Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. Juli 2008
Aktenzeichen: 3 Ni 4/07

(BPatG: Urteil v. 24.07.2008, Az.: 3 Ni 4/07)

Tenor

1. Das europäische Patent 0 658 680 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13. Oktober 1994 angemeldeten, die Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 43 42 751 vom 15. Dezember 1993 in Anspruch nehmenden europäischen Patents EP 0 658 680 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Steuerungsverfahren zum Betreiben einer Drehkreuzanlage", dessen Erteilung am 14. Januar 1998 veröffentlicht wurde und welches die nachfolgenden 4 Patentansprüche umfasst:

1. Steuerungsverfahren zum Betreiben einer der Personendurchgangskontrolle dienenden Drehkreuzanlage mit einem um eine anlagenfeste Anlenkachse drehbaren Sperrelement, das unter Einschluss vorzugsweise gleicher Winkel sich von der Anlenkachse forterstreckende Sperrmittel besitzt, die aus ihren normalen Betriebsstellungen in Nichtgebrauchsstellungen bewegbar und im Übrigen infolge Drehung des Sperrelements um seine Anlenkachse nacheinander aus einer einen Personendurchgang sperrenden in eine letzteren freigebende Drehstellung betätigbar sind, wobei jeweils beim Fortschalten eines Sperrmittels aus seiner Sperrposition in eine den Personendurchgang freigebende Stellung das in Drehrichtung folgende Sperrmittel in Sperrposition bewegt wird und beim Eintreten eines den Normalbetrieb störenden Ereignisses, wie Stromausfall, zumindest das in Sperrposition stehende Sperrmittel aus seiner den Personendurchgang sperrenden Lage in eine den unkontrollierten Durchgang von Personen ermöglichende Nichtgebrauchsstellung bewegbar und dieses Sperrmittel jeweils nach dem Wegfall des genannten Ereignisses in seine normale Betriebsstellung zurückstellbar sowie in dieser Betriebsstellung lösbar verrastbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Sperrelement mit einem elektrischen Fortschaltmotor in Antriebsverbindung steht und dass nach Wegfall des die Bewegbarkeit zumindest des in Sperrposition stehenden Sperrmittels in dessen Nichtgebrauchsstellung auslösenden Ereignisses Rückstellkräfte, die in Bezug auf die Anlenkachse des Sperrelements das Rückstellen eines in einer Nichtgebrauchsstellung stehenden Sperrmittels in seine normale Betriebsstellung bewirken, durch Fortschalten des Sperrmittels um wenigstens einen Fortschaltschritt zur Einwirkung auf das in der Nichtgebrauchsstellung stehende Sperrmittel gebracht werden.

2. Steuerungsverfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass bei einer Drehkreuzanlage mit gegenüber einer Horizontalen geneigter Drehachse des Sperrelements und in ihren Sperrpositionen zumindest annähernd horizontal stehenden sowie bei Eintritt des die Bewegbarkeit der Sperrmittel in eine Nichtgebrauchsstellung bewirkenden Ereignisses unter Schwerkraftwirkung abgeklappten Sperrarmen als Sperrmittel die Rückstellung eines abgeklappten Sperrmittels unter Schwerkraftwirkung erfolgt, wenn die Anlenkachse dieses Sperrmittels an dem Sperrelement einen unteren Bereich ihrer Umlaufbahn beim Drehen des Sperrelements um dessen Drehachse durchläuft.

3. Steuerungsverfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass bei einer Drehkreuzanlage mit drei etwa trigonal zur Drehachse des Sperrelements angeordneten Sperrarmen das Rückstellen eines in eine Nichtgebrauchsstellung abgeklappten Sperrarmes in seine Normalstellung beim Fortschalten des Sperrelements um zwei aufeinanderfolgende Schaltschritte durchgeführt wird.

4. Steuerungsverfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die in ihre Nichtgebrauchsstellungen bewegten Sperrmittel nach Wegfall des deren Bewegbarkeit in die Nichtgebrauchsstellungen auslösenden Ereignisses beim Weiterschalten des Sperrelements infolge dabei auftretender und auf diese Sperrmittel wirkender Fliehkräfte in ihre Normalstellungen rückgestellt werden.

Die Klägerin, die das Streitpatent uneingeschränkt angreift und dessen Nichtigkeit aufgrund fehlender Patentfähigkeit des Patentgegenstandes mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit geltend macht, stützt ihr Vorbringen auf die nachfolgenden Druckschriften:

(Ni 1) DE 28 25 787 C3 und

(Ni 3) AT 394 885 B und macht geltend, dass Patentanspruch 1 gegenüber diesem druckschriftlichen Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, da der Fachmann die gemäß der Ni 3 vornehmlich für die Zufahrt zu Skiliften konzipierte Drehsperre im Falle einer Zutrittskontrolle z. B. für Sportstadien selbstverständlich mit einer elektromagnetischen Fortschaltung der Sperrarme nach dem Vorbild der Ni 1 ausstatten würde. Ein solcher motorischer Antrieb dränge sich dem Fachmann angesichts des ins Auge springenden Nachteils der aus Ni 3 bekannten Drehsperre geradezu auf. Jedenfalls bestehe das Resultat darin, dass der jeweils abgeklappte Sperrarm beim Fortschalten unter der Einwirkung der Schwerkraft, eventuell unterstützt durch die Fliehkraft, in seine verrastete Normalstellung zurückkehre.

Die Klägerin macht außerdem geltend, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neu sei gegenüber der Vorbenutzung einer Drehsperre Typ "HAMMER/ORLY", welche vor dem Prioritätsdatum von der Firma Genossenschaft H... und deren deutscher Beteiligungsgesellschaft F... GmbH entwickelt, auf der Fachmesse "SiTechBerlin 93" auf dem ge- meinsamen Stand in Halle 12 ausgestellt worden, mehreren Interessenten vorgeführt und die Funktionalität ergänzend mündlich erläutert worden sei. Diese Drehsperre habe einen elektrischen Fortschaltmotor für die elektromagnetisch verrasteten, bei Stromunterberechung abklappenden Sperrarme umfasst, wobei der jeweils abgeklappte Sperrarm durch Fortschalten mittels eines elektromotorischen Drehantriebes wieder (unter Schwerkraft- und Fliehkrafteinfluss) in die Ausgangsstellung (die normale Betriebsstellung) zurückgebracht worden sei. Diese Sperre sei auch bei Kunden in größeren Stückzahlen entsprechend der Zusammenstellungszeichnung "Klapparm" vom 24. März 1994 (Ni 6) hergestellt und installiert worden.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 658 680 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung und beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten halten den Patentgegenstand für neu und erfinderisch. Sie bestreiten die von der Klägerin behaupteten Tatsachen zur Vorbenutzung und machen zu dem von der Klägerin herangezogenen druckschriftlichen Stand der Technik geltend, dass auch eine Kombination von Ni 1 und Ni 3 mangels Realisierung eines durch Fortschalten des elektromotorischen Antriebes bewirkten Wiedereinrichten der Sperrarme nicht zum Gegenstand der Erfindung führe. Der Fachmann würde die Lehren dieser Druckschriften nicht kombinieren, weil dazu keinerlei Anlass bestehe, da die für Skiliftzugänge konzipierte Ni 3 keine abklappbaren und festen Sperrarme aufweise und der elektromotorische Antrieb einem anderen Zweck diene.

Der Senat hat über die von der Klägerin zur offenkundigen Vorbenutzung des Patentgegenstandes behaupteten Tatsachen Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B..., K..., W... und G. Hinsichtlich des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie weiteren Vorbringens der Parteien und der eingereichten Dokumente wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24. Juli 2008 verwiesen und auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage erweist sich als zulässig und begründet. Die auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gestützte Klage (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) führt zur vollumfänglichen Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland, da sich die insoweit beanspruchten Patentgegenstände als nicht neu bzw. als nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend erweisen.

I.

