Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 24. November 2011
Aktenzeichen: 16 K 313.10

(VG Berlin: Urteil v. 24.11.2011, Az.: 16 K 313.10)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein Wirtschaftsprüfer, wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten, ihr bestimmte Arbeitspapiere vorzulegen.

Der Kläger prüfte die Jahresabschlüsse einer im Musikinstrumentenhandel tätigen GmbH & Co. KG für die Geschäftsjahre 2003 und 2004. Die Gesellschaft hatte in diesen Jahren in großem Stil v.a. Klaviere und Flügel über Zwischenhändler veräußert und von den Käufern wieder zurückgeleast, wobei die Instrumente stets im Besitz der Gesellschaft verblieben. Dabei kam es jedoch in erheblichem Umfang zu Scheinveräußerungen nicht existierender Instrumente, wegen derer der Geschäftsführer der Gesellschaft schließlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Betruges verurteilt wurde.

Nachdem die Beklagte von diesen Umständen sowie von dem Prüfbericht für das Geschäftsjahr 2004 Kenntnis erhalten hatte, nach dem ein Schwerpunkt der Prüfung u.a. die Vollständigkeit und die Bewertung von Anlagevermögen und Vorräten der Gesellschaft gewesen war, welche im Wesentlichen aus € tatsächlich nicht vorhandenen € Klavieren und Flügeln bestanden hatten, teilte sie dem Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 2009 mit, dass er möglicherweise gegen seine Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung verstoßen habe, weil die Unregelmäßigkeiten im Rahmen der durch ihn durchgeführten Abschlussprüfung nicht aufgedeckt worden seien. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass in diesem Fall berufsrechtliche Schritte zu prüfen seien, und ihm wurde insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger wurde weiter darauf hingewiesen, dass er keine Angaben zur Sache machen müsse, soweit er sich hierdurch selbst belasten oder seine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit verletzen würde.

Mit Schreiben vom 26. März 2010 äußerte der Kläger sich zunächst zum Sachverhalt, machte jedoch, nachdem ihn die Beklagte um Aufklärung der sich aus ihrer Sicht daraus ergebenden Widersprüche gebeten hatte, mit Schreiben vom 09. Juli 2010 von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch.

Mit Schreiben vom 30. August 2010 forderte die Beklagte den Kläger daraufhin auf, bis zum 21. September 2010 seine Arbeitspapiere über die Prüfung des Geschäftsjahres 2004 der Gesellschaft vorzulegen.

Mit Schreiben vom 21. September 2010 legte der Kläger Widerspruch gegen diese Aufforderung ein. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, dass eine Verpflichtung zur Vorlage seiner Arbeitspapiere gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoße, weil er damit Informationen preisgeben müsse, die ihn im berufsaufsichtlichen Verfahren belasten könnten, so dass sein Auskunftsverweigerungsrecht, auf das er sich ausdrücklich berufen habe, umgangen würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2010, zugestellt am 25. Oktober 2010, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie an, dass bei der Gefahr der Selbstbelastung lediglich ein Recht zur Verweigerung von Auskünften bestehe. Die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen bleibe von diesem Grundsatz nach der ausdrücklichen Regelung der Wirtschaftsprüferordnung (WPO) hingegen unberührt, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergebe. Der Einwand, dass die betreffende Vorschrift verfassungswidrig sei, stehe im Widerspruch zu dieser Auffassung des Gesetzgebers.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 22. November 2010 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage, zu deren Begründung er zunächst auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren verweist.

Ergänzend führt er aus, dass die Vorlage der Arbeitspapiere im Ergebnis zu einer Auskunftspflicht führe, weil kein qualitativer Unterschied zwischen der Überreichung von Unterlagen und einer Auskunft über ihren Inhalt bestehe. Diese Verpflichtung verstoße aber gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Verbots der Selbstbelastung, der allein aufgrund der anderslautenden Gesetzesbegründung nicht als gerechtfertigt angesehen werden könne.

Die uneingeschränkte Vorlagepflicht könne auch nicht durch das Erfordernis der zukünftigen Vermeidung möglicher Berufspflichtverletzungen gerechtfertigt werden. Der Beklagten stünde ein milderes Mittel zur Verfügung, um ihn von zukünftigen Pflichtprüfungen auszuschließen, wenn er seine Arbeitspapiere nicht vorlege. Denn in diesem Fall sei sie berechtigt, die Erteilung der für die Durchführung der Pflichtprüfung erforderlichen Bescheinigung über die Teilnahme am System der Qualitätskontrolle zu verweigern. Die Vorlagepflicht diene demnach nur der nachträglichen Sanktionierung von Berufspflichtverletzungen, zu der er jedoch nach dem Grundsatz des Verbots der Selbstbelastung nicht aktiv - und daher weder durch eine Aussage noch durch eine Vorlage von Unterlagen - beitragen müsse.

