Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 27. Juli 2011
Aktenzeichen: I-26 W 7/10 (AktE)

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 27.07.2011, Az.: I-26 W 7/10 (AktE))

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG; §§ 98, 99 AktG; Art. 3 GG.

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG, der für Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat auch bei Aktiengesellschaften mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern vorsieht, wenn diese vor dem 10.08.1994 eingetragen worden und keine Familiengesellschaften sind, ist verfassungsgemäß.

Tenor

Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller vom 20.04.2010 und vom 21.04.2010 gegen den Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 25.02.2010 werden - unter Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung - zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten erster und zweiter Instanz trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert wird für die Beschwerdeinstanz auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin ist ein mittelständisches Unternehmen in A., das im Juni 19.. in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegründet worden ist. Sie ist die Konzernmutter von vier inländischen und zwei ausländischen Tochtergesellschaften. Diese Tochtergesellschaften sind weder eingegliedert noch durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin verbunden. Der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin besteht derzeit aus sechs Personen, von denen vier von der Anteilseigner- und zwei von der Arbeitnehmerseite entsandt werden. Im gesamten Konzern sind ca. 550 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Zahl der Mitarbeiter war im Jahr 20.. auf 1.054 Mitarbeiter gestiegen, dann im Jahr 20.. auf 230 Mitarbeiter gesunken. Von den derzeit 550 beschäftigten Mitarbeitern sind rund 305 Mitarbeiter im Ausland bei den nicht eingegliederten Tochtergesellschaften beschäftigt. Es wird daher nicht die Zahl von 500 Arbeitnehmern im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 1 DrittelbG erreicht. Die Antragsgegnerin ist kein Familienunternehmen nach dieser Vorschrift.

Die Antragsgegnerin verfügt gleichwohl über einen drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrat. Im Zeitpunkt ihrer Eintragung im Juni 19.. war nach dem damals geltenden § 76 BetrVG 1952 grundsätzlich ein drittelparitätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden, ausnahmsweise konnte bei Familienunternehmen mit weniger als 500 Arbeitnehmern darauf verzichtet werden. § 76 Abs. 1 und Abs. 6 BetrVG 1952 bestimmte:

§ 76 BetrVG 1952 (in der bis zum 31.12.1994 geltenden Fassung):

Abs. 1:

Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien muss zu 1/3 aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen…

Abs. 6:

Auf Aktiengesellschaften, die Familiengesellschaften sind und weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, finden die Vorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat keine Anwendung. Als Familiengesellschaften gelten solche Aktiengesellschaften deren Aktionär eine einzelne natürliche Person ist oder deren Aktionäre untereinander im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 8, Abs. 2 der Abgabenordnung verwandt oder verschwägert sind. …

Mit Wirkung zum 10.08.1994 wurde dann Abs. 6 BetrVG 1952 geändert:

Abs. 6:

Auf Aktiengesellschaften, die weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, finden die Vorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat keine Anwendung; für Aktiengesellschaften, die vor dem 10.08.1994 eingetragen worden sind, gilt dies nur, wenn sie Familiengesellschaften sind.

Diese Regelung wurde später in das DrittelbG übernommen.

§ 1 DrittelbG Abs. 1:

"Die Arbeitnehmer haben ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat nach Maßgabe dieses Gesetzes in

1.

einer Aktiengesellschaft mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat besteht auch in einer Aktiengesellschaft mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10. August 1994 eingetragen worden ist und keine Familiengesellschaft ist. …"

Die Änderungen bedeuten damit, dass für sog. Alt-Aktiengesellschaften, d. h. vor dem 10.08.1994 eingetragene Unternehmen, die frühere Regelung weitergilt. Diese sog. Alt-Aktiengesellschaften unterliegen damit auch dann der drittelparitätischen Mitbestimmung außer bei Familienunternehmen , wenn sie weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigen.

Während des anhängigen Verfahrens begehrte die Firma B., die 40 % der Aktien der Antragsgegnerin hält, die Abberufung zweier Aufsichtsratsmitglieder und stattdessen die Besetzung mit zwei von ihr benannten Aufsichtsräten. Allerdings kam die für die Abberufung der amtierenden Aufsichtsräte erforderliche Mehrheit nicht zustande.

