Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 11. Februar 2005
Aktenzeichen: 1 ARs 293/04 P, 1 ARs 293/04

(OLG Celle: Beschluss v. 11.02.2005, Az.: 1 ARs 293/04 P, 1 ARs 293/04)

Zur Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 RVG

Tenor

Dem Antragsteller wird über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden gesetzlichen Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschvergütung in Höhe von

528,- €

bewilligt.

Hinzu treten Auslagen und Mehrwertsteuer, die gesondert zu erstatten sind.

Gründe

1. Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens war eine gegen drei Jugendliche gerichtete Anklage vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) wegen des Vorwurfs des Mordes in zwei Fällen bzw. der Nichtanzeige geplanter Straftaten. Die über drei Verhandlungstage sich erstreckende Hauptverhandlung fand ein starkes Öffentlichkeits- und Medieninteresse. Der auswärtige Verteidiger eines der wegen § 138 Abs. 1 Nr. 6 StGB zu einer Jugendstrafe verurteilten Angeklagten beantragt eine Pauschvergütung.

2. Die Festsetzung der Pauschvergütung für den Antragsteller bemisst sich nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Die Beiordnung des Verteidigers erfolgte am 3. August 2004 und somit nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Juli 2004. Dass der Verteidiger bereits vor dem 1. Juli 2004 in diesem Verfahren als Wahlverteidiger tätig geworden war, steht der Anwendung der Vorschriften des RVG für die gesamte Tätigkeit des Verteidigers nicht entgegen. § 60 Abs. 1 RVG gilt nämlich nicht, wenn der Verteidiger bereits im Vorverfahren tätig war, er aber nach dem Inkrafttreten des RVG gerichtlich beigeordnet wurde. Denn in einem solchen Fall endet der vom Mandanten erteilte Auftrag und es wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Verteidigung des Angeklagten begründet. Nach § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG erfasst die hiernach begründete Bestellung auch die im Vorverfahren bereits erbrachten Leistungen.

Die Vergütung erfolgt hiernach für das gesamte Verfahren nach dem seit dem 1. Juli 2004 geltenden Recht (vgl. nur OLG Schleswig vom 30.11.2004, 1 Ws 423/04; OLG Celle vom 13.12.2004, 2 Ws 314/04; BT-Drucks. 15/1971, S. 203 zu § 60; Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 60 RVG Rn. 18).

3. Dem Antragsteller war über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehenden Gebühren für die Verteidigung des Angeklagten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschvergütung zu bewilligen, weil die Strafsache in diesem Sinne besonders umfangreich und schwierig war.

a) Der Senat hat bisher auf Grundlage der bis zum 1. Juli 2004 geltenden Rechtslage seinen Entscheidungen nach § 99 BRAGO seine veröffentlichten Grundsätze für die Bewilligung von Pauschvergütungen zugrunde gelegt (vgl. StraFo 1995, 28). Diese Grundsätze haben mit Inkrafttreten des RVG für die hiernach zu beurteilenden Fälle insoweit ihre Gültigkeit verloren, als einige der bisher für die Bewilligung einer Pauschvergütung heranzuziehenden Umstände nunmehr bereits nach dem Vergütungsverzeichnis abgegolten werden und für eine Pauschvergütung regelmäßig nicht mehr herangezogen werden können (vgl. die Terminsgebühr nach Nr. 4102 VV für die Teilnahme an richterlichen Vernehmungen oder Haftprüfungsterminen oder die nach Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122 und 4123 VV erhöhte Verfahrensgebühr für die Teilnahme an längeren Hauptverhandlungsterminen). Den Grundsätzen ist aber auch insofern die Grundlage entzogen, als die vom Senat hierbei herangezogenen Gebührensätze sich nach bisher geltendem Gebührenrecht gerichtet haben und somit für eine Pauschvergütung nach dem RVG ebenfalls nicht mehr herangezogen werden können. Verbindliche Grundsätze des Senats für das Bewilligen von Pauschvergütungen nach Maßgabe des RVG liegen (noch) nicht vor.

b) Für das vorliegende Verfahren gilt:

aa) Das Verfahren war besonders umfangreich oder schwierig im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend gemacht hat hinsichtlich:

€ der wiederholten und nicht einfachen Vorbesprechungen mit seinem jugendlichen Mandanten sowie mit den Verteidigern der Mitangeklagten;

