Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 25. Juni 2002
Aktenzeichen: I-20 U 2/02
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 25.06.2002, Az.: I-20 U 2/02)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 2001 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin vertreibt unter der Bezeichnung "Helicobactertest I. ¹³C-Harnstoff" einen Test zur Diagnose von Helicobacter pylori. Sie hat dafür unter dem 14. August 1997 eine EU-weite arzneimittelrechtliche Zulassung durch die Europäische Kommission erreicht (Anlage K 7 zur Klage). Der Verkaufspreis des Produkts betrug im Jahre 2001 ca. 91,00 DM.
Die Beklagte ist Inhaberin einer Apotheke in T. Sie stellte ebenfalls einen ¹³C-Harnstofftest für die diagnostische Anwendung durch Ärzte in nichtindustrieller Weise her (Anlage K 2), den sie zum Preis von je ca. 20,00 DM abgab. Dabei bereitete sie im Vorgriff auf entsprechende ärztliche Verschreibungen die ¹³C-Harnstoffkapseln in kleineren Mengen von höchstens 100 Stück an einem Tag vor, um sie bei Anforderung schnell zur Verfügung stellen zu können (sog. verlängerte Rezeptur oder Defektur) nach ihrem eigenen Vorbringen fertigte sie jedoch die Harnstoffkapseln auch auf spezielle Anforderungen des Arztes durch Rezept (Rezeptur). Eine arzneimittelrechtliche Zulassung für ihren ¹³C-Harnstofftest hat die Beklagte nicht.
Die Parteien streiten darüber, ob diese Zulassung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG (sog. Apothekerprivileg) entbehrlich ist oder nicht. Nachdem im vorausgehenden Eilverfahren am 15. März 2000 gegen die Beklagte im Beschlusswege eine Verbotsverfügung ergangen war (12 O 113/00 LG Düsseldorf), wandte sich die Beklagte mit einem Schreiben vom 3. April 2000 an das Regierungspräsidium in T. als arzneimittelrechtlich zuständige Behörde. Sie wies auf die zugunsten der Klägerin ergangene einstweilige Verfügung hin und machte geltend, dass ein Verstoß gegen § 21 AMG gleichwohl nicht vorliege, unter anderem deshalb, weil sie sich bei der Herstellung an die "Hunderter-Regel" halte. Sie wolle deshalb die zuständige Behörde über ihre "Vorgehensweise bei der Herstellung und Abgabe von ¹³C-Harnstoffkapseln informieren" und bitte diese um Stellungnahme (Anlage K 3 zur Klageerwiderung, im Original als Anlage zum Protokoll vom 19. April 2000 bei den Akten des Verfügungsverfahrens). Mit Schreiben vom 12. April 2000 antwortete das Regierungspräsidium T. (Anlage wie oben):
"Gegen die Herstellung von ¹³C-Harnstoffkapseln gemäß § 13 Abs. 2 Ziff. 1 AMG in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Ziff. 1 AMG bestehen arzneimittel- und apothekenrechtlich keine Bedenken, sofern - wie von Ihnen dargestellt - einen Identitätsprüfung in der Apotheke durchgeführt und die Qualität des Ausgangsstoffes gemäß § 6 Abs. 3 Apothekenbetriebsordnung belegt ist."
Die Klägerin hält das Vorgehen der Beklagten für rechts- und wettbewerbswidrig. Sie hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu DM 500.000,--, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einen ¹³C-Harnstoff-Atemtest zum Nachweis einer Helicobacter pylori-Infektion in den Verkehr und/oder zu bewerben, solange für dieses Fertigarzneimittel keine Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach §§ 21 ff. AMG vorliegt,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin über den Umfang der unter Ziffer 1. beschriebenen Handlungen Auskunft zu erteilen, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen, den angegebenen Arzneimittelmustern, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und zukünftig entstehen wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat schon eingangs der Klageerwiderung vorgetragen, die Herstellung der Kapseln sei sowohl im Wege der Defektur als auch als echte Rezeptur zur Belieferung vorliegender Verschreibungen erfolgt.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage stattgegeben, weil die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung nicht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG entbehrlich sei. Wegen dieses Rechtsbruchs sei die Handlungsweise der Beklagten sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG.