Die Erfindung betrifft nach den Angaben in der Streitpatentschrift ein Steuerungsverfahren zum Betreiben einer Drehkreuzanlage, wobei charakteristisch für das erfindungsgemäße Steuerungsverfahren ist, dass nach Wegfall eines den Normalbetrieb störenden Ereignisses, welches die Bewegung zumindest des in Sperrposition stehenden Sperrmittels in eine Nichtgebrauchsstellung bewirkt hat, auf ein in seiner Nichtgebrauchslage stehendes Sperrmittel Rückstellkräfte zur Einwirkung gebracht werden und dass dadurch dieses Sperrmittel in seine normale Betriebsstellung zurückgeführt, mithin also die Drehkreuzanlage für die Wiederaufnahme des Normalbetriebes eingerichtet wird (Sp. 3 Zeilen 21-31).

Die Streitpatentschrift weist zum Stand der Technik darauf hin, dass aus der DE 28 25 787 C3 (Ni 1) bereits eine Drehkreuzanlage für die Durchgangskontrolle von Personen mit einem um eine unter 45¡ gegenüber einer Lotrechten geneigte Drehachse drehbaren Drehkreuz als Sperrelement bekannt ist und sich Drehkreuzanlagen dieser Art als Mittel zur Personendurchgangskontrolle bestens bewährt haben (Sp. 1 Zeilen 27-43), wobei indessen unbefriedigend sei, dass nach einem das Abklappen der Sperrelemente bewirkenden Ereignis, wie beispielsweise Stromausfall, es eines umständlichen und zeitaufwändigen Wiedereinrichtens der Drehkreuzanlagen bedarf, indem die zuvor aus ihren Sperrpositionen beim Auftreten des störenden Ereignisses abgeklappten Sperrarme von Hand in ihre normalen Betriebsstellungen zurückgeführt werden müssen (Sp. 2 Zeilen 2-10).

2. Gemäß der Patentschrift liegt deshalb der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Steuerungsverfahren zu schaffen, bei dem ein aus seiner Sperrstellung in eine Nichtgebrauchsstellung bewegtes Sperrmittel einer Drehkreuzanlage zwangsweise und ohne manuelle Betätigung in seine bestimmungsgemäße Normallage rückgestellt wird. Es soll somit ein Steuerungsverfahren angegeben werden, das ein selbsttätiges Rückkehren der Drehkreuzanlage in den betriebsfähigen Normalzustand ermöglicht (Sp. 2 Zeilen 56-60, Sp. 3 Zeilen 1-6).

3. Diese Aufgabe wird gelöst durch Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

1. Steuerungsverfahren zum Betreiben einer der Personendurchgangskontrolle dienenden Drehkreuzanlage mit 1.1. einem um eine anlagenfeste Anlenkachse drehbaren Sperrelement, das unter Einschluss vorzugsweise gleicher Winkel sich von der Anlenkachse forterstreckende Sperrmittel besitzt, 1.1.1. die aus ihren normalen Betriebsstellungen in Nichtgebrauchsstellungen bewegbar 1.1.2. und im Übrigen infolge Drehung des Sperrelements um seine Anlenkachse nacheinander aus einer einen Personendurchgang sperrenden in eine letzteren freigebende Drehstellung betätigbar sind, 1.1.3. wobei jeweils beim Fortschalten eines Sperrmittels aus seiner Sperrposition in eine den Personendurchgang freigebende Stellung das in Drehrichtung folgende Sperrmittel in Sperrposition bewegt wird 1.1.4. und beim Eintreten eines den Normalbetrieb störenden Ereignisses, wie Stromausfall, zumindest das in Sperrposition stehende Sperrmittel aus seiner den Personendurchgang sperrenden Lage in eine den unkontrollierten Durchgang von Personen ermöglichende Nichtgebrauchsstellung bewegbar 1.1.5. und dieses Sperrmittel jeweils nach dem Wegfall des genannten Ereignisses in seine normale Betriebsstellung zurückstellbar sowie in dieser Betriebsstellung lösbar verrastbar ist, dadurch gekennzeichnet, 1.2. dass das Sperrelement mit einem elektrischen Fortschaltmotor in Antriebsverbindung steht 1.3. und dass nach Wegfall des die Bewegbarkeit zumindest des in Sperrposition stehenden Sperrmittels in dessen Nichtgebrauchsstellung auslösenden Ereignisses 1.4. Rückstellkräfte, die in Bezug auf die Anlenkachse des Sperrelements das Rückstellen eines in einer Nichtgebrauchsstellung stehenden Sperrmittels in seine normale Betriebsstellung bewirken, durch Fortschalten des Sperrmittels um wenigstens einen Fortschaltschritt zur Einwirkung auf das in der Nichtgebrauchsstellung stehende Sperrmittel gebracht werden.

