Bundesgerichtshof:
Urteil vom 29. April 2014
Aktenzeichen: X ZR 20/11
(BGH: Urteil v. 29.04.2014, Az.: X ZR 20/11)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. Januar 2011 an Verkündungs Statt zugestellte Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das deutsche Patent 195 49 477 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche 1 bis 9 durch folgende Patentansprüche 1 bis 7 ersetzt werden:
"1. Stent, welcher als eine Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit folgenden Merkmalen:
a) eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11), welche sich in eine erste Richtung (9) erstrecken, b) eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12), welche sich in eine zweite, von der ersten verschiedene Richtung (13) erstrecken, c) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind aus flachem Metall ausgebildet (nicht aus Draht) und weisen Schlaufen (14, 16, 18, 20) auf, d) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind derart verbunden, dass zumindest eine Schlaufe (14, 16) jedes ersten Mäandermusters (11) zwischen den benachbarten zweiten Mäandermustern (12) und zumindest eine Schlaufe (18, 20) jedes zweiten Mäandermusters (12) zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern (11) angeordnet ist.
2. Stent nach Anspruch 1, bei dem die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) derart verbunden sind, dass sie geschlossene Zellen (42, 44) bilden, die eine Vielzahl von Schlaufen (14, 16, 18, 20) aufweisen.
3. Stent, welcher als eine Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit folgenden Merkmalen:
a) eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11), welche sich in einer ersten Richtung (9) erstrecken, b) eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12), welche sich in eine zweite, von der ersten Richtung verschiedene Richtung (13) erstrecken, c) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind aus flachem Metall ausgebildet (nicht aus Draht) und sind derart verbunden, dass sie eine allgemein gleichmäßige, verteilte Struktur aus Zellen (42, 44) bilden, so dass bei radialer Ausdehnung des Stents seine Gesamtlänge im Wesentlichen gleich bleibt, da einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre wachsen, während einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre schrumpfen, d) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) weisen Schlaufen (14, 16, 18, 20) auf und sind derart verbunden, dass zumindest eine Schlaufe (14, 16) jedes ersten Mäandermusters (11) zwischen den benachbarten zweiten Mäandermustern (12) und zumindest eine Schlaufe (18, 20) jedes zweiten Mäandermusters (12) zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern (11) angeordnet ist.
4. Stent nach einem der Ansprüche 1 bis 3, bei dem die erste und zweite Richtung (9, 13) orthogonal sind.
5. Stent nach einem der Ansprüche 1 bis 4, bei dem bei Ausdehnungen Änderungen in der Form der Schlaufen (14, 16, 18, 20) dem Stent Steifigkeit verleihen, damit der Stent ein Blutgefäß oder eine andere Körperöffnung auf einem gewünschten inneren Durchmesser halten kann.
6. Stent nach einem der Ansprüche 1 bis 5, bei dem der Stent in einer der nachfolgenden Arten endbearbeitet ist: Plattieren mit einem Schutzmaterial, Einbetten eines Medikaments oder Beschichten mit einem Material.
7. Stent nach einem der Ansprüche 1 bis 6, bei dem auch im ausgedehnten Zustand des Stents erste und zweite Mäandermuster gegeben sind."
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen 2/3 und die Beklagte 1/3.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 195 49 477 (Streitpatents), das - unter Inanspruchnahme der Prioritäten zweier US-amerikanischer Patentanmeldungen vom 28. Juli 1994 und 31. Mai 1995 - am 26. Juli 1995 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 1 und 3 folgenden Wortlaut haben:
"1. Stent, welcher als eine Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit folgenden Merkmalen:
a) eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11), welche sich in eine erste Richtung (9) erstrecken, b) eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12), welche sich in eine zweite, von der ersten verschiedene Richtung (13) erstrecken, c) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) weisen Schlaufen (14, 16, 18, 20) auf, d) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind derart verbunden, dass zumindest(ens) eine Schlaufe (14, 16) jedes ersten Mäandermusters (11) zwischen den benachbarten zweiten Mäandermustern (12) und zumindest(ens) eine Schlaufe (18, 20) jedes zweiten Mäandermusters (12) zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern (11) angeordnet ist.