Mit ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr Vorbringen, dass die Abgabe ihres ¹³C-Harnstofftests aufgrund des Apothekerprivilegs zulässig sei. Sie rügt unter anderem, dass die Gründe des angefochtenen Urteils ausschließlich auf die Herstellung der Harnstoffkapseln als Defektur abstellten und die Rezeptur nicht berücksichtigten. Das Rezepturarzneimittel, das gerade auf eine konkrete ärztliche Verschreibung hin hergestellt werde, sei stets zulassungsfrei; hinsichtlich der Defektur seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin schließt sich der Berufung der Beklagten mit dem Antrag an,
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 2001 teilweise abzuändern und
1. der Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
einen ¹³C-Harnstoff-Atemtest zum Nachweis einer Helicobacter pylori-Infektion als Fertigarzneimittel oder Rezepturarzneimittel in Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben, solange hierfür keine Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach den §§ 21 ff. AMG vorliegt,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin über den Umfang der unter Ziffer 1 beschriebenen Handlungen Auskunft zu erteilen, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, den angegebenen Arzneimittelmustern sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen entstanden ist und zukünftig entstehen wird,
hilfsweise,
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 2001 aufrechtzuerhalten.
Zur Anschlussberufung behauptet die Klägerin, dass die Beklagte nicht auf Einzelrezeptur hin tätig werde, und dies in erster Instanz auch nicht vorgetragen habe. Mit der Anschlussberufung sollten Zweifel ausgeschlossen werden, ob der bisherige Klageantrag auch die Einzelanfertigung umfasste.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die Herstellung und Abgabe der ¹³C-Harnstoffkapseln durch die Beklagte stellt keinen Verstoß gegen § 1 UWG dar. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung auf die Äußerung des Regierungspräsidiums T. vom 12. April 2000 als der für die Beklagte arzneimittelrechtlich zuständigen Behörde hingewiesen, in dem gegen das vorliegend angegriffene Verhalten der Beklagten von Seiten der Behörde keine Einwendungen erhoben werden. Dies war schon in erster Instanz mit der Klageerwiderung vorgetragen worden, hat aber dort nicht die gebührende Beachtung gefunden.
Ein Verhalten, dass von den zuständigen Behörden als rechtmäßig anerkannt wird, stellt keinen Wettbewerbsverstoß dar (OLG Frankfurt WRP 99, 948). Verneint die zum Vollzug des Arzneimittelgesetzes zuständige Landesbehörde auf Anfrage eines Unternehmers die Zulassungspflicht nach § 21 AMG für ein Mittel, dann verstößt das Inverkehrbringen dieses Mittels ohne Zulassung nicht gegen § 1 UWG, auch wenn das mit einer Wettbewerbsstreitigkeit befasste Zivilgericht das Mittel als zulassungspflichtiges Arzneimittel qualifizieren möchte (OLG Nürnberg NJWE - WettbR 98, 35).
Die Begründung für diese Entscheidung kann nicht auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes reduziert werden, wie dies im nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin geschieht. Das wird der rechtlichen Bedeutung der Behördenäußerung im vorliegenden Fall nicht gerecht, weil eine solche Betrachtungsweise den Eindruck erweckt, als handele es sich bei der Behördenäußerung um die bloße Äußerung einer für andere unverbindlichen Rechtsansicht. Die Regelung, die eine Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles trifft (vgl. die Definition des Verwaltungsaktes in § 35 VwVfG) kann nicht als bloße Kundgabe einer Rechtsansicht unter vielen angesehen werden (vgl. Senat NJW 01, 686, 687). Einem solchen Verwaltungsakt kommt vielmehr die sogenannte Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass grundsätzlich auch alle Gerichte die Tatsache als maßgeblich akzeptieren müssen, dass der Verwaltungsakt erlassen wurde und rechtlich existent ist, und zwar auch dann, wenn er rechtswidrig (aufhebbar) ist (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 43, Rdnr. 18 