Die Regelung verstoße außerdem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil eine vergleichbare Regelung im Berufsrecht der Steuerberater und Rechtsanwälte unbekannt sei und kein sachlicher Grund bestehe, zwischen diesen freien Berufen und dem Beruf des Wirtschaftsprüfers zu differenzieren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Wirtschaftsprüferkammer vom 30. August 2010 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und verteidigt die angefochtenen Bescheide.

Ergänzend führt sie aus, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Verpflichtung des Klägers zur Vorlage der angeforderten Arbeitspapiere bestünden.

Zwar umfasse das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch den Schutz vor einem Zwang zur aktiven Selbstbezichtigung. Nicht verweigert werden dürfe hingegen die Vorlage von Beweismaterial, das, wie vorliegend die Arbeitspapiere des Klägers, unabhängig vom Willen des Betroffenen bereits vorhanden und auch nicht durch Zwang gewonnen worden sei. Denn in diesem Fall trete die Pflicht zur Vorlage nur an die Stelle der passiven Duldung der Einsichtnahme in die Papiere. Ihr komme daher auch im vorliegenden Fall keine eigene Bedeutung zu, weil sie, die Beklagte, berechtigt sei, die Praxisräume des Klägers aufzusuchen und dort Einsicht in die Arbeitspapiere zu nehmen, so dass sie durch zulässige Ermittlungsmaßnahmen auch ohne oder gegen den Willen des Klägers an den Inhalt der Unterlagen gelangen könne.

Abgesehen davon finde der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes seine Grenzen dort, wo das öffentliche Aufklärungsinteresse entgegenstünde und die Beschränkungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrten. So aber verhalte es sich hier, denn die uneingeschränkte Vorlagepflicht sei ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Gewährleistung einer effektiven Berufsaufsicht für den Fall, dass konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Berufspflichten vorlägen.

Insbesondere stelle die Verweigerung der Erteilung der Teilnahmebescheinigung am System der Qualitätskontrolle kein gleich geeignetes milderes Mittel zur Erreichung des genannten Ziels dar. Denn das Qualitätskontrollverfahren diene nicht der Aufdeckung und Sanktionierung einzelner Verstöße gegen Berufspflichten in der Vergangenheit, sondern der Feststellung, ob zukünftig mit hinreichender Sicherheit eine ordnungsgemäße Abwicklung von Prüfungsaufträgen gewährleistet werden könne. Allerdings würden im Rahmen der Qualitätskontrolle auch Auftragsprüfungen durchgeführt und dabei auch bereits bekannt gewordene Anhaltspunkte für konkrete Prüfungsfehler berücksichtigt, die auf mögliche Mängel im Qualitätssicherungssystem hindeuten könnten. Die Qualitätskontrolle finde aber grundsätzlich nur alle 6 Jahre statt. Dieser lange Turnus verhindere es häufig, dass sich aus wesentlichen Prüfungsfehlern, die zudem eine €Systemrelevanz" haben müssten, zeitnah Konsequenzen für die Teilnahmebescheinigung ergäben. Zudem müssten solche Anhaltspunkte für konkrete Prüfungsfehler erst einmal bekannt werden. Geschehe dies - wie vorliegend - erst nach längerer Zeit, seien schon allein deshalb kaum Rückschlüsse auf die Angemessenheit und Wirksamkeit des aktuellen Qualitätssicherungssystems möglich, so dass die Teilnahmebescheinigung daher nicht versagt werden könne.

Die Vorlagepflicht sei auch angemessen. Der Wirtschaftsprüfer, der Abschlussprüfungen vornehme, bedürfe in besonderem Maße einer effektiven Berufsaufsicht, weil er seine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrnehme. Insbesondere Investoren und Kapitalgeber vertrauten auf die Richtigkeit der geprüften Jahresabschlüsse und gründeten hierauf ihre Investitionsentscheidungen, so dass nicht nur das Verhältnis vom Wirtschaftsprüfer zum geprüften Unternehmen, sondern auch das zu Dritten betroffen sei.