3. Stent, welcher als eine Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit folgenden Merkmalen:
a) eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11), welche sich in einer ersten Richtung (9) erstrecken, b) eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12), welche sich in eine zweite, von der ersten Richtung verschiedene Richtung (13) erstrecken, c) die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind derart verbunden, dass sie eine allgemein gleichmäßige, verteilte Struktur aus Zellen (42, 44) bilden, so dass bei radialer Ausdehnung des Stents seine Gesamtlänge im Wesentlichen gleich bleibt, da einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre wachsen, während einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre schrumpfen."
Patentanspruch 2 ist auf Patentanspruch 1, die Patentansprüche 4 bis 9 sind auf die Patentansprüche 1 und 3 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen.
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 gehe über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei nicht patentfähig, weil er weder neu sei noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Gegenstand von Patentanspruch 3 sei zudem nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zwei Hilfsanträgen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, wobei sie das Klagepatent zuletzt mit einem gegenüber der erteilten Fassung der Patentansprüche abweichenden Hauptantrag sowie vier Hilfsanträgen verteidigt. Die Klägerinnen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. , ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat im zuletzt noch geltend gemachten Umfang auch Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft einen Stent. Dabei handelt es sich um ein Implantat, das in ein Blutgefäß oder ein anderes Hohlorgan des Körpers eingebracht und dort aufgeweitet (expandiert) wird, um das Hohlorgan dauerhaft offen zu halten. In der Beschreibung wird erläutert, dass der Stent typischerweise mittels eines aufblasbaren Ballonkatheters an den gewünschten Ort im Körper zugeführt und ausgedehnt werde, dass aber auch andere mechanische Vorrichtungen bekannt seien, mit denen die Ausdehnung des Stents bewirkt werden könne (Rn. 2).
Wie in der Beschreibung weiterhin ausgeführt wird, sind Stents mit ausdehnbaren röhrenförmigen Implantaten bekannt, die eine Vielzahl von parallel zur Längsachse der Röhre angeordneten Schlitzen aufweisen. Da die Implantate relativ steif seien, seien sie mit flexiblen schraubenförmigen Verbindern verbunden, so dass die Stents auch durch ein gekrümmtes Blutgefäß zum gewünschten Ort geführt werden könnten. Dabei auftretende Verdrehbewegungen der schraubenförmigen Verbinder könnten jedoch für das Blutgefäß schädlich sein. Andere bekannte Stents wiesen deshalb gerade Verbinder auf, die aber nicht die erforderliche Festigkeit hätten (Rn. 4 f.).
Nach den Angaben des Streitpatents liegt der Erfindung das Problem zugrunde, einen flexiblen Stent bereitzustellen, der während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft (Rn. 8).
Nach den Patentansprüchen 1 und 3 jeweils in der Fassung des zuletzt von den Beklagten verteidigten Hauptantrags soll dies durch einen Stent erreicht werden, dessen Merkmale sich - im Wesentlichen mit dem Patentgericht - wie folgt gliedern lassen (wobei die gegenüber der erteilten Fassung hinzugefügten Merkmale durch Unterstreichungen hervorgehoben sind):
Patentanspruch 1 Stent, der als eine Röhre ausgebildet und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist.
a Eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11) erstrecken sich in eine erste Richtung (9).
b Eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12) erstrecken sich in eine zweite, von der ersten verschiedene Richtung (13).
c Die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind aus flachem Metall ausgebildet (nicht aus Draht) und weisen Schlaufen (14, 16, 18, 20) auf.
d Die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind derart verbunden, dass d.1 zumindest eine Schlaufe (14, 16) jedes ersten Mäandermusters (11) zwischen den benachbarten zweiten Mäandermustern (12) und d.2 zumindest eine Schlaufe (18, 20) jedes zweiten Mäandermusters (12) zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern (11) angeordnet ist.
