Finanzgericht des Saarlandes:
Urteil vom 21. Januar 2004
Aktenzeichen: 1 K 15/00

(FG des Saarlandes: Urteil v. 21.01.2004, Az.: 1 K 15/00)

Das Finanzamt handelt rechtsmissbräuchlich, wenn es nach dem Ergehen eines klagestattgebenden Gerichtsbescheides Antrag auf mündliche Verhandlung stellt und den Erlass eines dem Gerichtsbescheid Rechnung tragenden Änderungsbescheides ankündigt, um dadurch den Anfall der Verhandlungsgebühr zu verhindern.

Tatbestand

Die Klägerin, eine in C ansässige S.A., wurde am 13. April 1994 in C gegründet. Gründungsgesellschafter waren die D S.A., C, und E, C. Der Geschäftszweck des Unternehmens der Klägerin besteht in der Organisation von sportlichen und kulturellen Aktivitäten.

Die Klägerin hat alsausländischer Unternehmer für 1994 und 1995 beim Beklagten Umsatzsteuererklärungen eingereicht. Am 10. Oktober 1997 ging beim Beklagten die Umsatzsteuererklärung der Klägerin für 1996, das Streitjahr, ein, mit der sie die Erstattung eines Vorsteuerüberschusses i.H.v. 207.847,22 DM begehrt. Durch Bescheid vom 4. September 1998 hat der Beklagte die Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1996 abgelehnt, weil die Klägerin nur eine Strohmannfunktion ausfülle und deshalb nicht selbst Unternehmerin sei (Bl. 115 USt). Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin beantragte (Bl. 1, 38),

den Beklagten zur Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1996 entsprechend den Angaben in der Steuererklärung zu verpflichten und einen Erstattungsanspruch i.H.v. 207.847 DM festzusetzen.

Der Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Durch Gerichtsbescheid vom 3. November 2003 hat der Senat der Klage weitgehend stattgegeben (Bl. 69 ff.) und wie folgt tenoriert:

1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 4. September 1998 in Form der Einspruchsentscheidung vom 15. März 2000 wird dem Beklagten aufgegeben, die Umsatzsteuerveranlagung 1996 nicht mit der Begründung abzulehnen, die Klägerin sei nicht unternehmerisch tätig geworden.

2. Soweit die Klägerin die Festsetzung eines Erstattungsbetrages i.H.v. 207.847 DM beantragt, wird die Klage als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

4. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.

Am 26. November 2003 ging beim Finanzgericht folgender Schriftsatz des Beklagten vom 25. November 2003 ein (Bl. 85 ff.):

"Hiermit beantrage ich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gleichzeitig erkläre ich den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Beklagte hat mit Bescheid vom heutigen Tage den Bescheid vom 4.9.1998 in Form der Einspruchsentscheidung vom 15.3.2000 über die Ablehnung einer Umsatzsteuerveranlagung 1996 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgehoben. Eine Abschrift dieses Bescheides füge ich gemäß § 68 S. 3 FGO bei. Weiterhin verpflichtet sich der Beklagte, die Umsatzsteuerveranlagung 1996 nicht mit der Begründung abzulehnen, die Klägerin sei nicht unternehmerisch tätig geworden."

Mit Schreiben vom 27. November 2003 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass Zweifel an der Wirksamkeit des Antrages auf mündliche Verhandlung bestehen.

Die Klägerin beantragt,

das Gericht möge feststellen, dass der Gerichtsbescheid vom 3. November 2003 als Urteil wirkt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unzulässig zu verwerfen.

Der Antrag auf mündliche Verhandlung sei nicht rechtsmissbräuchlich. Der Beklagte nehme legitime Verfahrensinteressen wahr, indem er eine möglichst kostengünstige Erledigung des Rechtsstreites anstrebe. Das Interesse der Klägerin werde hierdurch nicht berührt. Das Interesse ihres Vertreters an einer weiteren Gebühr sei nicht schutzwürdig. Auch der Zweck des § 90a FGO, dem Gericht eine bisweilen zeitraubende mündliche Verhandlung zu ersparen,werde ebenfalls nicht unterlaufen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Akten des Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Der Gerichtsbescheid vom 3. November 2003 wirkt als Urteil.