€ des kurzfristig notwendig gewordenen Umarbeitens der bereits vorbereiteten schriftlichen Einlassung des Mandanten zur Nachtzeit, wobei der Senat diesem Umstand ein besonderes Gewicht beimisst;

€ des gesteigerten Medieninteresses und der hierdurch bedingten Teilnahme an den vom Landgericht begleiteten Pressekonferenzen.

bb) Weder besonderer Umfang noch besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG lagen hingegen vor, soweit der Antragsteller einen Mehraufwand geltend gemacht hat für:

€ das Einarbeiten in die Ermittlungsakten. Die Akten hatten zu Beginn der Hauptverhandlung einen Umfang von knapp sieben Bänden. Dies bedeutet für ein vor der großen Strafkammer (Jugendkammer) zu verhandelndes Verfahren keinen besonderen Umfang;

€ die Prüfung, ob hinsichtlich des Haupttäters Mordmerkmale vorlagen. Dies ist regelmäßig Gegenstand eines Schwurgerichtsverfahrens, für das nach dem Vergütungsverzeichnis auch höhere Verfahrens- und Terminsgebühren in Ansatz gebracht werden;

€ die eingehende Prüfung der subjektiven Tatseite. Auch dies ist regelmäßig Gegenstand eines Schwurgerichtsverfahrens. Entsprechendes gilt für das Einarbeiten in das psychiatrische Sachverständigengutachten, was in Verhandlungen vor der großen Strafkammer keine besondere Schwierigkeit im Sinne von § 51 RVG begründet. Hierbei ist grundsätzlich unerheblich, ob das Gutachten für einen Haupttäter oder für einen dem Antragsteller beigeordneten Teilnehmer an der Haupttat erstattet wurde;

€ das Einarbeiten in den Bericht der Jugendgerichtshilfe, selbst wenn dieser nur wenige Tage vor der Hauptverhandlung erst vorgelegt wurde;

€ das Gewähren von Interviews außerhalb der vom Landgericht begleiteten Pressekonferenzen;

€ die Entfernung zwischen Kanzlei- und Gerichtsort und die hiermit verbundenen Fahrtzeiten. Derartige Reisezeiten wirken sich nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 11.12.2000, 3 ARs 147/99 P, und vom 2.2.2005, 1 ARs 9/05 P; vgl. auch BayObLG MDR 1987, 870; OLG Bamberg JurBüro 1987, 1687; Hartmann, 34. Aufl., § 51 RVG Rn. 7) nicht auf die Pauschvergütung aus und können nur über die Auslagen in Ansatz gebracht werden. Der Senat sieht keinen Anlass, nach Inkrafttreten des RVG diese Rechtsprechung in Frage zu stellen.

cc) Der Senat hat hiernach hinsichtlich der vorliegend unter 3. b) aa) dem Grunde nach bejahten Erhöhungstatbestände jeweils eine zusätzliche Gebühr in Höhe einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV in Höhe von 132,- Euro in Ansatz gebracht. Bei dieser Gebühr handelt es sich nach der Überschrift im Vergütungsverzeichnis um eine 'allgemeine Gebühr' des gerichtlich bestellten oder beigeordneten Verteidigers in Strafsachen. Nach Auffassung des Senats liegt es nahe, diese allgemeine Gebühr auch für die Bewilligung von Pauschvergütungen beigeordneter Verteidiger entsprechend heranzuziehen. Soweit diese Gebühr in Höhe von 132,- Euro nicht ausreichend erscheint, einem dem Grunde nach vorliegenden Erhöhungstatbestand angemessen Rechnung zu tragen, steht die Möglichkeit offen, diese Gebühr insoweit in zwei- oder dreifacher Höhe in Ansatz zu bringen. Der Senat hat hier im Hinblick auf den besonderen Aufwand wegen der kurzfristig notwendig gewordenen Überarbeitung der Einlassung des Mandanten zur Nachtzeit die maßgebliche Gebühr insoweit in doppelter Höhe zugrunde gelegt. Hieraus errechnet sich eine über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinaus gehende Pauschgebühr in Höhe von insgesamt 528,- Euro, die der Senat im Hinblick auf den Wortlaut von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG unabhängig von den gesetzlichen Gebühren und Auslagen der Höhe nach isoliert festsetzt. Hinzu tritt die gesetzliche Mehrwertsteuer.






OLG Celle:
Beschluss v. 11.02.2005
Az: 1 ARs 293/04 P, 1 ARs 293/04


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