Patentanspruch 3 Stent, der als eine Röhre ausgebildet und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist.
a Eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (11) erstrecken sich in einer ersten Richtung (9).
b Eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern (12) erstrecken sich in eine zweite, von der ersten Richtung verschiedene Richtung (13).
c Die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind aus flachem Metall ausgebildet (nicht aus Draht) und sind derart verbunden, dass sie eine allgemein gleichmäßige, verteilte Struktur aus Zellen (42, 44) bilden, c.1 so dass bei radialer Ausdehnung des Stents seine Gesamtlänge im Wesentlichen gleich bleibt, c.2 da einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre wachsen, während einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre schrumpfen, d Die ersten und zweiten Mäandermuster (11, 12) sind derart verbunden, dass d.1 zumindest eine Schlaufe (14, 16) jedes ersten Mäandermusters (11) zwischen den benachbarten zweiten Mäandermustern (12) und d.2 zumindest eine Schlaufe (18, 20) jedes zweiten Mäandermusters (12) zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern (12) angeordnet ist.
Mit einem erfindungsgemäßen Mäandermuster ist, so wird dem Fachmann, der ein Ingenieur der Fachrichtung Medizintechnik ist, der sich -gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit Medizinern - mit biomedizinischer Technik und insbesondere mit der Entwicklung von Gefäßimplantaten befasst und über mehrjährige berufliche Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt (Urteil des Patentgerichts, S. 9; Sachverständigengutachten, S. 23), erläutert, ein periodisches Muster um eine Mittellinie gemeint. Bei der in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 gezeigten Ausführungsform hat beispielsweise das erste Mäandermuster 11 eine vertikale Mittellinie 9 und das zweite Mäandermuster 12 eine horizontale Mittellinie 13.
Dabei dürfen sich Schlaufen des ersten Mäandermusters nicht vollständig mit Schlaufen des zweiten Mäandermusters überdecken. Das ergibt sich daraus, dass erfindungsgemäß zwei (unterschiedliche) Mäandermuster vorgesehen sind, die sich in zwei (unterschiedliche) Richtungen erstrecken sollen. Danach ist es zwar möglich, dass Schlaufen des ersten und des zweiten Mäandermusters gemeinsame Abschnitte aufweisen, wie dies beispielsweise in Figur 2 im Grenzbereich zwischen den Schlaufen 14 und 16 des ersten Mäandermusters 11 und den Schlaufen 18 und 20 des zweiten Mäandermusters 12 verwirklicht ist. Hingegen kann - in Übereinstimmung mit dem Patentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen - eine vollständige Überdeckung von Schlaufen des ersten und zweiten Mäandermusters nicht mehr als erfindungsgemäß angesehen werden (vgl. auch Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 21. Januar 2011 - T 1967/08 Rn. 2.1, BR 26, S. 5).
Unter dem Begriff "flaches Metall" ist aus Sicht des Fachmanns im Kontext der Patentansprüche 1 und 3 ein dünnwandiges Metall zu verstehen. Im Hinblick darauf, dass es sich bei beiden Patentansprüchen um Erzeugnis- und nicht um Verfahrensansprüche handelt, kommt es auf die Herstellungsweise nicht an.
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 in der erteilten Fassung gehe nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
Entgegen der Ansicht der Klägerinnen verstehe der Fachmann die ursprüngliche Anmeldung allerdings so, dass diese sich - über die in den Ausführungsbeispielen und Patentansprüchen aufgeführten Ausgestaltungen mit geraden und ungeraden ersten Mäandermustern hinaus - auch auf Ausgestaltungen beziehe, die ausschließlich gerade oder ausschließlich ungerade erste Mäandermuster aufwiesen.