II.

1. Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten, dass der druckschriftliche Stand der Technik nach den Entgegenhaltungen Ni 1 und Ni 3 nicht geeignet ist, den Gegenstand des Streitpatents für den Fachmann nahezulegen.

2. Die Klage hat allerdings Erfolg, soweit die Klägerin das Streitpatent ferner unter Berufung auf die vom Stand der Technik umfassten Kenntnisse angreift, die der Öffentlichkeit durch Vorbenutzung zugänglich gemacht worden sind. Danach erweist sich Patentanspruch 1 des Streitpatents als nicht bestandsfähig, da sein Gegenstand durch die von der Klägerin geltend gemachte Vorbenutzung des patentgegenständlichen Verfahrens auf der Messe "SiTechBerlin 93" im September 1993 - mithin vor dem Prioritätstag des Streitpatents am 15. Dezember 1993 - der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden und deshalb nicht neu ist.

3. Der Senat ist unter Berücksichtigung des Inhalts der Verhandlung und Ergebnisses der Beweisaufnahme zu der festen Überzeugung gelangt, dass entsprechend der Darstellung der Klägerin in der Zeit vom 18.- 22. September 1993 auf der Messe "SiTechBerlin 93" von der Firma Genossenschaft H... und deren deutscher Beteiligungsgesellschaft F... GmbH eine im selben Jahr von ihr in Zusammenarbeit mit der Klägerin entwickelte Drehsperrenanlage ausgestellt, den Messebesuchern vorgeführt und erläutert worden ist, deren körperlichen Merkmale und Funktionalität des Verfahrens dem patentgegenständlichen Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents entsprach.

a. Insoweit haben die Zeugen B..., K... und W... die Darstellung der Klä- gerin, wie sie durch den Geschäftsführer der Klägerin aufgrund der ausführlichen Anhörung präzisiert worden ist, widerspruchsfrei und glaubwürdig bestätigt. So hat der als Schweißer bei der Klägerin in der fraglichen Zeit tätige Zeuge B... bestätigt, dass er an der Herstellung einer Drehsperre mitgearbeitet hat, welche nicht nur bei Stromausfall ein Herunterklappen der Klapparme ermöglichte, sondern auch in der Lage war, bei Wiedereinschaltung der Stromzufuhr die Klapparme nach Weiterbewegung durch den Schrittschaltmotor um zwei Umdrehungen in ihre Ausgangsstellung zurückzuversetzen. Der Zeuge hat insoweit nicht nur widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin seine Tätigkeit und die Funktion der Drehsperre beschrieben, sondern zusätzlich den Ablauf eines betriebsinternen Probelaufs im August erläutert.