f.; Wolff/Bachof/ Stober, VerwR I., 10. Aufl., § 20, Rdnr. 64; § 48, Rdnr. 7 f.). Demgemäß ist auch für die Zivilgerichte anerkannt, dass eine abweichende Beurteilung der Rechtmäßigkeit nicht zulässig ist (BGH NJW 98, 3055; Senat a.a.O.). Das gilt auch im Rahmen des § 1 UWG (vgl. BGH NJW-RR 02, 395, 396 - Sportwetten-Genehmigung mit Anmerkung Ulrich EWiR § 1 UWG 1/02, wonach der BGH zahlreiche Umstände angeführt habe, von denen nahezu jeder für sich ausgereicht hätte, um zu der abschließenden Entscheidung zu kommen). Außer im Fall der Nichtigkeit können Verwaltungsakte, solange sie nicht aufgehoben sind, Geltung grundsätzlich auch dann beanspruchen, wenn sie fehlerhaft (anfechtbar) sind. In Folge seiner obrigkeitlichen Herkunft entfällt die Wirkung eines fehlerhaften (rechtswidrigen) Verwaltungsakt erst mit seiner Aufhebung, die jedoch den Verwaltungsgerichten - bzw. der erlassenden und den ihr vorgesetzten Behörden - vorbehalten ist. Solange der Verwaltungsakt nicht auf diesem Wege aufgehoben wurde, ist die Frage der Rechtmäßigkeit für das Zivilgericht regelmäßig belanglos und nicht zu prüfen (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 13 GVG, Rdnr. 45; Baumbach/Albers, ZPO, 60. Aufl., § 13 GVG, Rdnr. 16; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 24. Aufl., § 13 GVG, Rdnr. 25).
Ein anderes Ergebnis wäre mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren. Das Verwaltungsprozessrecht macht in § 42 Abs. 2 VwGO die Klagebefugnis davon abhängig, dass der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann, also z. B. nicht bloß die Verletzung wirtschaftlicher Interessen. Damit sollen sogenannte Popularklagen ausgeschlossen werden (vgl. statt aller Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 42, Rdnr. 59). Je weiter aber das Anwendungsgebiet des § 1 UWG in Fällen des Rechtsbruchs gefasst wird, um so näher kommt man der Zulassung einer zivilrechtlichen Popularklage von Konkurrenten und Verbänden (Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 6. Aufl., S. 311). Deshalb werden auch die Fallgruppen des Rechtsbruchs, der im Sinne des § 1 UWG als sittenwidrig anzusehen ist, in neuerer Zeit immer mehr eingeschränkt (vgl. Emmerich a.a.O.). Als Ausgangspunkt ist wohl allgemein anerkannt, dass ein rechtswidriges Verhalten nicht ohne weiteres auch wettbewerbswidrig im Sinne von § 1 UWG ist (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kapitel 5, Rdnr. 15; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Einl. UWG Rdnr. 146). Für die hier übliche Abgrenzung zwischen wertbezogenen und wertneutralen Normen fehlt es aber an gesicherten Kriterien (vgl. Emmerich a.a.O. 312; Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., § 1, Rdnr. 615). Selbst der Verstoß gegen wertbezogene Normen ist heute nicht mehr von selbst auch wettbewerbswidrig; das gilt sogar für die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (BGH NJW 01, 2089, 2091 - Vielfachabmahner; 99, 2737 - Hormonpräparate; 00, 864 - Giftnotruf-Box).
In diesem Zusammenhang hat es die Rechtsprechung auch abgelehnt, (angebliche) Rechtsverstöße auch als wettbewerbswidrig zu beurteilen, wenn die zuständigen Behörden nicht von Rechtswidrigkeit ausgingen (BGH NJW 95, 2558 - Räumungsverkauf an Sonntagen; NJW 98, 1792, 1796 - Tiapridal; Baumbach/ Hefermehl a.a.O. § 1 UWG, Rdnr. 616; Köhler/Piper a.a.O. § 1, Rdnr. 668). Wenn in diesen Entscheidungen von Vertrauensschutz bzw. einem Vertrauen auf eine gefestigte Verwaltungspraxis die Rede ist (vgl. auch OLG Frankfurt WRP 99, 948, 950 f.), dann mag das daran liegen, dass in diesen Fällen gegenüber dem Betroffenen direkt eine Einzelregelung nicht ergangen war. Die Beachtlichkeit eines Verwaltungsaktes kann - außerhalb der speziellen verwaltungsrechtlichen Erfordernisse (s.u.) - nicht davon abhängen, dass der Betroffene auf seine Richtigkeit vertraut. Sachgerecht erscheint hier allein die Einschränkung, dass der Betroffene nicht auf die Haltung der Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt haben darf (vgl. BGH NJW-RR 02, 395 - Sportwetten-Genehmigung).