1. Das Gericht kann in geeigneten Fällen ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden (§ 90 a Abs. 1 FGO). Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids Antrag auf mündliche Verhandlung stellen (§ 90 a Abs. 2 S. 1 FGO). Wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen (§ 90 a Abs. 3 FGO). Bestehen Zweifel über die Wirksamkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung, entscheidet das Gericht hierüber aufgrund mündlicher Verhandlung (BFH vom 12. August 1981 I B 72/80, BStBl. II 1982, 128).

2. Das Recht eines Beteiligten, nach § 90 a Abs. 2 S. 1 FGO mündliche Verhandlung zu beantragen, wird - wie jede Prozesshandlung im finanzgerichtlichen Verfahren - durch das Institut des Rechtsmissbrauchs begrenzt (s. z.B. zum rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch: BFH vom 11. April 2002 I B 56/01, BFH/NV 2002, 1164; zur rechtsmissbräuchlichen Wiederholung eines Prozesskostenhilfeantrages: BFH vom 20. Februar 1998 VII K 7/97, BFH/NV 1998, 1248; zum Rechtsmissbrauch durch Erhebung einer Untätigkeitsklage: BFH vom 30. Juni 1995 III B 187/94, BFH/NV 1996, 412 jeweils m.w.N). Rechtsmissbräuchlich ist die Ausübung eines Rechtes dann, wenn sie bei vernünftiger Wertung den schutzwürdigen Interessen des Rechtsinhabers offensichtlich widerspricht.

Das Gerichtsbescheidverfahren soll in geeigneten Fällen eine vereinfachte Verfahrensabwicklung ermöglichen. Die Beteiligten erfahren durch den Gerichtsbescheid die in der Art eines Urteils abgefasste Auffassung des Gerichts. Das Recht, den Gerichtsbescheid durch Antrag auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen zu behandeln, soll dem Beteiligten, der durch eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unrichtige Entscheidung des Gerichts benachteiligt ist, die Möglichkeit geben, eventuelle Fehler der Entscheidung zu beseitigen. Ein berechtigtes Interesse eines Beteiligten an einem Antrag auf mündliche Verhandlung setzt deshalb grundsätzlich voraus, dass der Beteiligte den Antrag stellt, um einen für ihn günstigeren Ausgang des Verfahrens zu erreichen (Renz, DStZ 1996, 167). Wer mit der Entscheidung des Gerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einverstanden ist, stellt normalerweise keinen Antrag auf mündliche Verhandlung. Deshalb wird es nach übereinstimmender Auffassung als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn ein Kläger nur deshalb einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellt, um die Klage später kostenfrei zurückzunehmen (unabhängig davon, ob dies kostenrechtlich möglich ist; Schwarz, Komm. zur FGO, § 90 a, Rz. 15; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 a FGO, Rz. 11).

3 a. Im Entscheidungsfall hat der Beklagte den Antrag auf mündliche Verhandlung nicht gestellt, um sich gegen die seiner Auffassung nach unrichtige Entscheidung zu wenden und einen für ihn günstigeren Verfahrensausgang herbeizuführen. Er hat vielmehr - einem zum wiederholten Male von ihm gehandhabten Verfahren entsprechend -Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und gleichzeitig erklärt, dass er mit den Ausführungen des Gerichtsbescheides einverstanden ist. Dieses - in sich widersprüchliche und unübliche Verhalten - wird vor demHintergrund der vom Beklagten angestrebten kostenrechtlichen Konsequenzen plausibel. Nach § 117 BRAGO erhält der Prozessvertreter in einem Verfahren, das durch Urteil wirkenden Gerichtsbescheid entschieden wird, die gleichen Gebühren wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung. Durch den Antrag auf mündliche Verhandlung will der Beklagte vermeiden, dass die Sache "durch als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid" entschieden wird und für den Prozessvertreter der Gegenseite eine Verhandlungsgebühr anfällt. Stattdessen soll ein Kostenbeschluss nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten das Verfahren abschließen. Unabhängig davon, ob der Beklagte dadurch diese kostenrechtlichen Folgen (Einsparung einer Gebühr) auch tatsächlich auslösen kann, ist der Antrag auf mündliche Verhandlung, der allein aus kostenrechtlichen Motiven erfolgt, rechtsmissbräuchlich. Dies gilt für das Finanzamt ebenso wie für einen Kläger.