Der Zeuge K... als damaliger Geschäftsführer der Fa. H... und maßgebli- cher Projektleiter und der Zeuge W... haben in Übereinstimmung hierzu bestä- tigt, dass auf der "SiTechBerlin 93" von der Fa. H... eine ent- sprechend konstruierte und funktionierende Drehsperrenanlage auf ihrem Messestand ausgestellt wurde. Sie konnten die Details der aufgebauten und vorgeführten Anlage aus freier Erinnerung und trotz eingehender Befragung widerspruchsfrei beschreiben und sich übereinstimmend auch an die Anordnung eines Schalters sowie dessen Positionierung erinnern. Die Zeugen haben auch widerspruchsfrei, mit kleineren Abweichungen zur Ausgestaltung des Schalters bzw Kipphebels erläutert, dass dieser eine Vorführung des Klapp- und Aufrichtmechanismus der Dreharme ermöglichte und vorgeführt wurde. Der Zeuge W... bestätigte insoweit auf Nachfrage auch die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin, dass er nicht nur die Drehsperre ausprobiert habe, sondern auch ein akustisches Signal während des Abklappens der Dreharme ertönte. Der Zeuge K..., der während der gesamten Dauer der Messe den Stand betreute, bestätigte ferner, dass die Funktionsweise der Drehsperre nicht nur ständig gegenüber den Messebesuchern demonstriert wurde, sondern dass auch der ihm bekannte Zeuge G... mit einem Begleiter den Messestand besuchte, um sich zu informieren.

Die Zeugen haben auch überzeugend bestätigt, dass der Prototyp für die "SiTechBerlin 93" ohne spezifische technische Zeichnungen gefertigt wurde und die Gründe hierfür erläutert. Der Zeuge K...wie auch der Geschäftsführer der Klägerin haben ausführlich und nachvollziehbar die Gründe hierfür im Hinblick auf den bestehenden Zeitdruck für die Fertigung des Prototyps und die Erforderlichkeit nur geringfügiger Änderungen der im übrigen schon bestehenden Komponenten erläutert. Auch der Zeuge B... hat bestätigt, dass im Wesentlichen nur mündliche Angaben erfolgten und er nur eine kleine Skizze erhalten hatte. Dass zu einem späteren Zeitpunkt Konstruktionszeichnungen, wie sie auch in der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden sind, im Hinblick auf die sodann auch realisierte gewerbliche Verwertung der zunächst nur als Prototyp hergestellten und auf der "SiTechBerlin 93" ausgestellten Drehsperrenanlage gefertigt wurden, steht hierzu in keinerlei Widerspruch. Ebenso ist es durchaus nicht unglaubwürdig, dass durch die Klägerin heute kein Prospektmaterial mehr vorgelegt werden kann.

b. Der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Angaben steht nicht die Aussage des Zeugen G... entgegen, der ausgesagt hat, dass er keine konkrete Erinnerung daran habe, was auf der von ihm besuchten "SiTechBerlin 93" von der Fa. H... ausgestellt worden sei, und der sich auch nicht an ein dort geführtes Gespräch mit dem Zeugen K... oder einer anderen Person erin- nern konnte. Soweit der Zeuge lediglich schlussfolgerte, dass er sich als Erfinder des Streitpatents erinnern würde und davon wüsste, falls eine derartige Neuerung durch die Fa. H... ausgestellt worden sei, handelt es sich nicht um eine Tatsachenbekundung, sondern lediglich um die Würdigung des eigenen Erinnerungsvermögens, die zwar allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht, da sich ein Zeuge regelmäßig umso eher an eine weit in der Vergangenheit liegende Tatsache erinnern kann, je bedeutsamer oder emotional einschneidender sie für ihn war. Allerdings kann insoweit weder von einem ausnahmslos geltenden Erfahrungssatz ausgegangen werden, noch handelt es sich vorliegend um Umstände, welche erfahrungsgemäß unauslöschbar der Erinnerung verhaftet bleiben, so dass bereits aus diesem Grund die Aussage des Zeugen G... nach Auf- fassung des Senats nicht geeignet ist, die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin und der Zeugen W..., K... und B... zu entkräften.