Den Klägerinnen könne auch nicht darin zugestimmt werden, dass in den ursprünglichen Unterlagen keine Stents offenbart seien, bei denen nicht nur eine, sondern auch mehrere Schlaufen des zweiten Mäandermusters zwischen benachbarten ersten Mäandermustern vorhanden sein könnten. Zwar sei in den Figuren der ursprünglichen Unterlagen durchgehend gezeigt, dass jeweils eine Schlaufe 18, 20 des zweiten Mäandermusters 12 zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern 11 angeordnet sei. Der Anmeldung sei jedoch nicht zu entnehmen, dass die Erfindung auf derartige Ausgestaltungen beschränkt sein solle.
Die Erfindung werde in Patentanspruch 3 auch so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Für diesen sei unter Heranziehung der Beschreibung und der Figuren 4, 5A und 5B ersichtlich, dass mit Zellen im Sinne des Merkmals 3C die in Figur 4 gezeigten Räume 42 und 44 gemeint seien. Als Zellenelemente seien somit die Schlaufen 14, 16 bzw. 18, 20 anzusehen. Deren Dehnung bzw. Schrumpfung werde in den Figuren 5A und 5B beschrieben. Der Fachmann erkenne daraus, dass das horizontale Schrumpfen des Musters 11 durch das horizontale Wachsen des Musters 12 zumindest teilweise kompensiert werde, so dass die Gesamtlänge des Stents im Wesentlichen gleich bleibe.
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung sei jedoch nicht patentfähig. Er werde durch das US-amerikanische Patent 4 856 516 (BR 8) vorweggenommen, aus der die nachfolgend wiedergegebene Figur 2A stammt:
Dort werde ein rohrförmiger Stent offenbart, der in ein Blutgefäß einführbar und in diesem ausdehnbar sei. Der Stent sei aus einem mäanderförmig gebogenen Draht gefertigt und weise eine Vielzahl von ersten Mäandermustern (Schlingen 50) auf, welche sich in eine erste (Umfangs-)Richtung erstreckten. Die Schlingen 50 seien durch axial verlaufende mäanderförmig gebogene Drahtstücke 54 miteinander verbunden. Diese in einer Linie hintereinander angeordneten Drahtstücke 54 bildeten insgesamt ein Rückgrat 52. Zusätzlich zu dem in den Figuren 2 und 2A gezeigten Rückgrat 52 könne noch ein weiteres aus hintereinander angeordneten mäanderförmig gebogenen Drahtstücken gebildetes Rückgrat auf der gegenüberliegenden Seite des Stents vorgesehen werden. Der Stent verfüge somit auch über eine Vielzahl von zweiten Mäandermustern, die sich in eine zweite Richtung erstreckten.
Die Schlingen 50 und die axial verlaufenden Drahtstücke 54 wiesen Schlaufen auf. Die Drahtstücke würden nicht, wie von der Beklagten behauptet, beim Herstellen des Stents geradegezogen. Der Draht werde vielmehr bei der Fertigung des Stents in einer Hülse 70 geführt, um eine Verformung der Schlaufen zu vermeiden. Die in axialer Richtung in einer Linie angeordneten mäanderförmig gebogenen Drahtstücke 54 seien untereinander und mit den jeweiligen Schlingen durch einen halben Schlag 56 des Stentdrahtes verschlungen. Die Schlingen 50 und die axialen Drahtstücke 54 bildeten dadurch eine allgemein gleichmäßige, verteilte Struktur aus Zellen. Bei radialer Ausdehnung des auf einem Ballon 16 angebrachten Stents 10 dehnten sich die Schlaufen des Stentdrahtes. Durch diese Dehnbarkeit der Schlaufen des Stentdrahtes und da der Stent während seiner Ausdehnung durch Reibungskräfte auf dem Ballon 16 gehalten werde, bleibe auch seine Gesamtlänge während der Ausdehnung im Wesentlichen gleich. Beim Dehnen der Schlaufen der in Umfangsrichtung verlaufenden Schlingen 50 schrumpften diese Schlaufen zwangsläufig in Längsrichtung des Stents, während die Schlaufen der in axialer Richtung angeordneten Drahtstücke beim Ausdehnen des auf dem Ballon 16 gehaltenen Stents zwangsläufig in Längsrichtung des Stents gedehnt würden, um die Dehnung der Schlaufen des Stentdrahtes der Schlingen 50 des Stents zu kompensieren. Wie in der Figur 2A erkennbar, befinde sich zumindest eine Schlaufe jeder der Schlingen 50 zwischen benachbarten axialen Drahtstücken 54 und zumindest eine Schlaufe jedes axialen Drahtstückes 54 zwischen benachbarten Schlingen 50. Damit seien alle Merkmale der Ansprüche 1 und 3 aus der BR 8 bekannt.