Der Antragsteller zu 1. ist Aktionär der Antragsgegnerin, der Antragsteller zu 2. Mitglied des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin.

Sie haben vorgetragen, dass das Statusverfahren nach § 98 ff. AktG zulässig sei, weil im Hinblick auf die von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG eine Ungewissheit über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bestehe. Der Antragsteller zu 1. hat erläutert, dass der Unternehmenswert einer nicht drittelparitätisch besetzten Aktiengesellschaft etwa 1/3 höher als bei einem drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrat sei. Da die Gewerkschaften im Rahmen des Drittelbeteiligungsgesetzes kein Vorschlagsrecht hätten und damit nicht zum Kreis der in § 98 Abs. 2 Nr. 10 AktG genannten Gewerkschaften gehörten, seien die Gewerkschaften C. und D. nicht am Verfahren zu beteiligen.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG verfassungswidrig und daher nicht anwendbar sei, mithin die Antragsgegnerin nicht der drittelparitätischen Mitbestimmung unterliege. Sie haben einen gleichheitswidrigen Verstoß gegen Art. 3 GG gesehen. Es bestehe kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen Alt-Aktiengesellschaften und Neu-Aktiengesellschaften. Der Zeitpunkt der Eintragung rechtfertige keine unterschiedliche Behandlung. Die verfassungsrechtliche Prüfung unterliege hier nicht einer bloßen Willkürkontrolle, sondern es sei die Verhältnismäßigkeit der Regelung zu prüfen. Mit der Gesetzesänderung habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er grundsätzlich keinen Bedarf für eine Mitbestimmung bei Unternehmen mit weniger als 500 Arbeitnehmern sehe. So sei im Gesetzgebungsverfahren zunächst auch eine Übergangsfrist von 5 Jahren für Altfälle erörtert, dann aber im Rechtsausschuss nicht weiterverfolgt worden. Die dauerhafte Geltung der drittelparitätischen Mitbestimmung für kleine Alt-Aktiengesellschaften sei aus politischen Gründen erfolgt, ein Zugeständnis an die Gewerkschaften und die SPD gewesen. Es kämen auch mildere Mittel in Betracht, etwa - wie zunächst angedacht - eine Übergangsregelung vorzusehen. Die Sache sei daher dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG zur Entscheidung vorzulegen.

Die Frage, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG verfassungsgemäß sei, sei auch entscheidungserheblich. Es sei unerheblich, dass die Satzung der Antragsgegnerin eine drittelparitätische Besetzung des Aufsichtsrates vorsehe, weil nicht von zwingenden Vorschriften des Aktiengesetzes abgewichen werden könne (vgl. § 23 Abs. 5 AktG). Wenn die drittelparitätische Mitbestimmung für Alt-Gesellschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG verfassungswidrig und damit unwirksam sei, könne die Mitbestimmung daher nicht per Satzung eingeführt werden.

Die Antragsteller haben erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin die Verpflichtung zur Bildung eines drittelparitätisch besetzten Aufsichtsrates gemäß § 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG nicht besteht, und

das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG vom 18. Mai 2004 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als gemäß Nr. 1 Satz 2 Aktiengesellschaften, die vor dem 10.08.1994 eingetragen worden sind und keine Familiengesellschaften sind, auch dann einen drittelparitätischen Aufsichtsrat bilden müssen, wenn sie in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmer haben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat die Einleitung des Statusverfahrens für unzulässig gehalten, weil es nicht Aufgabe des Statusverfahrens sei, die Verfassungsgemäßheit einer Norm zu überprüfen. Mit dem Antrag solle nur die Änderung der Besetzung des Aufsichtsrates aufgrund der Beteiligung der B. als größter Aktionär erreicht werden. Der Antrag sei daher rechtsmissbräuchlich.

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG sei im Übrigen verfassungsgemäß. Es sehe einen Bestandschutz für vor August 1994 gegründete Aktiengesellschaften vor. Bei diesen Alt-Aktiengesellschaften sei die Mitbestimmung bereits eingeführt worden. 1994 habe lediglich die Mitbestimmungspflicht für neu gegründete Aktiengesellschaften geändert werden sollen, um so für Neugründungen eine Gleichbehandlung von kleinen Aktiengesellschaften mit kleinen GmbHs zu erreichen. Auf diese Weise sollte die Gründung von Aktiengesellschaften und damit - für Neugründungen der Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert werden. Bei der Antragsgegnerin bestehe auch keine Veranlassung von der drittelparitätischen Mitbestimmung abzuweichen. Das Unternehmen komme mit der drittelparitätischen Mitbestimmung "gut zurecht".