Hinzu kommt, dass bereits die Aussage des Zeugen G..., sich nicht an die Ausstellung und Vorführung einer entsprechend ausgestalteten Drehsperrenanlage zu erinnern, nach Ansicht des Senats erhebliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Aussage aufwirft. Denn der Zeuge will nach seinen anfänglichen Angaben keine eigenständige Erinnerung an den Besuch der "SiTechBerlin 93" gehabt haben und hat angegeben, erst aufgrund eines Blicks in seinen Kalender bestätigen zu können, die Messe überhaupt besucht zu haben. Hiermit steht in offensichtlichem Widerspruch, dass der Zeuge - auch auf wiederholtes Nachfragen und Vorhalt - gegen Ende seiner Aussage angab, sich sehr konkret daran erinnern zu können, dass er sich auf dieser Messe in Begleitung seines Mitarbeiters N... befunden habe. Denn nach seinen anfänglichen An- gaben will der Zeuge keinerlei konkrete Erinnerung an den Besuch der Messe und den Gegenstand der dort ausgestellten Produkte gehabt haben, obwohl er in dieser Zeit Geschäftsführer der Beklagten war und nur wenige Monate später die für das Streitpatent prioritätsbegründende deutsche Patentanmeldung ... vom ... eingereicht hat, die auf seiner eigenen Tätigkeit als Miterfin- der beruhen soll. Demgegenüber konnten sich die Zeugen W... und K... nicht nur detailliert an ihre Anwesenheit auf der "SiTechBerlin 93" und die dort von der Fa. F... ausgestellte Drehsperrenanlage erinnern und diese be- schreiben, der Zeuge W... sen. konnte darüber hinaus auch einen plausiblen Grund für seine lebhafte Erinnerung im Hinblick auf eine anzügliche Äußerung und die daraufhin erhaltene Ohrfeige angeben und beschrieb dies in der ihm eigenen Wortwahl.

Insoweit muss berücksichtigt werden, dass hinsichtlich der von dem Beklagtenvertreter geäußerten massiven Zweifel an der Richtigkeit der klägerischen Angaben, insbesondere der Bekundungen des Geschäftsführers der Klägerin und der von ihr benannten Zeugen, eine kritische Würdigung dieser Angaben veranlasst ist. Dies gilt ebenso und in besonderem Maße auch für den Zeugen G... als Miter- finder des Streitpatents und ehemaligen Geschäftsführer der Patentinhaberin, der für die Patentanmeldung ... vom ... mitverantwortlich war. Denn ein Zugeständnis, auf der "SiTechBerlin 93" ein entsprechend öffentlich vorbenutztes Verfahren gesehen zu haben, käme dem Zugeständnis gleich, sich bei Anmeldung des Streitpatents eine fremde Erfindung und Berühmung als Miterfinder angemaßt zu haben, wobei der Zeuge G... im Übrigen in der Of- fenlegungsschrift DE 43 42 751 A1 zur deutschen Patentanmeldung vom ... unter Hinweis auf den Antrag auf Teilnichtnennung nicht als Miter- finder genannt ist.

c. Ferner steht der Richtigkeit der Angaben des Geschäftsführers der Klägerin und insbesondere der Zeugen W..., K...und B... nicht entgegen, dass der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erstmals Zeichnungen vorgelegt hat, die nach seinen Angaben Bauteile der nach der "SiTechBerlin 93" gefertigten und an Kunden gelieferten Drehsperrenanlage zeigen und die jeweils in roter Farbe einen Stempelaufdruck "ORIGINAL" mit Datum aufweisen. Diese Zeichnungen weisen sämtlich Datierungen erst ab Dezember 1993 bis 1995 auf und stehen in Zusammenhang mit der von der Klägerin als Ni 9 eingereichten zusammenfassenden Zeichnung "Klapparm", welche die Klägerin u. a. zum Nachweis von Lieferungen entsprechender Drehkreuzanlagen im Jahr 1994 vorgelegt hat und welche zwischen den Parteien nicht im Streit stehen. Zu der von den Zeugen B..., K...und W... bekundeten Entwicklung und Vorbenutzung einer auf dem patentgemäßen Verfahren basierenden Drehsperrenanlage auf der "SiTechBerlin 93" stehen weder die Zeichnung Ni 9 noch die weiteren Zeichnungen in relevantem Zusammenhang oder im Widerspruch.