Aus diesem Grund liege auch kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, weil die Berufsgruppe der Wirtschaftsprüfer insoweit nicht mit der der Steuerberater und Rechtsanwälte vergleichbar sei, die vorrangig im Interesse ihrer Mandanten tätig würden, sondern mit der der Notare, die im Rahmen der Berufsaufsicht ebenfalls uneingeschränkt zur Vorlage ihrer Unterlagen verpflichtet seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten (ein Band) verwiesen, die vorgelegen haben und, soweit erheblich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, weil es sich bei der angefochtenen Aufforderung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO handelt. Der Bescheid konkretisiert die allgemeine Verpflichtung des § 62 Abs. 1 S. 2 WPO in Bezug auf den Kläger und stellt daher eine auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen hin gerichtete Einzelfallregelung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG dar, die nach § 62a WPO durch Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden kann (vgl. auch Krauß in: Hense/Ulrich, Kommentar zum Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer - Wirtschaftsprüferordnung, 1. Auflage 2008, § 62, Rn. 77).

Die Klage ist aber unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 30. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20. Oktober 2010 nicht rechtswidrig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S.1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Bescheid, mit dem die Beklagte den Kläger zur Vorlage seiner Arbeitspapiere über die Prüfung des Lageberichtes und des Jahresabschlusses der im Musikinstrumentenhandel tätigen GmbH & Co. KG für das Geschäftsjahr 2004 aufforderte, ist § 62 Abs. 1 S. 2 WPO. Danach haben Mitglieder der Beklagten in Aufsichtssachen ihre Handakten oder sonstige Unterlagen, die für das Aufsichtsverfahren von Bedeutung sein können, vorzulegen. Einzige Voraussetzung ist mithin die Durchführung eines Berufsaufsichtsverfahrens, das die nach § 61a S. 1 WPO zuständige Beklagte vorliegend eingeleitet hat, weil unstreitig konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß des Klägers gegen Berufspflichten i.S.d. § 61a S. 2 WPO vorlagen.

Der so begründeten Verpflichtung zur Vorlage der für das Aufsichtsverfahren bedeutsamen Arbeitspapiere steht kein Verweigerungsrecht des Klägers entgegen.

Nach dem Normengefüge des § 62 WPO wird bei der Gewährung eines Verweigerungsrechts in mehrfacher Hinsicht differenziert.

Nach § 62 Abs. 2 S. 1 WPO können zunächst Auskunft und Vorlage von Unterlagen verweigert werden, wenn und soweit dadurch die Pflicht des Mitgliedes der Beklagten zur Verschwiegenheit verletzt würde, während nach § 62 Abs. 2 S. 2 WPO die Auskunft verweigert werden kann, wenn und soweit sich dadurch für das Kammermitglied die Gefahr ergäbe, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden, und sich das Mitglied hierauf beruft. Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser Regelungen, die einerseits ein Verweigerungsrecht ausdrücklich sowohl für Auskünfte als auch für die Vorlage von Unterlagen begründen, andererseits ein solches (nur) für die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften vorsehen, ergibt sich, dass der Gesetzgeber (vgl. auch die von der Beklagten zitierte Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/2858, S. 35) ein Recht zur Verweigerung der Vorlage von Unterlagen nur für die Möglichkeit eines Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht, nicht aber für die Möglichkeit einer etwaigen Selbstbelastung begründen wollte.

Nach § 62 Abs. 3 S. 1 WPO können die richtige und vollständige Auskunft und Vorlage von Unterlagen allerdings nicht von denjenigen persönlichen Mitgliedern der Beklagten verweigert werden, die zur Durchführung gesetzlich vorgeschriebener Abschlussprüfungen befugt sind oder solche ohne diese Befugnis tatsächlich durchführen, wenn die Auskunft und die Vorlage von Unterlagen im Zusammenhang mit der Prüfung eines der gesetzlichen Pflicht zur Abschlussprüfung unterliegenden Unternehmens stehen; nach § 62 Abs. 3 S. 2 WPO gilt § 62 Abs. 2 S. 2 WPO entsprechend. Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser Regelungen ergibt sich wiederum, dass sich der Ausschluss des Verweigerungsrechtes in § 62 Abs. 3 S. 1 WPO, der sich ausdrücklich auf €Auskunft und Vorlage von Unterlagen€ erstreckt, die aber nach dem o.g. nur bei der Gefahr einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht verweigert werden dürfen, nur auf diesen Fall des Verweigerungsrechtes bezieht, während § 62 Abs. 2 S. 2 WPO, der nach dem o.g. nur ein Recht zur Auskunftsverweigerung, nicht aber zur Verweigerung der Vorlage von Unterlagen beinhaltet, nach § 62 Abs. 3 S. 2 auch in dem in § 62 Abs. 3 S. 1 WPO geregelten Fall ausdrücklich unberührt bleibt.