Das Landgericht Dortmund hat mit Beschluss vom 25.02.2010 die Anträge zurückgewiesen und die Kosten des Verfahrens jedem Antragsteller zur Hälfte auferlegt. Das Landgericht hat die Frage offengelassen, ob die Anträge zulässig seien. Jedenfalls sei das Begehren der Antragsteller in der Sache erfolglos.

Das Verfahren sei nicht auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, weil ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorliege. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung bestehe nicht. So sei der Rechtszustand der Antragsgegnerin seit ihrer Gründung unverändert. Lediglich für nach August 1994 gegründete Aktiengesellschaften griffen abweichende gesetzliche Regelungen. Im Kern begehre die Antragsteller eine Gleichbehandlung im Sinne eines Teilhaberverlangens an den (vermeintlichen) Vorzügen der späteren gesetzlichen Änderung. Für die unterschiedliche Behandlung bestehe jedoch ein sachlicher Grund. So sei 1994 nachvollziehbar der wirtschaftspolitische Zweck verfolgt worden, die Anzahl kleiner Aktiengesellschaften im Verhältnis zur Zahl der GmbHs zu erhöhen. Der Gesetzgeber habe sich hiervon Vorteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland versprochen, und die neue Norm habe Unternehmensgründungen fördern sollen. Bei Altgesellschaften habe es eines solchen Anreizes nicht bedurft. Das gelte bis heute fort. Auch der Bestandsschutz der Arbeitnehmerschaft, die auf eine drittelparitätische Mitbestimmung vertrauten, sowie der von Arbeitnehmerseite entsandten Aufsichtsräte seien sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung von Neu- und Alt-Gesellschaften rechtfertigten.

Der Vorsitzende der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund hatte mit Verfügung vom 09.06.2009 (Bl. 17 GA) den ersten Antrag (des Antragstellers zu 1.) im elektronischen Bundesanzeiger gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 AktG bekannt gemacht. Außerdem hat der Vorsitzende, nachdem ihm die nach § 98 Abs. 2 AktG antragsberechtigten Personen und Vereinigungen bekannt gemacht worden waren, diese mit Verfügung vom 22.06.2009 (Bl. 23) auf das anhängige Statusverfahren hingewiesen (§ 98 Abs. 2 Satz 2 AktG). Ihnen ist mitgeteilt worden, dass sie Gelegenheit, aber nicht die Verpflichtung haben, binnen vier Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen. Mit Verfügung vom 31.07.2009 sind die nach § 98 Abs. 2 AktG zu beteiligenden Personen und Vereinigungen über die auf den 29.10.2009 terminierte mündliche Verhandlung informiert worden.

Der Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 25.02.2010 ist den Antragstellern und der Antragsgegnerin zugestellt und im elektronischen Bundesanzeiger gemäß § 99 Abs. 4 Satz 2 AktG bekannt gemacht worden.

Gegen die landgerichtliche Entscheidung haben beide Antragsteller sofortige Beschwerde erhoben.

Der Antragsteller zu 2. meint, dass jedes Aufsichtsratsmitglied die Pflicht habe, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates zu prüfen. Auch sei ein Formwechsel/Rückformwechsel der Antragsgegnerin zu aufwendig, um zur Anwendbarkeit der Mitbestimmungsregeln für Neu-Aktiengesellschaften zu gelangen. Im Übrigen sei umstritten, ob man auf diese Weise die Mitbestimmungsregeln umgehen könne.

Die Antragsteller halten § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG für verfassungswidrig und sehen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Bestimmung habe sich nicht bewährt. Der Gesetzgeber habe damals die Grundentscheidung getroffen, dass eine Arbeitnehmermitbestimmung bei Unternehmen mit bis zu 500 Arbeitnehmern nicht erforderlich sei. Die unterschiedliche Behandlung sei ausschließlich politisch motiviert gewesen. Die Ungleichbehandlung wirke sich auch auf bestehende Alt-Aktiengesellschaften aus, weil Alt-Aktiengesellschaften für Investoren weniger attraktiv seien. Im Übrigen liege eine aus Art. 14 GG nicht zu rechtfertigende Einschränkung des Einflusses der Aktionäre vor. Auch die lange Geltungsdauer der Regelung stelle als solche keinen sachlichen Grund dar. Die Frage sei hier auch entscheidungserheblich, so dass die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen sei.

