Landgericht Dortmund:
Urteil vom 25. April 2013
Aktenzeichen: 18 O 13/07

(LG Dortmund: Urteil v. 25.04.2013, Az.: 18 O 13/07)

Tenor

Der Beklagten wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Präparat S® 0,12 % Mundspülung zu werben und/oder dieses Präparat zu vertreiben, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist, insbesondere wenn dies wie nachfolgend wiedergeben erfolgt:

Im Folgenden ist die Flasche der Mundspülung und der Beipackzettel bildlich dargestellt.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 950,15 €(i. W.: neunhundertundfünfzig 15/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 30.01.2007 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 140.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Beide Parteien vertreiben Mundspüllösungen, die Chlorhexidin enthalten.

Die Beklagte vertreibt dabei u. a. die streitgegenständliche Mundspüllösung S, die Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,12 % enthält und als kosmetisches Mittel in den Verkehr gebracht wird. Ausweislich der Angaben auf der Verpackung soll das in der Mundspülung enthaltene Chlorhexidin das Zahnfleisch schützen und so zur Erhaltung der Mundgesundheit beitragen. Weiter heißt es, dass die Mundspülung auch bei entzündetem oder gereiztem Zahnfleisch pflegt und reinigt. Zur Anwendung heißt es, man solle den Mund zweimal täglich mit 10 ml unverdünnter Lösung 30 Sekunden spülen.

Eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das streitgegenständliche Produkt S besteht nicht.

Die Klägerin meint, das Produkt S der Beklagten sei tatsächlich als Arzneimittel einzuordnen. Es entfalte eine pharmakologische Wirkung. Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,1 % oder 0,2 % sei in der Lage u. a. Gingivitis zu heilen oder zu lindern. Mundspüllösungen in dieser Konzentration käme therapeutische Wirkung zu.

Zudem werde das Produkt auch als Arzneimittel präsentiert.

Die Klägerin verlangt Unterlassung des Vertriebes des Produktes, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist. Mit Schreiben vom 31.10.2006 mahnte die Klägerin die Beklagte ab. Die Abmahnung blieb ohne Erfolg. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren im Klagewege weiter und verlangt gleichzeitig die Abmahnkosten ersetzt, wobei sie sich hierauf eine 0,65-Gebühr anrechnen lässt.

Die Klägerin beantragt,

der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes mit zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das Präparat S 0,12 % Mundspüllösung zu werben und/oder dieses Präparat zu vertreiben, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist, insbesondere wenn dieses - wie nachfolgend - wiedergegeben erfolgt

An dieser Stelle ist erneut die Flasche der Mundspülung und der Beipackzettel bildlich dargestellt.

Sie beantragt weiter,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 950,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, bei dem Produkt S handele es sich nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein kosmetisches Produkt. Es sei auch nicht in der Lage u. a. Gingivitis zu heilen oder zu lindern. Sie verweist darauf, dass Chlorhexidin lediglich eine Wirkung gegen Bakterien zukomme. Auch wenn eine bakterielle Ursache für eine Gingivitis vorliege, könne diese Ursache durch eine antibakterielle Behandlung nicht mehr rückgängig gemacht werden, da der entzündliche Reiz bereits gesetzt sei. Es könne lediglich dafür gesorgt werden, dass nicht weitere, neue entzündliche Reize gesetzt würden. Dies stelle aber keine Linderung oder Heilung einer bestehenden Entzündung dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Unterlassungsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 2 Abs. 1, 21 AMG.

Der Vertrieb eines Produktes, das als Arzneimittel einzustufen ist, ohne die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung, stellt eine unlautere Wettbewerbshandlung dar.

Hier ist davon auszugehen, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt S 0,12 % um ein Arzneimittel handelt.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 a AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.

Die Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG entspricht dabei Artikel 1 Nr. 2 b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 6. November 2001.

Nach der Rechtsprechung des EUGH ist der Begriff der pharmakologischen Wirkung aus Artikel 1 Nr. 2 b der Richtlinie 2001/83/EG - unter Berücksichtigung der Leitlinie zur Abgrenzung der Richtlinie 76/768 über kosmetische Mittel von der Richtlinie 2001/83 über Arzneimittel € "Guidance Document on the demarcation between the Cosmetic Products Directive 76/768 and the Medicinal Products Directive 2001/83 as aggreed between the Commission Services and the competent authorities of Member States" - dahin auszulegen, das vom Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung einer Substanz im Sinne dieser Bestimmung nicht nur dann ausgegangen werden kann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen dieser Substanz und einem zellularen Bestandteil des Körpers des Anwenders kommt, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil genügt (Urteil des EuGH vom 6. September 2012, C-308/11). In diesem Sinne wirkt das hier streitgegenständliche Produkt der Beklagten aufgrund seiner 0,12 %igen Chlorhexidin-Konzentration pharmakologisch. Unstreitig stört Chlorhexidin in der vorliegenden Konzentration zumindest die bakterielle Zellwand, so dass sich die Bakterien nicht vermehren können (vgl. u. a. Seite 4 des klägerischen Schriftsatzes vom 05.01.2012, Blatt 416 d. A. und Seite 8 des Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 06.02.2007, Blatt 40 d. A.).

