexibilität behalten soll und bei Gebrauch leichter als die Bruchlinien des Kerns brechen soll. Es wird jedoch in dieser Druckschrift weder eine qualitative Aussage zur Zusammensetzung (Merkmal 3.1) dieser bekannten Oberflächenschicht (Kissen 23) gemacht, noch angegeben, welche Härte eine solche Abdekkung aufweisen soll (Merkmal 3.2). Auch zur Größe des Biegeelastizitätsmoduls des Kerns (Merkmal 4.2) werden in (1) keine Angaben gemacht.

In (2) JP-OS 63-227 313 und (3) JP-OS 63-135 246, die inhaltlich weitgehend übereinstimmen und deren englische Übersetzungen vorliegen, werden zweischichtige Formteile aus Weichkunststoff beschrieben, welche einen Kunststoffkern aus einem Polyolefin einer bestimmten Härte und einer Oberflächenschicht aus einem thermoplastischen Styrolelastomeren aufweisen. Ein thermoplastisches Styrolelastomer als Oberflächenschicht wird gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents aber nicht beansprucht (Merkmal 3.1), auch beziehen sich (2) und (3) nicht auf Gassackabdeckungen, sondern auf Kraftfahrzeug-Innenverkleidungen, wie zB bei Armaturenbrettern, Lenkradabdeckungen, Konsolen, Handschuhfächern, Armlehnen, Türverkleidungen usw.

Das Kunststofflexikon (4) aaO ist erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden und kann also bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Streitgegenstandes nicht berücksichtigt werden.

3. Die Entwicklung des beanspruchten Gegenstandes beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Bei deren Beurteilung ist von der patentgemäßen Aufgabe auszugehen, nach der eine Gassackabdeckung mit weicher Oberfläche und angenehmen Griff bereitgestellt werden soll, in der ein Kern unter der Oberflächenschicht bei von außen einwirkender Belastung die Form beibehält, um den Luftsack zu schützen. Die Abdeckung soll in kontrollierter Weise leicht aufreißen, wenn der Luftsack sich aufbläst und zwar innerhalb eines Temperaturbereichs von minus 40¡C bis 80¡C. Wenn die Abdeckung aufreißt, sollen keine freien Stücke entstehen und wegfliegen. Aussehen und Verhalten sollen sich im genanten Temperaturbereich nicht merklich ändern, wenn die Abdeckung 500 Stunden lang eine Temperatur von 110¡C ausgesetzt worden ist. Schließlich soll die Abdeckung einfach und wirtschaftlich sowie mit großer Genauigkeit und minimalem Ausschuß herstellbar sein.

Gelöst wird diese Aufgabe durch den erfindungsgemäßen Gegenstand mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1.

Da eine sichere Abdeckung für die Funktion und damit für die Sicherheit des Autofahrers bzw des Fahrgastes sehr wichtig ist, ist der angesprochene Durchschnittsfachmann - im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht der Entwicklungsingenieur der KFZ-Technik mit Schwerpunkt Kunststofftechnologie, sondern der Entwicklungsingenieur, der sich mit der Entwicklung von Rückhaltesystemen für Fahrzeuginsassen befaßt. Dieser Fachmann bekommt zwar aus (1) Anregungen zur Herstellung von Aufprallschutzvorrichtungen unter Einsatz von Gassäcken, wobei die Abdeckung des Gassacks zweiteilig ist und dabei auf einem relativ harten Kern 16 mit Sollbruchlinien ein Kissen 23 befestigt ist.

Während in (1) zur Zusammensetzung und physikalischen Eigenschaften des Kerns ausführlich Stellung genommen wird, fehlen solche Angaben zu dem Kissen 23 bzw erschöpfen sich in den Angaben, daß das Kissen 23 aus einem Material gemacht ist, das leichter bricht als die Sollbruchstellen am Kern. Welche chemische Zusammensetzung das Kissen 23 bzw die äußere Oberflächenschicht haben soll (Merkmal 3.1) und welche zahlenmäßig ausgedrückte Härte sie aufweisen soll (Merkmal 3.2) ist in (1) nicht angegeben und wird durch (1) auch nicht nahegelegt. Dh, der Fachmann müßte bei der Vielzahl von möglichen Kunststoffen erst erfinderisch tätig werden, um die patentgemäße Aufgabe zu lösen.

Die Literaturstellen (2) und (3) betreffen zweischichtige Formkörper für die Innenverkleidung von Kraftfahrzeugen. Mit Rückhaltevorrichtungen unter Einsatz von Gassäcken befassen sich diese Druckschriften nicht und liegen damit weit vom Streitgegenstand entfernt. Sollte der Fachmann (2) und (3) trotzdem berücksichtigen, würde er einen Gassack nach (1) mit einer in (2) und (3) beschriebenen Abdeckung versehen, was jedoch nicht zum Streitgegenstand führt, da in diesen Literaturstellen eine äußere Oberflächenschicht aus einem thermoplastischen Styrolelastomeren verwendet wird, die jedoch nicht Teil des Streitgegenstandes ist.

Damit würde auch eine Zusammenschau der Druckschriften (1) und (2) bzw (3) nicht zum Streitgegenstand führen.

Da damit die Druckschriften weder einzeln, noch in einer Zusammenschau den Fachmann Anregungen zur patengemäßen Lösung der gestellten Aufgabe geben konnten, beruht die Entwicklung der beanspruchten Abdeckung gemäß Patentanspruch 1 auf der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit. Die beanspruchte Abdekkung, über deren gewerbliche Anwendbarkeit kein Zweifel besteht, ist daher patentfähig.

Die Merkmale der Patentansprüche 2 bis 5 stellen vorteilhafte Ausgestaltungen der Abdeckung nach Patentanspruch 1 dar und sind daher mit diesem ebenfalls gewährbar.

Kahr Niklas Jordan Harrerbr/Pü






BPatG:
Beschluss v. 05.08.2002
Az: 15 W (pat) 37/01


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