Die Antragsteller beantragen,

unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Dortmund vom 15.02.2010 festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin die Verpflichtung zur Bildung eines drittelparitätisch besetzen Aufsichtsrates gemäß den §§ 4 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG nicht besteht,

und

das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG vom 18.05.2004 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als gemäß Nr. 1 Satz 2 dieser Vorschrift Aktiengesellschaften, die vor dem 10.08.1994 eingetragen worden sind und keine Familiengesellschaften sind auch dann einen drittelparitätisch gesetzten Aufsichtsrat bilden müssen, wenn sie in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmer haben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die gegen die Entscheidung des Landgerichts Dortmund vom 25.02.2010 erhobenen Beschwerden zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hält das Statusverfahren hier für unzulässig, weil über den Umweg des Statusverfahrens Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats genommen und nur unternehmenspolitische Zwecke verfolgt werden sollen.

Sie hält die Vorschrift für verfassungsgemäß. Um Neugründungen kleiner Aktiengesellschaften zu fördern, sei die unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt. Auch habe der Gesetzgeber mit der Änderung auch keine neue, andere Grundentscheidung getroffen. Vielmehr habe sich gerade für vor dem 10.08.1994 eingetragene Aktiengesellschaften nichts geändert. Ferner sei wie die Beteiligung der B. zeige nicht erkennbar, dass ein grundsätzlich geringeres Interesse von Investoren an Alt-Aktiengesellschaften bestehe.

II.

Die fristgerecht eingelegten Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.

1.

Die §§ 98 ff. AktG sehen die gerichtliche Überprüfung der Zusammensetzung des Aufsichtsrates im Rahmen des Statusverfahrens vor.

Dass durch die Einleitung des Statusverfahrens gegebenenfalls auch andere Ziele verfolgt werden, macht die Einleitung des Verfahrens nicht unzulässig oder rechtsmissbräuchlich. Die Antragsteller sind durch die Besetzung des Aufsichtsrates zumindest auch mittelbar in eigenen Rechten betroffen, sei es als Aktionär oder in der Funktion als Aufsichtsratsmitglied.

Die in § 98 Abs. 2 AktG aufgeführten Personen und Vereinigungen sind gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 AktG beteiligt worden.

Nach § 99 Abs. 2 Satz 2 AktG sind die dort genannten Personen und Vereinigungen zu hören. Die Anhörung erfolgt dadurch, dass Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird (Habersack in Münchener Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 99 Rdnr. 15; Hüffer in Hüffer, Aktiengesetz, § 99, Rdnr. 7). Auch eine Bekanntmachung nach § 99 Abs. 2 Satz 1 AktG genügt jedenfalls dann, wenn zur Stellungnahme binnen angemessener Frist aufgefordert wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.1971, NJW 1971, 1567). Eine bestimmte Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben (Habersack in Münchener Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 99 Rdnr. 15).

Im vorliegenden Fall hat der Vorsitzende der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund die in § 98 Abs. 2 AktG genannten Personen und Vereinigungen, soweit es hier von Relevanz war, über die Einleitung des Verfahrens mit Verfügung vom 22.06.2009 (Bl. 23 GA) informiert und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen ab Zustellung gegeben. Dass hier auch die an sich im Rahmen des DrittelbG nicht beteiligten Gewerkschaften informiert wurden, ist unschädlich (vgl. zur Beteiligung der Gewerkschaften: Habersack in Münchener Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 98, Rdnr. 21; Gach in Münchener Kommentar, § 6 Rdnr. 2).

2.

Die sofortigen Beschwerden sind unbegründet.

Die Beteiligten streiten der Sache nach um die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG. Der Senat hält die Norm für verfassungsgemäß und sieht daher keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

a)

Die Frage, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG verfassungswidrig ist, ist entscheidungserheblich.