Dies gelte auch für die Patentansprüche 1 und 3 in der Fassung des Hilfsantrags I und für Patentanspruch 3 in der Fassung des Hilfsantrags II, die jeweils zusätzlich das Merkmal aufwiesen, dass während des Biegens die Schlaufen der ersten und zweiten Mäandermuster an der Biegestelle ihre Form ändern, um die Unterschiede in der Länge des Innenbogens und des Außenbogens auszugleichen. Denn der Stent 10 werde zur Implantation auf dem Ballon 16 eines Katheters befestigt und durch das Gefäßsystem eines Patienten bis zum Implantationsort geführt. Während des Transports werde der Ballon mit dem Stent in Biegungen des Gefäßsystems zwangsläufig in verschiedene Richtungen gebogen, wobei auch die Schlaufen des ersten und zweiten Mäandermusters ihre Form ändern müssten, um die Differenzen zwischen dem Innen- und dem Außenbogen des fest auf dem Ballon 16 sitzenden Stents 10 auszugleichen. Damit sei auch dieses Merkmal in der BR 8 offenbart.
III. Die Ausführungen des Patentgerichts halten der Berufung der Beklagten im zuletzt von dieser noch geltend gemachten Umfang nicht stand.
1. Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 in der zuletzt von der Beklagten im Hauptantrag verteidigten Fassung geht nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
a) Die in der zuletzt von der Beklagten verteidigten Fassung der Patentansprüche 1 und 3 erfolgte Einfügung des Merkmals, dass die ersten und zweiten Mäandermuster aus flachem Metall (nicht aus Draht) ausgebildet sein sollen, führt zu keiner Erweiterung des Gegenstands der Patentansprüche über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Darin wird vielmehr erläutert, dass der erfindungsgemäße Stent aus Flachmetall hergestellt werden könne, in welches das in Figur 2 gezeigte Muster geätzt und welches dann in die Form der Röhre gebogen werde. Alternativ könne das Muster auch aus geschweißtem oder gewundenem Draht hergestellt werden (Veröffentlichung der Anmeldung [WO 96/03092, im Folgenden: Anmeldung], S. 7, Z. 21 ff.). Aus Sicht des Fachmanns folgt daraus ohne weiteres, dass der Stent als Erzeugnis (im hergestellten Zustand) aus Flachmetall oder aus Draht bestehen kann. Eine Beschränkung auf Stents aus Flachmetall, in die das Muster eingeätzt ist, ergibt sich daraus nicht. Zudem steht es im Belieben des Fachmanns, sich für eines der beiden ausdrücklich genannten Materialien (Flachmetall) und zugleich gegen das andere (Draht) zu entscheiden.
