Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Juni 2001
Aktenzeichen: 17 W (pat) 5/00
(BPatG: Beschluss v. 19.06.2001, Az.: 17 W (pat) 5/00)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Die vorliegende Patentanmeldung ist beim Deutschen Patentamt am 29. September 1997 unter der Bezeichnung:
"Verfahren zum Optimieren von Produkten und Produktionsprozessen"
angemeldet worden.
Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts durch Beschluss vom 11. November 1999 zurückgewiesen mit der Begründung, dass dem Verfahren nach dem Patentanspruch 1 der technische Charakter fehle.
Die Anmelderin verfolgt die Anmeldung auf der Grundlage des Patentanspruchs 1 vom 9. November 1999 weiter.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"Verfahren zum rechnerunterstützten Optimieren von Prozessen zur Herstellung von Produkten, wobei zur Bestimmung optimaler, den Prozeß beschreibender Parameter (P1 bis PN), a) ein Datenverarbeitungssystem eingesetzt wird, mittels dem Werte ausgewählter Prozeßgrößen erfaßt und gespeichert werden, nämlich die Werte einer ersten Anzahl (L) von Zielgrößen (z) und einer zweiten Anzahl (N) den Prozeß beschreibender Parameter (p), b) in einer Lernphase des Systems die erfaßten Werte der Zielgrößen (z) und der Parameter (p) auf Grundlage einer neuronalen Analyse basierend auf dem Kohonen-Algorithmus ausgewertet werden, und eine topologieerhaltende, nichtlineare Projektion der Daten der Parameter (p) und der zugehörigen Zielgrößen (z) auf eine mehrdimensionale selbstorganisierende Karte, eine sogenannte SOM, realisiert und als SOM-Komponentenkarte entweder höhenkodiert in Form eines Gebirges (GEB) oder farbkodiert visualisiert wird, undc) in einer Anwendungsphase nach Auswahl eines Wertes (z.B. Z2) einer gewünschten Zielgröße (z) auf der SOM-Komponentenkarte die Werte der zugehörigen Parameter (p1, pN) berechnet werden, indem durch automatische Rückrechnung das zum gewählten Zielgrößenwert (z.B. Z2) gehörende Neuron (M) ermittelt, der zum Neuron (M) gehörende Gewichtsvektor (wM) bestimmt, und daraus die gesuchten realen Werte der Prozeßparameter (p1 bis pN) durch Umrechnung ermittelt und an dem Prozeß ausgegeben werden."
Zum Wortlaut der untergeordneten Patentansprüche 2 bis 8 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Eine schriftliche Begründung ihrer Beschwerde hat die Anmelderin nicht eingereicht. Wie im Schriftsatz vom 30. Mai 2001 angekündigt, ist auch kein Vertreter der Anmelderin zur mündlichen Verhandlung erschienen.
Der Niederschrift zur Anhörung vor dem Deutschen Patent- und Markenamt vom 9. November 1999 ist entnehmbar, dass das beanspruchte Verfahren nach Ansicht der Anmelderin technischer Art sei, weil durch dieses Verfahren technische Größen wie Prozessparameter bestimmt würden. Es könne auch automatisch ohne jegliche Zwischenschaltung menschlicher Verstandestätigkeit ablaufen und unmittelbar zur Steuerung eines Prozesses dienen.
Die Anmelderin stellt in der Beschwerdeschrift vom 10. Januar 2000 und im Schriftsatz vom 30. Mai 2001 sinngemäß den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Erteilung zu beschließen bzw die Sache an die Prüfungsstelle zurückzuverweisen, wobei der Entscheidung die zum Zeitpunkt des Zurückweisungsbeschlusses des Deutschen Patent- und Markenamts geltenden Unterlagen zugrunde zu legen seien.
II Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet, da der Gegenstand des nachgesuchten Patents mangels technischen Charakters gemäß § 1 PatG nicht als patentfähige Erfindung anzusehen ist.
1. Der geltende Patentanspruch 1 ist nunmehr auf die rechnerunterstützte Optimierung von Herstellungsprozessen für Produkte beschränkt. Er ergibt sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 8.
Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zum Optimieren von technischen Produkten oder von Herstellungsprozessen anzugeben, wobei bezüglich gewählter Zielgrößen optimale Produkt- oder Prozessparameter zu bestimmen sind (vgl S 3, Abs 4 der geltenden Beschreibung).