Das ist vorliegend nicht der Fall; insbesondere erscheint die Behauptung der Klägerin aus der Luft gegriffen, bei dem Schreiben des Regierungspräsidiums T. vom 12. April 2000 habe es sich um "ein bloßes Gefälligkeitsschreiben" gehandelt, das auf unzureichender Prüfung der Behörde und unzureichender Unterrichtung der Behörde durch die Beklagte beruhen soll. In dem zugrunde liegenden "Antrag" der Beklagten vom 3. April 2000 ist mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Klägerin mit der Behauptung, das Apothekerprivileg sei nicht einschlägig, gegen die Beklagte eine einstweilige Verfügung erwirkt habe. Zusätzlich zu den Informationen in ihrem Schreiben legte die Beklagte auch noch einen Schriftsatz ihres Anwalts vor, aus dem "weitere Details hervorgehen" sollten. Dem Regierungspräsidenten bzw. dem Sachbearbeiter Dr. B. war also die Tragweite der von der Beklagten erbetenen "Stellungnahme" voll bewusst und er hätte sich weitere Informationen über das Verfügungsverfahren beschaffen können, wenn er sie denn für nötig gehalten hätte. Aus der Tatsache, dass der Regierungspräsident sich in seinem Schreiben mit den zugrundeliegenden Rechtsfragen nicht weiter auseinandersetzt, kann nicht geschlossen werden, dass eine Befassung mit diesen Rechtsfragen unterblieben sei. Es ist auch nicht irreführend, dass die Beklagte in ihrem Schreiben nur von der Defektur spricht, bei der sie sich an die "Hunderter-Regel" halte. Die "verlängerte" Rezeptur umgreift ohne weiteres die normale Rezeptur, vor allem deshalb, weil in dem Schreiben des Regierungspräsidenten allgemein "gegen die Herstellung" der Harnstoffkapseln keine Bedenken erhoben werden. Noch gesuchter erscheint der Einwand der Klägerin, das Schreiben des Regierungspräsidiums befasse sich nur mit der Herstellung der Harnstoffkapseln, nicht aber mit deren zulassungsfreier Abgabe durch die Apotheke. Eine für das Arzneimittelrecht zuständige Behörde wird wohl kaum davon ausgehen, dass eigens in der Apotheke angefertigte Medikamente nicht auch für die Abgabe bestimmt seien. Die Klägerin nimmt wohl auch nicht an, dass die L.-Apotheke, die eine Herstellungserlaubnis gemäß § 13 Abs. 1 AMG hat (vgl. Anlage K 5 zur Klage), diese nur dazu benutzt, die hergestellten Tests zur Dekoration zu verwenden. Die Beklagte spricht in ihrem "Antragsschreiben" auch ausdrücklich von "Herstellung und Abgabe" sowie davon, dass sie "Ärzte aus anderen Regionen" mit ihrem Test "beliefern" wolle. Der Inhalt des Schreibens des Regierungspräsidiums geht klar dahin, dass gegen Herstellung und Abgabe der Harnstoffkapseln im Hinblick auf die beiden Apothekerprivilegien in § 13 Abs. 1 Ziffer 1 und § 21 Abs. 2 Ziffer 1 AMG aus der Sicht der zuständigen Aufsichtsbehörde keine Bedenken bestehen.