b) Der ursprünglichen Anmeldung ist nicht zu entnehmen, dass ausschließlich Stents als zur Erfindung gehörend anzusehen sind, die gerade und ungerade Mäandermuster aufweisen, die zueinander phasenverschoben sind. Zwar sehen die Ansprüche 1 und 3 sowie die darauf rückbezogenen weiteren Ansprüche der ursprünglichen Anmeldung eine solche Anordnung vor, jedoch ergibt sich der Inhalt der Patentanmeldung aus der Gesamtheit der Unterlagen und nicht nur aus den darin enthaltenen Ansprüchen. Insoweit hat bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt, dass in der Beschreibung unter der Überschrift "Zusammenfassung der Erfindung" von der Ausbildung der ersten Mäandermuster in gerade und ungerade Mäandermuster, die außer Phase zueinander sind, lediglich im Hinblick auf "eine Ausführungsform" die Rede ist (Anmeldung, S. 2, Z. 23 ff.: "one embodiment"), während "der Stent der vorliegenden Erfindung" zuvor allgemein als Röhre mit einer gemusterten Form beschrieben wird, die in sich verschlungene erste und zweite Mäandermuster aufweist und bei der die Achsen sich in erste und zweite Richtungen erstrecken (Anmeldung, S. 2, Z. 16 ff.: "The stent of the present invention"). Auch an anderer Stelle in der Beschreibung heißt es allgemein, dass die Erfindung alle Stents umfassen solle, die mit einem Muster hergestellt seien, das aus zwei Mäandermustern ausgebildet sei, unabhängig davon, ob diese orthogonal oder andersartig seien (Anmeldung, S. 7, 31 ff.). Der nebengeordnete Patentanspruch 6 der Ursprungsanmeldung sieht - anders als Patentanspruch 1 - nicht vor, dass der Stent ungerade erste Mäandermuster aufweist, die 180€ außer Phase mit geraden ersten Mäandermustern sind. In der ursprünglichen Anmeldung findet sich im Übrigen, wie auch der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten hervorhebt (S. 24 ff.), kein Hinweis darauf, dass Stents, bei denen das erste Mäandermuster nicht aus phasenverschobenen ersten und zweiten Mustern besteht, nicht zur Erfindung gehören sollen. Dem steht die Darstellung derartiger Stents in den Figuren 1 bis 8 nicht entgegen, die lediglich beispielhaft drei erfindungsgemäße Ausführungsformen wiedergeben (Anmeldung, S. 3 f.). Auch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass nur phasenverschobene Stents von dem Problem der Längenverkürzung während der Aufdehnung betroffen seien, führen zu keinem anderen Verständnis vom Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung. Nach den Angaben in der Beschreibung ist es zwar ein Ziel der anmeldungsgegenständlichen Erfindung, einen flexiblen Stent bereitzustellen, der während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft (Anmeldung, S. 3, Z. 16 ff.). Das erlaubt jedoch nicht den Schluss, dass diese beiden Vorgaben (Flexibilität und minimale Schrumpfung in Längsrichtung bei Ausdehnung) nur bei phasenverschobenen Stents erreicht werden sollen.
Aus den vorstehenden Gründen kann auch nicht dem Gerechtshof's-Gravenhage zugestimmt werden, der - bestätigt vom Hoge Raad (Urteil vom 4. April 2014 - 12/00522 Rn. 3.2.6; ähnlich wie im Ergebnis auch der irische High Court, Urteil vom 27. Mai 2011 - 2008 No. 10436 P Rn. 13 ff.) - entschieden hat, dass die Erfindung auf phasenverschobene Stents beschränkt sei, weil nirgendwo in der ursprünglichen Anmeldung des Streitpatents ein Hinweis zu finden sei, dass auch Stents mit andersartigen Mäandermustern als zur Erfindung gehörend anzusehen seien (Gerechtshof's-Gravenhage, Urteil vom 30. Oktober 2012 - 200.059.579/01 Rn. 9.1 ff.; 10.9, 11). Vielmehr gilt umgekehrt, dass - unter Berücksichtigung der weiteren obigen Erwägungen - auch Stents mit (im vorgenannten Sinne) phasengleichen Mäandermustern zur Erfindung gehören, weil diese nirgendwo in der ursprünglichen Anmeldung von der Erfindung ausgeschlossen sind.
c) Die ursprüngliche Anmeldung enthält auch keinen Anhalt dafür, dass allein Stents als erfindungsrelevant anzusehen sind, bei denen jeweils eine Schlaufe des zweiten Mäandermusters zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern angeordnet ist. Zwar sind die in den Figuren der ursprünglichen Anmeldung gezeigten Stents derart ausgestaltet und hat zudem der gerichtliche Sachverständige ausgeführt, dass es wenig Sinn ergebe, mehr als eine Schlaufe des zweiten Mäandermusters zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern anzuordnen. Dies lässt aber - wie auch das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat - noch nicht den Schluss zu, dass die in der Anmeldung offenbarte Erfindung auf eine solche Ausgestaltung beschränkt sein soll.
2. Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 in der zuletzt von der Beklagten im Hauptantrag verteidigten Fassung ist auch patentfähig.
a) Er wird von keiner der vorgelegten Entgegenhaltungen vorweggenommen.
(1) Die BR 8 offenbart einen länglichen, zylindrischen und expandierbaren Stent, der aus einem mäanderförmig gebogenen Draht gefertigt ist. Der Stent verfügt über sich in eine erste Richtung erstreckende erste Mäandermuster in Gestalt der Schlingen 50 und über sich in eine (von der ersten verschiedene) zweite Richtung erstreckende zweite Mäandermuster in Gestalt eines axialen Rückgrates 52/54 (BR 8, Sp. 3, Z. 31 ff.; Ansprüche 1 und 6; Figur 2A). In der BR 8 wird zudem vorgeschlagen, dem Stent als zweite Stützanordnung einen einzelnen gewundenen Draht ("convoluted wire") gegenüberliegend dem axialen Rückgrat hinzuzufügen (BR 8, Sp. 4, Z. 17 ff.), so dass der Stent dann auch insoweit über ein sich in eine zweite Richtung erstreckendes Mäandermuster verfügt. Die ersten und zweiten Mäandermuster weisen Schlaufen auf. Dem Offenbarungsgehalt der BR 8 ist entgegen den Ausführungen des Privatgutachters der Beklagten (KW 9, Bildunterschrift zu Figur 3) nicht zu entnehmen, dass die sich axial erstreckenden, Rückgrate bildenden Drahtteile bzw. der hinzugefügte zweite Draht beim Montagevorgang völlig gerade gezogen werden, so dass keine Mäandermuster bzw. Schlaufen mehr bestehen, wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat (Gutachten, S. 39 f.). Vielmehr sollen die Drähte nach den ausdrücklichen Angaben in der BR 8 gewunden ("convoluted") sein (Sp. 4, Z. 17 ff.; Anspruch 6), sich bei der Herstellung nicht ungebührlich verformen (Sp. 3, Z. 62 ff.: "without unduly deforming the wire") und werden auch in den Zeichnungen der Entgegenhaltung in gewundenem Zustand gezeigt (Figuren 2 und 2A). Die axial angeordneten mäanderförmig gebogenen Drahtteile 52/54 bzw. der zweite Draht die mäanderförmig gebogenen Schlingen 50 sind jeweils durch einen halben Schlag ("half hitch") 56 des axialen Drahtes 52/54 miteinander verbunden. Ob dies dazu führt, dass eine allgemein gleichmäßige, verteilte Struktur aus Zellen gebildet wird, so dass - wie in Merkmal c des Patentanspruchs 3 vorgesehen - bei radialer Ausdehnung des Stents seine Gesamtlänge im Wesentlichen gleich bleibt, da einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre wachsen, während einige Zellenelemente des Stents in der Längsrichtung der Röhre schrumpfen, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls steht einer Vorwegnahme des Gegenstands der Patentansprüche 1 und 3 in der Fassung des zuletzt von der Beklagten gestellten Hauptantrags entgegen, dass die in der BR 8 offenbarten ersten und zweiten Mäandermuster nicht aus flachem Metall, sondern aus Draht ausgebildet sind.