Der Kläger, auf den vorliegend § 62 Abs. 3 WPO Anwendung findet, weil die Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitspapiere im Zusammenhang mit der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes einer mittelgroßen Personenhandelsgesellschaft i.S.d. § 267 Abs. 2 HGB i.V.m. § 264a Abs. 1 HGB steht, die nach § 316 Abs. 1 S. 1 HGB abschlussprüfungspflichtig ist, kann mithin gem. § 62 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 2 WPO nur Auskünfte, nicht aber die Vorlage der von der Beklagten angeforderten Arbeitspapiere verweigern.

Diese einfachgesetzliche Regelung ist auch mit übergeordnetem Recht vereinbar.

Nach allgemeiner Ansicht wird zwar aus dem Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entspringenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Grundsatz hergeleitet, dass niemand gezwungen werden darf, aktiv die Voraussetzung für die eigene Bestrafung zu liefern (€nemo tenetur se ipsum accusare€; BVerfG, Beschluss vom 27. April 2010, 2 BvL 13/07, Rn. 2, m.w.N., zit. n. Juris; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009, 2 BvL 19/08, Rn. 74f., m.w.N., zit. n. Juris). Eine Pflicht zur Vorlage von Unterlagen betrifft aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Kernbereich dieser grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit. Vielmehr ist der Gesetzgeber nach dieser Rechtsprechung bei solchen bloßen Mitwirkungspflichten befugt, das staatliche Interesse an der Ermittlung der materiellen Wahrheit einerseits und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen andererseits gegeneinander abzuwägen, so dass eine unbeschränkte Pflicht zur Herausgabe von Unterlagen zum Schutz von Gemeinwohlbelangen, insbesondere zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann (BVerfG, a.a.O., mw.N.). Eine ähnliche Unterscheidung ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 6 EMRK angelegt (Urteil vom 11. Juli 2006, 54810/00, m.w.N., zit. n. Juris, Rn. 111ff.).

Die nach § 62 Abs. 3 WPO nicht durch ein Verweigerungsrecht eingeschränkte Verpflichtung zur Übergabe der Arbeitspapiere nach § 62 Abs. 1 S. 2 WPO stellt zur Überzeugung der Kammer ein geeignetes, erforderliches und angemessenes und daher mit dem Nemo-Tenetur-Grundsatz zu vereinbarendes Mittel zur Gewährleistung einer wirksamen Kontrolle der Berufspflichten nach § 43 WPO dar.

Insbesondere ist ein milderes Mittel zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle der Einhaltung der dem Wirtschaftsprüfer obliegenden Berufspflichten angesichts der sich sonst eröffnenden Möglichkeit ihrer sanktionslosen Umgehung nicht erkennbar, da ansonsten nur noch derjenige Wirtschaftsprüfer überhaupt zu einer Vorlage seiner Arbeitspapiere verpflichtet wäre, der seinen Berufspflichten in jeder Hinsicht nachkommt, womit aber die Vorlagepflicht sinnlos würde (vgl. zur Pflicht nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 FPersG BVerfG, Beschluss vom 07. September 1984, 2 BvR 159/84, VkBl 1985, 303; vorangehend BVerwG, Urteil vom 09. August 1983, 1 C 7/82, zit. n. Juris, Rn. 12; zur Pflicht nach § 31a Abs. 1 S. 1 BSchVG vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1980, 2 BvR 1172/79 und 2 BvR 1238/79, zit. n. Juris, Rn. 18; zur Pflicht nach § 17 Abs. 4 S. 2 ArbZG vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Juni 2006, 6 S 517/06, Rn. 10, zit. n. Juris). Der Kläger, der meint, dass die Beklagte einem zukünftigen Pflichtverstoß auf gleich wirksame, aber weniger belastende Weise durch die Verweigerung der für die Durchführung der Abschlussprüfung erforderlichen Bescheinigung über die Teilnahme an der Qualitätskontrolle nach § 57a Abs. 6 S. 7 WPO begegnen könne, übersieht, dass die Pflicht zur Vorlage der Unterlagen vorrangig der Aufklärung und Ahndung eines Berufspflichtverstoßes in der Vergangenheit und damit nur mittelbar der Prävention von Berufspflichtverstößen in der Zukunft dient. Im Übrigen wäre das vom Kläger ins Auge gefasste Mittel nach den überzeugenden Ausführungen der Beklagten, die sich das Gericht ausdrücklich zu eigen macht, auch zur Gewährleistung dieses Zweckes nicht gleich geeignet.