Unzutreffend ist die Wertung der Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz, das Schreiben des Regierungspräsidiums T. habe keinerlei Regelungsgehalt. Das ist nach den Umständen unter denen es zustande kam, insbesondere der Mitteilung der Beklagten von der einstweiligen Verfügung in ihrem "Antragsschreiben" nicht anzunehmen. Für den Regierungspräsidenten als Adressaten war klar, dass die Beklagte hier eine verbindliche Regelung seitens der Aufsichtsbehörde wünschte. Demgemäß enthält die Antwort des Regierungspräsidiums nicht nur eine Auskunft oder eine Wissenserklärung, sondern einen Verwaltungsakt mit Verpflichtungswirkung und Regelungswillen. Es liegt eine Zusicherung vor (vgl. Kopp/Ramsauer a.a.O. § 38, Rdnr. 10) nämlich die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt (Verbotsverfügung) nicht zu erlassen; die dafür in § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG geforderte Schriftform ist gewahrt. Die Annahme einer verbindlichen Zusicherung ist um so mehr gerechtfertigt, als die Behörde zwar an die Tatbestandswirkung ihrer eigenen Akte auch selbst gebunden ist (Wolff/Bachhof/ Stober a.a.O. § 48, Rdnr. 7), sich aber hier gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG unter erweiterten Voraussetzungen davon lösen kann.
Dass das Regierungspräsidium T. die für die Durchführung des Arzneimittelgesetzes zuständige Behörde (vgl. OLG Düsseldorf, 2. ZS, Urt. v. 19.11.98 - 2 U 81/98 - wo das nicht der Fall war) ist, ergibt sich aus § 10 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes und § 1 Abs. 1 der entsprechenden Verordnung des Landes Baden-Württemberg (Anlagen H 17, H 18, vgl. auch OLG Nürnberg a.a.O. 36); es wird auch von der Klägerin nicht bestritten. Unbehelflich ist der Hinweis der Klägerin auf das Fehlen eines Vertretungshinweises, woraus sich ergeben soll, dass der Sachbearbeiter Dr. B. nicht die Auffassung der Behörde, sondern seine eigene persönliche Rechtsauffassung wiedergegeben habe. Das geht an den Erfordernissen des Verwaltungsrechts vorbei. Ein schriftlicher Verwaltungsakt muss gemäß § 37 Abs. 3 VwVfG die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Diese Erfordernisse dienen lediglich dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sie sollen dem Adressaten Gewissheit über den Zeichnungsberechtigten innerhalb der Behörde ermöglichen und beim Empfänger sicher stellen, dass nicht nur ein Entwurf, sondern ein fertiger Verwaltungsakt vorliegt (Stelkens/Bork/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 37, Rdnr. 49; Kopp/Ramsauer a.a.O. § 37, Rdnr. 36). Für die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts genügt es deshalb, wenn er die Unterschrift (bzw. Namenswiedergabe) eines bei der Behörde beschäftigten mit Verwaltungsaufgaben betrauten Beamten oder Angestellten trägt, selbst wenn dieser nach der internen Organisation der Behörde für die in Frage stehende Angelegenheit nicht zuständig oder nicht zeichnungsbefugt ist (Kopp/Ramsauer a.a.O. § 37, Rdnr. 37). Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass es sich bei dem unterzeichnenden Herrn Dr. B. um einen Sachbearbeiter des Regierungspräsidenten handelt. Die übrigen Anforderungen des § 37 Abs. 3 VwVfG sind erfüllt. Damit sind, wie bereits ausgeführt, alle Voraussetzungen für den verwaltungsrechtlichen Vertrauensschutz der Beklagten gegeben. Ein weitergehender "Vertrauensschutzgedanke" ist nicht zu berücksichtigen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Satz 2 ZPO. Wegen der Art der Sicherheitsleistung wird auf § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwiesen.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Beachtlichkeit von Behördenentscheidungen bei der Frage der Wettbewerbswidrigkeit durch Rechtsbruch von grundsätzlicher Bedeutung ist. Sie ist auch durch die bislang vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen nicht abschließend geklärt. Selbst die neueste Entscheidung des BGH (NJW-RR 02, 395 - Sportwetten-Genehmigung) erwähnt die dort vorliegende Genehmigung nur als einen unter mehreren Gründen für die Verneinung der Wettbewerbswidrigkeit (vgl. Ulrich a.a.O.).
Berufungsstreitwert: 115.000,00 DM
Die Anschlussberufung erhöht den erstinstanzlichen Streitwert nicht, weil die damit angegriffene Rezeptur von der verlängerten Rezeptur (Defektur) mit umfasst wird.
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 25.06.2002
Az: I-20 U 2/02
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