(2) Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 geht auch nicht aus der europäischen Patentanmeldung 0 540 290 (BR 5) hervor. Die in dieser Entgegenhaltung in den Figuren 5 und 11 gezeigten Stents weisen keine sich in eine zweite Richtung, die unterschiedlich zur Richtung der durch die Schlaufen 12 gebildeten (ersten) Mäanderstruktur ist, erstreckenden zweiten Mäandermuster auf. Diese können nicht in den geraden Verbindungsstücken 13 gesehen werden. Selbst wenn dies anders bewertet würde, fehlte es an einer einzelnen Schlaufe des zweiten Mäandermusters, die zwischen jedem der benachbarten ersten Mäandermuster angeordnet sein soll. Denn diese einzelne Schlaufe darf nicht, auch nicht teilweise, dem zweiten Mäandermuster zugehörig sein, wie das Patentgericht bereits überzeugend ausgeführt hat. Entsprechend fehlt es auch an einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme durch die internationale Patentanmeldung WO 95/26695 (BR 7).
(3) Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 war weiterhin nicht der internationalen Patentanmeldung WO 95/31945 (BR 6) zu entnehmen. Der dort offenbarte Stent weist zwar in axialer Richtung ein Mäandermuster auf. In Umfangsrichtung ist er jedoch statt eines Mäandermusters mit einem Muster aus geschlossenen Schlaufen ausgestattet, so dass es insoweit an einem zweiten Mäandermuster fehlt.
b) Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 3 in der zuletzt von der Beklagten verteidigten Fassung hat sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus einer Kombination der BR 8 mit dem US-amerikanischen Patent 4 733 665 (KW 1) oder der BR 5 ergeben.
Wie bereits erläutert, bezieht sich die BR 8 auf einen länglichen, zylindrischen und expandierbaren Stent, der aus einem mäanderförmig gebogenen Draht gefertigt ist. Gegenstand der in der BR 8 offenbarten Erfindung ist zum einen die besondere Art der Herstellung eines zylindrischen Stents durch Wickeln eines langgestreckten Drahtes in einen Aufeinanderfolge um einen zylindrischen Montagedorn zur Bildung einer Reihe von Schlingenabschnitten (vgl. Sp. 5, 3, Z. 49 ff.; Figur 3; Anspruch 7). Gegenstand der in der BR 8 offenbarten Erfindung ist zum anderen ein fertig hergestellter Stent, der aus einem langgestreckten Draht gebildet sein soll, der zur Bildung einer eine Aufeinanderfolge von in relativ engem Abstand liegenden Windungen oder Biegungen auch in Form einer Mehrzahl von Schlingen gebogen ist, die im Abstand entlang der axialen Dimension des Stents angeordnet und durch eine Reihe von Halbschlag-Verbindungen miteinander verbunden sind (vgl. Sp. 5, Z. 14 ff.; Figuren 2 und 2A; Anspruch 1). Vor dem Hintergrund dieses Offenbarungsgehalts hatte der Fachmann keine Veranlassung, über ein anderes Material als Draht zur Herstellung des in der BR 8 offenbarten Stents nachzudenken, auch wenn ihm aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zum Prioritätszeitpunkt durchaus, etwa aus der KW 1 oder aus der BR 5 (vgl. BR 5, Sp. 3, Z. 28 ff.; Sp. 6, Z. 50 ff.; Ansprüche 5, 11 und 15), allgemein bekannt war, dass Stents nicht nur aus Draht, sondern auch aus flachem Metall hergestellt werden können.
Ging der Fachmann demgegenüber zunächst von der BR 5 aus, ist nicht ersichtlich, dass ihn der in der BR 8 offenbarte Stent aus Draht dazu hätte veranlassen können, die Verbindungselemente 13 des dort in Figur 11 gezeigten Stents als zweites Mäandermuster auszugestalten. Zudem fehlt es an einer Anregung, bei dem in Figur 11 gezeigten Stent einzelne Schlaufen zwischen den benachbarten ersten Mäandermustern 12 vorzusehen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit §§ 91, 92, 97 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 21.01.2011 - 4 Ni 42/09 -
BGH:
Urteil v. 29.04.2014
Az: X ZR 20/11
Link zum Urteil:
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