b. Es darf zudem bezweifelt werden, ob der Beklagte durch sein prozessuales Vorgehen in der Tat die gewünschten Kostenfolgen (Einsparung einer Gebühr) auslösen kann. Denn selbst wenn es ihm gelänge, durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung die Anwendung des § 117 BRAGOund damit den Anfall einer Verhandlungsgebühr zu vermeiden, wäre zu prüfen, ob der Klägerin nicht die Erstattung einer Erledigungsgebühr gemäß § 24 BRAGO zustehen würde.

§ 24 BRAGO soll Ersatz für die in vielen Verfahren aus Rechtsgründen nicht mögliche Vergleichsgebühr sein. Die Erledigungsgebühr entsteht, wenn der Prozessvertreter daran mitgewirkt hat, dass in der Rechtssache keine abschließende Entscheidung mehr zu treffen war, das Verfahren also ohne Entscheidung in der Sache beendet werden konnte (vgl. Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 24 Rdnr. 13; Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., § 24 BRAGO Rdnr. 6). Als "Mitwirkung bei der Erledigung" kommt eine besondere Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten in Betracht, die die materielle Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil herbeiführt und die über die bereits mit der Prozess- oder Verhandlungsgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgeht (BFH vom 16. Dezember 1969 VII B 45/68, BStBl II 1970, 251; Hessisches FG vom 26. November 2002 12 Ko 1552/00, EFG 2003, 490; FG Köln vom 12. September 2002 10 Ko 2335/02, EFG 2003, 124 m.w.N.).

Eine solche Tätigkeit des Prozessvertreters kann auch im Zusammenhang mit dem Erlass eines Gerichtsbescheides entstehen. Der Prozessvertreter muss den Gerichtsbescheid überprüfen und dessen Inhalt und Folgen seinem Mandanten erklären. Er hat insbesondere zu prüfen, ob er mündliche Verhandlung beantragen soll. Stellt er keinen Antrag auf mündliche Verhandlung, wird das gerichtliche Verfahren (jedenfalls seitens des Klägers) ohne weitere Entscheidung des Gerichts erledigt. Diese Tätigkeit des Prozessvertreters ist gebührenrechtlich nicht hinreichend durch die Verfahrensgebühr berücksichtigt. Wenn er nach einer solchen Prüfung darauf verzichtet, durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung den Gerichtsbescheid zu beseitigen, hat er aktiv zur Verfahrenserledigung beigetragen. Dieser Beitrag kann kostenrechtlich nicht dadurch entwertet werden, dass das Finanzamt seinerseits Antrag auf mündliche Verhandlung stellt und dann einen dem Gerichtsbescheid entsprechenden Änderungsbescheid erlässt. Ein Antrag der Klägerseite auf mündliche Verhandlung kommt nicht nur - wie im Entscheidungsfall - dann in Betracht, wenn dem Klagebegehren nicht in vollem Umfang Rechnung getragen worden ist, sondern auch bei einer vollumfänglichen Stattgabe der Klage. Denn auch dann kann ein Kläger einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, wenn er weitere, bisher nicht berücksichtigte Aspekte vorträgt, die zu einer weiteren Minderung der Steuerschuld führen können.

4. Der Gerichtsbescheid wirkt nach alledem als Urteil.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen, weil zu dieser Frage noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt.






FG des Saarlandes:
Urteil v. 21.01.2004
Az: 1 K 15/00


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