Insbesondere lassen sich aus der von der Beklagten diskutierten Frage, ob die insoweit vorgelegten Urkunden als Original hätten bezeichnet werden dürfen und die - im Übrigen nur gegenbeweislich für den Fall einer beweiserheblichen Verwertung dieser Urkunden - durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten, dass die in den Zeichnungen angegebenen Stempel und Erstellungsdaten mit dem wahren Alter der Urkunde nicht übereinstimmen, weder relevante Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der bekundeten Tatsachen, insbesondere das Erinnerungsvermögen der klägerischen Zeugen, noch auf die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben ziehen. Denn ob die vorgelegten Zeichnungen Originale sind bzw als solche hätten bezeichnet werden dürfen, und ob der Stempelaufdruck mit dem wahren Alter der Urkunde übereinstimmt, steht in keinem Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit des hier von der Klägerin behaupteten und von den Zeugen bekundeten entscheidungserheblichen Tatsachenhergangs der öffentlichen Vorbenutzung der Lehre des Streitpatents auf der "SiTechBerlin 93" und der Glaubwürdigkeit dieser bekundeten Tatsachen.

Selbst wenn man danach die Richtigkeit der Behauptungen der Beklagten unterstellt, könnte hierin deshalb kein hinreichendes Indiz für ein allgemeines kollusives Zusammenwirken des Urhebers der Zeichnungen, der Klägerin und der Zeugen gesehen werden. Die Mehrzahl der Zeichnungen betreffen nämlich nur die für die öffentliche Vorbenutzung zeitlich nicht relevanten und im Übrigen unbestrittenen und von den Zeugen bestätigten Umstände einer Fertigung von Drehkreuzanlagen mit dem streitpatentgemäßen Verfahren im Anschluss an die "SiTechBerlin 93" und nach dem hier maßgeblichen Prioritätstag. Insoweit ist nicht ersichtlich, weshalb die im Übrigen auch nur zur Vervollständigung seines Vortrags von dem Geschäftsführer der Klägerin im Termin vorgelegten Zeichnungen die Glaubwürdigkeit der Zeugen oder deren Aussagen entkräften könnten.

d. Unter Berücksichtigung dieses öffentlich vorbenutzten Standes der Technik erweist sich der Gegenstand von Patentanspruch 1 somit als nicht neu, da mittels der öffentlichen Ausstellung und Vorführung der streitpatentgemäß ausgebildeten Drehkreuzanlage auf der "SiTechBerlin 93" auch sämtliche Merkmale des auf ein Steuerungsverfahren gerichteten Patentanspruchs 1 offenbart und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Soweit sich die Beklagte darauf berufen hat, dass der elektronische Steuerungsmechanismus auch durch die Demonstration der körperlich mit einem elektrischen Fortschaltmotor versehenen Drehkreuzanlage nicht zugänglich gemacht worden sei, ist dies rechtlich unbeachtlich, da die im Einzelnen zur Ausführung der beanspruchten technischen Lehre erforderliche und dem Fachmann geläufige elektronische Konzeption nicht Teil des mit dem patentgemäßen Verfahren beanspruchten Erfindungsgedankens ist. Vielmehr ist der angegriffene Patentanspruch 1 auf ein Steuerungsverfahren gerichtet, welches sich bei der öffentlichen Demonstration der diesbezüglichen Funktionen der Anlage dem Interessierten ohne weiteres erschließt.

Der Patentanspruch 1 ist damit nicht bestandsfähig.

4. Auch die auf den nicht bestandsfähigen Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 haben damit keinen Bestand, da sie lediglich auf einfache, dem Fachmann naheliegende Ausgestaltungen des mit dem Hauptanspruch beanspruchten Verfahrens gerichtet sind, welche eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Engels Gutermuth Schneider Hildebrandt Ganzenmüller Be






BPatG:
Urteil v. 24.07.2008
Az: 3 Ni 4/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/a9d7ab33fbee/BPatG_Urteil_vom_24-Juli-2008_Az_3-Ni-4-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share