Die Verpflichtung zur Übergabe der Arbeitspapiere nach § 62 Abs. 1 S. 2 WPO ist auch angemessen, weil der Kläger dabei nur mittelbar, nicht aber unmittelbar zur aktiven Mitwirkung an ihm gegenüber ergehenden Maßnahmen der Berufsaufsicht verpflichtet ist. Der Verwaltung sollen aber nach dem oben Gesagten im Interesse der notwendigen Überwachungseffektivität nicht alle Erkenntnismöglichkeiten genommen werden, bei denen der Betroffene in irgendeiner Weise mitwirken muss (BVerwG, Urteil vom 09.08.1983, a.a.O.). In einer Situation, in der es - wie vorliegend - um bereits in Unterlagen fixierte Tatsachen geht, ist der zu deren Übersendung Verpflichtete jedoch nicht im gleichen Maße schutzwürdig wie ein zu einer persönlichen Aussage Verpflichteter, der sich bei der Entscheidung zwischen einer selbstbelastenden und einer falschen Aussage einem inneren Konflikt ausgesetzt sieht, der durch ein Aussageverweigerungsrecht vermieden werden soll (vgl. zur Pflicht nach § 40 Abs. 3 KrWAbfG OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 09. Juli 2003, 3 M 59/03, Rn. 19, zit. n. Juris).

Die Verpflichtung zur Übersendung der Arbeitspapiere ist außerdem auch deshalb angemessen, weil sie als ihrerseits milderes Mittel lediglich an die Stelle der nach § 62 Abs. 4 S. 2 WPO bestehenden Verpflichtung des Wirtschaftsprüfers zur Duldung der Einsichtnahme der Beklagten in die Arbeitspapiere in seinen Geschäftsräumen nach § 62 Abs. 4 S. 1 WPO tritt (vgl. insoweit neben BVerfG, Beschluss vom 07. September 1984, a.a.O., auch BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1997, 7 C 47/95, zitiert n. Juris, Rn. 15: mit der dort streitigen automatischen Übermittlung kontinuierlich zu messender und aufzuzeichnender Emissionsdaten im Wege der Fernübertragung an die Überwachungsbehörde sei keine verfassungswidrige Pflicht zur Selbstbelastung verbunden, weil sie das Recht des Anlagenbetreibers aus § 52 Abs. 5 BImSchG, die Auskunft auf bestimmte Fragen zu verweigern, nicht berühre, sondern lediglich die diesem gemäß § 52 Abs. 2 BImSchG obliegende Pflicht vorwegnehme, die Ermittlung von Emissionen durch die Behörde zu dulden).

Die uneingeschränkte Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitspapiere nach § 62 Abs. 1 S. 2 WPO ist schließlich auch deshalb angemessen, weil die so gewonnenen Erkenntnisse nach § 62 Abs. 5 WPO nur in einem Berufsaufsichtsverfahren gegen den Wirtschaftsprüfer verwendet werden dürfen und ansonsten - beispielsweise in einem parallel geführten Strafverfahren - ein Verwertungsverbot besteht (vgl. zur Zulässigkeit einer zwangsweisen Selbstbezichtigung für den Fall eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes BVerfG, Beschluss vom 31. März 2008, 2 BvR 467/08, Rn. 3, m.w.N., zit. n. Juris; den Nemo-Tenetur-Grundsatz sogar nur auf das straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren, nicht aber auf den Bereich des Gefahrenabwehrrechtes erstreckend VGH München, Beschluss vom 14. November 2002, 22 CS 02.2687, zit. n. Juris).

Die uneingeschränkte Verpflichtung zur Vorlage der Arbeitspapiere nach § 62 Abs. 1 S. 2 WPO verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, nach dem wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist (st. Rspr. BVerfG, vgl. u.a. Beschluss vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, Rn. 69, zit. n. Juris).