Zur Lösung der gestellten Aufgabe lehrt der Anspruch 1 zunächst die Erfassung und Speicherung einer ersten Anzahl von Zielgrößen und einer zweiten Anzahl von den Prozess beschreibenden Parametern in einem Datenverarbeitungssystem (vgl Merkmal a).
Diese erfassten und gespeicherten Daten werden nach Merkmal b) in einer Lernphase auf Grundlage einer neuronalen Analyse basierend auf dem Kohonen-Algorithmus ausgewertet, dh die erfassten Daten werden einer mathematischen Abbildung unterzogen, die eine topologieerhaltende, nichtlineare Projektion der Daten auf eine mehrdimensionale selbstorganisierende Karte (SOM-Karte) leistet. Die Eigenschaften dieser Abbildung sind bspw in dem Aufsatz "Engineering Applications of the Self-Organizing Map" von Teuvo Kohonen ua, veröffentlicht in den Proceedings of the IEEE, Vol 84, Nr. 10, Oktober 1996, S 1358 -1383, insb Abstrakt, erläutert. Der Kohonen-Algorithmus bewirkt danach eine Abbildung, mit der komplexe, nichtlineare Beziehungen zwischen hochdimensionalen Eingangsdaten in anschaulicher niederdimensionaler Form (zB auf einer zweidimensionalen Karte) dargestellt werden können. Dabei bleiben die wichtigsten topologischen und metrischen Zusammenhänge zwischen den Eingangsdaten erhalten, so dass aus der Abbildung zurück auf die Eingangsdaten geschlossen werden kann.
Auf der SOM-Karte wird nach Merkmal b) weiterhin eine gewünschte Zielgröße oder ein gewünschter Parameter (dh Komponenten) entweder höhencodiert in Form eines Gebirges oder farbcodiert dargestellt, wodurch sich eine SOM-Komponentenkarte für eine bestimmte Komponente ergibt.
Merkmal c) befasst sich mit der Anwendung der in der dargestellten Weise erzeugten Abbildung. Es geht offenbar davon aus, dass auf der SOM-Karte die gewünschte Zielgröße als Komponente dargestellt wurde und für diese Zielgröße ein bestimmter Wert vorgegeben wurde. Aus dem Punkt (bzw Neuron) der Abbildung, der diesen Wert einnimmt, werden durch Rückrechnung die zugehörigen Parameter ermittelt und an den Prozess ausgegeben.
2. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist eine mathematische Methode als solche und daher nach § 1 Abs 2 u 3 PatG nicht als Erfindung anzusehen.
Insgesamt gesehen, lehrt der Patentanspruch 1, diskrete Prozessgrößen einer mathematischen Abbildung nach dem Kohonen-Algorithmus zu unterziehen, um eine anschauliche Darstellung einer bestimmten Zielgröße zu erhalten, einen gewünschten Wert für diese Zielgröße festzulegen und durch Rückrechnung für diesen Wert die zugehörigen Prozessparameter zu ermitteln.
Mit der Lösung des Problems, eine mathematische Abbildung zu finden, die eine anschauliche Darstellung einer gewünschten Zielgröße unter einer Vielzahl von variablen (Prozess-) Größen leistet, und die auch Rückrechnungen von der Abbildung auf die Prozessgrößen zulässt, wird nicht ein Techniker betraut, der mit dem konkreten Entwurf oder der Verbesserung von technischen oder chemischen Herstellungsprozessen vertraut ist, sondern ein Mathematiker, dem die spezifischen Eigenschaften von verschiedenen mathematischen Abbildungsverfahren bekannt sind. Dieser ist der Fachmann dafür, unter den bekannten und in der Beschreibungseinleitung erwähnten mathematischen Abbildungsverfahren eines auszuwählen, oder ein neues zu finden, das die gewünschten Eigenschaften hat, nämlich hochdimensionale Eingangsdaten, die in einem nichtlinearen Zusammenhang stehen, niederdimensional abzubilden, wobei die topologischen und metrischen Zusammenhänge im wesentlichen erhalten bleiben und bei dem die erzeugte Abbildung eine Rücktransformation auf die Eingangsdaten zulässt.
Um zu dem Verfahren nach dem Patentanspruch 1 zu gelangen, war sonach eine profunde Kenntnis der Eigenschaften von mathematischen Abbildungen erforderlich. Technische Überlegungen, dh Überlegungen, die auf eine konkrete Anwendung gerichtet sind, sind bei diesem Verfahren nicht erkennbar. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 beruht sonach nicht auf einer technischen Leistung, sondern auf einer mathematischen Methode.