Der Umstand, dass in der Satzung der Antragsgegnerin eine drittelparitätische Mitbestimmung vorgesehen ist, ist ohne Bedeutung. Die Regeln über die Besetzung des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft sind zwingendes Recht. Durch die Satzung kann eine an sich vorgesehene Mitbestimmung nicht eingeführt werden (vgl. Habersack in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz 3. Aufl. 2008, § 96, Rdnr. 3, 26 ff.; Kleinsorge in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Auflage 2008, § 4 DrittelbG, Rdnr. 2).

b)

Die gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden Ermessensspielraums und ist sachlich gerechtfertigt.

aa)

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Montanmitbestimmungsentscheidung vom 02.03.1999 (BVerfGE 99, 367, "Mannesmann") festgestellt, dass unterschiedliche Regelungen für Neu- und Alt-Fälle auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein können. Danach ist der Zweck, schon früher montanmitbestimmte Unternehmen in der bewährten Mitbestimmungsform zu halten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 99, 367, "Mannesmann", Rdnr. 25, 38, 94, 119, 121, zitiert nach juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass etwa bei juristischen Personen die individuelle Betroffenheit je nach Rechtsform, Größe, Mitgliederstruktur und Vereinigungszweck unterschiedlich ausgeprägt sein könne, etwa danach, ob es sich um eine Ein-Mann-Gesellschaft handele oder um eine Aktiengesellschaft im Streubesitz. So ist bei einer Aktiengesellschaft - auf Aktionärsseite die individuelle Betroffenheit eher gering, dieser nur wenig ausgeprägte personale Bezug der Anteilsrechte in ihrer mitgliedsschaftrechtlichen Bedeutung entsprechend zu werten (Rdnr. 91, zitiert nach Juris). Es sei zu berücksichtigen, dass den grundrechtlich geschützten Belangen der Unternehmen und der Anteilseigner die Belange der Arbeitnehmer gegenüber stünden.

Das Bundesverfassungsgericht hat ferner darauf hingewiesen, dass der im Einzelfall bestehenden Erschwerung unternehmerischer Entscheidungsabläufe oder der Verminderung der Rentabilität durch Mitbestimmungsregeln eine größere Tragfähigkeit von Entscheidungen gegenüber stehen könne. So konnte das Bundesverfassungsgericht in der damaligen Entscheidung keine spürbare Behinderung der Unternehmenspolitik oder Ertragslage des Mannesmanns-Konzerns durch die Mitbestimmungsregeln feststellen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesehen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Behandlung von Alt- und Neufällen dazu kommen kann, dass unterschiedlichen Mitbestimmungsregeln anzuwenden sind (Rdnr. 116, zitiert nach juris). Es hat gleichwohl die unterschiedlichen Montan-Wertschöpfungsquoten als noch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen (Rdnr. 119, zit. nach juris). Dem Ziel der Kontinuitätswahrung habe hoher Rang beigemessen werden dürfen (Rdnr. 121, zit. nach Juris). Das Bundesverfassungsgericht hat auch erläutert, dass als Legitimation für eine sachliche Differenzierung eine langjährige praktische Bewährung in Frage komme (Rdnr. 99, zitiert nach Juris).

In der Literatur wird die Frage, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG verfassungsgemäß sei, kontrovers diskutiert. Teilweise wird die Norm - auch im Hinblick auf die Montanmitbestimmungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts - als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (Lutter; AG 1994, 429, 445). So verweist Lutter darauf, dass die Beschränkung der Gesetzesänderung auf Neugründungen sachgerecht sei, weil als Ziel erreicht werden sollte, auch neu zu gründende, mittelgroße Unternehmen für die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu gewinnen (Lutter, AG 1994, 429, 445). Andere halten die Vorschrift für verfassungsrechtlich bedenklich (Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Auflage, § 1 DrittelbG, Rdnr. 14; Lieb, Arbeitsrecht, 8. Auflage 2003, Rdnr. 906; Büdenbender, ZIP 2000, 385; Henssler, ZfA 2000, 241, 258 ff.).

bb)

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG hält sich im Rahmen des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums und ist verfassungsgemäß. Es liegen sachliche Gründe vor, die eine Ungleichbehandlung zwischen Alt- und Neu-Aktiengesellschaften rechtfertigen.