Zwar behandelt der Gesetzgeber die Berufsgruppen der Rechtsanwälte und der Steuerberater anders als die der Wirtschaftsprüfer, weil Rechtsanwälte (§ 56 Abs. 1 S. 2 BRAO) und Steuerberater (§ 80 Abs. 1 S. 2 StBerG) bei der Gefahr einer Selbstbelastung in Berufsaufsichtsverfahren das Recht haben, nicht nur die Aussage, sondern auch die Vorlage ihrer Handakten zu verweigern. Die Berufsgruppen der Rechtsanwälte und Steuerberater sind aber mit der der Wirtschaftsprüfer insbesondere dann nicht vergleichbar, wenn der Wirtschaftsprüfer als Abschlussprüfer nach § 316 Abs. 1 S. 1 HGB tätig wird, woraus sich eine uneingeschränkte Pflicht zur Vorlage der Arbeitspapiere aus § 62 Abs. 3 WPO erst ergibt. Anders als Rechtsanwälte und Steuerberater, deren Tätigkeit in der Regel ausschließlich die Wahrung der Interessen ihrer jeweiligen Mandantschaft zum Gegenstand hat und bei denen sich berufsrechtliche Verstöße vorrangig in diesem Innenverhältnis auswirken, wird der Wirtschaftsprüfer als Abschlussprüfer aufgrund der ihm als Kernaufgabe zugewiesenen Kontroll- und Bestätigungsfunktion im Rechts- und Wirtschaftsleben vorrangig im öffentlichen Interesse tätig (st. Rspr. des BVerwG, vgl. zuletzt Urteil vom 17. August 2005, 6 C 15/04, Rn. 31, 61, zit. n. Juris). Da der moderne Rechts- und Wirtschaftsverkehr im besonderen Maße auf die Verlässlichkeit dieser Tätigkeit des als Abschlussprüfers fungierenden Wirtschaftsprüfers angewiesen ist (BVerwG, a.a.O.), besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse daran, seine Tätigkeit auf mögliche Berufspflichtverstöße hin zu kontrollieren. Dementsprechend bestehen zwischen den genannten Berufsgruppen wesentliche Unterschiede, die eine Gleichbehandlung im Hinblick auf die Möglichkeit der Verweigerung der Vorlagepflicht ausschließen bzw. eine entsprechende Ungleichbehandlung rechtfertigen (BVerwG, a.a.O.). Vergleichbar ist die Tätigkeit des Abschlussprüfers hingegen mit der ebenfalls hoheitlich überlagerten Tätigkeit des Notars (BVerwG, a.a.O.), mit dem der als Abschlussprüfer tätige Wirtschaftsprüfer nach Art. 3 Abs. 1 GG mithin gleichgestellt werden kann, der aber im Rahmen der Berufsaufsicht gem. § 93 Abs. 4 S. 1 BNotO ebenfalls zur uneingeschränkten Vorlage von Akten, Verzeichnissen und Büchern sowie der in seiner Verwahrung befindlichen Urkunden verpflichtet ist und sich insoweit ebenfalls nicht auf ein Verweigerungsrecht berufen kann.

§ 62 Abs. 1 S. 2 WPO eröffnet der Beklagten, wie die Beteiligten aber wohl meinen, weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Regelung ein Handlungsermessen, das nach § 114 S. 1 VwGO nur eingeschränkt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung auf sog. Ermessenfehler hin unterliegen würde. Vielmehr ist die Beklagte, wenn ihr - wie vorliegend - die Möglichkeit einer Berufspflichtverletzung bekannt wird, im Rahmen der ihr nach § 24 VwVfG obliegenden Amtsermittlung zur näheren Aufklärung der Umstände des Falles verpflichtet. Beruft sich der Betroffene - wie hier der Kläger - auf ein Auskunftsverweigerungsrecht, ist ein ihr dabei möglicherweise eröffnetes Auswahlermessen bzgl. der für die weitere Sachaufklärung zu ergreifenden Maßnahmen jedenfalls dahingehend €auf Null reduziert€, dass sie vom Betroffenen die für das Aufsichtsverfahren bedeutsamen Unterlagen anzufordern hat, da, wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, die Möglichkeit einer Verletzung von Berufspflichten durch ein milderes, gleich wirksames Mittel nicht aufgeklärt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, § 711 S. 1 und 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.

Die Berufung ist nicht gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO vorliegt. Insbesondere hat die Rechtssache angesichts des Umstandes, dass zwar noch nicht die Regelung des § 62 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 2 WPO selbst, nach dem oben Gesagten aber vergleichbare Regelungen bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung waren, keine grundsätzliche Bedeutung.






VG Berlin:
Urteil v. 24.11.2011
Az: 16 K 313.10


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