Eine andere Wertung des beanspruchten Verfahrens ist auch durch die Rechtsprechung des BGH nicht geboten. Denn mit dem beanspruchten Verfahren wird weder - im Sinne der bisherigen Technikdefinition des BGH (vgl zB BlPMZ 1991, 345, 347 - Seitenpuffer; Busse PatG, 5. Aufl., § 1 Rdn 23 mwN) - ein unter unmittelbarem Einsatz beherrschbarer Naturkräfte kausal übersehbarer Erfolg erzielt, noch ergibt sich der technische Charakter aus der modifizierten Technikdefinition im Sinne der BGH-Entscheidung "Logikverifikation" (BlPMZ 2000, 273).
So bringt dieses Verfahren keine unmittelbaren Auswirkungen auf einen Herstellungsprozess hervor. Es erzeugt aus den erfassten Parametern und Zielgrößen lediglich eine Darstellung, auf der Bereiche identifiziert werden können, die gewünschten Zielgrößen entsprechen und liefert hierzu die Parameter. Ob und in welcher Hinsicht diese Darstellung zu der Optimierung eines konkreten Herstellungsprozesses beiträgt, ist völlig offen. In dieser Weise gesamtheitlich betrachtet, bringt das beanspruchte Verfahren keinen kausal übersehbaren Erfolg zuwege.
In der Entscheidung "Logikverifikation" hat der BGH sinngemäß ausgeführt, dass ein Lösungsvorschlag, der einen Zwischenschritt in einem Prozess betreffe, der mit der Herstellung eines Chips (bzw eines konkreten Produkts) ende, dann nicht vom Patentschutz ausgeschlossen sei, wenn er "die Möglichkeit der Fertigung tauglicher Erzeugnisse anderweitig durch auf technischen Überlegungen beruhende Erkenntnisse voranzubringen versucht" (vgl Leitsatz 2 u S 275, aaO).
Wie oben ausgeführt, führen zu der Lehre nach dem Patentanspruch 1 jedoch keine technischen Überlegungen, sondern mathematische Erkenntnisse; der insoweit maßgebliche Fachmann ist ein Mathematiker, so dass es vorliegend an einer auf technischen Überlegungen oder Abwägungen beruhenden Erkenntnis mangelt. Zudem betrifft das beanspruchte Verfahren keinen Zwischenschritt in einem Herstellungsprozess, endet also nicht mit der Herstellung eines konkreten Produkts, sondern betrifft im weitesten Sinn nur ein Konzept, das optimiert werden soll.
Auch eine Betrachtung des beanspruchten Verfahrens in einem engeren Sinne, nämlich als Verfahren, dessen sich der Fachmann zur Berechnung neuer Versuchsparameter unter Zuhilfenahme eines Rechners bedient, vermag die Auffassung nicht zu stützen, dass dem Verfahren technischer Charakter zukommt. Denn dieses Verfahren besteht letztlich darin, eine bestimmte Folge von mathematischen Operationen auszuführen, wie sie oben erläutert sind. Auch wenn dieses Verfahren rechnergestützt ausgeführt wird, so ändert sich doch nichts daran, das es ein mathematisches Verfahren ist, dessen Größen erst durch die Interpretation einer menschlichen Bedienperson den einen oder anderen Bedeutungsinhalt zugewiesen bekommen.
Ein Schutz für das in einem solchen Sinne verstandene Verfahren würde darauf hinauslaufen, ein für sich anwendungsneutrales mathematisches Abbildungs- oder Berechnungsverfahren jedenfalls beim Ablauf auf einem Rechner generell unter Schutz zu stellen, gleichgültig, welche Bedeutungsinhalte eines beliebigen Herstellungsverfahrens zugrunde gelegt werden. Gerade die von der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung (vgl S 1 Abs 1 u 2) herausgestellte universelle Anwendbarkeit des Verfahrens kennzeichnet jedoch abstrakte wissenschaftliche oder mathematische Verfahren.
Der Patentanspruch 1 ist sonach mangels technischem Charakter nicht gewährbar.
Die Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts war daher zurückzuweisen.
Bertl Prasch Püschel Schuster Bb
BPatG:
Beschluss v. 19.06.2001
Az: 17 W (pat) 5/00
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