Chlorhexidin wirkt damit auf einen zellulären Bestandteil im Körper des Menschen - Bakterien - ein und entfaltet damit eine pharmakologische Wirkung im Sinne der Definition des EUGH.

Soweit die Beklagte meint, bei einer gegen Bakterien gerichteten Wirkung fehle es an einer "direct disponse" im Sinne der Definition des Begriffes "pharmakologische Wirkung" nach der Leitlinie zur Abgrenzung zwischen kosmetischen Mitteln und Arzneimitteln, da es an einer direkten Antwort des menschlichen Körpers fehle, so kann dem nicht gefolgt werden. Gemäß der Definition des EUGH zur pharmakologischen Wirkung, die der EUGH gerade auch auf der Grundlage der Leitlinie zur Abgrenzung zwischen kosmetischen Mitteln und Arzneimitteln entwickelt hat, reicht die Wirkung auf irgendeine im menschlichen Körper befindliche Zelle aus, um eine menschliche Zelle muss es sich nicht handeln. Eine direkte Antwort des menschlichen Körpers auf die fragliche Substanz ist demnach gerade nicht notwendig. Wollte man ein solches Merkmal für erforderlich halten, würde die Definition des EUGH letztlich ins Leere laufen.

Desweiteren ist das streitgegenständliche Produkt auch geeignet, physiologische Funktionen des menschlichen Körpers zu beeinflussen. Dabei ist zu beachten, dass Erzeugnisse nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden können, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, aber keine nennenswerte physiologischen Auswirkungen haben und seine Funktionsbedingungen somit nicht wirklich beeinflussen (EUGH, Urteil vom 30.04.2009, C-27/08).

Dadurch, dass etwa bei bestehender Zahnfleischentzündung durch die Wirkung des Chlorhexidin es zu einer Keimreduktion kommt, was dazu führt, dass nicht weitere, neue entzündliche Reize gesetzt werden, wird jedenfalls die Selbstgenerierung des Zahnfleisches unterstützt. Damit liegt eine Beeinflussung physiologischer Funktion vor, die aus Sicht der Kammer auch als nennenswerte Beeinflussung einzuordnen ist.

Damit ist das streitgegenständliche Produkt als Arzneimittel anzusehen.

Dieser Einordnung steht auch nicht entgegen, dass nach Anhang VI "Liste der Konservierungsstoffe, die in kosmetischen Mitteln enthalten sein dürfen" der Richtlinie 76/768/EG eine Höchstkonzentration von Chlorhexidin von 0,3 % für kosmetische Mittel zulässig ist.

Insoweit geht es nur um den Fall, dass Chlorhexidin als Konservierungsstoff verwandt wird. Darüber, ob ein konkretes Produkt aufgrund seiner Wirkweise als Arzneimittel einzustufen ist, lässt sich hieraus nichts entnehmen. Dies ergibt sich letztlich auch aus der Entscheidung des EUGH vom 6. September 2012. Die Richtlinie 76/768/EWG und der fragliche Anhang sind im rechtlichen Rahmen des Urteils ausdrücklich aufgeführt. Im Folgenden wird dann aber für das streitgegenständliche Produkt S 0,12 %, das mit dem Produkt des hiesigen Verfahrens identisch ist, aus vorgenannter Richtlinie und ihrem Anhang nichts hergeleitet.

Insgesamt kann die Klägerin daher im beantragten Umfang Unterlassung verlangen. Die Ordnungsmittelandrohung ergibt sich aus § 890 ZPO.

Der Abmahnkosten kann die Klägerin gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG ersetzt verlangen. Die Berechnung des Kostenersatzanspruchs begegnet auf der Grundlage eines Streitwerts von 125.000,00 € keinen Bedenken.

Zinsen auf den Betrag von 950,15 € können gemäß §§ 291, 288 BGB verlangt werden.

Die Klage ist am 29.01.2007 zugestellt worden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.






LG Dortmund:
Urteil v. 25.04.2013
Az: 18 O 13/07


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