So sollte durch die Änderung der Mitbestimmungsregeln die Attraktivität kleiner, neu zu gründender Aktiengesellschaften erhöht werden (vgl. hierzu Seibert/Köster/Kiem, Die kleine AG, 3. Auflage 1996, S. 129 ff.). Dies ist ein gut vertretbarer sachlicher Grund. Dass sich die Änderung nur auf neu zu gründende Aktiengesellschaften auswirken sollte, ist vor dem Hintergrund der Bestandschutzinteressen der Alt-Aktiengesellschaften und deren Arbeitnehmern angemessen.

So ist es naheliegend, dass es durch eine Änderung der Mitbestimmungsregeln bei einer bereits bestehenden Aktiengesellschaft zu erheblicher Unruhe in dem Unternehmen kommen und der Betriebsfrieden nachhaltig gestört werden könnte. Wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, ist der Vertrauens- und Bestandsschutz ein wichtiger Grund, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Eine auf einen bestimmten Zeitpunkt abstellende und differenzierende Regelung ist dem deutschen Rechtssystem nicht fremd und findet sich etwa auch in dem sehr sensiblen Bereich des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes. So unterscheidet § 23 KSchG hinsichtlich der Reichweite des Kündigungsschutzgesetzes u.a. danach, wann das Arbeitsverhältnis begründet worden ist (vor oder nach dem 31.12.2003). Demgegenüber sind die Belange der Anteilseigner und Aktionäre deutlich weniger ausgeprägt. So fehlt es etwa - anders als im Arbeits- oder Kündigungsschutzrecht an dem besonderen personalen Bezug.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich des DrittelbG nicht die paritätische Mitbestimmung - wie es Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war , sondern lediglich eine drittelparitätische Arbeitnehmerbeteiligung im Raum steht. Anteilseigner können aufgrund der anders gelagerten Mehrheitsverhältnisse ihre Interessen spürbar einfacher durchsetzen.

Darüber hinaus ist das Unternehmensrecht gerade durch eine Vielzahl verschiedener Rechtsformen gekennzeichnet. Teilweise sind die Unterschiede zwischen den Kapitalgesellschaften, auch im Mitbestimmungsrecht, sehr gravierend. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass aus wirtschaftspolitischen Gründen innerhalb einer bestimmten Kapitalgesellschaft Unterschiede gemacht werden und Varianten eingeführt werden (vgl. etwa im GmbH-Recht § 5 a GmbHG "Unternehmergesellschaft"). Es ist nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen versucht, die Änderungen in das System bestehender Kapitalgesellschaften zu integrieren und nicht - etwa unter neuem Namen weitere Rechtsformen zu schaffen.

Dass es sich bei der Bestimmung des Drittelbeteiligungsgesetzes um keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung handelt, zeigt sich hier exemplarisch darin, dass nicht einmal das Unternehmen selbst Interesse daran hat, von der drittelparitätischen Mitbestimmung abzugehen. Auch die Interessen der Aktionäre sind im Hinblick Art. 14 GG nicht in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt. So hat sich der Antragsteller zu 1. in Kenntnis der drittelparitätischen Mitbestimmungsvorschriften an der Antragsgegnerin beteiligt. Änderungen der rechtlichen Verhältnisse sind im Laufe seiner Aktienbeteiligung nicht eingetreten. Auch hat ein weiteres Unternehmen, die B., Anteile an der Antragsgegnerin erworben. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass die durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsinteressen des Antragstellers zu 1. über Gebühr beeinträchtigt würden. Der Umstand, dass der Investor anscheinend versucht, Mitglieder des Aufsichtsrats mit ihm genehmen Personen zu besetzen, mag der Anlass für das Statusverfahren sein, stellt aber die Verfassungsgemäßheit der angegriffenen Vorschrift nicht in Frage.

3.

Die Kostenentscheidung ergibt sich für die erste und zweite Instanz aus § 99 Abs. 6 Satz 6, 7 AktG. Anlass, die Gerichtskosten ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen den Antragstellern gemäß § 99 Abs. 6 Satz 8 AktG aufzulegen, sind nicht ersichtlich. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 99 Abs. 6 Satz 9 AktG).






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 27.07.2011
Az: I-26 W 7/10 (AktE)


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